Valentinstag
Ist hier drüben natürlich eine große Sache, wie alle amerikanischen Kulturexporte. Meine Einstellung dazu ist bekanntlich ein standhaftes "Nein, aber", schließlich wollte auch Ellie zumindest etwas machen. Restaurant war mir zu teuer und zum Glück kann ich ihr das auch so sagen und so beschloss ich stattdessen, selbst für sie zu kochen. Im Alltag sind wir nämlich inzwischen dazu gekommen, dass praktisch immer sie kocht, wenn ich abends zu ihr komme. Das macht ihr zwar Spaß (und sie kocht gut), aber gefallen tut es mir trotzdem nicht. Dazu kommt, dass ich für sie lieber etwas selbst und persönlich mache, als mich durch die Festtagsabfertigung zu begeben. Bei der Gelegenheit erinnerte ich mich daran, wie ich vor zwei Jahren mit Papa hier Seeteufel gemacht hatte und bestellte zwei Fillets beim Fischmarkt. Gute zwei Stunden stand ich in der Küche, zugegebenermaßen beraten von Ellie. Es hat sich gelohnt.
Im Anschluss nahm ich sie außerdem in ein Konzert eines regionalen Orchesters, was ich, wie ich doch betonen will, vermutlich auch ohne Valentinstag gemacht hätte. Das ist zwar immer kostspielig hier, aber selbst für meine totmüden Ohren war es doch eine Wohltat, in Portsmouth einmal richtig gut gemachte Musik zu hören. Man spielte Brahms und Mendelson. Ich weiß weiterhin nicht, ob dass Orchester Profis oder Amateure waren, vermutlich eine Mischung. Jedenfalls beherrschten sie ihre Instrumente, insbesondere der 17-jährige Violinsoloist. Im Übrigen war das wieder eine der Gelegenheiten, wo ich Namen und Komponisten von Musik erfuhr, die ich als Melodie schon lange kannte. Ich dachte, ich weiß nichts über Brahms.
So schön war ein bisschen richtige Musik, dass ich am Montag darauf gleich noch etwas Geld ausgab und mit Freunden das tschechische Trio Martinu hörte.
Meinesgleichen
Während der Samstag für Ellie reserviert war, war der Sonntag an meine Freunde um Mathieu vergeben. Die ware schon am Vortag angereist und teilweise in meinem leeren Zimmer Unterkunft untergebracht worden. Schon der Morgen wies den Sonntag als einen großartigen Tag voller Echos aus jungen Jahren aus, als ich bei strahlender Sonne und zweistelliger Temperatur zum europäischen Frühstück bei Mathieu ging. Ellie hatte an diesem Tag Besuch von ihrer Mutter und konnte leider nicht mitkommen. Wir Immigranten gingen Minigolf am Meer spielen und später essen. Ich sog die Wärme so ein wie das Gemeinschaftsgefühl, dass ich nolens volens mit anderen Ausländern verspüre, die viele Jahre und in mehreren Ländern unterwegs gewesen waren.
Kreativ
Mitte Februar nahmen Ellie und ich beide einen Freitag frei. Wir hatten schon lange mal ein langes Wochenende nur für uns gewollt. Speziell wollten wir Zeit für unsere gemeinsamen Hobbys. Wir buchten zwei Stunden im Tanzraum einer Art Kulturhauses, wo Ellie jede Woche Bauchtanzstunden hat. Wie ich dabei erfuhr, übte sie an einer eigenen Choreographie, während ich Tango probte. Anschließend nahm ich Ellie ins Cafe und dann hatte ich Gesangsstunde, auf der ich auch einen kleinen Durchbruch hatte. Abends in meiner Tangostunde spürte ich dann die Übung überraschend deutlich. Ein gutes Gefühl Fortschritte zu machen.
Am Samstag darauf gingen Ellie und ich wieder zu einer Musicalaufführung der Universität. Vor einem Jahr war es Der Mikado, diesmal Allegro von Rodgers und Hammersmith, die mir ebenfalls nur vom Namen bekannt waren. Hingegangen bin ich vor allem auf Empfehlung meiner Gesangslehrerin, da ich selbst ja keine Musicaltradition habe. Angenehmerweise hatte dieses Stück einen ernsten Inhalt, den es auch ernsthaft behandelte. Vielleicht deshalb war es seinerzeit kein großer Erfolg gewesen für unseren Dirigenten dagegen war es Rodgers und Hammersmiths bestes Stück.
Reaktiv
Weitere alte Sachen: wie man sich erinnert, habe ich letztes Jahr mit großer Anteilnahme den offiziellen Legofilm gesehen. Ohne Zweifel mit Absicht weckte er alte Erinnerungen, wie das damals war, unter dem Weihnachtsbaum eine Schachtel aufzumachen und die Bausteine aus der Tüte zu holen und später zu sehen, welches Modell Friedemann bekommen hatte. Nachdem ich schon ihm zu Weihnachten etwas geschenkt hatte, habe ich jetzt der Versuchung nachgegeben und mir selbst etwas gekauft, zum ersten Mal seitdem ich 14 war. Schließlich bin ich mir mit Friedemann einig, dass wir jetzt in dem Alter sind, wo man sein Erwachsenengehalt benutzt, sich seine alten Spielzeuge zu kaufen.
Ebenfalls alte Sachen: meine alte Grundschule in Kyritz ist 2009 abgerissen worden! Das erfuhr ich von den gelegentlichen Recherchen auf Satellitenbildern, die ich in Momenten von Langeweile mit Orten meiner Vergangenheit mache.
In meinem dicken Geschichtsbuch bin ich im vorletzten Kapitel angekommen. Im vorigen habe ich erfahren, wie Montenegro nach dem ersten Weltkrieg mit schmutzigen Tricks ins neugegründete Jugoslavien kam. Parallel lese eine Kleine Physik von 1953, die sich als überraschend praktische Lektüre für Zugfahrten erweist. Wer kennt noch den Unterschied von Masse und Gewicht?
Die Modelleisenbahn meiner Generation. |
Das nächste Konzert kommt bald und dann ist der Frühling schon halb vorbei. |