Es sieht so aus als hätte ich Emilie (etwas) Unrecht getan: nachdem ich die letzten Junitage nicht sicher war, ob sie schon weg ist, fand ich am Abend des 29.6. zumindest einen Umschlag mit dem ausstehenden Geld. Ok, nicht allem, aber zumindest hatte sie halbwegs plausible Gründe für den Ausstand.
Schon am Folgetag kamen die neuen Mitbewohner, Timm und Maria aus Bremen und Köln. Timm ist Samstag allerdings schon wieder weggefahren, einen Monat in die USA. Darum haben wir Freitag noch im Garten einen Kennenlernumtrunk gemacht. Beide studieren Theater und Film, zuerst in einer Firma in München angelernt und beenden jetzt Bachelor bzw. Master an jeweils einer der hiesigen Universitäten. Daher leben sie auch schon seit 3 bzw. 4 Jahren hier.
Das war im übrigen der erste gemeinsam mit Mitbewohnern verbrachte Abend hier. Auch sonst verspricht der neue Haushalt viel unkomplizierter zu werden als bisher. Nicht nur, weil sie viel Haushaltsgerät mitbrachten, sondern einfach viel berechenbarer und unkomplizierter scheinen als ihre Vorgänger. So ist das, habe ich beim ersten Mal in England das Leben in der Fremde schätzen gelernt, entdecke ich jetzt die Wertschätzung für Heimat und Landsleute, die ich damals eigentlich erwartet hatte. In der Tat waren unsere ersten Gesprächsthemen auch all die Dinge, die in Deutschland besser sind als hier. Der Kontrast wird von der englischen Emily unterstrichen: die ist nach einer Woche bei der Familie irgendwie wieder eingezogen – zuerst nur, weil irgendwas mit ihrer neuen Wohnung nicht klappt, aber wielange genau, weiß sie auch nicht. Wir werden sie mittelfristig rausekeln.
Der Toskanaeffekt
Während Emilie ging, kommt ab und zu der Sommer, schwuel und schweißtreibend, und geht dann wieder. Am letzten Junisonntag morgens fing er an, plötzlich war er da. Sofort begann jeder über die Hitze zu klagen. Besonders morgens ist es meistens schön. Ich kann die Übersetzungen im Garten machen, dessen Gras wieder hochgewachsen ist. Auch abends kann man im letzten Licht noch etwas lesen, gemeinsam mit den neuen Mitbewohnern. Im Moment bin ich nämlich abends häufiger zu Hause, da mir die Salsaabende ausgehen.
Auf dem Weg zur Uni springe ich bei Sonne wieder ab und zu noch schnell in den erleuchteten Münster oder kann in den früh noch leeren Museumsgärten am Fluss unter den Ruinen der Marienabtei lesen. Besonders Sonntag ist das toll, wenn vor der Messe bereits die nahen Münsterglocken läuten. Ab jetzt werde ich dort wieder regelmäßig sein, denn ab dem 4.7. ist die Uni am Sonntag zu und ich werde wieder in die Stadtbibliothek fahren, die direkt neben dem Museum liegt.
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Auf dem kürzlichen Picknick der Lateinamerikanischen Gesellschaft. Kirche und Anger im Hintergrund gehören zu Heslington, dem ganz von der Universität übernommenen Dorf am äußersten Rande Yorks. Ganz in der Nähe war ich während des Sommerkurses einquartiert. |
Der Brandenburgeffekt
Freitag, den 1.7. wurden den Studenten scheinbar ihre Jahresendnoten mitgeteilt. Seit dem Folgetag ist der Campus wie ausgestorben, die Geschäfte zu, die Bibliothek ein Himmelreich des Friedens und der Ruhe. Mein Fahrad steht ganz allein am normalerweise zugeparkten Geländer, an Wochenenden habe ich oft einen ganzen der sonst überfüllten Computersäle allein, zwischen den Bücherregalen herrscht Stille und alle Bücher sind immer verfügbar, eine wundervolle Lernathmosphäre. Leider ist die Bibliothek jetzt nur noch von 09.00-18 Uhr auf. Das reicht nichtmal für die Zeit, die ich durchschnittlich vertrödele.
Nachmittags kann man auf einer sonnigen Wiese Pause machen und bei Müdigkeit einen Spaziergang über den warmen Campus machen, der voll Grün und bunten Blumen ist, dann quaken die Enten und Kaninchen am Ufer des Sees, man fühlt sich fast als hätte man einen kleinen Zoo für sich allein. Wenn man dann auch noch motiviert zur Arbeit zurückkehrt, denkt man sich, dass man vielleicht doch noch hierbleiben möchte.
Eine Ausnahme ist der heutige Tag der offenen Tür, zu dem 20.000 Studieninteressierte erwarten werden. In der Tat waren bereits morgens Menschenmengen zu sehen. Das war der Arbeit abträglich und auch gratis Essen oder Geschenke waren praktisch unauffindbar.
Der Rehabilitationseffekt
Leider auch sitze ich gerade jetzt nicht über Büchern sondern zu viel vor dem Computer. Das aber zumindest deshalb, weil ich endlich den interessanten Teil meiner Arbeit begonnen habe. Nach der Literaturübersicht und der Theoriewiderholung habe ich jetzt mit der Statistik begonnen, deren Übung ja die Hauptmotivation der ganzen Thematik ist. Ich hab mir zu Anfang einfach mal einige Daten geschnappt und in unser Statistikprogramm geworfen – und Ergebnisse bekommen! Das macht mir wirklich Spaß, und das ist auch eine sinnvolle Erfahrung. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl etwas wirklich Nützliches zu lernen. Auch erinnert es mich daran, dass mir trotz der erbärmlichen Langsamkeit der Bachelorarbeit schon damals die Statistiken gefallen haben. Die Erfahrungen von damals stellen sich jetzt sogar als nützlich heraus. Was eventuall heißt, dass die ganze Geschichte vielleicht doch nicht vollkommen sinnlos war, auch wenn ich damals ohne jede Vorbildung über Statistik geschrieben habe, sie vermutlich ganz furchtbar vergewaltigt habe und mich dafür zunehmend geschämt hatte.