Montag, 28. Juni 2021

Pflegenotstand

Nach unserer Hochzeit ging es flugs zurück in den Alltag. Am Wochenende fUhren wir einmal zum Haus Stansted, und Dienstag Nacht wurde Otto strategisch geschickt krank. Bisher ist das noch jedes Mal Mittwochs geschehen, wenn Ellie arbeiten muss. Diesmal habe ich mir den Rest der Woche frei genommen, weil ich die Nase voll habe das sonst immer Ellie ihrem Team kurzfristig absagen muss.
Diesmal könnten wir schlecht sagen was es war. Wir fuhren sicherheitshalber Mittwoch Abend zum Hausarzt, es wurde aber nicht schlimmes festgestellt. Tagsüber ging es ihm anfangs auch prima, nur nachts war er dann plötzlich wieder krank. Erst nach fünf Tagen brach endlich Husten und Schnupfen aus ihm raus, hoffentlich ist das die letzte Phase. Zumindest für dieses mal. Ich muss einfach zugeben, dass meine Stimmung nach drei Tagen Kinder hüten langsam einbrach. Den ganzen Tag ist man nur für jemand anderes da, man kann nie richtig abschalten, und  die Abende sind dann mit den Aufgaben gefüllt für die Tags keine Zeit war. Und so einfach die reine Betreuung auch geworden ist, die Tage sind immer gleich. Mir fehlt da das Gefühl von Fortschritt und Entwicklung. Da will ich ganz ehrlich sein. Gottseidank kann man im Sommer wenigstens viel spazieren gehen, besonders am Meer. In den letzten Wochen habe ich zum ersten Mal richtig wahrgenommen, wieviele Pflanzen in wievielen Farben im Sommer auf den Steinen blühen. Immer wieder habe ich einige identifiziert und weiß jetzt, dass wildes Radieschen und Wilde Malve essbar sind.

Otto-Nachrichten
  • Ellie hat im beigebracht, das deutsche Wort "Gurke" nachzuahmen
  • Otto spielt gerne Fußball und kann einen Ball unter bestimmten Bedingungen sogar fangen
  • er schiebt weiterhin gerne den Kinderwagen und liebt Pfützen mehr als uns lieb ist
  • Otto würde so gerne die Katzen streicheln. Einmal hat er es auch geschafft, halbwegs sanft zu sein, aber meistens ist er zu aufgeregt. Irgendwann wird es passieren, und Mochi wird sein bester Freund werden. 
  • Er sitzt länger geduldig auf unserem Schoß und lässt sich vorlesen
  • Er experimentiert mit diversen Arten zu laufen, z.B. rückwärts und auf Zehenspitzen

Freitag, 25. Juni 2021

Hochzeit

Höchste Zeit über die Hochzeit zu schreiben. Wir hatte ja bereits alles vorbereitet - in meinem Fall war das nur eine Hose und eine Fliege, in Ellies Fall ein komplettes Outfit, über mehrere Wochen ausgesucht und bestellt. Am Samstag vor der Hochzeit kam Ellies Schwester Amber zu uns. Sie war zusammen mit unserem lokalen Freund Andrew als Zeugin vorgesehen. In den alten Zeiten wären wir Ende Juni zu ihrem Geburtstag zu ihr nach Canterbury gefahren; ich hatte mich schon lange gefreut, das sie wenigstens zu uns kommt, denn mit ihr ist es immer schön.
Sonntag sind wir alle zusammen ins Umwelt Zentrum gefahren und Montag Vormittag zum Frühstück in einem Cafe in der Stadt. Denn durch den kleinen Rahmen hatten wir soviel Zeit.
Während Ottos Mittagsschlaf haben wir uns fertig gemacht; natürlich wachte er nochmal auf und musste gerettet werden, und ich bin dabei anschließend selbst eingeschlafen. Als ich aufwachte war es nur noch eine Stunde bis wir am Standesamt sein mussten. Also hastiges Umziehen, Auto beladen, noch dreimal zurück ins Haus rennen. Zum Glück war der Verkehr in Ordnung.
Am Standesamt warteten Andrew und unsere Freunde Andrea und Eloise (zu deren Hochzeit wir vor einigen Jahren nach Verona in Italien geflogen waren). Die wurden kurz vorher noch angefügt um Fotos zu machen.
Die Gäste wurden direkt in den Saal geführt, während wir mit Otto in einen Nebenraum kamen, wo nochmal alle Angaben auf der Heiratsurkunde überprüft wurden. Da war ich froh über den kleinen Rahmen der ganzen Hochzeit, denn es war heiß, es war schwül und Otto wurde langweilig. Jeweils einer hat Fragen beantwortet, während der andere Otto unter Kontrolle hielt, der rumrannte und Sachen von Wänden und Tischen zog. Schließlich versagte noch die geplante Musik auf Ellies Handy, aber zum Glück funktionierte Eloises Telefon. ("Portsmouth" von Mike Oldfield zum Anfang, die Titelmelodie von Star Trek bei den Unterschriften).
Der Rest der Zeremonie dauerte keine zehn Minuten. Wir in den Saal, Otto auf dem Arm, nach vorn zur Standesbeamtin. Die liest ihren Teil vor, dann sagen wir unsere Sätze auf. Ich kann mich gerade noch erinnern, dass ich Ellies Hand halten sollte und ich mir dachte, so fühlt sich dieser Moment also an. Wir mussten nämlich wieder Otto hin- und herreichen, dem das alles gar nicht gefiel.
Im Anschluss gingen wir alle in den Garten hinter dem Gebäude, um uns abzukühlen und ein paar Fotos zu machen. Aber sehr bald fuhren wir alle in einen Park nicht weit vom Meer, wo wir ein einfaches (aber sehr gutes) Picknick organisiert hatten. Otto war nicht davon abzuhalten sich direkt ins Essen zu setzen, sodass ich ihn irgendwann auf eine Fahrt im Kinderwagen genommen habe, damit die anderen sich unterhalten konnten. War alles sehr angenehm. Ich hatte mich an Anekdoten erinnert von Leuten die es im Nachhinein bereut hatten, ihre Hochzeit klein zu halten, aber ich bin wirklich froh, dass wir nicht mehr zu jonglieren hatten. Ich will aber auch festhalten, dass ich gerade abends wieder diese Wehmut spürte, dass soviele Menschen nicht dabei sein konnten.
Wir sind gegen 18 Uhr nach Hause gefahren, weil Otto ja ins Bett muss. Mit Amber haben wir noch einen ausgezeichneten schlechten Film über Hunde geguckt. Tat mir wieder leid, als sie am nächsten Tag wieder fahren musste. Früher waren Gäste haben und Gast sein so häufig. Nicht mehr.

Sonntag, 13. Juni 2021

Normales Leben

Drei Tage musste ich arbeiten, dann hatte ich wieder (fast) eine Woche frei. Einen Tag bin ich in ein neues Waldstück etwas nördlich von hier gefahren. Hat mir nicht so gefallen... irgendwie fühle ich mich im momentan schnell klaustrophobisch im Wald. Ich will weite Blicke. Vielleicht noch eine Reaktion auf ein Jahr in dem wir lange Zeit kaum aus dem Haus gekommen waren. Nichtsdestotrotz habe ich mir auf der Heimfahrt gedacht: wie normal ist das Leben wieder geworden, wenn ich einfach mal raus fahren kann wenn ich Lust habe.


Dementsprechend bin ich tags darauf noch einmal ein Stück des South Downs Weg gelaufen (genau gesagt vom Umweltzentrum zum Hügel Butser), den ich dieses Jahr bereits mehrmals gelaufen war, weil ich die Blicke und die Abwechslung so mag.  Der Frühling ist vorüber, die Blüte vorbei, der Sommer ist da. Die Sonne schien, die Lerchen sangen; ich hielt immer wieder an um in mein Naturbestimmungsbuch zu schauen. Es interessiert mich letztens immer mehr zu wissen, was ich um mich sehe. Ich war viel wandern die letzten Wochen und es ist gut sich Zeit lassen zu können, weil man eben mehr hat als nur ein paar Stunden.


Am letzten Tag meines Urlaubs bin ich, nachdem Otto bei der Tagesmutti abgeliefert worden war, zum Kanal in Chichester gefahren. Den Tag bin ich absichtlich langsam angegangen, mit Kaffee davor und danach. Ich war zu faul mein Kajak mitzubringen und habe mir stattdessen für zwei Stunden ein Ruderboot ausgeliehen mit dem ich langsam den Kanal hoch und wieder runtergefahren bin. Rudern macht mir richtig Spaß; eine sehr angenehme Bewegung. Ich habe es sehr genossen zu fahren und zu halten wie es mir beliebte, der Natur zuzugucken und -zuhören. Die Enten im Schilf, die Küken in ihren Nestern, die Vögel in den Bäumen darüber, den Wind im Gras. Noch ist Otto leider zu klein. Ich kann gar nicht abwarten ihn das erleben zu lassen. Nebenbei habe ich auch noch eine Hose für die Hochzeit gefunden, quasi in letzter Minute.


Zwei Tage darauf sind wir mit zwei weiteren Müttern und drei Kindern an den Strand gegangen. Otto schmeißt momentan sehr gerne Steine ins Wasser. Beim derzeitigen Wetter stelle ich mich dazu mit ihm auf dem Arm ins Wasser, wo er es nicht verfehlen kann. Ich hatte endlich Zeit zum Anbaden, zum ersten Mal seit dem letzten September, und zum zweiten Mal seit 2019. Und ich habe mir wieder gedacht, so fühlt sich normales Leben an.


Otto-Neuigkeiten:

  • Otto hat ein neues Wort gelernt: "nee nee nee". Das sage ich immer zu ihm, wenn er etwas Verbotenes macht. Meistens, wenn er irgendwelchen Müll auf dem Spielplatz aufhebt. Erst hatte er es wiederholt, inzwischen sagt er es schon im Voraus, wenn er vermutet, dass er etwas verbotenes tut. Er hat ja auch gelernt, dass unartig sein Spaß macht. Dementsprechend bedeutet Nee Nee Nee inzwischen einfach soviel wie "Plastikmüll auf der Erde"
  • Otto hat Ellies extrabreite Füße geerbt. Praktisch so breit wie lang. Wir waren letzens in einem Schuhgeschäft, die ihn vermaßen und dann tatsächlich weder im Lager, noch in der gesamten Kette auch nur ein passendes Paar fanden. Otto hat genau ein Paar Schuhe, keine Sandalen, und wird bald aus ihnen rauswachsen. 
  • Otto schläft momentan so gut, dass wir endlich wieder alle in einem Zimmer schlafen. Meistens schläft er die ganze Nacht durch. Dann braucht er eine Viertelstunde um wirklich wach zu werden, während wir alle kuscheln und es ist ganz wunderbar.
  • Seine Backenzähne machen weiter Probleme 
  • Er kann auf immer mehr Sachen raufsteigen. Auf dem Spielplatz klettert er von unten auf die Rutsche und steigt dann weiter hoch soweit er kann, ohne jegliches Risikobewusstsein.

Samstag, 5. Juni 2021

Seit einigen Wochen läuft Ellies Bauchtanzkurs wieder. Mittwoch abends bringe ich Otto daher allein ins Bett. Etwas Schiss hatte ich ursprünglich schon gehabt, aber es klappt richtig gut, und inzwischen mag ich das Gefühl sogar, das die Fürsorge ganz die meine ist. Es hilft, dass Otto momentan sehr Papa-bezogen ist. Immer wieder muss es "Dada" sein. Vermutlich nicht zuletzt, weil der ihn eher mal hochhebt und rumträgt.

Das Einschlafen ist dabei so eine Sache. Die vorigen Monate hatte ich meistens Ewigkeiten über seinem Bettchen gehangen und ihn immer wieder hingelegt, wenn er aufstand. Neulich hat er einige Abende lang eine richtige Party voranstaltet, ist sein Bettchen rauf und runter marschiert, hat alle seine Laute ausprobiert. Er brauchte dabei aber keinerlei Intervention mehr - irgendwann ist er umgekippt und eingeschlafen. Die letzten paar Tage ist es wieder anders: er pennt fast sofort ein, steht aber die nächste Stunde lang ab und zu wieder auf um sich zu vergewissern, ob der jeweilige Betreuer noch da ist. Sobald man ihm die Hand auf den Kopf legt, legt er sich wieder hin. Es dauert zwar genauso lang wie vorher, aber man muss weniger arbeiten.

Ein kleiner Einblick in unsere Gutenacht-Routine: Nach Ottos Gutenachtgeschichte singen wir ihm immer diese Lieder vor:

  • A dream is a wish your heart makes (Disney)
  • When your wish upon a star (Disney)
  • Schlaf Kindlein schlaf
  • Twinkle twinkle little star (klassisches englisches Kinderlied)

Die deutschen Lieder sind da in der Minderheit, aber wenn ich Otto ins Bett bringe, singe ich ihm da noch diese vor:

  • Kindlein mein
  • Guten Abend gut Nacht
  • Der Mond ist aufgegangen
  • Wer hat die schönsten Schäfchen
  • Weißt Du wieviel Sternlein stehen
  • Es schaukeln die Winde
  • Stille Nacht

Neulich haben wir erfahren, dass Otto Apfelmus liebt. Das gibt es hier drüben zwar nicht, aber ich hatte mal einige ungenießbare Äpfel eingekocht. Er ist richtig wild geworden und immer wieder in die Küche marschiert um auf den Kochtopf zu zeigen. Ich fand das ganz toll, das er etwas von mir selbstgemachtes so mag.

Ein Grund ist vielleicht, dass seine Backenzähne kommen. Alle auf einmal. Ich hatte die viel später erwartet und erhofft, weil die wohl die schwierigsten sind. Tatsächlich hat Otto ab und zu sichtbar Schmerzen, aber allgemein hält er sich wieder sehr tapfer.

Seine Mobilität steigert sich auch weiter. Inzwischen kann er nicht nur laufen sondern auch unbeholfen rennen. Auch klettert er auf niedrig gelegene Dinge wie Rutschen. Und letztens hat er angefangen, den Kinderwagen selbst zu schieben.

Mit dem Sommerwetter sehen wir, dass Ottos Haut eine genaue Mischung aus unserer ist. Nicht ganz so dunkel wie Ellies, bräunt sich aber viel schneller als meine. Bloß gut, denn dann wird er auch nicht so schnell Sonnenbrand kriegen wie ich.

Mittwoch, 2. Juni 2021

Otto ante Portas

Nachdem ich alleine in der Natur gewesen war, sind wir am Wochenende mehrmals zusammen raus gefahren. Es war ganz toll, Otto bei diesem Wetter die Natur zu zeigen. Insbesondere haben wir ihn wohl zum ersten Mal gezielt mit "Tieren" vertraut gemacht. Ich will nämlich nicht, dass er nur Autos, Hunde und Tauben kennt.

Samstag sind wir zum Freiluftmuseum "Butser" gefahren, am Fuß des Hügels mit der ehemaligen Windmühle, auf den ich am Vortag gestiegen war. Das Museum kennen wir schon seit vielen Jahren; es ist ein archäologisches Projekt, dass experimentell Gebäude und Agrartechniken aus Vor- und Frühgeschichte ausprobiert. Will heißen dort stehen verschiedene Hütten und Häuser, und dazu gibt es Schafe und Ziegen. Ich glaube Otto hat die zum ersten Mal bewusst wahrgenommen. Erst war es ihm etwas unheimlich, aber als er mitgekriegt hat, dass man die Streicheln kann, wurde er ganz wild. Wir haben das wirklich genossen. Die Landschaft, die Tiere, Otto. Und am besten ist: das ganze Gelände ist durch Zäune in viele Bereiche getrennt, wo ein Kind schlecht wegrennen kann. Die Jahresfamilienkarte ist gar nicht teuer.

Am nächsten Vormittag sind wir ins Umweltzentrum gefahren - das mit den Jurten. Da ist Otto auf dem Gras rumgerannt und ich habe ihm Blumen erklärt. Nachmittags sind wir auf den Hügel vor Portsmouth rauf. Da hatte ich bei unserem letzten Besuch, vor Monaten, entdeckt, dass ein Seitenweg an mehreren Pferdekoppeln vorbeiführt. Damals war er noch zu klein, aber diesmal hat er die Tiere schon von weitem erkannt und war total aufgeregt. Wir haben ihm gezeigt, wie man sie füttert, und weiter hinten haben wir noch zwei Shetland Ponys in seiner Größe gefunden. Ich hatte außerdem fast das Gefühl, dass Otto die Aussicht toll fand.

Montag war Feiertag und wir sind kurz in den Altstadthafen gefahren. Aber besonders schön war es Dienstag an der Hubertuskapelle. Wir hatten ja schon immer gedacht, dass das für ein Kind toll ist so richtig auf dem Land, auf der Wiese, mit Schmetterlingen und Vögeln. Und ich wollte Otto immer die Eisenbahn zeigen, die einige hundert Meter vor der Kapelle das Tal entlang fährt. Mich erinnerte das immer an den Pölchower Wald bei Rostock, wo mir als Kind das Huschen der Züge so magisch vorkam. Und tatsächlich war Otto jedes Mal baff, wenn ein Zug vorbeifuhr.

Insgesamt macht es Otto uns Ausflüge momentan richtig einfach. Lässt sich gern ins Auto setzen, freut sich wenn man ihn wieder rasuholt, bottet sofort los. Kein Zögern, kein Warten, los geht es in die Welt. Mich machen unsere Fahrten wirklich glücklich, weil Otto die Sachen so gerne annimmt, die wir ihm zeigen. Dass die Bilder wahr werden, die man immer für etwas zu optimistisch hielt. Es ist richtig toll, als Familie im Mai in die Natur zu fahren.