Dienstag, 1. August 2023

Zum Thema Weniger Panik: letzten Freitag stellten die Hebammen fest, dass Sebastian nicht zunimmt. Nicht ab, aber auch nicht zu. Wir versuchten rational zu bleiben. Aber wider besseren Wissens und Wollens kommen sofort die schlimmsten Bilder ins Bewusstsein. Ist Sebastian letztens nicht tatsächlich lethargisch? Ist er zu schwach mehr zu tun? Ist Bekannten ihr erstes Kind in den ersten Wochen nicht fast verhungert, ohne das jemand Alarm geschlagen hätte? Wie sehr man sich auch wehrt, die Stimmung ist sofort im Arsch; man denkt an nichts anderes.
Also rufen wir Samstag im Krankenhaus an, auch wenn man dort eigentlich nicht mehr zuständig ist. Und sie lassen uns tatsächlich kommen. Ich setze Ellie morgen ab und fahre mit Otto weiter zu den Pferden auf dem Hügel hinter dem Krankenhaus. Erwarte, dass ich sie bald wieder abhole. Aber nein, man behält sie nachts da; tatsächlich kriegt Sebastian nicht genug und jetzt muss Ellie alles drei auf einmal machen, Bruststillen, Pumpen und Flasche, die Sebastian aber nicht will. Von wegen Stillen funktioniert. Innerhalb eines Tages sind wir halb wieder da, wo wir mit Otto gewesen waren. Angst, Stress und Schuften. Denn in der Zeit habe ich Otto allein, der natürlich merkt, dass irgendwas nicht stimmt und wieder schwierig wird. Und das Haus versinkt im Dreck. Und Ellie wird um die Tage betrogen, an denen sie Otto endlich mehr sehen wollte.
Ich hatte es ja gesagt: das erste Jahr kann mir gestohlen bleiben.


Das hatte ich am Abend dieses Tages geschrieben. Danach geschah dann das:
  • Ellie blieb noch eine Nacht im Krankenhaus
  • alles dauerte ewig
  • Ellie wurde wütend und bekam dafür noch Besuch vom Psychologischen Dienst, was alles noch weiter rauszögerte.
  • erst Montag abend konnten wir sie abholen, weil man 6 Stunde für Formulare brauchte
  • seitdem wurden wir von zwei anderen Beratern besucht die den ganzen Krankenhausbesuch für unnötig halten
  • wir waren beide vollkommen erschöpft
  • ... und am nächsten Tag ging für mich die Arbeit wieder los und Ellie sollte irgendwie Baby und Otto jonglieren

Zum Glück kamen kurzfristig Ellies Vater samt Frau und haben geputzt gekocht und Otto bespaßt. Eine Woche später besuchten sie uns nochmal.

Inzwischen arbeite ich wieder. Ich habe Otto nur noch am Wochenende, das haut dann aber auch richtig rein bei mir. Die Kita Tage sind am leichtesten. Montag und Dienstag werden jetzt die schwersten Tage, wenn Ellie beide Kinder alleine jonglieren muss.

Sebastian Nachrichten

  • hängt nur noch an der Brust; Ellie kann sich nur mit Mühe bewegen und leidet zunehmend darunter, dass sie Otto kaum betreuen kann.

Otto Nachrichten

  • ich arbeitete sehr hart an Ottos Unterhaltung. Unter anderem sind wir im Zug nach Chichester und dort das erste Mal mit dem Ruderboot gefahren. Otto war ganz begeistert und hat sich größtenteils an meine Sicherheitshinweise gehalten, vermutlich ich ihn dann an die Brombeerbüsche am anderen Ufer ranfuhr.
  • so stressig das Wochenende als solches war, so war das Rudern doch eine willkommene Vision der Zukunft
  • Otto braucht Sport. Wird ein bisschen dick. kürzlich hatten wir Ottos Gymnastik Stunden aufgegeben. Dann haben ihn Leichtathletik probieren lassen. Hat ihn auch nicht lange interessiert. Schade, das fand an schöner Stelle statt. Ganz ehrlich mache ich mir inzwischen Sorgen, wieviel weniger Konzentration als andere Kinder in dem Alter er zeigt. Und ich bin ein bisschen deprimiert, dass Ellie ihn mit links überredet mitzumachen und ich schaffe es gar nicht
  • irgendwas soziales entwickelt sich bei ihm. Das merkte man an seinem Verhalten, als Ellie im Krankenhaus war. Und als wir sie endlich abholen konnten, wollte er erst nicht hinfahren, sehr wahrscheinlich weil er schon am Vortag enttäuscht worden war, als wir auch dachten, dass sie nach Hause käme. Und jetzt hängt er spürbar an ihr. Aber er war auch traurig, als seine Grosseltern wieder nach Hause gefahren sind. Da wollte er sich gar nicht verabschieden.
  • er reagiert auch zunehmend negativ darauf, dass seine Eltern sich nicht mehr vollständig um ihn kümmern können
  • seine Geräuschempfindlichkeit nimmt weiter zu. Er hält sich immer häufiger die Ohren zu, selbst, wenn er ein Geräusch nur erwartet.

Johannes Nachrichten

  • Wohlbefinden: meine Nerven wurden letztens mitgenommen. Und ich bin körperlich erschöpft und fühle mich gleichzeitig schlecht, dass Ellie am wenigsten schläft
  • Ottos derzeitige Phase fällt mir schwer. Tagsüber sehe ich keine Wahl als bestimmte Verhaltensregeln durchzusetzen. Das ist mental und physisch anstrengend und frustriert. Wenn Otto dann endlich friedlich im Bett schläft hinterfrage ich mich trotzdem jedes Mal. Frust, Schuld und Angst, das ist Eltern sein.


Abrissbirne auf einer Party

Sebastian wird angemeldet

das erste Mal Rudern

wir haben einen grossen Satz Eisenbahnen und Lego uebernommen



Mittwoch, 12. Juli 2023

Geburtstage

Sebastians Geburtstag

Sebastians Geburt verlief so. Morgens stellte Ellie erste Wehen fest; wahrscheinlich hatten sie schon im Schlaf eingesetzt. Ich habe Otto den Vormittag  über unterhalten. Am frühen Nachmittag brachte ich ihn zu unserer Freundin Raquel; zum Glück war er darüber sehr erfreut. Zurück zu Hause saß Ellie bereits in der Badewanne. Ich dachte an den gleichen Moment beim letzten Mal, als wir keine Ahnung hatten wann wir los sollten und am Ende fast zu spät kamen. Wir wollten dieses Mal auf Nummer sicher gehen - und es wurde noch knapper. Wir fuhren, so dachten wir, früher los als damals, aber im Auto eskalierten die Wehen. Die Fahrt war der Horror. Autoschlangen, rote Ampeln, und neben mir schrie Ellie immer lauter. Ich musste am Krankenhaus wieder einen Rollstuhl holen. Hab an der Rezeption gesagt meine Frau gebiert gerade auf dem Parkplatz. Da meinte ich es noch als nützliche Übertreibung. Als ich zurückrannte, hörte ich Ellie schon von weitem schreien und mehrere Leute standen besorgt ums Auto herum bis endlich eine Truppe von der Geburtenstation angerannt kam. Und als sie endlich auf dem Tisch lag war das Baby nach 20 Minuten da. Otto hatte noch 45 gebraucht. Diesmal habe ich fast geheult als der Kopf plötzlich rausguckte und zwei Sekunden später alles vorbei war. Weniger aus Glück als aus Erleichterung und Unglauben. Man denkt doch wirklich man spinnt. Wirklich positiv war, dass Sebastian sofort an der Brust zu stillen schien.

Ich bin heilfroh, das nicht nochmal mitzumachen. Schwangerschaft macht mir keinen Spaß. Geburt ist eine einsame Scheiße wenn im Auto vor einer roten Ampel wartet.

Ellie blieb wieder eine Nacht im Krankenhaus. Ich war keine sechs Stunden dort; halb zehn löste ich Raquel wieder ab, die Otto in der Zwischenzeit zu uns nach Hause und ins Bett gebracht hatte. Er hatte einen wunderschönen Nachmittag erlebt, Raquels Kinder von der Schule abgeholt und dort alle deren Freunde kennen gelernt.
Am nächsten Tag beschäftige ich Otto, bis wir Ellie und Sebastian abholen konnten. Wir sind mit Bus und Bahn nach Fareham und zurück gefahren. Erst am Nachmittag konnten wir endlich ins Krankenhaus. Otto war glücklich seinen Bruder zu sehen, kuschelte und küsste ihn.

Johannes Geburtstag


Zu meinem Geburtstag konnten und wollten wir nur etwas sehr einfaches machen. Ich hatte Ellie erzählt, wie ich mit 20 auf meinem Auslandsjahr auf Gibside Mittagsschlaf auf einer Wiese gemacht hatte. Und ich mag Bäume. Also sind wir (Otto war in der Kita) in einen Park nördlich von Havant gefahren und haben im Schatten unter einem Lindenbaum gesessen.
Geschenke:
  • Oma hat ein ganzes Fotoalbum von meiner Geburt bis heute zusammengestellt und zu mir geschickt
  • Mutti hat einen kalten Hund gemacht, eine gute Kindertradition auch für Otto. Im Englischen ist er laut Wikipedia als Hedgehog Slice (Igelschnitte) bekannt, aber die Briten hier kennen ihn nicht. Vielleicht nur im amerikanischen Raum.
  • Otto mag auch Rhabarbersaft








Montag, 10. Juli 2023

LKW und Eisenbahn

Nach zwei Wochen mit Sebastian lässt sich folgendes sagen
  • Bisher ist unsere Erfahrung mit Sebastian ganz anders als mit Otto. Vor allen Dingen schlafe ich in Ottos Zimmer richtig gut. Ich weiss nicht, wie es Ellie wirklich geht, aber sie sagt, dass sie genug Schlaf bekommt.  Allgemein herrscht weniger Panik. Und man hat Zugriff auf mehr Unterstützung sowie soziale Kontakte.
  • es hat sich eine klare Arbeitsteilung herausgeschält: Ellie kümmert sich um Sebastian und ich mich um Otto (und den Haushalt). Ich rolle morgens aus dem Bett und bereite so viel wie möglich vor, während Otto nebenan Sebastian besucht. Und abends mache ich sauber bis ich schlafen gehe.
  • An manchen Tagen fühlt man sich wie von einem LKW überfahren. Mir fehlen Ellies 3 Jahre Erfahrung im Umgang mit Otto. Ohne ihr Gespür und ihre Kniffe schlaucht mich ein ganzer Tag mit ihm absolut.
  • Andere Tage mit ihm machen richtig Spaß. Zum Beispiel wenn wir viel Bus und Zug fahren. Wir haben Picknicks am Strand ausprobiert, Vater und Sohn. Inzwischen machen wir das auch nach der Kita alle vier zusammen in einem Park.
  • Ottos Kita-Tage dagegen sind geradezu Urlaub. Sebastian trinkt oder schläft, und ohne Otto habe ich richtige freie Zeit. Noch habe ich eine Woche Elternurlaub.
  • Ellie leidet darunter, dass sie viel weniger Zeit mit Otto verbringt
  • Heute habe ich auf dem Spielplatz mit einem britisch-spanischen Elternpaar geredet, die 9 Jahre in Deutschland gelebt hatten. Sie sagen, dort hätte ich 3 Monate Urlaub statt 3 Wochen.
  • Das Wetter ist dieses Jahr gottseidank relativ kühl und bisher ohne Hitzewellen

Sebastian Nachrichten
  • bisher funktioniert das Bruststillen
  • er schreit bisher nicht so viel wie Otto damals. Und wenn dann wirklich nur weil er Hunger hat oder neue Windeln bekommt.
  • Und wenn er müde ist - dann schläft er.
  • Namen: werden am 26 Juli auf dem Meldeamt endgültig. Sebastian ist sicher; ich suche noch eine gute Kurzform. Zweitname vielleicht Leopold.

Otto Nachrichten
Wir vermuten, dass Sebastians Geburt an manchen Tagen trotz allem eine anstrengende Erfahrung für Otto ist. Allerdings waren die schwierigsten Aspekte seines derzeitigen Verhaltens schon seit einigen Monaten sichtbar.
Otto untersucht seit vielen Wochen das Konzept "unartig sein". Fragt wieder und wieder was passiert wenn man im Parkverbot hält. Und er provoziert zum ersten Mal auch absichtlich. Ich hatte ein paar richtige schwierige Momente mit ihm, die mich dann auch lange beschäftigen und erschöpfen. Akut will man bestimmte Verhaltensregeln durchsetzen. Egal wie man die Situation dann abends im Rückblick bewertet fühle ich mich dann immer schlecht. Momentan ist unsere Theorie, dass es für ihn doch alles ziemlich viel ist, und vielleicht parallel dazu irgendeine soziale Entwicklungsphase in seinem kleinen Kopf läuft. Zum Beispiel ist er bei Besuch schneller aus dem Häuschen, und kann mit Planänderungen schlechter umgehen. Ich versuche ihm immer eine Extraportion Liebe und auch Sicherheit zu geben. Das scheint ganz gut zu funktionieren.

Seine Einschätzung durch die Gesundheitsberatering in der Kita hat nichts zu Tage gefördert.

Eisenbahnen sind weiterhin der Hit. Freunde haben uns ihre alte Holzeisenbahn überlassen. Dazu eine Kiste Lego Duplo - Otto spielt jetzt offiziell mit Lego!

Wir lesen ihm viel vor. Neulich haben wir in der Bibliothek eine Packung kleiner Bücher von Thomas der kleinen Lokomotive gekauft. Die lese ich ihm jetzt jeden Abend im Bett vor. Und danach singe ich ihm zum ersten Mal seit ganz langer Zeit wieder Schlaflieder vor.


Johannes Nachrichten
  • geistige Gesundheit: geht ganz gut. Auf jeden Fall besser als zum gleichen Zeitpunkt mit Otto. Manchmal überwältigt einen der Arbeitsaufwand und die Frage, was dann noch für die weitere Familie bleiben wird. Andererseits freut mich Ottos Entwicklung.
  • Ich habe Stephan Lehnstaeds Buch Der Vergessene Sieg ausgelesen. Ich habe ihm per Email gesagt, dass ich es ganz toll finde und er hat mir sogar kurz geantwortet.
  • analog dazu habe ich Timothy Snyders Vorlesungen zur Geschichte der Ukraine fertig gehört. Im letzten Teil entwickelt er eine interessante These, nämlich das Deutschland nach dem Krieg lange nur mit der Sowjetunion reden konnte, und die ganzen anderen Länder unter der Glocke nur als Anhängsel der Russen wahrnahm.
  • grundsätzlich kehre ich jetzt zurück zum Buch über Honeckers Jugend. Aber entsprechend meinen derzeitigen Umständen lese ich auch ein kurzes Buch über den Harz. Sehr kurze Texte, bunt und fröhlich. Passt momentan perfekt.

Mittwoch, 28. Juni 2023

Wir warten nur noch ab. Machen immer weniger. Ellie ist groß und schwer und sitzt meistens auf dem Klo. Ich war überzeugt gewesen, dass Baby viel früher kommt. Ich bin weiter jeden Tag überzeugt, dass es morgen kommen muss.

Kürzlich haben Ellie und ich beide einen großen Schreck bekommen. Ich will das aufzeichnen, weil das Elternhirn die Erinnerung wahrscheinlich säubern wird. Ich wollte Otto abends von der Kita abholen, als man mich ins Büro bat. Herz sofort im Magen. Aufgrund einiger Verhaltensweisen Ottos schlugen sie vor, einen Gesundheitsberater kommen zu lassen um vielleicht über eine Überweisung an einen Kinderarzt zu entscheiden. Zu Hause las Ellie die Beobachtungen und war sofort überzeugt, dass die Betreuer insgeheim Autismus meinten und uns nicht die Wahrheit erzählten. Wir hatten ein schwieriges Gespräch. Ich wollte rational sein. Nicht einer von diesen Eltern sein. Aber nolens volens ist man erschrocken und dann kommen irgendwann über die Nacht die Zweifel. Und obwohl wir bis dahin mit der Kita und den Betreuern explizit zufrieden waren, war man von einer Minute auf die andere bereit ihnen etwas zu unterstellen. So geht das.
Stattdessen ging Ellie einen Tag später selbst zu Kita und beobachtete Otto. Anschließend nahmen sich die Leute noch eine halbe Stunde und erklärten, dass sie das mit vielen Kindern machen, schon bei minderen Indikationen, weil es besser ist früh nichts zu finden als etwas zu spät. Genau was ich mir zwei Tage zuvor selbst gesagt hatte. Jetzt sind wir wieder beruhigt und überzeugt, dass Otto gerne in der Kita ist. Aber wie leicht ein Quatschgedanke Monate guter Erfahrungen überwiegt.

Otto Nachrichten

Otto wächst wieder. Vor Kurzem hatte er einen kleinen Bauch. Der ist jetzt plötzlich weg.

Johannes Nachrichten

Ich denke ich sollte regelmäßig schreiben, wie es mir geht. In letzter Zeit spürte ich, dass ich Schiss habe. Auch beim zweiten Mal. Ich flüchte mich abends zunehmend in Zerstreuung, wo ich sonst versucht hätte nach der Arbeit noch etwas zu schaffen. Aus dem Gefuehl, dass man es morgen vielleicht nicht mehr machen kann. Fernsehen, Computerspiele, solange es bunt ist. Wie letztes Mal, nur schon vor der Geburt.

An Kitatagen trinke ich morgens auf dem Weg nach Hause einen Tee im Park und gucke Bäume an. Bäume sind gut. Insgesamt scheint aber auch hier wieder vor allem Schlaf der größte Einzelfaktor meines Befindens zu sein.

Ich lese jetzt zwei neue Bücher, die ich vor einiger Zeit als Leseprobe hatte.

Eins über die erste Hälfte von Erich Honeckers Leben, bis 1945. Ich glaube mich interessiert, welche Art Mensche in welchem System Karriere macht, seit ich das bei mir auf der Arbeit beobachten kann. Außerdem die Lebensumstände in der Jugend meiner eigenen Großeltern. Ich hatte mir vor einiger Zeit eine Leseprobe dieses Buches geholt, wie auch einer Biographie über Herbert Wehner als einer Person die ursprünglich eine ähnliche Laufbahn nahm und später im anderen System erfolgreich war. Biographien interessieren mich erst seitdem ich selber älter werde, aber dann eben zunehmend.

Das andere handelt vom Polnisch-Sowjetischen Krieg 1920. War mir aus meiner Zeit in Polen bekannt, aber ich war ueberrascht, als ich es vor einigen Jahren in einer Rostocker Thalia sah. Mittelosteuropa wird in deutschen Buchhandlungen fast ausschliesslich aus russischer Sicht geschrieben, von Leuten die frueher da studierten oder viel zu lange Korrespondenten waren. Der Autor war zur Abwechslung in Polen.


Montag, 12. Juni 2023

Abwarten

Man lebt von Tag zu Tag. Macht keine Wochenendspläne mehr. Einerseits bin ich froh über jeden "normalen" Tag. In den letzten Wochen übernehme ich immer mehr Arbeit um Haus und Kind, je weniger Ellie machen kann. Jede freie Minute bereitet man vor, bis man ins Bett kippt und trotzdem ist noch soviel zu tun und mehr kommt hinzu. Bin ich mal einen Tag krank schlägt sofort die Arithmetik der nötigen und der freien Hände zu.

Schon vor einigen Wochen mussten wir uns zum Beispiel plötzlich ein neues Auto kaufen. Das hatte Ellie aus Platzgründen schon länger vor, und dann war wieder was mit der Bremse, und wir brauchen ja ein funktionierendes Auto um zu gegebener Zeit zum Krankenhaus zu kommen. Mir wurde klar, dass wir das nicht so schleifen lassen können wie praktisch alle anderen Aufgaben, die Monate benötigen, weil nie Zeit ist. Also haben wir das an einem einzigen Urlaubstag durchgezogen. Das hatte eigentlich unser zweiter Versuch für einen gemeinsamen Tag sein sollen (der erste war mal wieder wegen Kinderkrankheit verschoben worden), aber es gab keine Alternative. Also haben wir einen gebrauchten Nissan Note; das Leasen eines Neuwagens hatte sich nach einer Sekunde Recherche als zu teuer erwiesen.

Es ist plötzlich Sommer geworden. Wegen der Luftfeuchtigkeit schon bei 22 Grad zu heiß für mich. Im März noch saß ich mit Jacke am Schreibtisch, jetzt generell oben ohne. Ich hatte nach dem relativ kühlen Jahr bisher gehofft, dass uns wenigstens diesen Sommer die Hitzewellen erspart bleiben, wenn das Baby kommt.

Otto Nachrichten

Züge sind momentan wieder groß angesagt. Auf Modellzügen im Park oder mit Spielzeugbahnen im Kulturhaus. Und letztens habe ich ein tolles neues Ausflugskonzept entdeckt, wo wir im Bus zum Bahnhof und dann mit dem Zug zu nahen Orten wie dem Hafen und wieder zurück fahren. Relativ billig, relativ wenig anstrengend, und ich bekam Schiffe zu sehen. Otto ist immer aus dem Häuschen, und ich fühle mich als guter Vater.

Otto durfte einige Tage lang die Mäuse von Freunden betreuen.

Otto probiert jeden Montag Gymnastik aus.

Baby Nachrichten

ein ganzes Jahr Gespräche und keinen Name gefunden

Johannes Nachrichten

Ich bin mental und körperlich erschöpft. Dünnhäutig. Kann schlecht mit unerwarteten Problemen umgehen. Werde schneller von bestimmten Gedanken und Gefühlen übermannt als sonst. Kann mich schlecht entspannen, weil ich immer denke irgendwas muss ich doch gerade dringend machen.

Ich arbeite langsam am Puzzle von Warnemünde. Das hilft.

Einen Nachmittag bin ich in den South Downs wandern gegangen, vom Umweltzentrum zum Hügel Butser.

Lektüre: ich habe von Dohnanyis Buch bis auf weiteres aufgegeben. Stattdessen lese ich ein Buch darüber, was mir Bäume und Pflanzen über die Umgebung verraten.

Am Hafen

Gymnastiker

Bahnhof


Mittwoch, 17. Mai 2023

Otto die kleine Lokomotive

Heute sind wir mit Otto zu Thomas der kleinen Lokomotive gefahren. Thomas the Tank Engine, ist in anglophonen Ländern ein großes Ding. Er geht zurück auf Kinderbücher, ab 1945 von einem Pfarrer geschrieben. Erst 1984 wurden Trickfilme produziert (sehr liebenswert, und gelesen von Ringo Starr). Seitdem muss die große Popularisierung begonnen haben; jedenfalls ist das heutzutage die klassische Kindheitserfahrung vieler Leute hier. Während man Filme und Bücher problemlos bekommt, fand ich die Originale interessanterweise nirgends in den üblichen Bezugsquellen.

Nun gibt es die Wasserkresse-Linie, eine regionale Traditionsbahn, die etwa 45 Minuten Autofahrt von hier vier Bahnhöfe betreibt. War mir vor Kind immer zu weit und etwas zu teuer gewesen. Aber bekanntlich entdeckte oder entwickelte ich im Stress von Ottos ersten Monaten eine starke Nostalgie für Dampfzüge und wahrscheinlich generell "die gute alte Zeit"; potenziell aufgrund von Erinnerungen an die Harzquerbahn. Die Traditionsbahn von Tenterden im letzten Jahr konnte ich krankheitsbedingt nicht nutzen.

Aber nun verantstaltete die Wasserkresse-Linie einen "Tag mit Thomas" am Bahnhof von Ropley. Wir waren sehr positiv überrascht. Erwartet hatte ich einen überlaufenen Ort voll ausgeregter Kinder und gestresster Eltern. Stattdessen gab es genug Platz und sogar beschattete Wiesen zum Ausruhen und Picknicken. Die Hauptattraktion war Lokomotive Thomas selbst, der kurze Strecken hin- und wieder zurück fuhr. Das war für die Kleinen besser als die einstündige Fahrt in Tenterden, die für Otto damals einfach langweilig war. Diesmal sind wir gleich dreimal mitgefahren. Otto ist vor Aufregung auf den altmodischen Polstersitzen auf und ab gehüpft.

Mir hat das Ambiente auch persönlich richtig gefallen. Wir hatten auch großartiges Wetter dazu. Blauer Himmel und draußen zogen Weizenfelder und Koppeln mit Tieren vorbei. Die Strecke zieht sich einen Hügelkamm entlang, wodurch man auch einen ganz tollen Ausblick hatte. Thomas fuhr nur einen kleinen Teil und ich würde gerne mal die ganze Strecke abfahren. So richtig schön mit gepackten Stullen und einer Thermosflasche. Otto meinte abends im Bett, dass er mich dazu einlädt, wenn er groß ist.

Aber auch abseits von Thomas hat mir das ganze Spaß gemacht. Direkt neben der Hauptstrecke ist eine kleinen Modellbahn, mit der wir auch noch zweimal gefahren sind. Es ist wirklich erfüllend, Otto Freude zu bereiten. Wenn auch kumulativ teuer. Lange Zeit wusste ich, dass es keinen Sinn macht, viel Geld für ihn auszugeben, weil er vieles sowieso noch nicht versteht. Aber das ändert sich nun.
Schließlich habe ich mir, für mich selbst, eins der originalen Bücher gekauft, am Souvenirstand an dem ich Otto eigentlich vorbeischleusen wollte, weil Souvenirs ja schließlich frivol sind.
Auf dem Bahnhofsgelände ist auch unabhängig von Sonderveranstaltungen viel zu sehen. Zum Beispiel würde ich gerne mal in die Werkstatt gehen, wo man wohl von einer Gallerie aus Reparaturen beobachten kann. Und weiter hinten stehen noch diverse historische Lokomotiven. Hätte man die Zeit, würde man einfach nochmal hinfahren. Die Fahrt selbst war übrigens auch wunderbar, durch die South Downs im schönen Monat Mai.


Otto Nachrichten

  • Otto hat sein eigenes Bett sehr viel schneller angenommen als erwartet oder wirklich gewünscht. Nach so lange Zeit schlafen wir jetzt praktisch gar nicht mehr mit ihm im gleichen Bett und zunehmend nicht mal mehr im gleichen Zimmer. Wie so vieles war das erst schön als es nicht mehr nötig war.
  • ... aber bald werde ich wieder jede Nacht bei ihm sein, wenn sein Bruder das Schlafzimmer unbewohnbar machen wird
  • Vater sein macht immer mehr Spaß weil ich Sachen erklären kann. Zum Beispiel war er bei zwei Gymnastik Stunden. Interessiert sich, wie erwartet, kein bisschen für Anweisungen. Aber zu meiner Überraschung lernt er doch und zeigt bestimmte Routinen auch zu Hause. Letztens hat er die Rolle vorwärts gelernt.
  • Otto sagt uns jetzt, dass er uns lieb hat und zeigt es auch, teils als Kuss teils als Sabber
  • lässt sich weiter sehr gerne vorlesen

Johannes Nachrichten

  • Mein französisches Puzzle ist fertig. Jetzt  fange ich das von Warnemünde nochmal an.
  • Wir sind mental im Endspurt der Schwangerschaft angekommen. Lange Zeit war sie mir überhaupt nicht so präsent wie bei Otto, weil man einfach soviel mehr zu tun hat als damals. Aber jetzt hören wir langsam auf Pläne für die kommenden Wochen zu machen und treten uns in den Hintern, dass soviele Reparaturen immer noch nicht gemacht sind.




Eine Woche vorher im Park von Haus Stansted: Waggon Otto schiebt Lokomotive Mami

Die Ottolok auf Schmalspur im Park Stansted

Eis vor Haus Stansted

auch der Strand blüht. Und Otto ist auf seinem Roller nur noch im Laufschritt zu folgen


Sonntag, 14. Mai 2023

Die Krönung

Straßen und Häuser waren geschmückt, nur fiel zur Krönung starker Regen. Hilft nichts, einer muss mit Otto zum Austoben raus in den Park. Ich habe daher wenig von der Übertragung mitbekommen. Viele der Straßenfeste an diesem Tag waren wohl abgesagt oder in die Häuser verlegt worden. Wir fanden aber tatsächlich noch eine, wo Otto mit fremdem Spielzeug spielte und wir gratis Häppchen bekamen. Diese Straßenfeste sind eine schöne britischen Tradition.

Am nächsten Tag, Mami hatte zu tun, bin ich mit Otto zum Dorffest in East Meon gefahren. Da hatten wir schon im letzten Jahr eine ausgezeichnete Fete zum Ersten Mai gesehen, die diesmal eine Woche verschoben worden war. Schön einmal der landschaftlichen Einbettung im Mai wegen. Aber vor allem gibt man sich da richtig Mühe. Die Dorfelite trägt noch Tweet und Tuch in der Brusttasche.

Anfangs gab es ein traditionelles Bootsrennen im Bach für die Kinder des Dorfes. Dann Veranstaltungen auf der Festwiese. Otto mochte am meisten die altmodische Achterbahn der Pfadpfinder, da fuhr er gleich fünf Mal mit. Er hat Sackhüpfen und Eierlauf kennen gelernt; müssen wir aber noch üben.

Und am freien Montag haben wir Otto zum Austoben zu einem von diesen Gymnastikstudios genommen, die an Wochenenden Stadteltern einen Ort für ihre Kinder bieten. Danach sind wir noch ins nah gelegene Geschichtsdorf gefahren, wo ich seit vielen Jahren nicht mehr gewesen war. 2012 hatten die mir ein Kostüm gegeben und auf ein Spektakel mitgenommen. Es ist aber immer noch ein sehr grüner Ort, und auch wenn Otto den Kontext nicht versteht konnte er viel rennen.

Eine Woche später haben wir letzten Samstag haben wir mit Otto die lokale Variante dieser Waldbespaßung ausprobiert, zu der ich mit ihm einige Monate lang jeden Mittwoch gefahren war, als noch kein Platz in der Kita war. Diese hier findet in den Hilsea Linien statt, den renaturierten Befestigungen am Nordrand der Stadt. Erstaunlich ähnliche Struktur. Kein Singen und Vorlesen, dafür kann Ellie mitkommen. Und was für eine Freude im Maiengrün.

Abends bin ich mit Otto und Roller zur Seebrücke. Der Sommer ist fast da. Otto ist einfach ein schicker Junge. Wie für den Strand gemacht. Fehlt nur das Surfbrett. Ich denke so bei mir, so viel ist jetzt mit ihm möglich. Ich kann ihm soviel zeigen und beibringen. Das macht schon Spaß.


Sonntag war ein Bombentag für Otto. Erst habe ich mit ihm den Skateboard Park ausprobiert, also ein Gelände mit verschiedenen Pisten für Freunde von Skateboards, Rollern und BMX Rädern. Die hatten kürzlich sehr freundlich Ottos Roller repariert (wehe sollte der ausfallen) und mich dabei über ihre Nachwuchsveranstaltungen an Wochenenden informiert. Wie sich rausstellte, ist Otto wahrscheinlich noch zu jung dafür. Wollte vor allem quer zu allen Halfpipes rollen, damit möglichst jemand in ihn reindonnert. Aber es ist gut, dass wir die verschiedenen Unterhaltungen erkunden; gut möglich dass er irgendwann dahin zurück will. Und der Junge ist für einen Sport gebaut, ob Schwimmen, Fußball, Cricket, oder Skaten. Für mich wäre dieser Ort sehr angenehm; gute Musik und ein Cafe. Es war auch überraschend voll, viele Eltern gönnten sich am Rand Ruhe. Zuguterletzt habe ich Otto auch ordentliche Schutzausrüstung spendiert. Die wollte ich haben, seit er auf seinem Roller richtig schnell geworden war.

Nachmittags sind wir mit zu dritt zum Teich am Rosengarten gegangen. Otto durfte endlich mit einem der Tretboote in Schwanenform fahren. Absolute Begeisterung, vor allem als wir ihn Käpt'n Otto nannten. Und anschließend ging es noch auf die Seebrücke, in die Spielhalle und den Rummel. Beide Eltern waren müde und wollten nach Hause, aber Otto war "voller Energie".

Otto Nachrichten

  • Klangbücher wurden in der Beliebtheitsskala abgelöst. Jetzt lese ich am Bett kleine Bücher vor: Maulwurf; das Erste Worte Bilderbuch; Thomas die kleine Lokomotive. Wiederum denke ich, wie oft ich das in der Vergangenheit probiert hatte und es immer noch zu früh war. Gefällt mir jetzt besser.
  • er baut anspruchsvolle Sätze und spielt mit Sprache
  • hat letztens mehrmal die Nacht allein geschlafen
  • freut sich voll Aufregung das Baby; spricht regelmäßig mit dem Bauch
  • ich kann ihm im Bett Märchen erzählen


Johannes Nachrichten

  • Die Geburt rückt näher; Ellie kann immer weniger machen; ich spüre mehr Druck, alles rechtzeitig vorzubereiten. Meistens komme ich nur abends dazu, was sehr wenig freie Zeit lässt.
  • ... trotzdem ist es in meinem Kopf kaum präsent. Die meisten Tage habe ich soviel zu tun, dass ich kaum daran denke
  • ... wenn ich daran denke habe ich vor allem Schiss. Wann fährt man ins Krankenhaus; wie kommen wir durchs erste Jahr
  • ob der kurzen Abend lese ich weniger. Habe nur die Leseprobe der Sketches from a Secret War gelesen.
  • ich habe Autowartung gelernt: Öl, Scheibenreiniger, Scheibenwischer.
  • meine beiden Kartoffeln sprießen plötzlich! Die Möhren daneben vielleicht auch. Der Platz wird für sie nicht reichen. Aber das wichtigste ist, Otto nimmt das alles wahr.
Waldbespaßung in Portsmouth


Im Geschichtsdorf



Bootsrennen in East Meon

Traditionelle Achterbahn

Gut geschützt auf der Piste


Samstag, 29. April 2023

Geister

Vorletzten Samstag habe ich eine Frühjahrswanderung gemacht. Denn sehr bald werde ja sehr lange wieder nicht mehr wandern können. Von Rowlands Castle aus bin ich über die Felder Richtung Hubertuskapelle gelaufen. Das Wetter ist grandios und die Natur in voller Blüte. Es tut mir wirklich gut zu sehen, wie alles neu wächst. Insbesondere die Hasenglöckchen. Alles ist voll davon. Einmal steckte ein Reh zehn Meter neben dem Pfad den Kopf aus den blauen Blüten. Fünf Minuten später erspäte ich durch eine Hecke eine ganze Herde. Alles strotzt vor Farben. Ich sah das erste Rapsfeld in diesem Jahr, das bereits ganz gelb war. Ich habe es vor lauter Bewunderung nicht mehr bis zur Kapelle geschafft, mir lieber Mittagessen in einem Biergarten geleistet.

Am gleichen Tag kamen Mathieu mit seiner Frau Pascal und Sohn Colin in Portsmouth an. Sie bleiben hier eine knappe Woche. Er war seit seinem Wegzug vor inzwischen vielen Jahren nicht mehr hier, und gesehen hatten wir uns zuletzt in Annecy, bevor Otto geboren wurde. Er hatte mich vor Monaten völlig mit einem Foto von Colin überrascht. Ich hätte ihn nie für den Typ gehalten. Diesmal erfuhr ich, wie er zu Frau und Kind kommt. Sie waren im Lockdown zusammen gezogen und das lief so gut, dass sie sich für ein Kind entschieden.
Ich habe ihnen abends unser Reisebett ins Quartier gebracht. Mir war nicht klar gewesen, dass auch alle anderen der alten Gang mitgekommen waren. Die haben inzwischen auch alle Kinder, jeweils zwei sogar, der älteste inzwischen sechs Jahre alt. Wir sind alle zusammen samt Kindern ans Meer gegangen. Und ich bemerke, dass mich anderer Leute Kinder viel mehr interessieren als früher. Gerade Mathieus einjähriger, wie er aus seinem Strampel auf die Welt guckt. Oder wie Stadtgeschwister die Füße ins Wasser stecken. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass sich andere Eltern viel weniger Sorgen machen mit ihren Kindern zu verreisen.

Sonntag sind Otto, Ellie und ich wie jedes Jahr in den Hasenglöckchenwald gefahren. Nachmittags habe ich mit Otto die Besucher am Meer getroffen. Obgleich  Otto vor allem durch das Wasserspiel vor der Burg am Meer gerannt ist, hat er die anderen Kinder doch wahrgenommen, besonders Colin, der ihn als Baby total begeistert. Ich finde es besonders schön, dass alle mit ihren Kindern in ihrer jeweiligen Muttersprache reden. Otto hat Französisch, Spanisch und Portugiesisch gehört.

Als Otto abends im Bett war, bin ich nochmal zum Ferienhaus gelaufen. Das war wirklich ein Echo aus der Vergangenheit, noch einmal mit Leuten mit einem ähnlichen Werdegang abends um den Tisch zu sitzen. Wir haben uns vor allem unterhalten, wie miserable das Elterndasein ist. Wir haben uns noch als junge Menschen kennen gelernt. Heute sehen wir alle anders aus.

Am 1. Mai bin ich morgens nochmal mit Otto da rüber gefahren. Mir gefällt diese Umgebung für ihn. Otto war absolut entzückt Colin streicheln zu dürfen. Er ist jedes Mal vor Freude und Aufregung rumgehüpft, genau wie damals, als er das erste Mal an die Katzen rangekommen ist. Eltern und Kindern haben in verschiedenen Kombinationen zusammen gesessen; ich habe mich gefreut, dass Otto verschiedene Sprachen gehört hat. Nicht nur aus nostalgischen Gründen war das alles schön. Ganz allgemein wäre es schön, wenn wir so einen Morgen mit Freunden mit Kindern verbringen könnten.

In der Zeit konnte sich Ellie auch etwas ausruhen. Zusammen haben wir später nach einer Veranstaltung mit Maibaum gesucht. Im letzten Jahr hatten wir dafür das Dorf East Meon entdeckt. Aber dieses Jahr werden offensichtlich alle Veranstaltung auf das Krönungswochenende eine Woche später verschoben. Am Ende sind wir zum Mittag einfach in Umweltzentrum gefahren. Da bin ich bei Regen und Sonne lange mit Otto durchs wunderbar Grüne gestromert. Ich habe ihm gezeigt, dass man vor Brennnesseln keine Angst haben braucht. Am Ende hat er zum ersten Mal Interesse am Verstecken spielen gezeigt. Wir waren richtig lange da draußen. So hatte ich mir das immer gewünscht. Denn der Junge muss rennen.

Danach fuhr Mathieu mit Familie in den New Forest, was für ein kleines Kind wunderbar sein muss.
Ich habe sie leider nur noch bei der Rückreise gesehen, kurz am Bahnhof, von wo sie nach London zurückkehrten, und einige Tage später nach Paris.

Otto Nachrichten

  • Otto sagt: er kann alles machen was er will. Und er hat Recht.
  • momentane Obsession: Antennen und Satellitenschüsseln


Otto küsst Baby Colin

Umweltzentrum

Mathieu und ich haben beide Kinder. Hätte mir das jemand 2012 gesagt...

Donnerstag, 27. April 2023

Was ich überhaupt nicht vermissen werde ist Schwangerschaft. Ellie ist sehr schwanger. Mehr als letztes Mal. Irgendwas tut immer weh. Ihre Muskelzerrung wird zwar besser, aber jetzt hat sie massive Ischiasschmerzen, die vor der Geburt auch nicht weggehen werden und ihre Antwort ist wie üblich sich durchzuquälen. Es fällt mir wirklich schwer mir das jeden Tag morgen anzusehen und mich dann auf die Arbeit zu verabschieden. Eigentlich müsste ich kündigen und das Kind übernehmen, das jeden Tag rennen muss. Und müde ist sie sowieso. Nach 21 Uhr pennt sie auf dem Sofa ein, dann kommt sie von da zu spät ins Bett, und da kann sie aufgrund ihrer Schmerzen kaum schlafen.

Dafür ist unser Husten endlich vorbei!

Otto Nachrichten

  • er ist sehr schnell auf seinem Roller! Ich werde zum Jogger nur um mitzuhalten
  • neulich hat er das erste Mal etwas von mir für seine Mami direkt in Englische übersetzt. Ohne auch nur drüber nachzudenken, ganz natürlich. Absolut hochbegabt.
  • er hat sich gut an sein Zimmer gewöhnt. Einer von uns schläft immer bei ihm und nimmt ihn bei Bedarf zu sich ins Bett, aber er hat schon mehrmals durchgeschlafen.

Johannes Nachrichten

  • Ich komme momentan ganz gut zum Lesen. Habe Dohnanyis National Interessen angefangen. Ist kurz aber soweit schwere Lektüre und Erinnerung warum ich nicht mehr SPD wähle.
  • Eher höre weiter mit großem Interesse die aufgezeichneten Vorlesungen von Timothy Snyder zur Geschichte der Ukraine. Verbunden damit habe ich mir auch eine Leseprobe seines Buches Sketches from a Secret War geholt. Da geht es im weiteren Sinne um Polen zwischen den Kriegen, den Kampf mit der Sowjetunion im allgemeinen die Rolle der Ukrainer darin im Besonderen.
  • Dieses Wochenende kommt Mathieu mit seiner Familie für einige Tage nach Portsmouth.



Sonntag, 9. April 2023

Eigenes Zimmer

An Muttis Abfahrtstag, als alle traurig waren, bin ich mit Otto ans Meer gegangen. Dabei hat er noch einige Schokoeier im Gras gefunden. Und abends hat er sein erstes richtiges Ei bemalt.

Eine Woche drauf sind wir zum Frühlingsfest von Ottos Kita gegangen. Da geht es vor allem um Spenden, aber die haben sie sich auch verdient. Ich habe gesehen, dass sie eine Menge Tiere da haben:  vor Kurzem schlüpften Küken, momentan haben sie Kaulquappen und permanent lebt dort eine riesige afrikanische Schnecke namens Turbo.

Sonntag sind wir zu viert mit Anna vor Orten spazieren gewesen und Otto ist das erste Mal barfuß durchs Wasserspiel vor Burg Southsea gelaufen. Nachmittags sind wir das erste Mal dieses Jahr mit der Modellbahn im Park gefahren.

Ab jetzt geht Otto Mittwoch ganztags Kita. Das heißt,  dass ich an den anderen Tagen nicht mehr ganz so lange arbeiten muss. Otto fährt immer mit seinem Roller hin, und ich muss inzwischen nebenher joggen, so schnellt ist er. Der Nachteil ist, dass wir nicht mehr zu den Kindertreffen im Wald fahren. Der Frühling blüht allerorten und ich mache mir Sorgen ihn zu verpassen.

Samstag ist Otto das erste Mal in seinem eigenen Bett in seinem eigenen Zimmer, dem bisherigen Gästezimmer, geschlafen. Das hatten wir schon (sehr) lange geplant, aber an dem Tag wachte er morgens auf und meinte, er möchte abends in seinem eigenen Bett schlafen. Das war für mich richtig emotional als ich ihn dort reinlegte: schließlich hat er sein ganzes Leben bei uns geschlafen. Und so schlimm es anfangs war, waren wir das letzte Jahr lang insgeheim froh, dass er bei uns im Bett lag, wenn wir schlafen gingen. Lange haben wir darüber gescherzt, aber inzwischen ist es deutlich: er ist kein Baby mehr. In seinem (!) Zimmer steht inzwischen aber auch wieder das Sofabett, sodass immer jemand bei ihm schlafen wird. Insbesondere wenn wieder ein richtiges Baby im Schlafzimmer haust.

Wir bleiben weiterhin alle ständig krank. Otto hat seinen ewigen Husten endlich abgeschüttelt, dafür aber sofort einen Schnupfen. Den Husten haben Ellie und ich jetzt, länger als ich mich erinner kann. Und Ellie hat sich vor lauter Husten einen Muskel gezerrt. Einige Tage konnte sie sich kaum bewegen, da musste ich alles machen. Das wiederum hat mich wieder daran erinnert, das unser System hier keine Reserve hat. Wir brauchen wirklich beide Eltern, um den Laden zu betreiben. Wie soll das mit einem Baby dazu nur werden.

Otto Nachrichten

  • Otto lässt sich jetzt Geschichten erzählen.  Ich habe ihm eines abends im Bett Rumpelstilzchen erzählt und am nächsten Tag Bücher gelesen; er hörte tatsächlich zu. Ellie las ihm vom Pfefferkuchenmann vor und im Anschlass backten sie.
  • Otto mag jetzt auch Lego. Der kann sich richtig konzentrieren.
  • er ist, wie immer, sehr glücklich. Wacht froh auf, hat wundervolle Tage, schläft froh ein.


Johannes Nachrichten

  • ich habe endlich Obamas Autobiographie fertig gelesen


Dieses Malset habe ich irgendwann um 2015 aus Deutschland mitgehen lassen. Irgendwo im Tagebuch ist ein Foto von mir und Ellie damit. Jetzt hat es Otto benutzt.


Lego in der Bibliothek



Oma & Osterhase

Mutti, hier bekannt als Oma, kam uns eine Woche Anfang April besuchen. Sie brachte nach Wochen des Regens fantastisches Sonnenwetter mit. Leider waren und sind alle noch krank; alles hustet und bei Otto kommt jetzt auch noch Schnupfen dazu. Ellie war die ersten Tage noch bettlägerig.

Wir haben mit Mutti gleich Montag im Umweltzentrum übernachtet, was zu ihrer Überraschung ein richtiges Hotel und keine Hippie Kommune ist.

Otto hat sich nicht sonderlich für die Natur interessiert. Oma hat die Stelle gesehen, wo er bis vor kurzem zur Waldschule gegangen war. Dann wurde er sehr müde und wurde in unser Zimmer getragen. Wir sind zu zweit einige umliegende Wege gelaufen, zu Schafen und später dem Sonnenuntergang über den South Downs. Otto lag zu der Zeit bereits im Bett, konnte aber nicht schlafen, bis Papa und Oma zurück waren.

Dienstag Morgen haben wir alle genossen, richtig gutes Frühstück kredenzt zu bekommen. Noch vorher hatte ich Otto im Morgentau zu den Schafen bugsiert, die ihn nicht sonderlich interessierten. Aber gut, der Blick über die sonnendurchfluteten Täler tat wenigstens mir gut. Später hat er doch nocht gefallen daran gefunden, auf dem Gelände des Zentrums rumzurennen, währen sich die Frauen sonnten.

Wir haben Mutti noch den Blick von Old Winchester Hill gezeigt. Dort erfuhr Otto auch, dass sie  gewöhnlich Gummibärchen in der Tasche hat. Die würden ihn die kommenden Tage nicht mehr los lassen. Wir hatten dann noch einen sehr schönen Nachmittag am Fluss in Droxford und Corhampton, wo es auch noch Pizza gab. Der Frühling ist eine Freude; der Blüte geht gerade los; etwas später als letztes Jahr. Bienen schwirren durch die Kätzchen der Weiden am Wasser. Farbige Blumen im Revier.

Aber Mutti wollte vor allem hilfreich sein. Mittwoch  haben wir daher den Garten ausgemistet.

Donnerstag hat Ellie gearbeitet, Otto ging zur Kita, Mutti und ich haben einen Haufen Schrott zur Müllkippe gebracht. Anschließend haben wir die Burg Portchester besucht. Otto freute sich abends sehr, als auch Oma ihn von der Kita abholte. Fragte sofort, "Wo sind die Gummibärchen?"

Freitag sind wir über Land gefahren. Zuerst zum Durleighmarsh Hof, wo man selbst ernten kann und Mutti schon einmal war. Da wollten wir picknicken, aber die Felder waren noch nicht zugänglich. Wir haben dann eine kleine Kirche ausprobiert, die sich als echter Glücksfall erwies. St Peter in Terwick. Ein kleines Gebäude, einzeln zwischen den Feldern, aber mit Straße und Parkstellplätzen davor. Da haben wir gegessen. Otto ist durch die Pfützen an einem Zufluss des nahen Flüsschen Rother gestapft. Aus einem Meer nebenan flog ein Reiher. Wir haben auf einem Lupinenfeld daneben gelegen, das später im Jahr wohl eine eigene Attraktion darstellt. Otto durfte auf Oma fliegen. Ich finde es immer schön, wenn er Interesse an Natur zeigt. Und im Feld nebenan fanden wir alte Rüben und Kartoffeln zum ernten; einige kochte ich mir abends und andere haben wir in einen Blumentopf gepflanzt.

All diese Orte liegen an der Landstraße von Petersfield nach Midhurst, und ich war sie noch nie so weit gefahren. Wie sich zeigt liegen dort entlang der Rother jede Menge alter Dörfer, mit alten Kirchen und Naturschutzgebieten und Wanderwegen, unterhalb der South Downs.

Wir sind die gleiche Strecke am nächsten Tag, dem letzten, nochmal gefahren, diesmal bis nach Midhurst.  Das ist ein ganz alter, kleiner Ort, mit viel Geschichte. Die Hauptattraktion ist die Ruine des Palastes von Cowdray. Den hatten Ellie und ich schon vor vielen Jahren besucht, noch bevor wir ein Auto hatten. Das Gelände selbst ist derzeit zu, aber man kommt sehr nah ran. Wir haben auf einer Wiese Picknick gemacht, und Otto fand Ostereier. Das erste Mal, dass er das bewusst machte. Nicht nur das, auf dem Rückweg durch die alten Gassen traf er den echten Osterhasen, nebst Osterküken, und bekam noch zwei Schokoeier. Zurück sind wir über Chichester gefahren, entlang anderen Orten, wo Mutti schon mit uns gewesen war. Ganz allgemein ist der Frühling nun endlich ausgebrochen und die Landschaft in ihrer schönsten Phase. Ich werde wahnsinnig, was ich alles erwandern könnte.

Allgemein halte ich fest:

  • ich bin dankbar, dass Otto mehr Deutsch hört. Er verst versteht alles, was Oma sagt, was fast magisch wirkt, auch wenn er nur auf Englisch antwortet. Es hat also gefruchtet, dass ich mit ihm immer deutsch gesprochen habe. Es ist echt gut, dass auch praktisch zu sehen.
  • ...Ellie versteht übrigens auch alles
  • Otto kennt jetzt "Gummibärchen"
  • Otto hat seine Oma sehr lieb. Er hat ihr gezeigt, wie schnell er auf seinem Roller ist. Sie hat wieder beim Baden geholfen und sehr viel Händel gehört und vorgesungen bekommen

Neben Ausflügen hat Mutti auch sehr viel im Haushalt ausgeholfen. Ich habe Dinge geschafft, die seit Monaten rumliegen.

Trotzdem fühle ich mich gerade nach dieser Woche sehr gestresst, weil es viele Fragen öffnet, die im Alltag eben verblassen. Die Trennung von der Familie, unser fortschreitendes Alter; dass Otto diese Momente nicht ganz regelmäßig erleben kann, aber auch ganz einfach, wie wenig Kontrolle ich über mein Leben verspüre, wenn ich nicht gerade eine Woche frei habe und zusätzliche Hände - an all das wurde ich jetzt wieder erinnert.


Gummibärchen, Oma!


Oma wird in Ottos Lieblings-Rennspiel auf der Seebrücke eingewiesen