Samstag, 14. Dezember 2013

Advent muss sein

Am 30. November haben wir Mozart & Salieri in der katholischen Kathedrale gesungen. Unerwartet waren dazu sogar junge Kollegen erschienen. Ich hatte noch nie ein Stück so gut vorbereitet und habe dementsprechend in der Generalprobe durch einen Lesefehler voll Selbstvertrauen in eine Pause reingeschmettert. Im Konzert passierte das zum Glück nicht, aber ich war so nervös, dass ich mich nie mehr ganz lösen konnte. Dazu hatte ich mir in der Probe die Stimme angeknackst und konnte die hohen Töne nicht mehr erreichen, auf die ich so stolz gewesen war. Außerdem stand ich zwischen zwei Profis und ganz in der letzten Reihe der Bässe, sodass es für meine Ohren schien, als würden nur wir singen und alle Details hörbar sein. Schade, dass diese Stücke jetzt vorbei sind, die letzten Wochen waren wunderbar, als ich durch Übung richtige Beherrschung fand. In einem wunderbaren Moment habe ich auf einer Probe so einmal die Augen geschlossen und zum ersten Mal bewusst den Chor als Ganzes gehört, nicht nur die Bässe, und wie meine eigene Stimme zu dem ganzen Wunderschönen beiträgt.
Beim ersten Weihnachtssingen haben ich im Vergleich zu Vorjahr zum ersten Mal festgestellt, dass meine Stimme ohne Zweifel Fortschritte macht. Jetzt habe ich erfahren, dass ich als Mitglied der Musikgesellschaft die Proberäume der Musikfakultät nutzen kann. Endlich habe ich damit die nötige Umgebung und sitze seitdem  mehrmals die Woche eine Stunde oder mehr in einem kleinen Raum und hole richtig was raus aus dem Geld für die Gesangsstunden. Natürlich habe ich es gleich übertrieben und meine Stimme in hohen Lagen wohl etwas überdehnt. Dafür klimpere ich dazu wie von selbst auf dem Klavier rum, als wäre ich früher nie zu faul zum Üben gewesen.
Diese Umstände bringen mich jetzt zum ersten Mal dazu, meine Privatzeit auf weniger Aktivitäten zu konzentrieren. Ich bin aus dem Tanzkurs am Donnerstag praktisch ausgestiegen und fahre wann immer möglich nach der Arbeit singen und dann in die Bibliothek nebenan. Da versuche ich dann, etwas über Logik zu lernen. Denn die Arbeit hat mir gezeigt, dass mein Denken nicht sehr logisch ist.
Erwähntes Weihnachtssingen fand am Tag nach dem Konzert auf dem Weihnachtsmarkt auf der historischen Werft statt, zu dem ich mich wieder gemeldet hatte. Im Gegensatz zum Vorjahr wäre ich diesmal aber lieber ausgestiegen, weil es mir physisch und zeitlich zuviel wurde. Außerdem musste ich in meiner Rolle als Apotheker diesmal Menschen ansprechen und ohne die geringste Vorbereitung hatte ich davor etwas Angst. Natürlich war ich zu gut um ein paar Tage vorher einfach abzusagen. Am Ende habe ich mich ganz gut eingewöhnt und mit meiner Stimme gerne meine Reklame vom ersten Stock meines Apothekenkulisse gerufen. Aber so ganz wohl war mir nie, auch waren nicht alle Besucher dankbar und mir taten die Waden nach diesem Wochenende noch drei Tage später weh, sodass dieses Mal war wohl das letzte war.

Weihnachten ist mir wichtig. Daher zwinge ich es meiner Umgebung auf wo nur möglich. Anfang Dezember wurde im Büro überfallartig die Weihnachtsdekoration rausgeholt, billiger Plasteglitzer wie sonst alles in England. Dazu die Weihnachtsfeiern. Mit den Kollegen, nach der Arbeit, von der Stange organisiert in Pubs, dementsprechend teuer. Ellie bestätigt, dass die praktisch Pflicht sind. Kollegen erzählen stolz, wie stockbetrunken sie auf diversen Dienstreisen und auch Weihnachtsfeiern waren. Ich verweigere mich strikt. Nur um ein kurzes Weihnachtsessen mit dem Team auf der Arbeit bin ich nicht herumgekommen. Ich mache keinen Hehl aus meinem Urteil über englische Weihnachten. Nur das Ritual in meinem Team, dass jeden Morgen ein anderer das Türchen am Adventskalender öffnet und ein Stück der Weihnachtsgeschichte liest, gefällt mir. Auf meinem Schreibtisch steht mein wunderschöner deutscher Bilderkalender, ohne Schokolade. Sowas ist hier drüben wohl nicht so einfach zu kriegen. Meiner ist so schön, dass ich die Türchen gar nicht öffne. Jedes Jahr bereue ich das, weil das heile Bild viel schöner ist.
Weihnachten sollte private sein. Hier höre ich immer nur, wie stressig das sei, mit der Familie eingesperrt zu sein. In der Tat macht man sich einen wahnsinnigen Druck, als auch Kosten, unglaubliche Mengen Geschenke zu kaufen (Ellies Mutter fragte bereits an, ob sie eins für mich kaufen muss). Kein Wunder also, dass sie sich dann alle betrinken und Fernsehen gucken ('Stirb langsam' gilt als traditioneller Festtagsstreifen). Advent gibt es übrigens nicht, nur den Weihnachtstag selbst (am 25.12.). Keine Vorfreude, keine Spannung.  Ich dagegen schaffe es endlich, bewusst langsamer zu leben, den Advent mitzubekommen, anstatt wieder erst kurz vor Weihnachten aufzuwachen.

Richtig wird Weihnachten also nur in Deutschland gemacht. Und diese kulturelle Überlegenheit gilt es natürlich auch ungefragt kundzutun. Darum hatten Theresa und ich schon im November einen Adventsabend vereinbart. Denn das kann ich sagen, Weihnachten ist allen Auslandsdeutschen wichtig. Mit Backen, echter Musik, ohne Plastik. Ellie hat dazu ihre Wohnung gesponsert. Fast fürchtete ich, zu hohe Erwartungen zu schüren. Aber dann wurde es schöner als erwartet - nachdem Theresa und ich jeweils zwei unserer Lieblingsrezepte gemacht hatten, saßen wir im Wohnzimmer bei Glühwein, Heinrich Schütz und Kerze. Ich war besonders stolz, richtige Tannenzweige bekommen zu haben, umsonst. Denn sonst ist hier alles Grüne unglaublich teuer, weil fast niemand in die Natur kommt. Und man nichts traut, was außerhalb einer Plastikverpackung kommt. Anschließend bin ich mit Theresa auf die Tangoweihnachtsfeier gefahren, die mir mehr Spaß denn je machte (leider ließ sich Ellie nicht überzeugen, mitzukommen). Sogar Cristina habe ich da wiedergesehen und ihr die übrigen Kekse für ihre Tochter mitgegeben. Denn die meisten Ausländer finden deutschen Advent auch gut. Am nächsten Tag bin ich mit Theresa noch in die Sonntagsmesse in der katholischen Kathedrale gegangen. Denn Weihnachten muss richtig gemacht werden.
Am nächsten Tag war ich da zum dritten Mal in einer Woche, denn der Chor kam seiner ungeliebten Aufgabe nach, den Uniweihnachtsgottesdienst zu unterstützen. Mir und Ellie machen Weihnachtslieder aber Spaß, und da deutschen natürlich die besten sind, habe ich eine Strophe von Stille Nacht für mich auf Deutsch gesungen. Denn ich werde echt sentimental mit Weihnachten.
Bevor alles nach Hause fährt und fliegt, habe ich Mathieu noch ein paarmal sehen wollen. Dazu habe ich noch einmal Ellie und ihn zum Kochen geladen, diesmal bei mir. Auch auf diesem angenehm erwachsenen Abend (meine Mitbewohner sind entweder auf Weihnachtsurlaub oder bis spät mit Theaterproben beschäftigt) habe ich darauf bestanden, den Advent zu würdigen.

Am letzten Wochenende vor dem Heimflug bin ich nochmal aufs Land gekommen. Mit Ellie habe ich den 'Königin Elisabeth Landschaftspark' nördlich von Portsmouth besucht. Die Anfahrt war teurer als erwartet, aber ich hatte einmal richtigen Buchenwald, Laub auf den langen Wegen über Hügel und Felder, Bäume um mich herum und Ruhe. Ellie wurde überraschend nervös, allein durch einen Wald zu stapfen und auch die Landbewohner schienen das nach Dunkelheit für viel zu gefährlich zu halten. Aber das beweist nur einmal mehr, dass man in England keine wirkliche Natur mehr kennt.
Am Sonntag habe ich Ellie zum Geburtstag in das beste, französische Restaurant eingeladen, das ich vor einem Jahr mit Kalina dokumentiert hatte. Ebenfalls mit Ellie war ich früher im Monat auf einem Konzert gewesen, wo drei Uniabsolventinnen und die Uni Big Band Musik aus der Zeit des Kriegs zum Besten gaben. Mit Begrüßung von Churchill und Luftangriff. Da mussten alle in einen Nebenraum gehen und lustige Lieder singen, mit denen man sich wohl die Zeit vertrieben hat. Ich fand das geschmacklos und ließ das auch soweit anklingen, dass mir Ellie vorher riet, vielleicht besser doch nicht mit ihr und Freunden mitzukommen. Nun war ich da und alle in zeitgenössischen Kostümen und die Musik machte Spaß. Leider tanzten wir nicht soviel, wie ich es gerne gehabt hätte.

Auf der Arbeit habe ich zum ersten Mal die Datenbank zu Gesicht bekommen, an der wir seit Monaten arbeiten. Ich durchleuchte sie kreuz und quer, damit sie auch repräsentativ für die große Volkszählungsdatenbank ist, derenproportionaler Eindruck sie sein soll. Und das macht mir riesengroßen Spaß - mit Informationen rumzuspielen, querzuschließen, mir immere kleinere Gruppen anzusehen, wie als Student. Ende Januar stelle ich das Projekt, seinen Zweck und Arbeitsweise auf einer internen Konferenz vor. Ich habe auch etwas Zeit, mir Gedanken um Vorstellungsweise zu machen, und dementsprechend macht es mir Spaß, mein Präsentationstalent auszuleben. Daneben habe ich eine ringvorlesungsartige Fortbildungsreihe abgeschlossen und sollte bald ein schönes kleines Zertifikat bekommen.

Abschließend sind einige Informationen zu Ellie wohl von Interesse. Sie ist fast 29 und lebt seit einigen Jahren in Portsmouth. Hier hat sie "sowas wie Aufnahmetechnik" studiert und ist dann in der Univerwaltung hängen geblieben. Da bearbeitet sie Visumsanträge nichteuropäischer Studenten. Ursprünglich kommt sie vom Land, in der Grafschaft Kent. Das ist östlich von London, nahe des berühmten Canterburys. Sie singt, tanzt und kocht gern. Ist besonders aktiv im Bauchtanz. Wir haben uns im Mai auf einem Tanzkurs kennen gelernt, als uns auffiel, dass wir seit über einem halben Jahr im gleichen Chor sind.
Auf der Tangoweihnachtsfeier.

Unser Lehrer auf Knien. Mein langes Haar zwischen der hübschen Italienerin und der hübschen Griechin. Alle Tanzkurse haben außergewöhnlich hohen Ausländeranteil.

Die katholische Kirche vor dem Konzert.

Nach der Aufwärmung.

Nach dem Konzert.

Advent in Ellies Küche: Das Deutsche Plätzchen für Fremde.


Ich bin besonders stolz auf die Tannenzweige. Rechts unten Theresa's  Muttiadventskeksdose - fast jeder Deutsche im Ausland kriegt sowas.


Ellie und Mathieu kochen für mich...

...ich überwache die präzise Einhaltung Echter Deutscher Weihnachten.

Satt und sehr müde nach dem Geburtstagsessen.

Nachtrag aus dem Sommer: im frühen September in Rostock, beim "umsonst und draußen Klappstuhltreffen", den eine Freundin organisiert hatte.

Donnerstag, 21. November 2013

Die wichtigste Neuigkeit aus den vergangenen Wochen ist ohne Zweifel, dass ich seit einiger Zeit eine Freundin habe. Das hat mich gezwungen, einen ohnehin stattfindenen Denkprozess verstärkt zu führen, bei dem es grob gesagt darum geht, was ich denn jetzt mit meinem Leben machen will. Zuvorderst sollte und soll England ja eine vorübergehende Geschichte sein. Langsam soll einen langfristiger Wohnort her und keine Kompromisse. Aber wo das sein soll, und was genau ich mir da aufbauen will, darauf habe ich noch keine klare Antwort. Das hat mir im Oktober einige schwierige Nächte beschert, als klar wurde, dass Ellie eine feste Sache wird, ohne das ich mir eine Zukunft in England wünsche.
Natürlich haben diese Umstände auch ihr Gutes. Zum Beispiel tanzt und trällert Ellie auch gern; in der Tat kennen wir uns vom Chor und Tanzkurs.

Nun ist so eine Beziehung der endgültige Todesstoß für meine Zeitplanung, aber zu meinem eigenen Gefallen war ich nichtdestotrotz ziemlich aktiv und habe einige Pläne umgesetzt. Einmal habe ich endlich Kalina wieder besucht. Diesmal hatten wir auch Zeit, tanzen zu gehen und am nächsten Tag ein neues Stück von Southampton anzusehen.
Am Samstag darauf habe ich dann den Herbstspaziergang gemacht, auf den ich so lange Lust gehabt hatte, seitdem die Bäume vor dem Büro gelb geworden waren und mir Heimweh bereiten hatten. Zu meiner Freude (besonders im Vergleich zum Vorjahr) schloss sich eine ganze Autoladung an, Mathieu mit Auto, Ellie, Theresa und Mitbewohnerin. Gelaufen sind wir von Stanstead Hause (was Mathieu und ich im Mai mit dem Rad besucht hatten) durch den Gutswald zum Dorf Rowlands Castle nordöstlich von Portsmouth. Das war aufgrund der Laufgewohnheiten der Nichtdeutschen kürzer, der Wald war noch nicht so gefärbt wie gedacht und es nieselt am Ende auch – aber wir sind rausgekommen, und zwar auf meine Initiative, das war ein gutes Gefühl. Als Bonus haben wir Maronen gefunden und abends geröstet.
Am nächsten Tag schloss ich mich einem Ausflug Mathieus nach Salisbury an, um den Kontakt mit ihm nach einigen Wochen wieder aufzufrischen. Er nahm seine Freundin und besuchende Freundinnen aus Southampton mit, wobei ich auch Kalina nochmal sehen konnte.
Zum anderen habe ich Ellie und Mathieu einen Kochabend vorgeschlagen, um auch in der Küche wieder etwas neues auszuprobieren. Dabei habe ich zum Beispiel zum ersten Mal erfolgreich Rotkohl gemacht, was mir seit dem ersten Studienjahr nie geglückt war.
Anfang November habe ich Ellie dann noch in die Römische Villa im Dorf Fishbourne nordöstlich von hier mitgenommen. Dort ich das erste Mal ganz am Anfang noch mit Monika gewesen.

Einige Einzelinformationen, nach denen ich regelmäßig gefragt werde. Mathieu ist vermutlich Mitte 30, aber ich habe ihn nie gefragt. Er kommt aus Annecy südlich von Genf, wohnt in Portsmouth seit November 2012 und hat vorher in Singapur gelebt. Er arbeitet als Ingenieur in einer ehemals staatlichen Firma, die Hubschrauberteile fürs Militär herstellt.
Ich habe zwei Mitfahrgelegenheiten zur Arbeit. Beide wohnen auf der Isle of Wight und kommen jede Morgen mit dem Tragflächenboot aufs Festland. Am Landepunkt ist ein Parkplatz mit ihren Autos, dort steige ich zu. Die Fahrt dauert ohne Stau 20 Minuten.

Guy Fawks Nacht verlief ohne besondere Vorkommnisse und Halloween konnte ich komplett ignorieren. Dafür wird in England am 11. November der Waffenstillstand des 1. Weltkriegs begangen. Auf der Arbeit wurden dafür die landesweiten zwei Schweigeminuten eingelegt (aber einfach still am Computer weitergearbeitet).
Halloween dagegen bin ich entkommen. Nur einer unserer unregelmäßigen Tangoabende war thematisch daran angelehnt, wo mich ein schönes Foto zeigt mich. Man hatte sich so große Mühe mit der Halloweendekoration gegeben, dass sogar ich es richtig gemütlich fand. Genau gesagt hat es mich an den Tanzabend in Lodz 2009 erinnert, an dem ich zum ersten mal Tango live sah und entschied, dass ich das irgendwann auch lernen muss. Der nächste Tangoabend ist Anfang Dezember mit Weihnachtsthematik. Und seitdem es bei Arbeitsschluss schummrig wird und ich den gewünschten Adventskalender dort stehen habe, komme ich langsam in Weihnachtsstimmung. Mit Theresa werde ich einen deutschen Adventsabend veranstalten, denn Weihnachten ist wichtig. Schließlich waren wir wie alle Auslandsdeutschen einer Meinung, dass eigentlich nur wir das richtig können. (Was ich wieder über englische Traditionen in der Praxis erfahren habe, ist ein Sakrileg). Nicht zuletzt singt der Chor bald beim jährlichen Adventsgottesdienst der Uni, und ich spiele auf dem Weihnachtsmarkt mit.
Dann fand die halbjährliche große Salsaparty im und auf dem Spinnaker Turm am Hafen statt. Für mich war es nach anderthalb Jahren hier trotzdem das erste Mal, dass ich oben gewesen bin. Bisher hatte ich stets gedacht, dass Portsmouth nicht interessant genug wäre, um für einen Blick von oben Geld zu bezahlen. Aber das Panaroma bei Dunkelheit hat mich sehr überrascht. Besonders die Schiffe im Hafen von oben ziehen zu sehen hat mir gefallen. Vor allem aber ist im ersten Stock auf 100m Höhe Glasplatte im Boden eingelassen. Die Werbung fragt„traust Du Dich auf Luft zu gehen?“ – beim zweiten Versuch habe ich den Mut zum Raufgehen gefunden.
Nebenbei gesagt gibt es für jenen Hafen aber schlechte Nachrichten: der Werftbetreiber macht den Schiffneubau zu, nur Reparaturen werden noch angeboten. Das wird die Stadt neben Steuern eine Menge der wertvollsten Einwohner kosten.


Nachtrag: mein Willkommen für Daria & Marta

Haus Stansted

Hallo Ellie

v.l.n.r. Mathieu, Ellie, ich, Theresa, Laia

Mathieu ist zu Recht schockiert - zwei Deutsche wie aus dem Bilderbuch.



Etwas später am Meer. Ebbe bringt keinem was.

Montag, 28. Oktober 2013

Rennen durch den Herbst

Die gesamte Zeit seit meiner Rückkehr aus Deutschland stand im Zeichen eines endlosen Rennens, alle Freunde regelmäßig zu sehen oder zumindest zu hören. Zunehmend zog das auch mein Schlafkonto in Mitleidenschaft, sodass ich zuletzt rigoros auf meinen Zustand achten musste. Irgendwo kürzer treten fällt mir weiter zu schwer. Und dann war der Herbst schon fast wieder vorbei und Weihnachten fast vor der Tür.

Kulturell war die Zeit produktiv. Ich habe Das Erbe Roms zum zweiten Mal ausgelesen und könnte es gleich nochmal anfangen. Aber erstmal war etwas Prosa dran: Ellie hat mir wieder ein Buch von Margarete Atwood in die Hand gedrückt, Oryx und Crake. Im englischsprachigen Raum ist sie scheinbar allgemein bekannt, und mich hat das Buch genauso mitgerissen wie Der Report der Magd - ich konnte es kaum weglegen. Zu glaubwürdig auch in seiner Athmosphäre, es hat mir zeitweise richtige Depressionen beschert.
Daneben kamen Max und Moritz und einige weitere Details zu Wilhelm Busch sowie der Struwwelpeter auf den Teller. Deutsche Kindergeschichten bieten verlässlichen Gesprächsstoff, wie auch Raumpatrioulle - neben ihr habe ich Unsere Mütter, unsere Väter und etwas Weissensee gesehen. Gelesen habe ich auf Kasias Anstoß auch zum Massaker vom Celle.

Mit Theresa, einer deutschen Austauschstudentin aus dem Chor, habe ich endlich jemanden gefunden, mit der ich einige langgehegte Pläne umsetzen kann. Wir treffen uns einmal die Woche und üben die jeweils aktuell gelernten Tanzschritte - Walzer für mich, Rumba und Cha Cha für sie. Im Tango bereiten wir uns auf einen Auftritt im nächsten Frühjahr vor. Das bringt eine zeitliche Extrabelastung mit, denn neben den normalen Lektionen Freitag Abend habe ich Mittwoch Abend zwei Stunden Probe - zusammen mit Arbeit und Chor ist das mit Abstand der anstrengendste Tag.
Auch einen anderen Punkt auf der List habe ich noch geschafft und ein lokales Restaurant ausprobiert. Das Ergebnis war mittelmäßig, aber das wichtigste war, dass wir zu viert waren, mit einer bauchtanzenden, chorsingenden Freundin, Mathieu und einer weiteren Bekannten von ihm. Zwar war keiner begeistert, aber gelacht haben wir genug.
Natürlich geht der Chor weiter und auch voran, ich finde wie immer zu wenig Zeit zum Üben, aber die immer mehr zusammenpassende Musik kitzelt auch wie üblich mehr und mehr diese überschwengliche Begeisterung fürs Singen in mir wach. Mi der Zeit konnte mich unser Dirigent auch wieder von seiner Meinung überzeugen, Salieris Messe ist langfristig schöner als Mozarts. Auch für den Weihnachtsmarkt habe mich wieder angemeldet, am 1. Dezember, dem Tag nach dem Konzert. Diesmal wurde mir die Rolle eines halbseidenen Straßenapothekers gegeben.

Der auch in deutschen Nachrichten genannte Sturm war größtenteils nachts und der Morgen schön und sonnig. Manchmal kann ich nach der Arbeit aber noch etwas am Wasser liegen, mit warmer Kleidung ist das noch möglich, und den Schiffen zusehen, wie sie aus dem Dunst auftauchen und langsam vor den Linien der Isle of Wight vorbeiziehen oder weiter draußen auf Reede liegen. Zum Schiwmmen ist es endgültig zu kalt, aber so eine halbe Stunde hat immer noch einen guten Effekt. Trotzdem fehlt mir Sport und kann manchmal schlecht einschlafen. Zum Teil bin ich sogar bereit, zu joggen. Durch das Wetter komme ich auch mehr in die Bibliothek, auch wenn die Nutzung des Winters als Zeit für Lesen und Papierarbeit nicht wirklich intensiv klappt.

Auf der Arbeit werde ich mehr zwischen Aufgaben verteilt als ich mag. Ich hatte viel mit Fortbildungen zu tun, dann Prüfung von Variablenableitung, und jetzt komme ich zurück in mein Lieblingsgebiet, den Mikrodaten.

Zum Ende des Oktobers habe ich im Rahmen des Kontaktrennens Kalina für eine Nacht besucht - dass ich sie trotz der Nähe nicht häufiger sehe, tut mir wirklich leid. Wir waren natürlich tanzen und am Folgetag habe ich sie mitgenommen, ein neues Stück von Southampton zu sehen.


Ein Stück alltagskulturelle Trivia: England wird beherrscht vom Staubsauger Henry, einer runden Minitonne mit Gesicht. In unserem Haus, in Läden, auf der Arbeit - eine Kollegin hat sogar eine Miniausführung auf dem Schreibtisch. Mehr noch, Henry hat eine weibliche Kollegin, Hetty. Passt zum Land.
Quelle: http://www.kitchengadgets.org.uk/?attachment_id=201


Quelle: http://www.bluechipcleaners.co.uk/henrietta-hetty-hoover-het-200a






Ein Schnappschuss aus meinem Zimmer: so sieht es aus, wenn ich mal zu Hause arbeite. Zu niedriger Stuhl, das Fenster in den Hof offen. Die Blumen waren für Daria und Marta.

Kostümauswahl für den Weihnachtsmarkt am 1. Dezember. Ich spiele einen windigen Straßenapotheker.

16. Oktober - Darias Besuch

Den Hoehepunkt des Oktobers bildete der Besuch Darias und ihrer Freundin Marta aus Breslau. Daria hatte ich seit 2010 nicht mehr gesehen. Damit wir dann auch etwas Zeit hatten, habe ich mir Montag und Dienstag freigenommen, so hatten wir insgesamt vier Tage. Bis auf den Sonntag wurden wir dabei auch vom besten Wetter in diesem Herbst unterstuetzt.
Daria war zum ersten Mal in England, Marta ist beruflich häufig aber stets nur kurz in London. Ich wusste nicht ganz, was sie interessiert, habe aber ein lockeres Programm 'Portsmouth und typisches England' entworfen. Am ersten Tag sind wir die Seepromenade bis zum Hafen entlang gelaufen, mit Rosengarten, Seebruecke, Burg plus Geschichtseinfuehrung, Tee in der Altstadt und englischem Fruehstueck im Hafen, dann Meerschweinchen im Park und Klamottenlaeden, die hatten schon Kasia und Madzia 2011 in York begeistert. Abends hat mich Mathieu selbstlos dabei unterstuetzt, den Maedchen auch den klassischen Pub zu zeigen, sowohl Upper als auch Working Class - wir konnten uns dabei auf vorherige Forschungsarbeit stuetzen.
Sonntag mussten sich meine Gaeste an mein eigenes Programm anschliessen, denn ich hatte schon lange den letzten offenen Tag des Geschichtsdorf im Kalender. Leider goss es aus Kübeln; zum Glueck hatte sich am Vortag Mathieu mit seinem Auto mit angemeldet. Ausserdem nahmen wir Theresa mit, eine deutsche Austauschstudentin, die ich aus dem Chor kenne. Ich wusste nicht, wie sehr Daria und Marta sich bei Regen fuer Leute in Kostuemen interessieren, zumal die getreu ihrer Rolle von Polen noch nie was gehoert hatten. Gluecklicherweise hatten alle Spass, insbesondere auch Theresa und Mathieu fragten die Leute nach allen Details der Stoffproduktion und Armamputation. Urspruenglich hatten wir noch einige Stellen in der Region westlich bis Southampton geplant, dass aber aufgrund des Wetters verworfen. Theresa rettete meinen Tagesplan und lud uns alle zu sich ein, wo ein Freund aus Zypern kochte und wir uns alle unverhofft noch einmal in einer Athmosphaere wie in unseren eigenen Studentenkuechen fanden. Ich gab spaeter noch ein Einfuehrung Salsa, dann gingen wir abends alle zur richtigen Tanzstunde.
Montag fuhren wir nach Winchester als Beispiel einer englischen mittelalterlichen Stadt. Neben Rundem Artustisch (entgegen meinen bisherigen Vorstellungen ein Original eines englischen Königs aus dem 12. Jh.), Kathedrale, Bischofsburg und Fluss waren die Maedchen am meisten von einem klassischen Pub mit Kaminfeuer bezaubert, den mir Mathieu auf unserem letzten Besuch dort gezeigt hatte. Abends fuhr Marta weiter zu einer anderen Freundin. Daria und ich luden unsere Gastgeber vom Vortag ein, diesmal bei uns zu essen. Wir waren zwar beide am anderen Ende der 20er Jahre als sie, aber ganz ehrlich wurden wir richtig sentimental, zu Hause noch einmal  um einen zu kleinen Tisch mit billigem Wein zu draengen und Macarena zu tanzen. Soviel Leben hatte ich nicht mehr in meinem Haus, seit ich keine Uebernachtungen mehr anbiete.
Dienstag schliesslich nahm ich Daria mit auf die Isle of Wight. Keine Wolke hielt die Sonne auf, ich merkte, dass ich selbst in diesem Jahr noch nicht wirklich mit Zeit auf der Insel gewesen war, und mit Daria hatte ich ein Landkind, dass meine Sehnsucht nach Ruhe und Weite verstehen konnte. Wir liefen viel weiter als geplant, zum Vogelreservat, nach Seaview, die Huegel hinauf, um auch den Blick von oben aufs Meer zu zeigen. Dann bogen wir von der Strasse auf die Felder ab, kamen an einen noch vollen Brombeerbusch vorbei, machten in der windstillen Senke ein spontanes Picknick in der Sonne, als waere noch August. Ich muss wieder mehr auf die Insel.

Die Mädchen am Strand. Bis in den September war ich hier noch schwimmen.

Wer bei mir gewesen ist, weiß, dass an der Karte immer der Geschichtsunterricht stattfindet.


Im Hafencafe schafften es die Mädchen durch fast das halbe englische Frühstück. Die Würstchen wurden abgelehnt.


Englische Pubs fanden Zuspruch, englisches Bier nicht.

In der Schmiede von 1642 glüht das Feuer und ein polnisches Lächeln.

Rechts Theresa aus Siegen.

Der Wirtshausbesitzer.

 






Vor der Kathedrale in Winchester.

 

Der schönste Pub in Winchester.




Daria an der Promenade der Isle of Wight.

Im Juli 2012 habe ich ein Foto an gleicher Stelle gemacht.



Picknick unter Brombeeren.




Donnerstag, 19. September 2013

Zurück im Herbst

Die Abreise aus Deutschland war wie immer schwierig und das Reisen die inzwischen so ungeliebte Ermüdung wie gewohnt. Die Rückkehr nach England war aber diesmal glimpflich, auch wenn wie erwartet der Sommer eindeutig vorbei ist. Direkt nach dem Urlaub kam ja eine Konferenz in Wales, weshalb ich auf den nächsten Flughafen in Bristol geflogen bin. Übernachtet habe ich bei einer Klavierlehrerin, die fließend Deutsch sprach und richtigen Essen machen konnte, wozu ich echtes deutsches Brot beisteuerte. Während meine Kollegen für die lange Anfahrt von Titchfield um 7 Uhr losfuhren, konnte ich morgens im Klavierraum noch Singen üben und mich erst dann zum Bahnhof aufmachen.
Diese meine erste Konferenz, auf dem ersten Besuch in Wales, war eine schöne Erfahrung. Swansea ist nicht interessant, aber die Uni, auf deren Gelände alles stattfand, liegt 5 Minuten Fußweg von einer weiten Bucht mit Sandstrand und Leuchtturm auf einem Felsen. Dorthin habe ich mich gerne morgens und abends abgesetzt. Die Mensa hatte direkten Blick aufs Wasser. Vor allem aber konnte ich wieder richtig Student spielen und habe mir drei Tage lang Vorträge von schlauen Leuten angehört, darunter echte Koryphäen, deren Bücher wir im Studium gelesen haben. Ich selbst habe ganz am Ende auch meinen Vortrag gehalten.

Zurück in Portsmouth ist unser Haus richtig voll. Neben den drei „Sommer“bulgaren sind die zwei normalen Studenten zurück. Da der dritte sein Studium ja abgeschlossen hatte und weggezogen war, ist eine neue Engländerin dazugekommen. Sie ist mit Mitte 20 etwas älter als die anderen und hatte große Hoffnungen geweckt, da sie Musik und Schauspiel studiert, singt und tanzt und das auch unterrichtet, dem Chor und auch der Bauchtanzgruppe meiner Freunde beitreten wollte. Nach zwei Wochen ist aber klar, dass sie sich das Studium wohl etwas zu zeitfrei vorgestellt hat. So sehe ich von meinen Mitbewohnern wie gewohnt wenig, da ich ja selbst nicht viel zu Haus bin. Nach einem Abschiedsessen sind die drei Bulgaren jetzt ausgezogen; mit denen hatte ich gerne zusammen gewohnt.

Das neue Semester hat also begonnen und die Stadt ist überflutet mit Erstsemestern, was in England eine besonders niedere Lebensform ist. Auf der positiven Seite läuft auch der Unichor wieder, aber anfangs musste man sich durch eine richtige Flut dieser Leute auf Strassen und Gaengen kämpfen. Wir singen Mozarts Messe KV 167 und Salieris Messe in D, Konzert ist am 30. November. Ein interessantes Detail: im nächsten Semester studieren wir ein Stück der wohl wichtigen und sogar noch lebenden Komponistin Cecilia Macdowall ein. Die hat auf Betreiben unseres Dirigenten einen Ehrendoktor der Uni bekommen und hält uns dafür zum Probebeginn eine Rede. Gut also, in einem Unichor zu sein. Mit moderner Musik sollten wir dann auch die meisten Studenten loswerden. Auch mein Gesangsunterricht läuft, und von meinem Tangolehrer habe ich ein Lob bekommen! Ich bin also voll und ganz zurück in meinem Programm, mit all der dazugehörigen Zeitnot. Zum Glück ist natürlich der Sommer fast vorbei und man muss nicht mehr ständig auf tolle Konzerte und Schwimmen gehen (wobei letzteres noch lohnend ist). Darum verbringe ich wieder einige Zeit in der Bibliothek, wo ich durchaus auch Gesang und Tanz üben kann.
Meine Priorität war in den ersten Wochen aber, den Kontakt mit Freunden wieder herzustellen. Neben Einzeltreffen bot sich dafür das Portsmouth Sommerfest an, das am 21. September im zentralen Stadtpark (mit den Meerschweinchen) stattfand. Freunde machten eine Bauchtanzshow und andere hatten sich als Arbeitshelfer gemeldet. Das tat ich dann auch und hatte neben Aufbauhilfe für Stände der Öko- und Bewusster-Leben-Fraktion endlich mal die Zeit, mich in Ruhe zu unterhalten.

Neben allem lässt sich auch die richtige Arbeit nicht völlig vermeiden. Zum Glück ist es aber ruhig. Unser bisheriger Chef wurde hinauskomplimentiert und wir wurden mit einer der letzten großen Arbeitsgruppen der immer weiter schrumpfenden Abteilung Volkszählung vereinigt. Dadurch kann sich wieder jeder auf ein Thema konzentrieren, und ich bin zurück in meinem Lieblingsbereich, der Variablenentwicklung und -qualitätsprüfung. Das darf ich in Ruhe vor mich hintreiben und das macht mir Spaß. Außerdem gibt es viele Fortbildung, zur Konfliktregelung, zur Sicherung von privaten Daten und zur Erschliessung von Datenquellen aus den nichtstatistischen Verwaltungsbehoerden.

Sonntag, 15. September 2013

18.08.2013 - Skandinavien

Jetzt bin ich also zurück aus Skandinavien und habe ganz viele tolle Sachen erlebt und gedacht, die alle wahr sein können oder auch nicht, am besten gebe ich nur einige Details, die unbestreitbar sind. Allgemeingültigkeit haben nur die echt deutsche Laufleistung, handfeste Bildung und zügellose Albernheit.

Die ungewohnte Weite, das Grün und Blau von Schweden schon beim Anflug. Die akurate Ordnung in jedem Detail. Die Katharinenkirche und ihr Viertel auf der Södermalm.

Die traumhaft ruhige Fahrt durch das Licht und die Weite der Schären. Die offene Ostsee danach. Am nächsten Morgen am Bug im Regen bei der Einfahrt nach Helsinki.

Die barbarischen Horden auf den Fähren (ich traf sie später wieder im Flieger zurück in ihre Heimat).

Erste warme Mahlzeit bei unserem Gastgeber in Helsinki. Seine Bücher und Musik. Die finnische Sauna im Wohnblock von 1929. Der endlose Lärm der Touristen in der Felsenkirche. Auf der Festungsinsel am Meer zu schlafen.

Wie die Führerin des Tourismusvereins Tallin aus ihrer Bude sprang, um Friedemanns alte Karte zu sehen. Die Konzertprobe in der Kellerkneipe. Als wir in Tallin Kasia zufällig früher als geplant in die Arme gelaufen sind.


Wie ich mich wieder einsam fühlte, als am Ende alle weg waren.

Stockholm Altstadt.

Stockholm Altstadt.

Stockholm Altstadt.


Palastwache.






Das Schiff ist eine Jugendherberge.


Wachwechsel am Palast.


Rathaus bei Nacht, mit drei Kronen über dem Turm.

Auf der östlichen Insel Djurgarden liegt auf ein schöner Park...

...mit Apfelwiese.



Bei der Abfahrt Richtung Helsinki.


Bei der Fahrt durch die Schären klart auch das Wetter auf.




Es wird Nacht.

Tallinn Altstadtrathaus.

Orthodoxe Kirche.

Der Hafen voller Kreuzfahrer und Fähren.



An der Kamera fotografiert auch Friedemann mit.

Interessantes Detail.



Helsinki Felsendom.

Helsinki: bei unserem Gastgeber.

Auf der Festungsinsel vor Helsinki.

Hier wohnen auch noch Menschen.


 



Wie ganz Helsinki ist auch der weiße Dom erst bei Sonne richtig schön.


An der Brücke zur Traditionsinsel Helsinkis.