Wir warten nur noch ab. Machen immer weniger. Ellie ist groß und schwer und sitzt meistens auf dem Klo. Ich war überzeugt gewesen, dass Baby viel früher kommt. Ich bin weiter jeden Tag überzeugt, dass es morgen kommen muss.
Kürzlich haben Ellie und ich beide einen großen Schreck bekommen. Ich will das aufzeichnen, weil das Elternhirn die Erinnerung wahrscheinlich säubern wird. Ich wollte Otto abends von der Kita abholen, als man mich ins Büro bat. Herz sofort im Magen. Aufgrund einiger Verhaltensweisen Ottos schlugen sie vor, einen Gesundheitsberater kommen zu lassen um vielleicht über eine Überweisung an einen Kinderarzt zu entscheiden. Zu Hause las Ellie die Beobachtungen und war sofort überzeugt, dass die Betreuer insgeheim Autismus meinten und uns nicht die Wahrheit erzählten. Wir hatten ein schwieriges Gespräch. Ich wollte rational sein. Nicht einer von diesen Eltern sein. Aber nolens volens ist man erschrocken und dann kommen irgendwann über die Nacht die Zweifel. Und obwohl wir bis dahin mit der Kita und den Betreuern explizit zufrieden waren, war man von einer Minute auf die andere bereit ihnen etwas zu unterstellen. So geht das.
Stattdessen ging Ellie einen Tag später selbst zu Kita und beobachtete Otto. Anschließend nahmen sich die Leute noch eine halbe Stunde und erklärten, dass sie das mit vielen Kindern machen, schon bei minderen Indikationen, weil es besser ist früh nichts zu finden als etwas zu spät. Genau was ich mir zwei Tage zuvor selbst gesagt hatte. Jetzt sind wir wieder beruhigt und überzeugt, dass Otto gerne in der Kita ist. Aber wie leicht ein Quatschgedanke Monate guter Erfahrungen überwiegt.
Otto Nachrichten
Otto wächst wieder. Vor Kurzem hatte er einen kleinen Bauch. Der ist jetzt plötzlich weg.
Johannes Nachrichten
Ich denke ich sollte regelmäßig schreiben, wie es mir geht. In letzter Zeit spürte ich, dass ich Schiss habe. Auch beim zweiten Mal. Ich flüchte mich abends zunehmend in Zerstreuung, wo ich sonst versucht hätte nach der Arbeit noch etwas zu schaffen. Aus dem Gefuehl, dass man es morgen vielleicht nicht mehr machen kann. Fernsehen, Computerspiele, solange es bunt ist. Wie letztes Mal, nur schon vor der Geburt.
An Kitatagen trinke ich morgens auf dem Weg nach Hause einen Tee im Park und gucke Bäume an. Bäume sind gut. Insgesamt scheint aber auch hier wieder vor allem Schlaf der größte Einzelfaktor meines Befindens zu sein.
Ich lese jetzt zwei neue Bücher, die ich vor einiger Zeit als Leseprobe hatte.
Eins über die erste Hälfte von Erich Honeckers Leben, bis 1945. Ich glaube mich interessiert, welche Art Mensche in welchem System Karriere macht, seit ich das bei mir auf der Arbeit beobachten kann. Außerdem die Lebensumstände in der Jugend meiner eigenen Großeltern. Ich hatte mir vor einiger Zeit eine Leseprobe dieses Buches geholt, wie auch einer Biographie über Herbert Wehner als einer Person die ursprünglich eine ähnliche Laufbahn nahm und später im anderen System erfolgreich war. Biographien interessieren mich erst seitdem ich selber älter werde, aber dann eben zunehmend.
Das andere handelt vom Polnisch-Sowjetischen Krieg 1920. War mir aus meiner Zeit in Polen bekannt, aber ich war ueberrascht, als ich es vor einigen Jahren in einer Rostocker Thalia sah. Mittelosteuropa wird in deutschen Buchhandlungen fast ausschliesslich aus russischer Sicht geschrieben, von Leuten die frueher da studierten oder viel zu lange Korrespondenten waren. Der Autor war zur Abwechslung in Polen.