Montag, 23. Februar 2015

vorwärts & rückwärts

Zusammen mit meiner Gesundheit ging es auch mit den Wochenenden Anfang Februar langsam wieder aufwärts. Bald werde ich mich vermutlich nach den "unspektakulären" Zeiten vom Jahresanfang sehnen. Und trotz manchmal kalten Temperaturen sehe ich den Sommer bereits mit mächtigen Schritten auf uns zukommen. Auf einmal wird er da stehen und das Jahr ist wieder halb rum.

Valentinstag
Ist hier drüben natürlich eine große Sache, wie alle amerikanischen Kulturexporte. Meine Einstellung dazu ist bekanntlich ein standhaftes "Nein, aber", schließlich wollte auch Ellie zumindest etwas machen. Restaurant war mir zu teuer und zum Glück kann ich ihr das auch so sagen und so beschloss ich stattdessen, selbst für sie zu kochen. Im Alltag sind wir nämlich inzwischen dazu gekommen, dass praktisch immer sie kocht, wenn ich abends zu ihr komme. Das macht ihr zwar Spaß (und sie kocht gut), aber gefallen tut es mir trotzdem nicht. Dazu kommt, dass ich für sie lieber etwas selbst und persönlich mache, als mich durch die Festtagsabfertigung zu begeben. Bei der Gelegenheit erinnerte ich mich daran, wie ich vor zwei Jahren mit Papa hier Seeteufel gemacht hatte und bestellte zwei Fillets beim Fischmarkt. Gute zwei Stunden stand ich in der Küche, zugegebenermaßen beraten von Ellie. Es hat sich gelohnt.
Im Anschluss nahm ich sie außerdem in ein Konzert eines regionalen Orchesters, was ich, wie ich doch betonen will, vermutlich auch ohne Valentinstag gemacht hätte. Das ist zwar immer kostspielig hier, aber selbst für meine totmüden Ohren war es doch eine Wohltat, in Portsmouth einmal richtig gut gemachte Musik zu hören. Man spielte Brahms und Mendelson. Ich weiß weiterhin nicht, ob dass Orchester Profis oder Amateure waren, vermutlich eine Mischung. Jedenfalls beherrschten sie ihre Instrumente, insbesondere der 17-jährige Violinsoloist. Im Übrigen war das wieder eine der Gelegenheiten, wo ich Namen und Komponisten von Musik erfuhr, die ich als Melodie schon lange kannte. Ich dachte, ich weiß nichts über Brahms.
So schön war ein bisschen richtige Musik, dass ich am Montag darauf gleich noch etwas Geld ausgab und mit Freunden das tschechische Trio Martinu hörte.


Meinesgleichen
Während der Samstag für Ellie reserviert war, war der Sonntag an meine Freunde um Mathieu vergeben. Die ware schon am Vortag angereist und teilweise in meinem leeren Zimmer Unterkunft untergebracht worden. Schon der Morgen wies den Sonntag als einen großartigen Tag voller Echos aus jungen Jahren aus, als ich bei strahlender Sonne und zweistelliger Temperatur zum europäischen Frühstück bei Mathieu ging. Ellie hatte an diesem Tag Besuch von ihrer Mutter und konnte leider nicht mitkommen. Wir Immigranten gingen Minigolf am Meer spielen und später essen. Ich sog die Wärme so ein wie das Gemeinschaftsgefühl, dass ich nolens volens mit anderen Ausländern verspüre, die viele Jahre und in mehreren Ländern unterwegs gewesen waren.


Kreativ
Mitte Februar nahmen Ellie und ich beide einen Freitag frei. Wir hatten schon lange mal ein langes Wochenende nur für uns gewollt. Speziell wollten wir Zeit für unsere gemeinsamen Hobbys. Wir buchten zwei Stunden im Tanzraum einer Art Kulturhauses, wo Ellie jede Woche Bauchtanzstunden hat. Wie ich dabei erfuhr, übte sie an einer eigenen Choreographie, während ich Tango probte. Anschließend nahm ich Ellie ins Cafe und dann hatte ich Gesangsstunde, auf der ich auch einen kleinen Durchbruch hatte. Abends in meiner Tangostunde spürte ich dann die Übung überraschend deutlich. Ein gutes Gefühl Fortschritte zu machen.

Am Samstag darauf gingen Ellie und ich wieder zu einer Musicalaufführung der Universität. Vor einem Jahr war es Der Mikado, diesmal Allegro von Rodgers und Hammersmith, die mir ebenfalls nur vom Namen bekannt waren. Hingegangen bin ich vor allem auf Empfehlung meiner Gesangslehrerin, da ich selbst ja keine Musicaltradition habe. Angenehmerweise hatte dieses Stück einen ernsten Inhalt, den es auch ernsthaft behandelte. Vielleicht deshalb war es seinerzeit kein großer Erfolg gewesen für unseren Dirigenten dagegen war es Rodgers und Hammersmiths bestes Stück.

Reaktiv
Weitere alte Sachen: wie man sich erinnert, habe ich letztes Jahr mit großer Anteilnahme den offiziellen Legofilm gesehen. Ohne Zweifel mit Absicht weckte er alte Erinnerungen, wie das damals war, unter dem Weihnachtsbaum eine Schachtel aufzumachen und die Bausteine aus der Tüte zu holen und später zu sehen, welches Modell Friedemann bekommen hatte. Nachdem ich schon ihm zu Weihnachten etwas geschenkt hatte, habe ich jetzt der Versuchung nachgegeben und mir selbst etwas gekauft, zum ersten Mal seitdem ich 14 war. Schließlich bin ich mir mit Friedemann einig, dass wir jetzt in dem Alter sind, wo man sein Erwachsenengehalt benutzt, sich seine alten Spielzeuge zu kaufen.

Ebenfalls alte Sachen: meine alte Grundschule in Kyritz ist 2009 abgerissen worden! Das erfuhr ich von den gelegentlichen Recherchen auf Satellitenbildern, die ich in Momenten von Langeweile mit Orten meiner Vergangenheit mache.

In meinem dicken Geschichtsbuch bin ich im vorletzten Kapitel angekommen. Im vorigen habe ich erfahren, wie Montenegro nach dem ersten Weltkrieg mit schmutzigen Tricks ins neugegründete Jugoslavien kam. Parallel lese eine Kleine Physik von 1953, die sich als überraschend praktische Lektüre für Zugfahrten erweist. Wer kennt noch den Unterschied von Masse und Gewicht?

Die Modelleisenbahn meiner Generation.

Das nächste Konzert kommt bald und dann ist der Frühling schon halb vorbei.



Sonntag, 8. Februar 2015

Langsam mit dem Strom gen Frühling

Die Wochenenden dieses Jahres waren bisher, wenn vielleicht nicht langweilig so doch unspektakulär. Kaum Veranstaltungen und das Wetter natürlicherweise kalt, windig und manchmal regnerisch. An einem Tag fiel für einige Stunden sogar echter Schnee. Wunderschön anzusehen auf den Feldern entlang der morgendlichen Bahnfahrt, mir wurde nochmal regelrecht weihnachtlich zumute. Von solchen Momenten abgesehen zeigt Portsmouth zu solchen Zeiten aber seine Schwächen, wenn man weder Veranstaltungen besuchen noch lange am Meer sein kann. Dementsprechend war es fast günstig, dass sowohl Ellie als auch ich Ende Januar krank wurden - mehr als zu Hause bleiben und ausruhen konnte man ohnehin nicht.

Es war nur ein leichter Infekt, der mich einige Tage lang schwach fühlen ließ, sich dann aber auch zwei Wochen lang nicht völlig zurückzog. Einen Tag habe ich mich sogar krank gemeldet und bin zu Hause geblieben. Und obwohl ich nach ein paar Stunden merkte, dass das auch gut war, mache ich sowas nicht gerne, wie schon in der Schule. Dementsprechend war es in über zwei Jahren auch erst der zweite Krankheitstag. Allerdings war der erste seinerzeit sehr angenehm gewesen und ich hatte schon lange mal Lust gehabt, wieder an einem Werktag durch die Stadt zu spazieren. Die Zeit habe ich dann auch genutzt, ans Meer zu gehen, wo die Sonne schien und am Strand Tee zu trinken. Auf dem Weg hatte ich auch endlich mal wieder Zeit, mich in einem Laden mit einem Lokalpatrioten über ein bekanntes aber nicht mehr existierendes Wahrzeichen der Stadt zu verquatschen.

Das war ein Freitag und zum Tango bin ich abends trotzdem gegangen. Schließlich kam diesmal eine ganze Gruppe Freunde mit. Seit Mitte Januar ist nämlich eine Freundin von Mathieu und mir für einen Monat in der Region, Carla aus Portugal. Es war nicht vergessen, dass wir schon zwei Jahren gesagt hatten, wir müssten mal Tango tanzen gehen. Sie brachte eine weitere Portugiesin mit und dazu stießen der inzwischen aus Asien zurückgekehrte Mathieu, interessanterweise mit seiner Ex-Freundin. Wie ich den wie immer nervösen Anfängern wiederholt versichterte ist unsere Tangogruppe auch freundlich und als Mathieu einmal aufgeben wollte, wurde er von jemand anderem ermutigt und zurückgeholt. Die beiden Portugiesinnen blieben auch bis ganz zum Schluss und wir hatten großen Spaß.

An einem anderen Wochenende gingen Ellie und ich zu einer besonderen Vorführung von Puccinis Turandot. Unser immer noch wegen Renovierung geschlossenes Haupttheater führt mit einer Londoner Uni für Asienstudien ein Projekt, die Oper auf Mandarin und mit chinesischen Instrumenten aufzuführen. Über den Chor hatte ich erfahren, dass sie eine gratis Werkschau anboten. In Portsmouth hat man nicht viele Ansprüche und gerade weil es kostenlos war, wusste ich nicht, was ich erwarten sollte. Zum Glück wollte auch Ellie hin, die eine große Schwäche für Asien hat. Die fünf Sänger und ein Dutzend Musiker stellten sich alle als gut raus und es folgte eine interessante Fragestunde. Dort erfuhren wir, warum Mandarin so überraschend gut als Gesang funktioniert und wie man mit chinesischen Instrumenten Lautstärkeunterschiede erzielt, obwohl sie dafür nicht konstruiert sind. Sollte das Projekt Aufführungsreife erlangen, will man den Chor jeweils mit lokalen Sängern besetzen. Ellie und ich sind bereit.
Während diese Veranstaltung gratis war, haben wir den Besuch der Stadthalle gleich genutzt, ordentlich Geld für zwei Komiker auszugeben. Ross Noble haben wir inzwischen gesehen, ihn kannte ich vorher nicht. Er kann zwei Stunden mit reiner Improvisation füllen und hat dazu einen Akzent aus der Region nördlich von Newcastle. Bei der Gelegenheit hat er uns auf eine neue Attraktion in Portsmouth aufmerksam gemacht, ein Museum für Kreationismus. Ellie und Freunde wollen unbedingt mal hin. Im Dezember dann kommt Bill Bailey, ein alter Hippie und ausgezeichneter Musiker, den mir Ellie schon oft gezeigt hat.

Am Wochenende darauf war das einzig Interessante der Brasilianische Tag eines Cafes in der Nähe. Das war eine Empfehlung meines brasilianischen Tangolehrers. An sich gab es nur sonst nicht gebotene brasilianische Spezialitäten und Musik aus der Dose. Aber sowohl für Ellie als auch mich erstes Mal dort, das Cafe unterscheidet sich nämlich von außen nicht von den üblichen sterilen englischen Lokalitäten. Innen ist es aber wirklich gemütlich und besonders der Garten wird im Sommer sehr interessant sein. Ganz ähnlich haben wir an einem anderen ereignislosen Sonntag eine Creperie ausprobiert und eine von außen nicht sichtbare Dachterasse gefunden.

Eine etwas interessantere Sache ist Ellies Suche nach einem Auto. Ganz sicher ist sie sich noch nicht, aber nachdem sie im Dezember ihren Führerschein bekommen hat, überlegt sie aktiv, sich ein Auto zu kaufen. Nicht zuletzt, um sich erwachsener zu fühlen - wo sie schon kein eigenes Haus hat. Ich kann ihr dabei nicht helfen, aber zum Glück hat sie erfahrenere Freunde und einen Fahrlehrer als Vater.
In diesem Zusammenhang ein kleiner Exkurs in die englische Immobilienkultur. Wie Ihr wisst kaufen die Briten statt zu mieten. Dazu hat mein Statistikamt kürzlich den Hauspreisindex und etwas Analyse veröffentlicht. Demnach sind Hauspreise in einem Jahr durchschnittlich um 11% gestiegen. Was für mich heißt, dass wieder fröhlich in eine Blase spekuliert wird. Ob der Unterschiede zwischen unseren Ländern unterhalte ich mich viel mit Ellie darüber, deren Selbstbewusstsein sehr damit kämpft, mit 30 noch nicht auf der "Hausleiter" zu sein (NB diese Alltagsmetapher suggeriert, es geht auf der Leiter aufwärts). Das gleiche mache ich mit anderen Ausländern; wir halten das Ganze für Wahnsinn. Nichtsgestotrotz, Kalina hat sich gerade ihre Wohnung gekauft, mit einer Hypothek auf 30 Jahre. Und drüben in Polen, wo nach meiner Recherche noch mehr gekauft wird als hier, hat sich auch Daria eine Wohnung gekauft. Zumindest im schönen Breslau.

Zuletzt das neueste aus Chor und Geschichtsbuch: Die Toskana wurde von Napoleon in das kurzlebige Königreich Etruria verwandelt. Nördlich schuf er die Republik Lucca. In Lucca ging Puccini zur Musikschule und schrieb als Abschlussarbeit unsere Messa di Gloria, bevor er zum Studium ging und nie wieder Sakralmusik schrieb.

Die erste Rose ist schon da - der Frühling kommt bestimmt!

Kein besserer Tag um krank zu sein.