Sonntag, 26. November 2017

Bach mochte Oper!

Wir haben einen neuen Boiler! Einen ganzen Tag haben sie hier rumgewerkelt. Dafür kommt jetzt warmes Wasser und Heizung auf Knopfdruck. Außerdem kann man ihn vom Handy aus bedienen und z.B. von der Arbeit aus einschalten bevor man nach Hause geht. Wir müssen nur noch die Bedienung verstehen. Effizienter ist der Boiler auch, aber Ellie gleicht das gekonnt durch erhöhtes Heizen aus.
Eine neue Matratze hätten wir auch haben sollen, dann hätten uns Freunde ein Bettgestell abgegeben und wir ein richtiges Gästezimmer gehabt. Aber die Lieferung kam in so schlechtem Zustand, dass wir sie abgelehnt haben. Sie versuchen es nochmal, wenn das nicht klappt stornieren wir.

Hastings
Anfang November (und im letzten Eintrag vergessen) sind wir ein Wochenende sind wir zu Ellies Freunden nach Hasting gefahren. Das sind die mit polnischer Familie, bisher in London, Anfang des Jahres umgezogen. Für mich sind die Leute eine durchschnittliche Freude, aber dafür war Hastings eine schöne Überraschung. Ellie hatte meine Erwartungen mit Geschichten aus ihrer Jugend gedämpft, als sie mit der Dorfjugend Tagestouren dorthin unternommen und größtenteils in Kneipen gesessen hat. Aber in der Zwischenzeit hat sich wohl einiges getan. Die Seepromenade hat einige Perlen von Zwanzigerjahrearchitektur. Die Seebrücke wurde gerade erst renoviert und hat Ausstellungsfläche und Gastronomie aber keine Spielsalons, wie sie sonst üblich sind. Auf den Klippen darüber steht dramatisch eine alte Burg Wilhelm des Eroberers, der in der berühmten Schlacht in der Nähe seine Herrschaft errungen hatte. Dann gibt es tatsächlich eine attraktive Altstadt von fast europäischer Bauweise mit sehr vielen gemütlichen Kneipen und Cafes. Nicht zuletzt existiert noch eine große Fischereiwirtschaft. Die Boote landen direkt am Strand, es gibt Direktverkauf und eine Menge wirklich guter Restaurants.

Vorträge
Zwei Wochen darauf habe ich mit anderen Amateursängern Bachs Magnificat brutal misshandelt. Für mich sehr aufregend, da ich noch nie wirklich Bach gesungen habe, es aber schon immer wollte. In Chichester fand nämlich wieder ein offenes Singen statt, organisiert von einem großen Chor in Portsmouth, wie schon im Frühling, als ich dort mit Ellie Händels Messias gesungen hatte. Wie damals gab es auch einen kleinen Vortrag Diesmal habe ich gelernt, dass Bach Oper mochte. Wer hätte das gedacht.

Kurz vorher war ich auch wieder auf einer öffentlichen Kneipenvorlesung gewesen. Diesmal in Portsmouth, von der großartigen lokalen Kosmologiefakultät. Am kommenden Montag und Dienstag trage ich selbst vor. Vor vielen Jahren habe ich beim Tanzen eine deutsche Dozentin (aus Leipzig!) kennengelernt, die Statistik unterrichtet. Immer haben wir gesagt, dass ich ihren Studenten mal was aus dem richtigen Leben erzählen sollte. Erst jetzt passiert was, aber hoffentlich lässt sich das in eine langfristige Zusammenarbeit verwandeln. Ich habe nämlich nie verstanden, warum wir mit Portsmouth nicht so eng arbeiten wie mit der Uni Southampton. Das ließe auch mich gut aussehen. Und Ellie will auch kommen.

Samstag, 18. November 2017

Freud´s Leid

Im Moment wird mein Leben stark von meiner Arbeit bestimmt. Natürlich führe ich meine Hobbies weiter, aber die finden regulär jede Woche statt (Chor, Gesangsstunde, Tango und Spieleabende finden weiter statt - und lassen mir kaum einen freien Abend). Die besonderen Ereignisse passieren auf der Arbeit. Das ging damit los, dass mich ein Kollege privat um eine interessante Übersetzung bat. Er sammelt historische Originaldokumente und hat vor kurzem eine kurze Notiz erstanden, in der Sigmund Freud handschriftlich eine Bitte um Authorisierung einer Übersetzung ziemlich rüde abweist. Danach haben wir uns erstmal zusammengesetzt und über Geschichte geredet.

Fest der Gesellschaftswissenschaften
Als nächstes habe ich einen öffentlichen Vortrag gehalten. Seit einigen Jahren bin ich ja großer Anhänger zugänglicher Wissenschaft, am besten abends in Kneipen. Seitdem ich sowas das erste Mal selbst besucht habe, dränge ich, dass mein Arbeitgeber das auch macht - Vorträge und Redner haben wir zur Genüge fertig rumliegen, unser Profil wollen wir schärfen, gerade regional der Rekrutierung wegen. Aber kreativ oder aktiv sind wir überhaupt nicht. Jetzt also endlich haben wir uns einer jährlichen Aktion für Gesellschaftswissenschaften in Southampton angeschlossen. Dazu habe ich einen Vortrag über Bevölkerungsalterun geschrieben und gehalten. Wir hatten ca. 40 Leute im Publikum und ich habe fleißig Kontakte geknüpft und für Daten und gegen dubiose Debatten geworben. Weil das meines Wissens die erste Aktion dieses Format war, werde ich den Vortrag für Kollegen wiederholen und für Fortsetzungen werben. Dazu habe ich auch schon die Organisatorin des Abends eingeladen.


Mit meinen Mitvortragenden beim Fest der Gesellschaftswissenschaften
Demografiekurs
Vom 13.-17. November waren ich und einige Kollegen von der Arbeit abgestellt um an der Uni Southampton eine Woche lang Demografie zu lernen. Dafür bin ich täglich gependelt. Nur Montag Abend konnte ich bei Kalina übernachten und Dienstag abend mal richtig schön in Ruhe frühstücken. Sonst hatte ich abends immer was zu Hause vor.
Der Kurs war besonders für mein Team sehr relevant, erklärte einige unsere Hauptprodukte und bezog sich auch sehr häufig auf unsere Daten. Nicht zuletzt, weil wir sehr eng mit der Uni Southampton kooperieren und von der vor Expertise beziehen. Leider habe ich momentan soviel zu tun, dass ich nicht im Voraus lesen konnte. Und Vorlesungen allein funktionieren für mich nicht, weil ich nicht zuhören kann. Dementsprechend habe ich mich wieder ziemlich deppert angestellt, sobald nach der Vorlesung eine Übung kam. Wie in meinem eigenen Studium damals also. Dafür habe ich Kontakte geknüpft wie ein Profi und einen Analysten aus der Verwaltung von Buckinghamshire eingeladen, mal bei uns im Büro zu erzählen was sie von unseren Daten halten. In der Vergangenheit hatte ich das bereits mit zwei anderen Ämtern organisiert und beide haben jeweils unsere größten Konferenzräume zum Überlaufen gebracht. Außerdem hat ein sehr netter polnischer Professor Vorlesungen gehalten, der meinem Amt oft als Sachverständiger berät. In Rostock bei Max Planck war er auch schon ein paar Mal und findet die Stadt sehr schön.
Allgemein habe ich eine Woche zurück auf den Campus ziemlich genossen. Nur bin ich mir ziemlich sicher, dass ich damals nicht so jung gewesen sein kann wie die Studenten aussahen.

Über Ellies Deutschkurs habe ich gelernt, dass das deutsche Partizip II kein Präfix ge- nutzt, wenn das Verb ein Lehnwort aus Latein oder Griechisch ist. Wer hat das gewusst?

Zur Erinnerung: ab 30. November funktioniert meine billige Nummer nicht mehr. Das gilt in beide Richtung: von mir nach Deutschland und umgekehrt. Ich arbeite an einer Alternative, finde aber nur selten Zeit zum Suchen.

Samstag, 4. November 2017

Lehrlinge brauchen große Rohre

Zwischen aller Tanzerei haben Ellie und ich wie jeden Herbst bei Haus Stansted Esskastanien gesammelt. Diesmal war das Wetter besonders schön und wir  haben einen neuen Weg entdeckt, der sich wahrscheinlich gut für einen Weihnachtsspaziergang eignet. Wie sich rausstellte, war das unser letzter Ausflug mit dem Auto. Eine Woche später fiel es durch den TÜV, auch wie jedes Jahr, aber diesmal lohnt sich die Reparatur nicht mehr. Also wird es verschrottet und im nächsten Jahr schauen wir uns nach einem neuen um. Es hat uns gut gedient, alt wie es war - wir haben viele schöne Orte entdeckt und für Ellies ein Stück mehr Selbstbewusstsein.
Mit Kalina habe ich den ersten kalten Winterspaziergang den Fluss Itchen entlang gemacht. Der führte die Feuchtwiesen entlang und um den Sankt-Katharinenhügel herum, über dem später der Mond aufging. Auf halbem Wege konnten wir uns im Cafe des Heiligkreuzspitals erfrischen, wo ich im Sommer mit Mutti gewesen war. Dann sind wir weiter zum Dom und dann zum Bahnhof. Ich fühle mich auf diesem Weg immer ganz ins Mittelalter zurückversetzt.

Wir geben weiter mit vollen Händen Geld aus. Am 10. November kommt der neue Boiler mit diversen digitalen Spielzeugen und eine neue Matresse ist auch bestellt. Ellie beweist übrigens erstaunliches Heimwerkertalent. Trotzdem habe ich mir etwas gegönnt: ein neues Teleskop. Das erste hat mir bestätigt, dass sich etwas mehr Investition lohnt und so habe ich mir ein weiteres gebrauchtes mit 130mm Linse gekauft. Nur ist es viel zu schwer (und die Röhre viel zu groß) für einfachen Transport, speziell ohne Auto, sodass ich es vorerst wohl nur im Garten in der Stadt nutzen kann.

Die Arbeit ist momentan wirklich stressig. Am 9. November spreche ich in Southampton auf einer öffentlichen Veranstaltung in einer Bar. Der Vortrag hat viel mehr Zeit benötigt als gedacht, nicht zuletzt, weil ich zwei Tage die Woche  auf einem besonderen, innovativen Projekt arbeite. Im Anschluss muss ich gleich einen Vortrag an der Uni Portsmouth Ende November vorbereiten. Und zwischendurch bin ich eine Woche auf einer Fortbildung an der Uni Southampton. Denn es gibt viel zu lernen. Ich habe mich darum für eine Art Lehre in Datenanalyse angemeldet. Das ginge im Januar los und kompensiert in vielerlei Hinsicht das mir entgangene Aufbaustudium.

Im Advent werde ich auf der Arbeit nichts schaffen - denn ich wurde als Geschworener bei Gericht ausgewählt. England hat nämlich ein Geschworenensystem. Jede Bürger kann per Los herangezogen werden und ist dann auch verpflichtet anzutreten. Arbeitgeber können da auch nichts sagen. Wie ich erfuhr, sind dazu auch EU Ausländer zugelassen. Das geht am 11. Dezember los, dauert durchschnittlich zwei Wochen - und wenn ich Glück habe, ist nicht viel los und ich kann lesen und Lebkuchen essen. Man wird nämlich nicht zu einem bestimmten Fall herangezogen, sondern hat praktisch eine zeitlang Rufdienst. Und manchmal ist nichts los. Persönlich finde stehe ich der Idee von Laienentscheidung etwas misstrauisch gegenüber. Hoffentlich funktioniert das besser als bei Volksabstimmungen.




Wanderung am Fluss Itchen mit Kalina.






Das Heiligkreuzspital, ältestes arbeitenden Krankenhaus Englands. Wobei es eher ein Altenheim ist.






Am Halloween-Tangoabend habe ich getanzt wie ein junger Gott.


Der Tod und die Mädchen.
Chorkonzertposter

28. Oktober 2017 - tanzen tanzen tanzen

Ellie und ich haben uns im Chor aber vor allem auf einem Tanzkurs kennen gelernt. Wir tanzen beide gern und viel, aber komischerweise seitdem fast nie miteinander. Das hat sich im Oktober geändert, dank zweier Hochzeiten und einer Party.

Auf dem Boot

Zuerst heiratete Mitte Oktober eine ihrer Freundinnen. Hochzeit war in Portsmouth, die Feier auf einem Boot in Southampton. Die ganze Veranstaltung hat mir seit der Ankündigung sehr gefallen, weil das Paar es mit gesundem Menschenverstand und wenig Geld organisierte. Einmal ohne den ganzen Firlefanz den ohnehin niemand braucht. Das Brautkleid zum Beispiel hat 150 Pfund gekostet statt der üblichen 5000 und die Braut sah einfach umwerfend aus. Und ich finde Brautkleider normalerweise langweilig. Die Zeremonie dagegen hat mir wieder nicht gefallen, insbesondere die Reden - durch Ellie wusste ich, dass Worte und Verhalten der Redner nicht immer übereinstimmten. Ehrlich gesagt bin ich dadurch in eine antisoziale Stimmung verfallen, wie ich sie seit vielen Jahren nicht mehr kannte. Bis Ellie auftrat. Die Braut ist nämlich auch Bauchtänzerin und ihr nunmehr Mann hatte Ellie gebeten, mit einigen anderen heimlich eine Choreographie vorzubereiten. Sie hat die Truppe auf Trab gebracht - beim Tanzen sind ihre Ansprüche hoch und Skrupel niedrig genug wenn nötig Klartext zu reden. Der Auftritt war dann auch umwerfend - sowas schönes habe ich seit einem Straßentheater 2006 in Torun nicht mehr gesehen. Die Braut hat spontan mitgemacht. Dann war die Tanzfläche offen und ich kam aus meiner Schale und habe Stimmung gemacht! Zum ersten Mal haben Ellie und ich einfach zum Spaß miteinander getanzt; es war toll. Und das beste: 23 Uhr war Feierabend und es ging nach Hause.

In den 90ern
Eine Woche drauf sind wir zwei zur 90er Jahre Party gegangen. Erst seitdem ich mit Ellie unsere Kindheit und Jugend vergleiche ist mir, durch Demonstrationen, klar geworden, was für tolle Musik zu meiner Grundschulzeit gemacht wurde. Gut, eigentlich war man zu jung um das wirklich mitzurkiegen oder mitzumachen. Und damals habe ich die Musik eigentlich mit einer mir ziemlich fremden und beängstigenden Kultur verbunden (ab und zu habe ich diese Reflexe an diesem Abend auch gespürt). Aber seitdem ich weiß, dass ich ein ziemlich alberner Mensch bin, kann ich den glorreichen Kitsch einer Zeit richtig wertschätzen, als Musik meistens von holländischen Jugendlichen produziert wurde. Nun durften wir also auch mal 90er machen. Natürlich haben wir uns zeitgemäß angezogen, was Männern nicht viel Material bietet, Ellie aber sah bezaubernd aus mit ihren geflochteten Zöpfen. Klamotten und Stil kann sie. Sogar sie selbst sagte: Makeup Triumph! Wahrscheinlich eine Premiere.
Die Party war eine Riesensause in der Stadthalle, später am Abend spielte eine Live Band. Mir gefiel am besten der frühe Abend, als noch Platz zum Tanzen war. Ellie war wieder hinreißend und wieder sind wir früh nach Hause: halb elf nach drei Stunden. Pizza und Geschichtsdoku auf dem Sofa.

Auf Afrikanisch

Das folgende Wochenende heiratete eine Kollegin Ellies. Das war eine afrikanische Hochzeit und zwar schon die dritten des Paares: zwei waren in Nigeria für die jeweiligen Stämme gemacht worden. Diesmal war die Sache sehr kirchlich, beide sind in einer Studentengemeinde. Drei Stunden dauerte die Zeremonie, vieles davon war Singen und Tanzen. Mein persönlicher Höhepunkt war, als alle mit Glückwünschen am Brautpaar vorbeitanzten. Da erfasste mich das Tanzfieber nämlich so sehr, dass ein Afrikaner meinen Stil lobte. Essen und Feier fanden in einer Turnhalle statt, um all die Gäste unterzubringen. Ich lernte: nigerianisches Essen ist gewöhnungsbedürftig, die traditionelle Kleidung ist toll, und in deren Kultur tanzen auch Männer ganz selbstverständlich und zwar gut. Beide Väter sind übrigens Pastoren, einer Stammeshäuptling; beide tanzten später miteinander. Auf der anderen Seite ging es eindeutig auch um gesellschaftlichen Status: Plastikkronleuchter, Brautpaar auf einem zentralen Sofa, vier Fotografen, Gastgeschenke. Ein Zeremonienmeister wurde extra eingeflogen - und ein gewisser Timi Dakolo. Niemand von uns kannte ihn, aber wir haben es überprüft - er ist tatsächlich der berühmteste moderne Sänger Westafrikas. Nun kam er den ganzen Weg nach Portsmouth und dann funktionierte der Ton nicht richtig.


Die 90er werden nachgeholt.