Dienstag, 27. Oktober 2020

Seit kurzem lese ich wieder etwas Sachliteratur. Das ist insofern bemerkenswert, dass ich bis vor kurzem abends noch Heimatfilme geguckt habe, weil mein Kopf mehr nicht mehr konnte. Mein psychischer Zustand ist aber weiterhin durchwachsen. Allgemein ganz gut. Aber spröde unter Baby-bezogenem Stress. Ende der Woche musste Ellie mehrmals Otto übernehmen, weil er unter meiner Betreuung partout nicht schlafen wollte. Da habe ich mich gleich wieder schlecht gefühlt, dass ich meinen Beitrag nicht leiste. Auch wenn der Kopf weiß, dass es wahrscheinlich einfach nur zufällige Verhaltensfluktuationen sind. Wir haben einen extra Begriff dafür, Baby stuff, also Babykram, wo man nur die Schultern zucken und weitermachen kann. Interessanterweise erinnert sich alle, dass Otto in ganz jungen Tagen eine zeitlang nur auf mir schlafen wollte und sie aus schlechtem Gewissen besonders viel für mich gekocht und geputzt hat. Ich dagegen kann mich daran überhaupt nicht erinnern.

Ausgelesen habe ich den Mosaikband, den ich zum Geburtstag bekommen hatte. Sogar der hatte eine Weile halb gelesen rumgelegen, weil es nichtmal dazu gereicht hatte im Kopf.

Otto war unter der Woche im örtlichen Aquarium. wir sind wirklich froh, wie aktiv er seine Umgebung wahrnimmt. Fische, Krabben und sogar die selten zu sehen Otter, hat er alles mit Lauten bedacht. Am verregneten Samstag sind wir zu dritt gleich nochmal hingegangen; auch mir hat das richtig Spaß gemacht. Vermutlich, weil auch die Vorstellung der Welt unter dem Wasser eine Art Reise darstellt, die mein lokal beschränkter Geist so gerne anstellt.

Essen ist weiterhin seine Leidenschaft. Er isst immer ordentlicher. Nur müssen wir unser eigenes Essen entweder verstecken oder ihm etwas abgeben. Inzwischen isst er, zusätzlich zur Milch, regelmäßig Frühstück und Mittagessen mit uns. Er liebt Gurke und Wassermelone und jeden möglichen Brei. Aber richtig wild wird er, wenn er ein Glas Wasser bekommt. Warum? Babykram. Vor kurzem hat Ellie etwas scharfes Essen ausprobiert. Das Experiment legte nahe, dass sein Geschmackssinn eher nach mir schlägt. Schumänner, schickt Schokolade.

Er sitzt gut aufrecht, kann Sachen in beiden Händen gleichzeitig halten (schlägt sie dann aber meistens nur zusammen), spielt gerne Verstecken, ist mehr und mehr an Tieren interessiert, besonders die Katzen findet er immer aufregender. Aber zu nah darf er nicht, sonst greifen seine Händchen blitzschnell zu. Er muss ganz kurz vorm Krabbeln stehen, aber auf den letzten Zentimetern fällt er weiter auf den Bauch. Er plappert fröhlich vor sich hin und kann vermutlich bald mit nur noch zwei Nickerchen pro Tag auskommen. Womit wir dann mehr Spielraum für Ausflüge hätten.

Sonntag, 18. Oktober 2020

Grenzen

Otto und Ellie haben ihren Schnupfen kuriert und ich bin scheinbar tatsächlich verschont worden. Otto hat gerade eine richtig gute Zeit. Insbesondere wenn er beide Eltern in einem Raum hat kann er gar nicht an sich halten. Unsere Nächte sind aber mittelmäßig, weil er sich permanent auf den Bauch rollt und dabei aufwacht. Wir treffen uns zunehmend mit Freunden, was uns gut tut und Otto eine Bühne bietet. Seit kurzem organisiert jemand regelmäßige Spielstunden, d.h. in einem Park oder bei Regen einer Halle werden Spielstationen aufgestellt, wo sich die Kinder für wenig Geld einige Stunden austoben können.

Ottos neueste Entwicklungen:

  1. lässt sich gelegentlich durch Singen oder sogar durchs Mikrofon des Babymonitors beruhigen.
  2. Hat gelernt sich aufzuregen, wenn er nicht seinen Willen bekommt
  3. sitzt ohne Hilfe in der Badewanne
  4. hat gelernt, dass man mit Wasser plantschen kann
  5. sein kleines Gehirn arbeitet wahrscheinlich am Krabbeln... bisher geht es aber nur rückwärts
  6. er tritt auch wie besessen um sich; vermutlich wird daraus mal das Laufen
  7. er liebt Essen. Wir probieren verschiedenstens, bisher hat er nichts abgelehnt. Im Gegenteilt - man darf ihn fremdes Essen gar nicht sehen lassen, sonst tritt Punkt 2 in Kraft.
  8. plötzlich akzeptiert er den Baby-Träger; wir können ihn also vor unserer Brust rumtragen, er findet das toll und wir haben beide Hände frei. Außerdem kann man so viel besser spazieren gehen, unabhängig vom Untergrund


Ursprünglich wollte ich schreiben, dass ich insgesamt das Gefühl habe mich etwas erholt zu haben. Aber dann haben Ellie und ich uns am nächsten Tag gezankt, weil ein von mir lang erwarteter Ausflug auf der Kippe stand. Dann hat sich Ellie abends nebenbei entschuldigt, während ich noch krampfhaft nach den Worte dafür suchte, und ehe ich mich versah heulte ich Rotz und Wasser auf dem Sofa. Im Gespräch schälte sich raus, dass ich mich zwischen verschiedenen gefühlten Ansprüchen zerrieben fühle:

  • das ich Ellie nicht genug aushelfe, weil sie in meinem Kopf immer noch die ausgebrannte Person aus dem zweiten und dritten Monat ist, die jederzeit zusammen brechen kann
  • das ich mich gleichzeitig schuldig fühle nicht genug mit Freunden und Familie Kontakt zu halten, weder telefonisch noch schriftlich. Ich will das mal ganz klar sagen: ich fühle mich furchtbar, dass ich das nicht mehr schaffe
  • das ich das Gefühl von Kontrolle über mein Leben verloren habe; zusehen muss wie vertraute Orte und Menschen verblassen und einfach nicht die Zeit da ist etwas dagegen zu tun. Das ganze Modell, dass ich im Ausland hängen geblieben bin, aber Kontakt halten kann und regelmäßig persönlich da bin.
Mindestens die letzten Punkte waren schon seit Jahren da, aber unterschwellig, und mein rationaler Teil konnte es kontrollieren. Jetzt bricht es alles hervor, weil ich geistig erschöpft bin. Und vor allem hätte ich nicht mal für eines genug Zeit, und stattdessen zerren alle gleichzeitig an der Zeit, die ich habe.
Alle diese Sachen sind unterbewusst, darum brach es so unerwartet aus mir hervor. Einige sind auch unberechtigt. Aber die ersten Monate Elternschaft haben sich offensichtlich tiefer in uns eingebrannt als ich wahr haben wollte.

Der Ausflug hat dann übrigens noch stattgefunden und mir gezeigt, dass es zwar albern war sich aufzuregen, mir Natur und Draußensein auch bitter fehlen. Wir sind an den Ententeich in Buriton gefahren; aus irgendeinem Grund hatte ich schon vor Ottos Geburt diesen Plan; und es wärmte meine Seele, das Grün, die Ruhe, die Tiere. Eine Woche sind wir nochmal hingefahren, diesmal mit Otto im Träger und es macht uns richtig glücklich, wie er da drin sitzt und auf die Sachen reagiert, die wir ihm zeigen. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm die Eisenbahn zu zeigen, die dort im Wald aus einem Tunnel kommt, wenn er ein kleiner Junge ist.

Ein typischer Tag sieht inzwischen so aus:

  • wir stehen etwa 7 Uhr auf
  • ich bespaße Otto, im Garten wenn möglich und idealerweise sieht er Vögel; Ellie macht Frühstück
  • wir essen alle zusammen am großen Tisch; Otto schmiert sich sein Essen ins Gesicht; dann geht er bald wieder schlafen
  • ich fange an zu arbeiten, auch am großen Tisch wo mein Rechner steht
  • etwa 13 Uhr mache ich Mittagspause, eine ganze Stunde lang damit Otto und ich einen Spaziergang zum Meer machen können
  • dann arbeite ich bis etwa 17.30 Uhr.
  • dann übernehme ich Otto; wenn Zeit ist gehen wir nochmal spazieren, sonst gehen wir in den Garten, auch um mir selbst etwas frische Luft zu gönnen
  • Ellie bereitet das Bad vor; gegen 18.30 Uhr geht es los; zum Schluss lesen wir ihm ein Buch vor (meistens fehlt ihm die Geduld) und singen ein paar Schlaflieder
  • dann nehme ich Otto ins Schlafzimmer, gebe ihm noch eine Flasche die er aussaugt wie ein Verhungernder, während ich ihm noch etwas vorsinge
  • dann kommt er ins Bett, ich lege mich daneben und hoffe, dass er nicht allzulange rollt und bald einschläft
  • dann liege ich noch etwas in der Dunkelheit und höre fast die Luft aus mir pfeifen
  • dann gehe ich nach unten und wir haben mit noch etwa anderthalb Stunden für uns... oder für andere Aufgaben. Diese Wahl ist auch schwierig

Ellie und ich scheinen uns seit einiger Zeit einig, dass wir einfach mal einen Termin beim Standesamt machen und heiraten sollten. Um die Erwartungen zu dämpfen: wir reden wirklich nur davon, den rechtlichen Teil zu erledigen. Geredet haben wir davon schon lange; ursprünglich mehr zum Spaß und später, um einen Fakt formal anzuerkennen. Wir hatten über die Jahre auch eine recht klare Vorstellung entwickelt, wie und wo das gemacht werden könnte. Aber jetzt müssen wir sagen: für die große Zeremonie mit Feier und Gästen werden wir auf Jahre hinaus keine Zeit haben. Wir schaffen es nicht mal den kaputten Ofen zu reparieren. Wir würden das auch irgendwann nachholen, für alle. Aber der eigentliche Akt muss dafür nicht warten.

Ich habe jetzt zwei Wochen in meinem neuen Job als Manager hinter mir. Bisher habe ich eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl. Ich leite zwei Leute, die einen sehr guten Eindruck machen. Wir sollen mehrer mehrere Datenverarbeitungsleitungen auf Vordermann bringen. Ich habe auch einige Ideen; die Frage ist ob wir die Zeit dazu haben werden neben der Alltagsarbeit.

Sonntag, 4. Oktober 2020

Schnotto

Diese Woche haben wir Ottos erste Erkältung durchgemacht. Kam plötzlich Sonntag Nacht und hat uns einige schwere Nächte beschert. Erschwerend kam hinzu, dass Ellie sich die Erkältung sofort selbst einfing. Ihre sind immer kurz und schwer. Das hieß, eigentlich hätte sie die ganze Zeit im Bett sein müssen. Ging aber nicht, denn sie musste sich ja um Otto kümmern. Zwei Tage hatte ich mir freigenommen um zu helfen, mehr ging nicht. Ich finde es immer ganz schwierig, wenn sich solche Dilemmata ergeben, wo sich mindestens einer von uns quälen muss, weil einfach nicht genug Arbeitskraft da ist.

Was mich daran erinnert, dass ich im letzten Eintrag ein wichtige Sache vergessen habe: einer der größten Stress Faktoren im Eltern Dasein ist für mich das Gefühl des Kontrollverlusts. Das es ganz egal ist wie gut man plant und was eigentlich gemacht werden müsste, weil die Umstände es immer wieder kurzfristig durchkreuzen. Dazu kommt das Gefühl von Klaustrophobie, weil die Welt so auf das Haus, zwei Parks und den Strand zusammen schrumpft. Ich habe immer das Gefühl on Raum gebraucht und bin darum gerne unterwegs. Das ist ein wichtiges Mittel gegen Stress. Geht alles nicht mehr und man sagt sich solange , dass das alles wieder anders wird, bis man selbst Zweifel bekommt. Das beste Mittel scheint inzwischen einfach Akzeptanz zu sein und darum versuche ich auch ganz bewusst meine Ambitionen am jeden Tag   zu begrenzen und mir mehr freie Zeit zum Faulenzen zu lassen und lokal Bekannte zu treffen. Aber nicht alle Konsequenzen sind einfach zu ertragen. Insbesondere, so viele Leute so lange nicht sehen zu können.

Tagsüber ging es Otto trotz der Erkältung  ziemlich gut. Er quasselt viel - bäbäbä und mämämä. Es fasziniert ihn, seine Hände über Oberflächen zu streichen. Inzwischen freut er sich über die Wellen am Meer, aber am allerbesten ist die Betonmauer an der Promenade.

Zuguterletzt bin ich endlich befördert worden. Das ging plötzlich ganz schnell. Gespräch am Mittwoch, entscheidung am Donnerstag. Tritt bereits morgen in Kraft. Ich komme dazu in eine neue Arbeitsgruppe innerhalb meines derzeitigen Teams. Dort geht es wohl um den Bau einiger neuer Datenverarbeitungsprozesse, aber so wirklich versteht man das eh erst nach einem Jahr darum hier keine weiteren Details. Ich werde auch zwei Leute leiten, wovor ich durchaus etwas Schiss habe. Aber immer voran. Nicht zuletzt kriege ich ja mehr Geld, was ein wenig Ellies Einkommensverlust kompensiert. Und ich habe ohnehin Zweifel das sie in einem halben Jahr tatsächlich zurück in die Vollzeit geht.