Montag, 25. Februar 2013

Da ich ab Freitag in Polen bin, möchte ich noch etwas aus den letzten Tagen hinterlassen. Nach einem Frühlingsanfang mit wunderschönen Blicken über das abends länger helle Meer herrscht jetzt die bisher größte Kälte des Winters. Als ich am Samstag neue, unplattbare Fahrradreifen aufgezogen habe, war ich nach zwei Stunden im Freien für den restlichen Tag erledigt.

Nach einer Woche in meiner neuen Arbeitsgruppe weiß ich jetzt etwas mehr über meine Aufgabe. Wir arbeiten an „Spezialprodukten“ aus der Volkszählung. Bisher hatte ich mit normalen Tabellen zu tun, die ein oder zwei Bevölkerungsmerkmale wie Gesundheitszustand oder Wohnungsgröße zusammenfassen. Das war für die normale Bevölkerung, die Presse und öffentliche Ämter gedacht. Richtige Wissenschafter brauchen aber mehr Details. Für die stellen wir jetzt ambitioniertere Datenbanken zusammen, die viele Kategorien gleichzeitig umfassen. So kann der Soziologe jetzt untersuchen, ob Leute aus bestimmten Industriebereichen ähnliche Gesundheitsprobleme haben, oder ob Besserverdiener die Innenstädte verlassen. Denn nicht nur geben wir mehr Daten preis, wir geben sie jetzt für Individuen an, nicht mehr für ganze Gruppen (z.B. alle Menschen in London). Damit wird natürlich potenziell der Datenschutz gefährdet – zwar werden Namen und Adressen gelöscht, aber sollte es in einem Dorf z.B. nur einen Muslimen geben, ließe sich der natürlich identifizieren und schon wüssten seine Nachbarn, was er verdient und ob er gesund ist. Darum stellen wir diese Daten in verschiedenen Detailstufen bereit, und je mehr Daten wir preisgeben, desto mehr Auflagen gibt es, Zugang zu erhalten. Die ganz privaten Daten z.B. bekommen nur echte Wissenschaftler, die richtig gefilzt werden und auch nur in unserem Sitz Zugang bekommen.
Ganz konkret arbeite ich an der Kodierung von Variablen. Das heißt, ich stelle Instruktionen zusammen, wie Antworten aus den Fragebögen zu Kategorien zusammengestellt werden. Welche Kategorien gebraucht werden, hat jemand anderes bereits entschieden, wir grübeln jetzt, wie die Daten möglichst einfach in diese Kategorien gesammelt werden können. Wollen wir wissen, wie weit jemand von seinem letzten zu seinem aktuellen Wohnsitz gezogen ist, schauen wir auf die Postleitzahl, leiten damit aus der PLZ Landkarte die Ortskoordinaten ab und ermitteln die Luftlinie über den Pythagoras. Zumindest machen das Kollegen so, ich wäre darauf nicht gekommen. Die Instruktionen gehen dann an die Computerfuzzies, die damit dann wohl die Datenbanken füttern und am Ende sollen die dann die erforderlichen Tabellen ausspucken.
Mit Kommentaren habe ich jetzt nichts mehr zu tun und auch unser altes Team geht langsam auseinander an neue Arbeitsorte. Meine Gruppe zieht im März eine Etage runter, wo viele junge Leute arbeiten. Aber die neue Aufgabe gefällt mir, weil wir eng mit Universitäten zusammen arbeiten und unsere Daten in einige Datenbanken gespeist werden, mit denen ich selbst als Student gearbeitet habe. Mit der neuen Aufgabe kommt auch eine neue Vorgesetztenstruktur, meine alte Chefin ist jetzt sowieso für ein Jahr auf einem Forschungsprojekt außer Haus.

Auf vielmalige Nachfrage führe ich die besten Zeiten (in deutscher Zeit) auf, um mich telefonisch zu erreichen. Das ist Wochentags nach der Arbeit, soweit der Abend nicht durch Aktivitäten belegt ist. Durch das Stechuhrsystem kann grundsätzlich auch auf der Arbeit sprechen, außer ich bin in Besprechungen. An Wochenende kann ich immer sprechen, nur kann ich gegebenenfalls nichts gleich abnehmen, sollte ich auf Reisen sein.

Montag/Dienstag ab 19 Uhr.
Mittwoch ist der schlechteste Tag, wenn dann bin ich 20.45-22.00 Uhr verfügbar, wenn ich mit der Chorleitung in den Pub gehe. Danach gehe ich tanzen.
Donnerstag 19-20.30 Uhr, danach habe ich Tanzstunde.
Freitag 19-20.30, danach habe ich Tangostunde.

In Polen bin ich evtl. nicht erreichbar, da meine alte polnische Nummer ausgelaufen ist und ich mir wohl eine neue holen werde.

Montag, 18. Februar 2013

Birmingham


Zweieinhalb lange Monate hat es leider gedauert, bis ich meine zauberhaft Kalina wiedersehen konnte. Und nur ein kurzes Wochenende hatten wir! Auch mit einigen extra einstudierten neuen Salsaschritten im Kopf, dem Dreispitz darüber (die Haare waren leider nicht so weit nachgewachsen wie geplant, Kalina warn von Anfang an gegen die Kürzung) und dem ebenso neuen Gehstock (eigentlich ein umgedrehter Golfschläger) in der Hand kaum genug Zeit, um sich auf den neuesten Stand im gegenseitigen Leben zu bringen. Versucht haben wir es mit aller Macht. In Anbetracht der neuesten kulinarischen Experimente haben wir Samstag morgen die Markthallen erforscht und daraus später eine Makrele zum Abendbrot geholt. Zum Mittag hat mich Kalina in ein sehr gutes portugiesisches Café geführt. Im Museum des alten Juwelierviertels waren wir, was mit seinen leeren Backsteinbauten und Ahnungen aus größeren Zeiten eine Erinnerung an Lodz heraufbeschwor, wären die Straßen nicht immer noch so still und resigniert.

Der Höhepunkt war ein großer Masken-Salsaball in der großen Halle der größten der städtischen Universitäten. Vier Stunden haben wir getanzt, und nach ausgiebigen Vergleichsstudien konnte ich wieder bestätigen, dass niemand so leicht durch die Luft gleitet wie Kalina.

Wie meine sonst so gerne langschlafende Tanzfee morgens um zehn ausgangsbereit war, ist mir ein Rätsel. Ich selbst habe es nur geschafft, weil ich eine Woche vorher akzeptieren musste, dass ich einfach mehr Schlaf brauche und ausgeruhter war. Aber vielleicht lag es auch daran, dass wir den weltbesten Plan für gutes Wetter hatte, nämlich den Zoo. Das war umso besser, da auch Kalina noch nicht da gewesen war, ebenso wie ihre von mir ebenfalls hochverehrte Schwester Gergana, die sich netterweise anschloss. Und was für ein schöner Spaziergang mit Sonnenschein, vielen Kindern und zwei Meerschweinchen, die schwer mit frischem Frühlingsgras beschäftigt waren. Und ganz zum Schluss liefen wir noch an den stillen Kanälen der Innenstadt, zur alljährlichen Osterglockenzeit. Ein viel zu kurzes Wochenende – ich kann nur hoffen, dass der geplante Ausflug nach York zustande kommt.


Die zwei modischsten Mädchen auf den Straßen Birminghams.


Im Juweliersviertel.

So einen Knauf für meinen Gehstock!

Sowas gef'ällt mir.

Reich und schön



Ausgehbereit
Heimgehbereit.



Ich war interessant, weil meine Hand kurz vorher noch einen Apfel gehalten hatte.

Freitag, 8. Februar 2013

03.02.2013 – Drei Spitzen und sieben Schwestern

Ein Wochenende nach dem gemeinsamen Ausflug nach Winchester hatten wir uns in noch größerer Besetzung zum Besuch der Sieben Schwestern verabredet. Das ist ein Naturpark um eine Formation von sieben weißen Kreideklippen am Meer östlich von Brighton. In Brighton selbst war ich das letzte Mal im Herbst mit Monika und einigen Gästen gewesen.
Mathieu und ich wurden von Carla abgeholt, einer Portugiesin aus dem Ort Swindon nordwestlich von Southampton. Das Pärchen aus Southampton, mit dem wir letzte Woche unterwegs gewesen waren, trafen wir in Brighton. Der Samstagmorgen war sonnig und ich nahm meinen Dreispitz auf seinen ersten großen Einsatz. Nach einem Mittagessen aus Fish and Chips an der windig kalten Küstenstraße erreichten wir die Sieben Schwestern relativ spät und kamen über schlammige Wege erst kurz vor Sonnenuntergang an den Strand. Das war aber schöne Abendstille zwischen zwei Hügeln und Vogelbrutgewässern und erinnerte mich an die Ostsee, als der Weg einen immer näher an das Rauschen der Brandung führte. Wie bereits früher bemerkt wirkt das Meer bei Brighton viel größer, weil der Blick zum Horizont nicht von der Isle of Wight begrenzt wird.

Bei Dunkelheit gingen wir zurück in Brighton mit einer portugiesischen Freundin Carlas in ein kleines Konzert und anschließend durch ein, zwei Pubs und nach Mitternacht ganz kurz tanzen mit einigen gruseligen Gestalten zu den Hits der 80ern.

Einige der Schwestern im Hintergrund.
Kurz vorher hatte die Sonne die Klippen noch strahlend weiß gemacht.

Brighton ist in Sachen Nachtleben Portsmouth ganze Dimensionen voraus, sein Ruf zieht Unmengen Nachtschwärmer aus dem nahen London zu Spaß am Meer. Auch lässt sich der Ruf als hippes Pflaster nicht bestreiten. In den dekorativ und musikalisch tollen Kneipen hielt nur Platzmangel mein Tanzbein still und ich habe zum ersten Mal gut angezogene Engländerinnen gesehen, was ich ihnen auch gerne gesagt habe. Andererseits habe ich auf dem Weg nach Hause auch die bisher schlimmsten Exzesse an systematischer Selbstzerstörung gesehen, und leider bewohnten einige davon die Nebenzimmer unseres Hostels.
Am diesigen Sonntag suchten wir uns ein spätes Frühstück in den bunten Straßen des Hippieviertels und den „Gassen“, dem zentralen Gelände für Besucher mit Läden und Gastronomie. Auf der Rückfahrt nach Portsmouth hielten wir auf mein Betreiben noch in Arundel an, einer kleinen Stadt, deren massive Burg und katholische (!) Kathedrale Monika und mir seinerzeit von der Autobahn ins Auge gefallen war. Nach diesem Wochenende mit lauter Leuten in meinem Alter konnte mich zum ersten Mal seit meiner Ankunft hier betrachten und für fast ausgeglichen empfinden. Mitte Februar besuche ich wieder Kalina zu einem Maskenball, weshalb ich mir das vorhergehende Wochenende kategorisch zur Erholung freigehalten habe.

In den wenigen freien Momenten allein habe ich Riekes Weihnachtsgeschenk ausgelesen. Interessanterweise wurde das gleich von einer Art verspätetem Geschenk in einem geheimnisvollen Paket ersetzt. Über die Feiertage hatte ich mich in Templin mit Friedemanns gläubiger Schwester über Existenz und Natur der Hölle unterhalten. Das hat sie scheinbar zum Anlass genommen, mit Informationsmaterial aus ihrer Gemeinde zukommen zu lassen.