Ich hoffe es ist nicht bloße Einbildung; zur Zeit bin ich untypisch zuversichtlich, denn vieles scheint sich positiv zu entwickeln, darunter einige Dinge, die bisher unmöglich schienen.
Der letzte Samstag ist ein gutes Beispiel. Ich versuche jetzt, um sechs aufzustehen, wobei entschieden hilft, dass die Sonne immer schon raus ist. Gemäß den letzten Schwerpunkten meines Lebens habe dann morgens erstmal gebacken, und zwar erfolgreich Sannis schwarz-weiß Rollen. Eine ganze Schachtel habe ich für Freunde abgezweigt und immer noch war ein großer Haufen übrig. Mittags war ich Fussball spielen – vermutlich das erste Mal seit gut drei Jahren, damals auf dem Sportplatz Buckau mit den Ukrainern. Denn es ist nicht nur frühlingshaft, sondern geradezu sommerlich. Als ich nachmittags ohne Jacke zu einem Geburtstaggrill radle, halte ich bei meiner Dinnergastgeberin und bringe Kekse. Dann trinken wir Tee auf der Bank im sonnigen Vorgarten mit einem Lilienbaum und auf einmal sind zwei Stunden vorbei. Auch unser Garten ist übrigens grün, und ich habe darin plötzlich einen vorher unbemerkten Tisch mit vier Stühlen entdeckt.
Als ich nach Haus kam, fuhr mir allerdings ein böser Schreck in die Glieder: auf dem Sofa saß zitternd die neue Mitbewohnerin, bemuttert von der ernsthaft besorgten Ella und einer Freundin. Ihr war ganz plötzlich schwach geworden und ihr war kalt. Sie ist vor kurzem in Lewis' Zimmer gezogen – kein Geheimnis was wir alle dachten. Nachdem der Notruf keinen Krankenwagen für uns hatte, sondern mehr an unserer Adresse und Geburtsdatum interessiert war, sind die drei Mädchen im Taxi zum Krankenhaus gefahren. Ich wartete zu Hause und aß nervös sämtliche Kekse auf. Die gerufene Ambulanz kam eineinhalb Stunden an, gerade als sie zurückkehrten – scheinbar werden Notrufe von zig verschiedenen Diensten bedient, die sich nicht groß koordinieren. Das Krankenhaus sagt Kehlkopfentzündung, uns ist allen ein Stein vom Herzen gefallen. Jetzt interessiert mich vor allem, ob sowas ansteckend ist. Den Abend haben wir echt nicht gebraucht.
Alles Gute
Mein Tagesablauf: 6 Uhr Aufstehen, 8 Uhr in der Bibliothek, 15 Uhr eine Stunde Pause, meist mit dem Rad in die Stadt, 21 Uhr nach Hause und im Bett 22 Uhr lesen, 23 Uhr Schlafen, bzw. Mittwoch und Donnerstag Salsa bis 23 Uhr und Freitag etwas früher Tango. Es gibt auch kaum Gelegenheit auszugehen, weil alle lernen und niemand feiert. So führe ich (und zwar fröhlich) ein geradezu spießbürgerliches Leben mit den Grenzen Bibliothek und frühe Nachtruhe, und dessen Höhepunkt nonalkoholische Tanzabende mit maximalem Ende um 23 Uhr sind. Meistens.
Ich habe stark abgenommen! Ich esse weniger und gesünder. Schokolade kommt nicht mal zur Mittagspause vor, seitdem ich einen Obstladen kenne, der Überreifes für 10 pence verkauft. Morgens mache ich dazu Rumpfbeugen, abends tanze ich oft und einmal die Woche spiele ich Fussball. Letzteres spüre ich dann aber auch die nächsten zwei Tage. Vielleicht durch die leichtere Diät, den kürzeren Schlaf und die Bewegung fühle ich mich leistungsfähiger und ähnlich energetisch wie vor einem Jahr in Warschau, als ich auf einmal anfing ganz von allein früh aufzustehen.
Der guten Figur nicht zum Trotz habe ich Mittwoch morgen auch noch die Linzer Plätzchen gebacken.
Das frühe Aufstehen mindert paradoxerweise die Müdigkeit am Tag. Ich kann konzentrierter als früher lesen (wenn auch immer noch zu langsam für das eigentlich notwendige Lernpensum). Manchmal bin ich fast wieder so enthusiastisch Student wie im letzten September. Das ist einerseits sehr schön, beweist mir aber auch, was ich seit Langem vermutet hatte; dass ich den Großteil der letzten vier Jahr seit Studiumsbeginn durch Faulheit verloren habe. Kein Wunder, dass ich hier vor allem lerne, wie wenig Ahnung ich habe.
Nach über einem halben Jahr ist mein Englisch endlich wieder fast dort wo es mal war. Dafür geht natürlich mein Polnisch den Bach runter.
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In unserer Bibliothek. Die Kleidung zwecks Generalprobe vor dem Abendessen. |
Aber auch...
Trotz dem Sport und dem Tanzen und der Sonne bin ich im Moment fahrig und nervös im Umgang mit Menschen. Vielleicht kommt das vom vielen Sitzen und Lesen, wo man nicht viel unter Leute kommt. Im Moment jedenfalls habe ich einen Mangel an Selbstvertrauen in Gesprächen wie seit der Schule nicht mehr. Und mein Studium lenkt mich in eine Karriere, deren einzig sicheres Merkmal viel Kontakt mit Menschen sein wird.
In der Bibliothek ist es wegen Bauarbeiten zunehmend schwierig zu arbeiten. Das ist zwar seit meiner Ankunft so, aber langsam verliere ich dafür das Verständnis. Gut, dass sich die Uni modernisiert, aber es ist eine Zumutung zu lesen, wenn drei oder vier schwere Bohrmaschinen laufen und der Boden wackelt weil im ersten Stock Wände eingeschlagen werden.
Die Gasfirma hat mich wieder geängstigt. Wir im Haus haben jetzt unser eigenes Kundenkonto, das alte wurde rückwirkend zum Einzugstermin aufgelöst. Da aber das auf das alte Konto gezahlte Geld noch übertragen werden muss, haben wir für das neue (soweut leere) erstmal eine große Rechnung bekommen. Das wird sich mit der Einzahlungsübertragung auflösen – aber bis ich das verstanden habe, hatte ich wieder einige fröhliche Telefonate, .
Sonst kümmert sich natürlich niemand darum, und das ist der Abschluss der unschönen Dinge: meine lieben Mitbewohner. Absolut kein Mitdenken im Haushalt – ungewaschenes Geschirr, Besteck wird in Zimmern verbunkert (gerne, wenn man dann für eine Woche wegfährt), Abfall liegen gelassen, die Mülltonnen nicht zum Leeren rausgestellt. Ich habe außer mir noch keinen beim Putzen gesehen (und ich habe keinen hohen Anspruch!), obwohl Emilie die erste war, die einen Reinigungsplan wollte. Die Gute wies mich auch gleich bei Einzug darauf hin, die Treppe leise zu benutzen – aber seitdem bin ich der einzige, der dass macht. Der Rest kommt gerne nachts ins nach Hause gepoltert, und kocht dann laut ind der Küche, neben der ich schlafe. Neben Fernsehen und Internet scheint das allgemeine Hausgemeinschaftshobby zu sein, eine möglichst hohe Stromrechnung zu produzieren. Wenn ich mich über den Haushalt klagen höre, würde sagen ich werde alte, wenn nicht zwei meiner Mitbewohner älter wären als ich.