Montag, 26. Mai 2014

Das Leben ist eine Bühne

Am 17. Mai sang der Chor sein letztes echtes Konzert in diesem Studienjahr. Gemeinsam mit der Blasorchester und der Big Band der Uni eröffneten wir das Unifest, eine Woche Kulturveranstaltungen der Musik- und Theaterfakultät. Gesungen haben wir dazu Gustav Holsts sehr interessante Vertonung der Vedischen Schriften. Leider war der Chor vermutlich das schwächste Glied im Bund. Die Bässe haben ganze Einsätze verpasst und während ich recht sicher war, konnte ich oft nicht helfen, da ich mal wieder die Aufwärmung vernachlässigt und mir in der Probe die Stimme angeknackst hatte. Das Wetter war jedoch grandios, Ellie und ich fassten die Pause vor dem Konzert am Wasser Essen, während eine Million Menschen plötzlich aus ihren Häusern kamen und die Sonne genossen.

Am Tag darauf kam Kalina mich und Ellie und das Meer für einen Tag besuchen. Die Sonne legte es nahe, vom Bahnhof direkt ans Meer zu gehen, und im seit kurzen blühenden Rosengarten zu frühstücken. Die Mädchen haben sogar die Füße ins Wasser gesteckt, so schön war es. Auch haben wir mal die schwanförmigen Tretboote auf dem nahen Teich ausprobiert. Am frühen Nachmittag aber schon ließ ich Kalina für den Rest des Tages in Ellies Obhut. Denn ich hatte eine weitere Probe - die vor dem dritten und wichtigsten Tangoauftritt, dem großen Heimspiel in Portsmouth. Das war die erste Probe, auf der ich mich gelangweilt habe. Die meiste Zeit bin ich in der Rolle des Barmanns und das ist nur mit Publikum wirklich interessant. Der eigentliche Auftritt war für mich etwas hektisch, weil ich einen Tanz mehr als gewöhnlich hatte. Dafür hatten wir die größte Bühne der Tour, im Kings Theatre, wo seinerzeit auch die erste Bühnenprobe stattgefunden hatte. Daher hatten wir auch das größte Publikum, und das freundlichste. Viele Freunde, Verwandte und andere Kursteilnehmer, die mit Applaus nicht sparten. Unter anderen war auch meine Gesangslehrerin (und die meines Tangolehreres) vor Ort. Die hatte auf früheren Touren die Gesangseinlagen übernommen und meinte, es wird mit jedem Jahr professioneller. Da es Sonntag war, konnten wir im Anschluss leider nicht feiern. Ich spürte die Stunden auf der Bühne am nächsten Tag trotzdem ordentlich in den Knochen.


Das folgende Wochenende war für alle lang, und für mich noch länger, denn der öffentliche Dienst hat noch den Geburtstag der Königin frei. Ellie hatte einige gute Ideen. Samstag sahen wir zum Beispiel den Moskauer Staatszirkus (oder die schlechtere Hälfte davon, wie ein Freund meinte, der selbigen zur gleichen Zeit in Moskau sah), was für mich eine interessante Erfahrung war, da ich mich seit meinem zehnten Lebensjahr für zu alt für Zirkus gehalten hatte. Dementsprechend war mir aufgefallen, dass hier drüben einige Leute in meinem Alter hingehen waren. In der Tat war es einen Blick wert, allein schon der Uniformen der Ordnerinnen wegen. In vielerlei Hinsicht kann ich Akrobatik auch besser schätzen, als früher. Und die Höhenkünstler machen mir viel mehr Angst. Vor allem aber fiel mir sofort auf, wie sehr die mit Musik synchronisierten Nummern unseren Choreographien gleichen. Dadurch nahm ich alles noch aus einem ganz anderen Blinkwinkel wahr. Abgesehen davon wurde als erstes und letztes Djingis Khans alter Hit „Moskau“ gespielt, auf deutsch – ich war mit Sicherheit der einzige im Publikum, der den Bezug verstanden hat.

Am Tag darauf machten wir endlich mal wieder einen richtigen Ausflug. Ellie wollte sich ein Freilichtmuseum in Clanfield, bei Petersfield in Richtung London, ansehen. Dabei handelte es sich um den Nachbau eines britischen Dorfs aus der Bronze- oder Eisenzeit, die bis zur Ankunft der Römer im Jahr 43 dauerte. Das war zwar fiktiv, aber jedes Gebäude war einem typischen Haus aus verschiedenen Ausgrabungen nachgebaut. Darum stand nebenan auch eine römische Villa. Mir hat außerdem der Ausflug aufs grüne und blühende Land gefallen, der uns auch ordentliches Laufen und Sonnenbrand einbrachte.

Am anschließenden freien Montag war ich auf mich gestellt und stattete bei strömendem Regen endlich einmal dem D-Day Museum einen Besuch ab. Obwohl ich den ganzen Nachmittag Zeit hatte, stellte sich das als zu umfangreich heraus und ich kann es leider nicht als fertig abhaken. Erfahren habe ich etwas über die Rolle Portsmouths bei der eigentlichen Invasion. Die Strände waren abgesperrt, dort wurden die künstlichen Häfen gebaut, auf der Nebeninsel wurden Landungen geprobt, in der Meerenge war ein Teil der Flotte geparkt, und im Hafen wurden die Verwundeten ausgeladen. Insbesondere waren (wie häufig) Veteranen vor Ort, denen ich lange zuhörte. Einer war mit 19 Jahren in der zweiten Welle und verlor später ein Auge.

'Per Anhalter durch die Galaxis' hatte sich wie geschrieben als überraschend kurz rausgestellt. Dann erfuhr ich aber, dass es auch nur Band 1 von 6 ist. Jetzt habe ich Nummer 2 beendet, dem 'Restaurant am Ende des Universums' und suche in Bibliotheken nach Band 3. Daneben hat mir Friedemann seine Einführung in die deutsche Geschichte des Mittelalters herübergeschickt. Desweiteren habe ich mich im Teeladen meines Vertrauens zu einem Fernkurs über Tee angemeldet. Bereits jetzt weiß ich alles über Teebeutel und Kannenvorwärmung.

Und schließlich: in der letzten Maiwoche war ich erfolgreich anbaden!


PS:
Für Leute mit guter Internetverbindung: jemand hat doch tatsächlich Aufnahmen unseres Konzerts von Mozart und Salieri vom November veröffentlicht. Mit dem Handy, darum ist die Qualität nicht perfekt. Laut Ellie lässt sich meine Stimme raushören. Für Leute ohne starkes Internet: ich schicke es per CD.






Unser lokalen Theater bewirbt unsere Tangoshow.
Hinter der Bühne, kurz vor Ende der Pause.
Gegen 22 Uhr am Strand.
 
Der Rosengarten blüht.

Das Einkaufszentrum am Hafen, an einem sonnigen Samstag.

Portsmouth kommt an die frische Luft.

Ellie und ich gehen in der Pause vor dem Konzert etwas essen.

Am Tag darauf. Ellies Füße im Meer

Kalinas Füße im Meer
Meine Füße zieht es Richtung Meer...die Woche darauf sind sie angekommen.
Ich bin sehr englisch, und auch sehr polnisch, denn die Blumen links wurden an die Mädchen verteilt.
Ellie spielt mit dem Haushund und lokalen Lieblingstier, dem Tee-Spaniel Bertie.

Ein Nachtrag vom April: Kalina und ich kühlen uns vor der Tür der großen Salsaparty im Hafen ab.
Ein aktueller Schnappschuss aus meinem Zimmer.
Die große Halle des Freiluftmuseums in Clanfield.

Die Hauptsiedlung des Freiluftmuseums in Clanfield.

The green and pleasant English hills.
Die römische Villa nebenan. Irgendwelche Briten zu sehen?

Sonntag, 11. Mai 2014

Echte Männer schminken selbst

Das erste Maiwochenende war lang, da die Feiertage in England ja immer auf einen passenden Montag oder Freitag verschoben werden. Der 1. Mai wurde daher am 5. Mai nachgefeiert. Das damit lange Wochenende enthielt nur eine Tangoprobe, und damit das erste Mal in diesem Jahr, dass ich zwei zusammenhängende freie Tage hatte. Ausnahmsweise hatte ich daher auch kein Problem damit, es einfach mal zu verfaullenzen, zumal mir gerade ein Virus zusetzte. Gemacht haben wir wenigstens eine Sachertorte (nachdem verschiedene Leute in unserer Umgebung sich als ehemalige Bewohner Wiens rausgestellt hatten). Das ist aber nur ein normaler Schokoladenkuchen geworden. Erfolgreicher war dafür ein Spieleabend bei Freunden von Ellie, bei dem sich erwies, dass ich mich per Zeichenstift schlechter ausdrücken kann als in einer Fremdsprache...und Ellie schlechter als in ihrer eigenen Sprache. Am Vortag hatten wir andere ihrer Freunde besucht, namentlich in Titchfield, also meinem Arbeitsort. Da wurde ein erstes Grillen im Garte versucht, das war aber noch ziemlich kühl. Mir hat es trotzdem gefallen, denn es waren 4 Meerschweinchen zugegen.

Anfang Mai ist einer meiner Mitbewohner nach Studienabschluss ausgezogen. Das war der Künstler, über den ich eine gespaltene Meinung hatte, größtenteils wegen der Sauberkeit und dem allgemeinen Mitdenken. Vielleicht sind es meine Vorurteile, aber die Küche sah auf einmal viel sauberer aus, als ich nach dem langen Maiwochenende Montag nacht nach Hause kam.

Aus Ellies Bücherregal habe ich 'Per Anhalter durch die Galaxis' begonnen. Dieses Langzeitvorhaben wurde immer verschoben, weil ich es für zeitaufwendig hielt, aber wie sich herausstellt, ist es ein recht dünnes Buch. Ellie meint, neben Monthy Python ist es alles, was man über England wissen muss. Ich denke da hat sie recht. Dann habe ich auf Ellies Initiative hin zum ersten Mal seit Guildo Horn den Eurovision geguckt. Dabei habe ich gemerkt, dass mich noch einiges mit Polen verbindet.

Am 9. Mai habe ich meine frisch geschnittenen Haare bei unserem zweiten Tangoauftritt in einen Eimer Gel tunken müssen. Sonst reflektiert Blond wohl die Scheinwerfer zu sehr. Das war nebenbei gesagt der erste Friseurbesuch seit Weihnachten, und der allererste in der Stadt Portsmouth. Die allgemeine und ungefragte Zustimmung deutet mir an, dass es wohl etwas zu lang gewesen war. Tango jedenfalls war in Guildford, einer Stadt auf halbem Weg nach London. Hier habe ich gelernt, mir die Augen selbst zu schminken...natürlich ebenfalls rein aus Beleuchtungsgründen. Der Auftritt lief durch die Erfahrung noch etwas besser als der erste, und nächste Woche kommt dann der wirklich wichtige, der in Portsmouth. In dem Zusammenhang habe ich, scheint's, einige Dinge nicht ganz erklärt. Alle Auftritte finden in Theatern statt, weil dort genug Platz ist. Wir sind aber bis auf unseren Lehrer alles Amateure - einfach die Teilnehmer an seinen wöchentlichen Stunden in Portsmouth und Guildford. Insgesamt sind wir ca. 40 Mann. Das Programm besteht aus ca. 30 Choreographien, jede ca. 3 Minuten lang, eben getanzt zu einem gewöhnlichen Stück Tangomusik. Es ist aber nicht einfach eine Abfolge von Tänzen, sondern ein zweistündiges Programm mit Konzept. Die Choreographien stellen verschieden Stile und Hintergründe des Tango vor, es gibt Solos, Einzelpaare, Synchrontanzen, einen Schattenschnitt. Das wird zusammengehalten von regelmäßigem Narrativ, z.B. zur Herkunft des Tango, oder seiner politischen Bedeutung während der argentinischen Junta. Zu letzterem gibt es eine besonders bewegende Choreographie, die ich selbst erst beim ersten Auftritt kennen gelernt habe. Dazu kommen einige gespielte Szenen (mit mir!) und regelmäßig kommt eine Sängerin auf die Bühne. Das Tanzen auf der Bühne ist eingefasst in Kulissen, die ein Café in Buenos Aires darstellt. Mein Café! Ich bin nur in drei Tänzen und den Spielszenen vertreten, aber trotzdem fast durchgehend auf der Bühne und führe die Bar. Dazu habe ich mir Requisiten wie Weinflaschen, Gläser, Schürze, Handtuch und Besen angeschafft. Die Gläser werden auch gefüllt (mit Wasser oder rotem Sirup) und von meinen Kellnerinnen an die Tische verteilt, an denen andere Statisten sitzen, wenn sie gerade nicht tanzen.
Im Übrigen wird mir jetzt klar, dass unser Lehrer ein richtiger Profi ist. Ich wusste, dass er in Brasilien Tanz studiert hat, aber hinter dem Programm steht ein echtes künstlerisches Konzept, und wenn ich ihn tanzen sehe, sieht man da mehrere Welten Unterschied. Theater kann er auch - wenn ich ihn in einer Szene aus meiner Bar scheuche, guckt er so ängstlich, dass ich beim ersten Auftritt dachte, etwas falsch gemacht zu haben.


Englischer Frühling: Tee draußen weil Sonne, mit Jacke weil trotzdem kalt.

Gut geschminkt ist halb gewonnen.

Sonntag, 4. Mai 2014

Vorhang auf

Am 26. April war der erste von insgesamt fünf Tangoauftritten. Das fand in einem kleinen Theater im ebenfalls kleinen Küstenort Bognor Regis etwa 30 Minuten östlich von hier statt. Wir waren alle nervös, weil jeder wusste, dass natürlich noch einige Schnitzer in den Choreographien waren. Die Generalprobe auf der Bühne hatte dann auch ihre Probleme. Der eigentliche Auftritt überraschte dafür jeden, weil alles klappte. 
Für mich war es das erste Mal, hinter der Bühne eines Theaters unterwegs zu sein (mit dem Chor steht man am Stück auf der Bühne). Mir kam unversehens ein kleines Theaterstück in den Sinn, das ich vor mehreren Wochen mit Mathieu gesehen hatte. Dort hatte ein Mädchen von der Magie hinter der Bühne eines Auftritts erzählt. Eine Art Zauber überkam auch mich, als wir Makeup auftrugen, zwischen Kostümen wechselten, in unseren Garderoben auf unseren Aufruf warteten, von hinten in die Seitenbühnen schlichen und dort schließlich auf den richtigen Moment warteten, auf die Bühne zu treten. Beim Anblick der besseren Tänzer in ihren Solos überkam mich Reue, nicht viel mehr getan zu haben, viel mehr Tänze mitzumachen (ich habe nur zwei oder drei), auch wenn ich genau wusste, dass das nicht möglich gewesen wäre. Zum Ausgleich hatte ich einige darstellende Szenen, die mir immensen Spaß machen. Meine Hauptbeschäftigung war aber die Hintergrundrolle des Barmanns, als Teil der Kulisse eine Cafes in Buones Aires. Andere sind nervös vor Publikum, ich dagegen genieße jede Minute, die ich spielen kann. Fotos kann ich aus Urheberrechtsgründen nicht machen, aber nach Programmabschluss verschicke ich Videos.
Im Anschluss erwartete mich noch eine interessante Erfahrung, als ich im Pub mit einigen der älteren Frauen der Truppe (und später unserem Lehrer) eine richtig flotte Sohle auf das Parkett legte. Das war mal was für die verklemmten, besoffenen, üblichen Verdächtigen des britischen Wochenendes.
Jetzt also sehe ich fast mit Bedauern auf das kommende Ende der Proben. Ich fühle in mir und sehe auch an anderen, wie die gewonnene Kontrolle die Freude an der Bewegung vergrößert.

Desweiteren haben Ellie und ich nach fast einem Jahr der Filmgesellschaft einen Besuch abgestattet, um einen großartigen Film zu sehen, in dem sich Al Pacino auf die Rolle von Shakespeares Richard III vorbereitet. Die Gesellschaft ist jetzt halb mit der Uni verwandt, hat Zugriff auf das Auditorium Maximum des neuen Hauptgebäudes der Kreativfakultät (deren offizielle Einweihung in einigen Wochen der letzte Auftritt des Chors in diesem Semester sein wird) und der Film erhielt eine nicht sehr spannende Einführung von jemandem aus der Anglistik. Richtige Schauspieler dagegen sind mitreißend zu sehen und einmal mehr dachte ich mir, hätten wir hier nur ein richtiges Theater.

An meiner neuen Arbeit hatte ich die erste Woche tatsächlich komplett zum Einlesen frei. Die zweite Woche auch, denn meine Managerin war auf Urlaub. Bisher war es also wie eine bezahltes Festigungsstudium: der Arbeitsinhalt bringt mich fast wortgenau an die Uni zurück, man benutzt mathematische Modelle, Statistikjargon, liest Fachpresses und sagt Sachen wie "Scheinvariable" und "R-Quadrat Maß". Wer hätte gedacht, dass es eine Arbeit gibt, wo der Unikram mal relevant ist. Auch Fachprogramme lerne ich wie gewollt. In gewisser Weise tröstet mich das auch darüber hinweg, dass ich schon lange nicht mehr soviel lesen kann, wie in der Zeit als ich noch Single war.

Nachtrag: mit Papa im stadtbesten Cafe und Teegeschäft. Hierher kommen Ellie und ich jeden Donnerstag nach der Arbeit.