Otto und Ellie haben ihren Schnupfen kuriert und ich bin scheinbar tatsächlich verschont worden. Otto hat gerade eine richtig gute Zeit. Insbesondere wenn er beide Eltern in einem Raum hat kann er gar nicht an sich halten. Unsere Nächte sind aber mittelmäßig, weil er sich permanent auf den Bauch rollt und dabei aufwacht. Wir treffen uns zunehmend mit Freunden, was uns gut tut und Otto eine Bühne bietet. Seit kurzem organisiert jemand regelmäßige Spielstunden, d.h. in einem Park oder bei Regen einer Halle werden Spielstationen aufgestellt, wo sich die Kinder für wenig Geld einige Stunden austoben können.
Ottos neueste Entwicklungen:
- lässt sich gelegentlich durch Singen oder sogar durchs Mikrofon des Babymonitors beruhigen.
- Hat gelernt sich aufzuregen, wenn er nicht seinen Willen bekommt
- sitzt ohne Hilfe in der Badewanne
- hat gelernt, dass man mit Wasser plantschen kann
- sein kleines Gehirn arbeitet wahrscheinlich am Krabbeln... bisher geht es aber nur rückwärts
- er tritt auch wie besessen um sich; vermutlich wird daraus mal das Laufen
- er liebt Essen. Wir probieren verschiedenstens, bisher hat er nichts abgelehnt. Im Gegenteilt - man darf ihn fremdes Essen gar nicht sehen lassen, sonst tritt Punkt 2 in Kraft.
- plötzlich akzeptiert er den Baby-Träger; wir können ihn also vor unserer Brust rumtragen, er findet das toll und wir haben beide Hände frei. Außerdem kann man so viel besser spazieren gehen, unabhängig vom Untergrund
Ursprünglich wollte ich schreiben, dass ich insgesamt das Gefühl habe mich etwas erholt zu haben. Aber dann haben Ellie und ich uns am nächsten Tag gezankt, weil ein von mir lang erwarteter Ausflug auf der Kippe stand. Dann hat sich Ellie abends nebenbei entschuldigt, während ich noch krampfhaft nach den Worte dafür suchte, und ehe ich mich versah heulte ich Rotz und Wasser auf dem Sofa. Im Gespräch schälte sich raus, dass ich mich zwischen verschiedenen gefühlten Ansprüchen zerrieben fühle:
- das ich Ellie nicht genug aushelfe, weil sie in meinem Kopf immer noch die ausgebrannte Person aus dem zweiten und dritten Monat ist, die jederzeit zusammen brechen kann
- das ich mich gleichzeitig schuldig fühle nicht genug mit Freunden und Familie Kontakt zu halten, weder telefonisch noch schriftlich. Ich will das mal ganz klar sagen: ich fühle mich furchtbar, dass ich das nicht mehr schaffe
- das ich das Gefühl von Kontrolle über mein Leben verloren habe; zusehen muss wie vertraute Orte und Menschen verblassen und einfach nicht die Zeit da ist etwas dagegen zu tun. Das ganze Modell, dass ich im Ausland hängen geblieben bin, aber Kontakt halten kann und regelmäßig persönlich da bin.
Mindestens die letzten Punkte waren schon seit Jahren da, aber unterschwellig, und mein rationaler Teil konnte es kontrollieren. Jetzt bricht es alles hervor, weil ich geistig erschöpft bin. Und vor allem hätte ich nicht mal für eines genug Zeit, und stattdessen zerren alle gleichzeitig an der Zeit, die ich habe.
Alle diese Sachen sind unterbewusst, darum brach es so unerwartet aus mir hervor. Einige sind auch unberechtigt. Aber die ersten Monate Elternschaft haben sich offensichtlich tiefer in uns eingebrannt als ich wahr haben wollte.
Der Ausflug hat dann übrigens noch stattgefunden und mir gezeigt, dass es zwar albern war sich aufzuregen, mir Natur und Draußensein auch bitter fehlen. Wir sind an den Ententeich in Buriton gefahren; aus irgendeinem Grund hatte ich schon vor Ottos Geburt diesen Plan; und es wärmte meine Seele, das Grün, die Ruhe, die Tiere. Eine Woche sind wir nochmal hingefahren, diesmal mit Otto im Träger und es macht uns richtig glücklich, wie er da drin sitzt und auf die Sachen reagiert, die wir ihm zeigen. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm die Eisenbahn zu zeigen, die dort im Wald aus einem Tunnel kommt, wenn er ein kleiner Junge ist.
Ein typischer Tag sieht inzwischen so aus:
- wir stehen etwa 7 Uhr auf
- ich bespaße Otto, im Garten wenn möglich und idealerweise sieht er Vögel; Ellie macht Frühstück
- wir essen alle zusammen am großen Tisch; Otto schmiert sich sein Essen ins Gesicht; dann geht er bald wieder schlafen
- ich fange an zu arbeiten, auch am großen Tisch wo mein Rechner steht
- etwa 13 Uhr mache ich Mittagspause, eine ganze Stunde lang damit Otto und ich einen Spaziergang zum Meer machen können
- dann arbeite ich bis etwa 17.30 Uhr.
- dann übernehme ich Otto; wenn Zeit ist gehen wir nochmal spazieren, sonst gehen wir in den Garten, auch um mir selbst etwas frische Luft zu gönnen
- Ellie bereitet das Bad vor; gegen 18.30 Uhr geht es los; zum Schluss lesen wir ihm ein Buch vor (meistens fehlt ihm die Geduld) und singen ein paar Schlaflieder
- dann nehme ich Otto ins Schlafzimmer, gebe ihm noch eine Flasche die er aussaugt wie ein Verhungernder, während ich ihm noch etwas vorsinge
- dann kommt er ins Bett, ich lege mich daneben und hoffe, dass er nicht allzulange rollt und bald einschläft
- dann liege ich noch etwas in der Dunkelheit und höre fast die Luft aus mir pfeifen
- dann gehe ich nach unten und wir haben mit noch etwa anderthalb Stunden für uns... oder für andere Aufgaben. Diese Wahl ist auch schwierig
Ellie und ich scheinen uns seit einiger Zeit einig, dass wir einfach mal einen Termin beim Standesamt machen und heiraten sollten. Um die Erwartungen zu dämpfen: wir reden wirklich nur davon, den rechtlichen Teil zu erledigen. Geredet haben wir davon schon lange; ursprünglich mehr zum Spaß und später, um einen Fakt formal anzuerkennen. Wir hatten über die Jahre auch eine recht klare Vorstellung entwickelt, wie und wo das gemacht werden könnte. Aber jetzt müssen wir sagen: für die große Zeremonie mit Feier und Gästen werden wir auf Jahre hinaus keine Zeit haben. Wir schaffen es nicht mal den kaputten Ofen zu reparieren. Wir würden das auch irgendwann nachholen, für alle. Aber der eigentliche Akt muss dafür nicht warten.
Ich habe jetzt zwei Wochen in meinem neuen Job als Manager hinter mir. Bisher habe ich eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl. Ich leite zwei Leute, die einen sehr guten Eindruck machen. Wir sollen mehrer mehrere Datenverarbeitungsleitungen auf Vordermann bringen. Ich habe auch einige Ideen; die Frage ist ob wir die Zeit dazu haben werden neben der Alltagsarbeit.