April
sollte der ruhige Monat vor dem möglichen Besuch Kasias sein. Kasia
ist am Ende nicht gekommen, und der April war nicht ruhig. Mit jedem
Tag Sonne ergibt sich mir mehr mehr das Dilemma, zuviele Pläne in
zuwenig Zeit zu stecken. Der Sommer hat noch nicht richtig begonnen
und ist schon ausgeplant.
Das
letzte Mal hatte ich von der Reise nach Birmingham geschrieben, der
letzten dorthin wie sich im Laufe des Monats erwies. Eine Woche lang
habe ich danach erstmal liegengliebenes machen müssen. Aber am
ersten Wochenende habe ich mit Mathieu und seiner zugereisten
Schwester an einem der ersten schönen Tage zum ersten Mal in meinem
Leben Golf gespielt. Das geschah am ersten wirklich schönen
Wochenende. Seitdem geht es zwar bergauf bergab mit dem Wetter und
der Wärme, aber das Frühlingsgefühl ist hier. Wie spielten auf
einem kleinen Golfplatz ganz nah bei mir und damit direkt am Meer,
und bei dem Wetter eine Erfahrung, die ich gerne wiederholen wollte,
aber bisher nicht geschafft habe, denn es gibt viel zu viel zu tun.
Gleich am Folgetag traf ich mich an gleichem Ort zum zweiten
Frühstück mit den Mitglieder einer meiner Tanzgruppen. Die zeigten
mir auf einem Spaziergang, das ebenso nah bei mir, gleich neben dem
Ententeich, ein mir völlig unbekannter Rosengarten ist, der gerade
mit dem Blühen beginnen sollte. Ebenso ist dort seit kurzem ein
Gemeinschaftsgarten, und dort kann ich ohne Anmeldung jederzeit mal
hinfahren und eine Stunde umgraben; ein guter Start in ein sonniges
Wochenende. Auch ins Zimmer habe ich den Frühling geholt und mir zum
ersten Mal im Leben Blumen gekauft; zwei Wochen dufteten Hyazinthen,
bevor sie leider schon wieder verblühten. Blühen tut auch der
lokale Rhabarber, den ich gerne zu Kuchen verarbeite.
Auch
mein Büro ist von Blüten und Grün umgeben und ich gehe mittags
gerne joggen und spazieren. Und wenn ich abends am Tragflächenboot
abgesetzt werde, ich die ganze Stadt ist an der Promenade, grillt und
spielt Fußball auf der großen Gemeindewiese, das Meer ist plötzlich
wieder voll mit Segelbooten und den weißen Streifen hinter
Motorbooten und das Wasser sagt zur Sonne glitzer glitzer. Man wacht
morgens ohne Probleme früh auf und ist voller Tatendrang und Plänen
für einen Sommer zwei Minuten Fußweg vom Strand. Dementsprechend
bin ich an einem sonnigen blühenden Abend im Rahmen der Daueraktion
„Echter Kerl“ anbaden gegangen...circa zehn Sekunden lang. Ganz
so warm ist es dann doch noch nicht.
Kurz
gesagt, mir ging es hier noch nie so gut. In der ganzen Euphorie
erinnere ich mich häufig an ähnlichen Tatendrang im April vor einem
Jahr in Rostock, die Anemonen bei Papendorf, den blühenden
botanischen Garten, den Flieder auf dem Feldweg durch Sildemow, das
Fish Filmfestival im Stadthafen. Auch sozial bekomme ich etwas Boden
unter die Füße, und dazu kam Mitte April eine große Neuigkeit:
Kalina hat Arbeit ganz in der Nähe von Southampton gefunden und ist
Ende des Monats dorthin gezogen, eine halbe Stunde von meiner Arbeit
entfernt.
Auch
kulturell gibt es ganz furchtbar viel zu tun. Nach langem Warten habe
ich endlich den Hanekes Film Liebe sehen können, der mich sehr hat
nachdenken lassen. Auch habe ich endlich eine der Opernübertragungen
im Kino gesehen, Nabucco aus dem Königlichen Opernhaus London. In
einem meiner Tanzkurs haben wir eine Choreographie auf Video
aufgezeichnet und ist mit einem Klick auf diese Adresse zu sehen:
Voran
geht es aber vor allem im Tango. Ich bin jetzt zu gratis Extrastunden
eingeladen, und die zusätzliche Übung zwischen den Lektionen hat
einen echten Unterschied gemacht. Ich habe ein Grundrepertoir
verschiedener Figuren, und wenn die funktionieren und die Partnerin
macht was ich führe, schaffen wir genau den Zauber, den ich mir
erhofft habe.
Trotz
des Wetters bin ich weiter gerne in der Bibliothek und habe dort nach
fast einem halben Jahr das Buch über Europa nach dem römischen
Reich bis zum Jahr 1000 ausgelesen, fast sechshundert Seiten lang und
so gut geschrieben, dass ich gleich noch einmal mit den ersten
Kapiteln begonnen habe. Die Bibliothek wird im Sommer leider wieder
ihre Öffnungszeiten kürzen. Ab Juni gehen die langen Semesterferien
wieder los und ich freue mich bereits jetzt, wie im letzten Jahr das
Haus für mich und damit sauber zu haben.
Je
länger die Aufbruchsstimmung dauert, desto mehr verzweifle ich aber,
dass wohl der ganze Sommer nicht für alle Ideen reichen wird, die
mir konstant erscheinen. Als nächstes fahre ich nach Salisbury und
Stonehenge, sogar mit Freunden, aber wann sollen diverse Gärten, der
Neuwald bei Southampton, der Pilgerweg von Winchester (geplant seit
Juli), die Woche in Frankreich, der Ausflug mit Friedemann nach
Finnland, die Einladung Beatas nach Rodos und dann möglichst noch
zwei Wochen in Deutschland geschehen? Was ist mit dem Walzerkurs, dem
Gesangsunterricht, Russisch- und Mathelernen, mit allen Lehr- und
Prosabüchern, wo ich ohnehin schon mehr für Tango und den Chor tun
sollte? Sowohl im Kinoverein als auch im Geschichtsdorf sowie dem
Garten sollte ich mich blicken lassen. Ab Juni gehen wieder die
sonntäglichen gratis Konzerte am Meer los, und dreimal werden gratis
Opern auf Großleinwänden übertragen. Was ist mit den Theatern in
Titchfield und Chichester? Einen Grill will ich mir kaufen und ganze
Tage am Meer verbringen, schwimmen, essen, trinken, tanzen.
Die
Euphorie und ihre Dilemmata sind gut am letzten Aprilwochenende
festgemacht. Freitagabend habe ich mich beim Tango verausgabt, als
beim freien Tanz zum ersten Mal alles so klappte wie es sollte.
Samstag habe ich volle acht Stunden in der Bibliothek gesessen und
trotzdem nur die Hälfte davon gelesen, was ich eigentlich wollte.
Sonntag war dann richtig erfüllt, als ich Kalina in Southampton
besucht habe. Auf dem Weg habe ich erst eine Freundin vom Tango
besucht, die im hübschen Dorf Hamble lebt, das ich im Herbst auf dem
Weg zur Abtei Netley durchquert habe – man erinnere sich an das
Foto der kleinen rosa Fähre. Hamble liegt auch an der Mündung des
Flusses, an dem Southamptons Hafen liegt und auf einem schönen
Spaziergang zog an uns ein großer Containerfrachter mit der
Aufschrift Hamburg Süd vorbei. Ich hatte zum Mittag frische Forelle
mitgebracht und getanzt wurde natürlich auch. Abends habe ich dann
in Southampton Kalina und ihre Mutter getroffen, die sie die ersten
drei Wochen begleitet. Sie richten gerade Kalinas nagelneue
Einzimmerwohnung bei Ikea ein. So unangenehm es ihr ist kann ich
natürlich kaum verbergen, wie sehr ich mich freue, eine richtige,
echte, persönliche Freundin ganz in der Nähe zu haben. So nah haben
wir seit 2008 in Magdeburg nicht mehr gewohnt.
Als die Hyazinthen noch lebten. |
Mein Martinica am Kirchbaum vor dem Büro. |
Ich warten morgens auf die Ankunft meines Fahrers mit dem Luftkissenboot. |
Abends an gleicher Stelle. |
Kalina und ihre Mutter bei unserem ersten Treffen in Southampton. |