Sonntag, 23. November 2014

Gedankenlos mit guten Zähnen

In letzter Zeit waren wir hier recht nah an Deutschland. Wie ich inzwischen mitbekommen habe, hat die Ausstellung "Deutschland - Gedächtnis einer Nation" des Britischen Museums auch in Deutschland Bekanntheit erlangt. Mir wurde davon zuerst vor einigen Wochen von meiner Gesangslehrerin erzählt und werde Ellie anlässlich ihres Geburtstages an meinem letzten Wochenende vor Weihnachten dorthin und noch in andere Ausstellungen nehmen. Damit erfüllt sich ganz unerwartet doch noch ein schon verloren geglaubter Plan, einmal ein ganzes Wochenende intensiv die Londoner Museen zu nutzen. In der Zwischenzeit verfolgen wir eine begleitende Radiosendung des Direktors des Britischen Museums persönlich. Jeden Tag bespricht er anhand eines von 30 aus insgesamt 100 Objekten der Ausstellung im Radio 15 Minuten lang Aspekte der deutschen Geschichte. Neben einer spürbaren Sympathie für das Land ist es auch sehr gut recherchiert. Insbesondere geht er gut auf Nuancen ein, die für Briten aufgrund ihrer Geschichte schwer verständlich sind, was es für Ellie umso besser macht. Immer wieder überschneiden sich die Themen dann mit ihrem Geburtstagsgeschenk, dem Buch Vergessene Reiche, an dessen Mitte ich mich weiter tapfer herankämpfe. Ellie kennt sämtliche Königskinder Aragons und weiß wann und warum sie zu englischen Königinnen und deutschen Kaisern wurden. Und ich erfahre noch was neues über Polen.
Eine der ersten Episoden, die wir uns angehört haben, behandelt die innerdeutsche Grenze. Praktischerweise konnten wir am gleichen Tag im Internet auch live die Veranstaltungen zum 25. Jahrestag des Mauerfalls verfolgen. Auch für mich war die Lichtinstallation sehr interessant, weil ich selbst nie genau wusste, wo die Mauer verlief. Außerdem konnten wir Beethovens 9. Symphonie einmal von Profis gespielt hören.

Einige Leute aus dem Dunstkreis des Musikfakultät gaben ein gratis Konzert, wo es ausnahmsweise gute Musik in guter Ausführung gab. Wie immer bei diesen seltenen Anlässen tagträumte ich mich an die HMT. Einen Tag darauf kam Kalina nach Portsmouth und ging mit mir auf die halbjährliche Salsaparty im Spinnaker-Turm im Hafen. Dort war sie zum zweite und ich zum dritten Mal, und mir hat es noch besser gefallen als im Mai, weil weniger Leute reingelassen wurden und man mehr Platz hatte. Kalina blieb über Nacht auf Ellies Sofa und am Folgetag gingen wir alle ins Musical Anatevka. Wieder hat mich beeindruckt, dass es professionelle Kultur praktisch gar nicht gibt, die örtlichen Amateurtruppen dafür zum Teil sehr gut sind. Nur still sein kann das Publikum einfach nie.


Ich selbst habe mir leichtsinnig ebenfalls einen Auftritt eingebrockt. Für die halbjährliche offene Bühne der Musikfakultät habe ich ein Lied auf dem Musical Kiss me Kate angemeldet. Seit Monaten hatte mich meine Gesangslehrerin dazu ermuntert und am Ende habe ich gedankenlos zugesagt. Unterstützt werde ich von einer Sopranin und einer Pianistin, beides studierte Musiker. Die erste Probe war eine Erniedrigung; einmal mehr hat mich meine romantische Ader in die Selbstüberschätzung geführt.


Ähnlich erfolgreich war ich auf meinem ersten Go Kart Rennen anlässlich eines Geburtstages. Ich musste erst verstehen, dass der Wagen in Kurven auch wirklich nicht umkippt, bis ich mit Freude aufs Gaspedal treten konnte. Ellie war um einiges besser im Feld, hatte das aber auch im Vorjahr gemacht.


Mit Mathieu habe ich den alten Film Die Schlacht um Algiers über den algerischen Unabhängigkeitskrieg gesehen. Mir war das zum ersten Mal im Studium von meinem algerischen Französischlehrer gezeigt worden. In der Organisation des örtlichen Filmvereins schloss sich ein kurzes Expertenpanel an, da waren wir in den hinteren Reihen aber schon mit dem Gratiswein beschäftigt.


Gute Nachrichten zum Schluss aus der Medizin: mein erster Zahnarztbesuch seit vier Jahren bescheinigte mir beruhigenderweise 'einen guten Mund'. Nur zwei kleine Füllungen werden Anfang Dezember gesetzt. Mit neuem Vertrauen in meine Zähne habe ich das Keksebacken zum einzig wahren deutschen Advent eingeläutet.

Sonntag, 9. November 2014

Istanbul

Istanbul war ein sehr alter Plan, um nicht zu sagen Traum von mir. Exotik und Zivilisation riefen. Nur Zeit wollte ich ganz viel haben, und das hieß Geld. Darum bin ich erst jetzt gefahren.
Erstmal musste ich mich aber akklimatisieren, nicht nur aufgrund von Stadtgröße und Klima, sondern auch wegen kulturellen Unterschieden. Uns war es unangenehm, in jedes Cafe und Restaurant hineingerufen zu werden und am ersten Tag Straßenkinder abschütteln zu müssen. Unser Hostel wurde von sehr netten Menschen geführt, besaß aber nur die allernötigste Ausstattung. Wände waren dünn und die erste Nacht, ein Samstag, laut. Vor allem Friedemann hat da schlecht geschlafen und wir haben auch beide einen Schnupfen gekriegt. Hatte ich so spät im Jahr auf weniger Touristen und trotzdem gutes Wetter gehofft, gab es Sonne erst ganz am Ende und immer noch Kreuzfahrtschiffe im Hafen.
Umso besser war es, einen Fremdenführer zu haben. Das habe ich nur aufgrund von Papas Empfehlung überhaupt erwogen, und das Geld war gut angelegt. Nicht nur erfuhren wir so viele Zusammenhänge zwischen den Fakten, sondern er sparte uns auch ganze Stunden Anstehzeit in den endlosen Schlangen der Normaltouristen. Natürlich waren die zwei Tage mit ihm trotzdem beinharte Besichtigungsarbeit und wir waren abends immer fertig. Befolgt habe ich auch Opa Tipp und habe mir von Friedemann Pamuks "Istanbul" aus der Lübecker Bibliothek mitbringen lassen. Gefallen haben mir aber nur seine Beschreibungen der Stadt in früheren Zeiten, nicht seine Selbstreflektionen.
Durch all das konnten wir erst nach einigen Tagen richtig entspannen und das positive am Trubel und der Größe einer 15 Millionen Stadt genießen. Dann kamen wir auf unsere Kosten mit Kultur und in den zahllosen spät öffnenden Lokalen, mit zivilisiertem Essen und wie mir erst im Nachhinein klar wurde, ganz ohne Betrunkene.

Zu erzählen gibt es natürlich zu viel. Wie nach unserer Skandinavienreise gibt es daher nur eine Liste persönlicher Lieblingserinnerungen, von mir und dann von Friedemann.


Johannes

  • die rigoroseste Besucherführerin der Welt
  • das Archäologie-Museum, das seit 1970 nicht mehr erneuert wurde und den Weg zur Toilette mit originalen antiken Statuen markiert
  • Bosphorus Tour und Rückmarsch am Tag der Republik
  • die Freskos in der Chora Kirche
  • die Süleymaniye Moschee
  • wir haben Backgammon gelernt
  • türkischer Tee
  • türkischer Kaffee im kleinen Cafe an der Hauptstraße
  • türkisches Essen
  • das Meer auf der Rückfahrt von den Prinzeninseln
  • Fischbrötchen und Nachttee am Goldenen Horn
  • die gut gepflegten Straßenkatzen
  • gelangweilte Verkäufer und Bedienungen die niemals lächeln
  • türkischer 60er Jahre Schlager und Laternen in den Bäumen
  • das Nachtleben in den Seitenstraßen der Hauptstraße im Beyoglu Viertel
  • Navigieren zwischen schwedischem Konsulat und Gymnasium
  • sämtliche Treppen und Bergstraßen
  • Orhan Pamuks Schwermut, Wehmut und Melancholie
  • Hausfrauen lassen Körbe an Leinen das Haus hinunter
  • der Unterschiede zwischen Kebab, Köfte, Dürum und wie man Lahmacün isst
  • iki cay lütfen
  • prophylaktisches Hupen zu jeder Gelegenheit
  • Taxis wo die Gurte erst gar nicht greifbar sind
  • ich habe gelernt, woher das Wort Kiosk kommt

Friedemann:

  • natürlich all die Straßenkatzen an jeder Ecke, vor allem am ersten Sonntag und auf den Prinzeninseln zusammen mit den Straßenhunden
  • der Bummel durch Beyoglu und Galata am ersten Tag, die interessanten Dinge am Wegesrand wie die englische Kirche
  • der Fischmarkt am Abend, und Balik Ekmek
  • der improvisierte Teeverkauf abends neben der Galatabrücke
  • der Bummel auf der asiatischen Seite durch Kadiköy, trotz Regen
  • der Rückweg zu Fuß und mit dem Bus nach der Bosporusfahrt, vorbei an der Festung, dem Luftgewehr auf der Kaimauer und den geschätzten 623 Anglern
  • der Bummel durch die Seitengassen in Beyoglu jeden Abend, die kleine Kneipe mit Buddha 2, der Stammkatze
  • die schöne Atmosphäre in der Süleymaniye Moschee
  • die Rundgänge durch das Basarviertel
  • die Sergius Bacchus Kirche
  • der Gang mir unserem Führer von der Sergius Bacchus zur Fähre, wo wir durch ein einfaches Wohnviertel gelaufen sind und über den Wochenmarkt
  • die Touristenführerin im Dolmabance Palast, die am liebsten unsere halbe Gruppe vom Wachdienst hätte abführen lassen

Blick vom Bosphorus auf unser Viertel, viele Treppen und Steigungen hinauf.
Unser täglich Brot, der Blick auf die Karte im Reiseführer.


Die Stammkatze in unserem Lieblingslokal verteidigte ihre Versorgungsrechte handfest gegen andere Straßenkatzen.

Bei dieser Aussicht beendeten wir den ersten Tag und widmeten uns Tee und Fischbroten.



Gott ist groß, Johannes ist klein.

Viele schöne Farben für Touristen auf dem Basar.


Der Diskopalast Dolmabance, Heim der rigorosesten Fremdenführerin der Welt.
Hier und auf so einem Schiff begann unsere Bosphorusfahrt.


Auf der asiatischen Seite, der Bahnhof der alten Bagdadbahn.
Die Rumelifestung, mir bekannt von Opas Dias, am Tag der Republik geschlossen.
Den Rückfahrt entlang des Bosphorus machten wir mit Bus und zu Fuß, vorbei an vollen Cafes, einer Million Angler und...

...Ballons, die zum Tag der Republik im Wasser mit einem Luftgewehr zerschossen werden durften.




Bei meiner Abfahrt fand Friedemann noch diese Vista.



Montag, 3. November 2014

Bevor ich dann weg bin

Das geschah vor der Reise nach Istanbul.

Sesselreise
Wie ich schon am Telefon habe anklingen lassen, habe ich seit der Erledigung meiner Steuererklärung etwas Zeit und Ruhe. Zum Beispiel kann ich mehr Zeit auf Ellie und Mathieu verteilen. Mit letzterem bin ich zur Sesselreise gegangen, einem weiteren Beweis dafür, dass ich meine Hobbys vor allem mit Rentnern teile. Aber schließlich waren wir uns nach der Veranstaltung einig, dass wir auch gerne im Ruhestand wären. Ein älteres Paar verarbeitet da einmal pro Jahr seine häufigen Urlaube in halbstündige Dokumentationen auf hohem Amateurniveau auf, komplett mit Bildbearbeitung und Kommentar.Dementsprechend war es zu meiner Überraschung auch ausverkauft. Diesmal waren es vier Filme, einer vom Comosee nicht allzuweit von Mathieus zu Hause, und einer aus Berlin. Anhand letzterem konnte ich auch feststellen, dass der Kommentar sehr gut recherchiert war. Die anderen beiden Filme aus den USA haben mir wieder bestätigt, dass mich das Land abseits der Natur irgendwie nicht interessiert. Ich habe sogar meinen eigenen Applaus und Verbeugung bekommen, als der Veranstalter bekanntgab, dass wir jemanden aus Berlin (naja) da hätten. Wir waren die einzigen im Publikum unter 50 und war sofort mit den Veranstaltern ins Gespräch gekommen.

Bristol
Ein Wochenende ging es mit Mathieu zu einem Treffen mit seiner Gang nach Bristol. Ursprünglich hätte auch Ellie mitkommen sollen, aber dann musste sie am Samstag bei einem offenen Tag sprechen. So teilte ich das Wochenende halb und halb und kam früher zurück, damit sie auch nicht zu kurz kam.
Meine beiden Ausflüge nach Bristol im letzten Jahr waren mir in guter Erinnerung in Hinblick auf Kultur, Kulinarisches und die allgemeine Stadtathmosphäre. Unsere Gastgeber Elizabeth und Adrian wohnen dort seit ca einem Jahr in einem alternativen Viertel voller anspruchsvoller Graffiti, für die Bristol bekannt ist (der bekannte Künstler Banksy kommt aus der Stadt). Die Hauptstraße in der Nähe war mir noch nicht bekannt und voller Clubs, Pubs und guter Restaurant. Gerade an diesem Abend ließ an vielen Orten ein Musikfestival. Auf dem Weg ins Zentrum fand ich wieder verschiedene plötzlich auftauchende Kleinode wie ein Haus im Jugendstil, und gegenüber eins in maurischer Art, so wie ich es in postindustriellen Orten ja mag. Am besten war eine große Markthalle, die mir auch nicht bekannt war. Dorthin nahm uns unsere Portugiesin Carla, denn in einer Bude machten Landsleute originale portugiesische Vanillekuchen; die Großmutter füllte gerade das nächste Blech.
Enttäuscht hat mich dagegen die Kunstgallerie Arnolfini am Hafen, die mir im letzten März noch so gefallen hatte. Stattdessen tranken wir ein Bier am Fluss, bis die Sonne weg war.
Später waren wir wieder ausgezeichnet englisch essen. Inzwischen verbinde ich Bristol fest mit guter englischer Küche. Die Tanzversuche in verschiedenen Pubs danach hätten wir uns dagegen sparen können.
Das Frühstück am nächsten Morgen war wie in alten Freiwilligenzeiten. Leider kam ich spät zurück zu Ellie. Dabei sieht sie mich die nächsten zwei Wochenenden ja gar nicht.


Im Ziergarten von Haus Stansted mit der Sonne im Gesicht.



Sonniger Herbst am Meer.


Der Rosengarten ist ganz offenbar klug bepflanzt und erlebt eine zweite Bluete - im September war fast alles weg.