Freitag, 19. Dezember 2014

Advent
In diesem Jahr hatte ich tatsächlich die Zeit, den Advent mit Muße zu genießen. Weihnachten war gebucht und organisiert und ich verbringe mehr Abende in Ellies komfortabler Wohnung. In weiser Voraussicht hatten wir schon Ende November zu backen begonnen und hatten bald mehrere Dosen mit Keksen gefüllt. Die Dosen sind übrigens aus Euren Paketen der letzten Jahre - bei mir kommt nichts weg, wie inzwischen auch Ellie weiß.
Auch von Euch bin ich gut mit Heimatgefühl versorgt worden. Genau am Morgen des ersten Dezembers fand ich zu Hause einen Brief von Kasia mit einem Kalender sowie einem Mini-Adventskranz. Zusammen mit Omas Kalender habe ich damit zwei auf der Arbeit stehen, wo ich sie jeden Tag sehe. Nur eine Kollegin hat auch einen Bilderkalender, alle anderen gewöhnliche Schokoladenhalter. Hierzulande sind Kalender zwar überall erhaeltlich und inzwischen auch populär, aber mehr billige Werbeflaeche für die großen Schokoladenfirmen. Natürlich Ellie hat einen Kalender bekommen, und ebenso Kalina. Fünf Jahre war sie in Deutschland, ohne sich unserer ueberlegenen Tradition zu ergeben. Auch in Mathieus Wohnung fand ich übrigens einen schönen Kalender. Wie sich herausstellte, kam der von der deutschen Bekannten des Vermieters.

Als nächstes kam zum Nikolaus ein Paket von Mutti. Das habe ich mit Ellie am Nachmittag zwischen Generalprobe und Konzert des Chors (s.u.) ausgepackt und ihr das Wort Gemuetlichkeit erklaert. Schon am Morgen hatte der Nikolaus Ellie übrigens einen Schuh gebracht. Das Schuh ist inzwischen leer, aber das Paket noch nicht, denn zum Glück steht es bei Ellie außer meiner Reichweite.

Beim Blick auf die hiesigen Häuser fiel mir ein, wie ich vor zehn Jahren die englischen Ganzfassadendekorationen und Plastikgeglitzer beschrieben habe. Nicht nur Lichter, sondern blinkende Lichter, in verschiedenen Farben, gerne wird jede Linie mit einer Lichterkette nachgezogen. Je nach Farbe sieht es aus wie ein amerikanisches Autobahnmotel oder ein Bordell.
Auch auf der Arbeit wurden die Lamettatüten hervorgeholt. Dieses Jahr habe ich gelernt, dass die Bäume nicht allein wegen Unwissenheit und Geschmacklosigkeit schon im November aufgestellt(und mit blinkenden Diskolichtern verziert) werden, sondern, dass das offizielle Tradition ist.

Nun ist aber, wie ich ungern zugebe, nicht alle englische Tradition schlecht. So ist zu meiner Überraschung Adventssingen in den Kirchen sehr populär. Für ihren Heimatbesuch hatte sich Ellie extra auf Karten für die Kathedrale von Canterbury beworben, erfolglos. Auch auf der Arbeit wird von einer Gruppe Christen jedes Jahr ein gut besuchte Veranstaltung organisiert, die ich zum ersten Mal wahrnahm. Dabei erfuhr ich auch, dass es einen Chor im Haus gibt. Dem kann ich mich zwar aus Zeitgründen nicht anschließen, einmal habe ich ihn aber besucht und einige Weihnachtslieder mitgesungen. Mir gefallen die Angebote der Kirchen und ich will das noch einige Male nutzen.

Musik
Die erste Gelegenheit war der alljaehrliche Adventsgottesdienst der Uni. Dieses Jahr hatte ich mich darauf wegen der recht depperten Lieder nicht so darauf gefreut (bezeichnenderweise sagte Ellies neulich, sie denke bei Weihnachten an New York, dementsprechend ist viel der als traditionell betrachteten Musik Pop), wurde dann aber daran erinnert, wie gerne ich aber doch in Kirchen singe.
Der große Auftritt war das Beethovenkonzert am 6. Dezember. Die erste Probe mit dem Orchester war zu allgemeiner Überraschung richtig gut gelaufen, die Generalprobe eine Woche später ziemlich schlimm und das Konzert selbst war irgendwie wieder gelungen. Das Ambiente war ein ganz anderes als im Yorker Münster, wo ich die 9. Symphonie vor vier Jahren zum ersten Mal gesungen hatte. Eine Sporthalle statt des Münsters, das Orchester mehrere Klassen schlechter, weil wir hier keine richtige Musikfakultät haben. Trotzdem erinnerte es mich an das erste Mal, weil die 9. Symphonie trotz des depperten Textes doch toll zu singen ist, wenn erstmal die Musik mitmacht. Mir wird das Proben an Aufnahmen fehlen, dem ich mich dank meines Vorwissens frueh widmen konnte, Jetzt geht das Einüben wieder von vorne los, im Januar mit Puccinis Messi di Gloria, einer willkommenen Rückkehr in singbarere Stimmlagen.

Im Anschluss an das Konzert fuhr ich direkt weiter zur Tangoweihnachtsfeier. Auch auf der Arbeit gab es neben den diversen normalen Festtagsessen ausser Haus, die ich vermeide, einen kompletten Nachmittag im Büro, der mir zugegebenermaßen halbwegs gefallen hat. Da hatte man sich richtig Mühe gegeben und nicht nur Essen sondern auch kreative Spiele gemacht. Einer der Wettbewerbe bezog sich auf eine weitere englische Tradition, den Weihnachtspullover. Die sind absichtlich verziert wie von Mutti gestrickt. Zu sehen z.B. am Anfang von Bridget Jones.
Und schließlich habe ich mit Ellie noch eine Tradition kennen gelernt, das "Panto". Das kommt von Pantomime, ist aber ein normales Theaterstück mit Sprache, für Kinder, recht frei nach traditionellen Stücken und angereichert mit Humor solcherart, das alle Kinder schreien, wenn der Geist hinter dem Protagonisten steht. Unser Lokaltheater zeigte eine lose an Aladins Wunderlampe orientierte Geschichte, aufgepeppt mit C-Prominenz von gestern, laut, mit viel Musik. Den Kindern hats gefallen, uns auch. Am besten fand ich, dass die Schauspieler alle grossen Spass hatten, auf der Buehne einfach mal rumalbern zu duerfen.

Wunderbar
Auch mein zweiter, privater Auftritt des Stücks "Wunderbar" wurde nach vielen Sorgen ein großer Erfolg. Nach der schlechten ersten Probe stellte sich raus, dass ich anhang der falschen Aufnahme geübt hatte - kein Wunder also, dass meine Noten alle nicht passten.. Die folgenden Proben waren ein großer Spaß und der Auftritt selbst mindestens der zweitbeste Beitrag, schließlich hatte ich Unterstützung  von Musikabsolventen, einer lokale Sängerin und am Klavier einer Austauschstudentin aus China. Papa kennt das Format von meinem ersten Auftritt vor zwei Jahren, eine offene Bühne für Musikstudenten und -interessierte. Ich war sehr froh, dass Ellie kommen konnte, schließlich wünsche ich mir immer, dass mich Familie und Freunde auf der Bühne sehen können. Neben uns trat auch meine Gesangslehrerin mit dem Fagott aus und der beste Beitrag kam vermutlich von meiner Mitbewohnerin; wir wussten gegenseitig nichts von unseren Auftritten. Meine Mitstreiterinnen bekamen von mir Blumen und als ich eine weitere meiner Gesangslehrerin gab, hat sie mich spontan umarmte, was hier drüben selten vorkommt (auch wenn sie Amerikanerin ist). Solche Momente persönlicher Wärme sind mir hier immer noch selten und wertvoll. Den ganzen nächsten Tag wünschte ich mir, abends wieder auf die Bühne zu können.

Deutschland in London
Am zweiten Advent sind Ellie und ich nach London in die Museen gefahren. So ein Wochenende hatte ich schon immer vorgehabt, inzwischen aber die Hoffnung aufgegeben, nachdem Wochenenden eigentlich nie mehr frei waren. Die jetzige Entscheidung war relativ spontan und halb mit Ellies Geburtstag verbunden. Fast wäre es noch ins Wasser gefallen, da Ellie krank war. Zum Glück erholte sie sich im Laufe des Wochenendes zunehmend.
Der Samstag war dem Britischen Museum gewidmet, wo wir uns zuerst die schon erwähnte Ausstellung "Deutschland - Erinnerungen einer Nation" ansahen. Die war kleiner als erwartet, schließlich waren es insgesamt nur 100 Objekte. Dafür war es voll, inklusive vieler Deutscher. Ich muss sagen, dass die Ausstellung trotz ihrer hochkarätigen Exponate nur halb so gut gewesen wäre, hätte ich nicht vorher die Radiosendungen gehört. Erklärung vor Ort ist (unvermeidlich) knapp, es sei denn, man liest das Begleitbuch von 600 Seiten. Was schön wäre, aber eben leider für so viele andere Bücher auch gilt. Besonders im Gedächtnis sind uns eine der allerersten Gutenbergbibeln geblieben, Schilder von den Montagsdemos, das Tor von Buchenwald und Bauhaus-Stuecke. Für mich persönlich waren die Sektion über Bauhaus und Brandenburg-Preußen interessant, zu denen ich Ellie natürlich einiges erzählen konnte.
Im Anschluss hatten wir immer noch mehrere Stunden, den Rest des riesigen Museums mit praktisch der gesamten Menschheitsgeschichte anzusehen. Ich war wider vermeintlicher Erinnerung zum ersten Mal im Britischen Museum und es zu beschreiben wäre zu viel. Ganz toll an England ist aber, dass Museen und Gallerien gratis sind und trotzdem auf Weltniveau sowie ausgesprochen angenehm zu besuchen. Schon praktisch, einmal ein Weltbereich besessen zu haben, man konnte sich alle möglichen schönen Sachen mit nach Hause nehmen.
Am Sonntag gingen wir ins Viktoria-und-Albert Museum, das mir völlig neu war. Es hat keinen bestimmten Fokus, neben europäischer Archäologie war für Ellie China, Japan und Korea dabei und für mich der Nahe Osten. Daneben britische Mode, Eisenwerk und Protestkultur. Ganz besonders hat mich dabei ein (mindestens) lebensgroße Kopie der Trajansäule beeindruckt, die einfach mal im Raum stand, neben kompletten Kathedralenfassaden.
Die Nacht dazwischen sind wir bei Ellie Freundin geblieben, die ich zur 40er Jahre Party zu deren Geburtstag kennen gelernt hatte. Die ist immer ein Erlebnis und hat uns außerdem in ein großartiges indischen Restaurant genommen, dass so billig und deftig war, dass ich mich an polnische Milchbars erinnert fühlte.

Direkt nach unserer Rückkehr sind wir dann direkt noch zum Adventssingen in einer Kirche gefahren. Das bringt mir dann doch richtige Adventsstimmung, Licht nur von Kerzen und richtige Orgelmusik.

Vermischtes
Eine weitere schöne Sache war eine Schnuppersprachstunde in unserer isländischen Bar. Das hatte Ellie entdeckt und zu meiner Freude kamen auch noch Mathieu und zwei Bekannte vom Tango.
Apropos Tango, für Leute mit gutem Internet: ein Video meines Tangolehrers bei einem Interview.
http://www.portsmouth.co.uk/life/it-s-strictly-tango-for-flavio-1-6447026

Ganz in der Nähe der isländischen Bar hat ausserdem eine neue Kneipe aufgemacht. Ihr dunkles Dekor, gutes Essen und hausgemachtes Bier erinnern mich nämlich stark an die Kneipen meiner Jugend in Torun und Lodz. Abgesehen davon schließt sie eine Lücke zwischen zwei bereits vorher immer schöner gewordenen Ecken der Stadt, wo in den letzten zwei Jahren eine ganze Reihe sympathischer Orte entstanden waren. Damit haben wir in dieser Gegend fast sowas wie eine Flaniermeile.

Meine psychologische Beratung ist nach eineinhalb Jahren vorbei. Die Beraterin hat eine neue Arbeit gefunden, aber mir waren auch langsam die Themen ausgegangen. Das gesparte Geld kann ich gut gebrauchen, aber noch wichtiger ist mir die gewonnene Zeit. Die zusätzliche Stunde will ich in Singübungen investieren und hoffentlich andere Abende entlasten.

Mitte Dezember hatte Ellie ungern 30. Geburtstag. Von mir bekam sie dafuer einen indischen Saari. Er kam aus lokalem Laden, der mir schon frueh aufgefallen war; jetzt habe ich endlich jemanden zum Anziehen.

Im Kino habe ich den Film Gravity gesehen. Astronaut sein wäre nichts für mich. Ich brauche festen Boden. Literarisch habe ich in meinem Buch das Kapitel über Preußen gelesen, d.h. das eigentliche Preußen der Pruzzen und Nachfolger.

Anfang Dezember hatte ich mir der Zahnarzt zwei Löcher repariert, die sich doch als größer rausgestellt haben. Jetzt ist aber alles gut verfüllt und in Ordnung.

Dank Lidl konnte der Nikolaus Ellies Schuh ordentlich füllen.

Auch Buddha hatte noch nie ein Nikolauspaket gesehen.