Samstag, 30. Januar 2021

Geistesfahrt

Als ich also vor drei Wochen nach Fareham zum Zahnarzt fuhr, bemerkte ich beim Parken eine Menge weißen Rauch aus dem Auspuff. Ich rief die Feuerwehr, die auch nach drei Minuten um die Ecke bog und einen Brand ausschloss. Der Abschleppdienst brauchte geschlagene drei Stunden und sagte, das lohnt sich nicht zu reparieren. Die haben mich aber zum Glück noch nach Hause geschleppt. Dafür habe ich den längsten Spaziergang seit Ottos Geburt gemacht, bei Sonnenschein und ohne Ziel, durch ein völlig biederes englisches Wohnviertel, ein echtes Erlebnis wie in den ersten Tagen auf der Farm.

In den folgenden Tagen hat uns Ellie in Windeseile einen Hyundai i10 organisiert. Online gefunden, Testfahrt bestellt, gekauft - ich musste nur noch bezahlen, das ist Service. War auch nötig, denn in einem Monat muss Ellie wieder arbeiten, und Otto drei Tage die Woche zur Tagesmutti fahren. Die erwartet inzwischen für den August selbst wieder ein Kind; gucken wir mal wie es dann mit der Betreuung aussieht.

Otto hat in der Zeit ebenfalls einen Gang zugelegt. Nicht nur weil er übt vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen (wenn er will und man ihn festhält). Er feilt auch an den ersten Worten; Papa und Mama erkennen wir schon, auch wenn sie anders klingen. Ich bewundere sein Gleichgewicht und Fingerfertigkeit. Diese Entwicklung wirft wie auch die vorigen Phasen seinen Schlaf völlig durcheinander. Vorbei die glorreiche Zeit, wo er jeden Abend fast sofort ein- und dann fast durchschlief. Jetzt schläft er nur noch ein, wenn man ihn ins Bett holt und festhält. Oder aufsteht und ihn wiegt. Oder beides abwechselnd. Aber nicht einfach im Bett. Und er wacht wieder auf, meist bevor wir selbst im Bett sind, und dann schläft er nur noch in unserem Bett. Zwar ohne großes Theater. Aber der eigenen Schlaf ist nicht toll. Kann man nichts machen. Muss man durch.

Alles in allem reagieren wir ganz robust. Mein Wohlbefinden hing aber auch immer wieder durch. Mit den Schlafschwierigkeiten ist der Abend noch kürzer; in den letzten Wochen schien mein Leben manchmal doch ziemlich monoton. Nach der Arbeit bringt man Otto ins Bett und wenn man dann "frei" hat, bleibt noch sowas wie anderthalb Stunden, wo man man sich entscheiden muss, dringende Haushaltsarbeiten zu erledigen, sich dringend draußen zu bewegen, dringend andere Aufgaben wie das Auto zu erledigen, oder etwas Zeit mit Ellie zu verbringen und sich zu entspannen.

Ich denke aber auch, dass ich inzwischen die soziale Isolation durch Kind und Lockdowns spüre. Und nicht zuletzt einen Mangel an Tageslicht. Denn meistens komme ich genau eine halbe Stunde aus dem Haus, zu mehr reicht es nicht. In den letzten Tagen hatte ich die Freiheit früher Pause zu machen und mit Ellie und Otto spazieren zu gehen. Das war wunderbar, aber ob es so weitergeht kann man nicht sagen. Ich hatte nach Weihnachten angefangen Bücher zu lesen, aber dafür fehlt mir schon wieder die Muße und Zeit. Dafür höre ich viele Märchenhörspiele aus dem deutschen Radio. Ursprünglich für Otto rausgesucht, inzwischen für mich selbst.

Das spüre ich auch daran, wie mein Geist wieder auf Reisen geht. In jeder halbwegs ruhigen Minute entschwebt er auf lang vergangene Ausflüge und Orte. Vorgestern stand ich plötzlich in der Küche meiner Wohnung in Torun, und es kamen nicht nur Bilder sondern das spezifische Gefühl dieses Sommers zurück. In den letzten Tagen ziehe ich mir dagegen reihenweise Videos rein wie Leute im Harz wandern. Und ich tagträume dort irgendwann mit Otto durch die Wälder zu ziehen und ihm Sagen zu erzählen. Woran ich dann immer wieder denke: über die ganzen Jahre meiner Wanderungen habe ich implizit immer gedacht, sollte ich mal Partner und Familie haben, zeige ich ihnen meine vielen Stationen als Orte, die in meinem Leben noch eine aktive Rolle spielen würden, wo ich nicht nur Tourist wäre. Inzwischen ist mir klar, dass das nie so passieren wird. Dass das keine aktuellen Orte mehr sein werden. Sondern nur Geschichten, die Papa aus seiner Jugend erzählt.

Meine Arbeit ist anstrengend - viele Projekte auf einmal, Fristen verschieben sich, ich verliere oft die Übersicht; ich muss meinem Team einiges beibringen. Aber ich schaffe das ab und zu auch und langfristig merkt man das auch. Es ist aber noch ein weiter Weg.

Freitag, 15. Januar 2021

der neueste Stand

Anfang Dezember hatte ich zu schreiben begonnen, wie ich dieses Jahr unerwartet mehr und nicht weniger Advent verspürte als in der Vergangenheit. Aber dann wurde die Kinderpflege immer mehr Arbeit und inzwischen bin ich wieder an dem Punkt, wo ich gar nicht mehr versuche abends noch etwas zu schaffen. Einen Brief nach Rostock habe ich drei Wochen lang geschrieben bevor ich aufgab und ihn unfertig abschickte.
Mitte Dezember begann Otto sind an allen möglichen Sachen hochzuziehen und seine Betreuung wurde ziemlich anstrengend, weil man praktisch ständig die Hände um ihn halten musste, falls er umfiel. Er tat sich trotzdem ständig weh. Bis Anfang Januar hatte er dann aber erstaunliches Gleichgewicht entwickelt. Er erkundet aber weiterhin zielstrebig alle Gefahren eines Haushalts.
Anfangs und Mitte Dezember wuchsen ihm noch ganz viele Zähne.
Gleichzeitig verschob sich sein Schlaf. Er wacht nachts immer länger auf und ist immer schwerer zum schlafen zu bringen. Er steht meistens einfach am Rand seines Bettchens, zweifellos die Augen geschlossen, der leuchtende Nuckel schwebt dann im Dunkeln. Er jammert dabei weniger. Aber er holt seinen Schlaf morgens nach, man steht später auf, dadurch verschiebt sich alles nach hinten.

Mitte Dezember hatte ich angefangen mir für  Otto beim Schlafengehen Geschichten auszudenken. Meine Stimme schien ihm einschlafen zu helfen. Inzwischen hat sich das wieder geändert. Aber das Erzählen hat mir Spaß gemacht. Meistens habe ich von Ausflügen und Reisen erzählt, von denen ich meißt ohnehin immer träume.

In diesen Wochen lagen Ellies Geburtstag, Weihnachten und Silvester.

Dieses Jahr war nicht die Zeit für große Geschenke. Ich wollte Ellie einmal einen Tag ganz für sich geben. Darum bekam sie eine Massage, etwas Zeit in den Geschäften und abends Essen nach Hause bestellt, während ich mich um Otto kümmerte.

Entgegen meiner Erwartung, Advent und Weihnachten nur eingeschränkt vorbereiten zu können, bin ich mehr in die richtige Stimmung gekommen als in der Vergangenheit. Nicht obwohl sondern weil wir ein Kind haben. Denn auch wenn die Zeit für Vorbereitungen sehr knapp ist sind wir doch jeden Tag zusammen zu Hause als Familie. Wir aßen in der Zeit mindestens einmal gemeinsam am großen Tisch, wo Platz ist für einen Adventskranz und -kerzen. Ich kredenzte Otto die richtigen Lieder und Hörspiele: Dresdener Kreuzchor mit Liedern, Güttler mit Bach, Orgel mit Bach, Oratorium von Bach, Weihnachtsgans Auguste,  der Nikolaus kommt in die Stadt etc. pp. Ich habe mir das alte Liederbuch "Wenn Weihnachten ist" besorgt aus dem ich Otto vorsinge und -spiele. Aschenbrödel wurden gezeigt. Zwei Keksdosen füllten und leerten sich periodisch. Wir hatten gleich zwei Adventskränze. Nur Adventskranzkerzenhalter sind in diesem Land nicht zu finden! (aber keine Sorge, kamen zu Weihnachten) Der Nikolaus besuchte Otto und Ellie.

Der Weihnachtsbaum war dieses Jahr kleiner und noch eingetopft. Einfach um Arbeit zu sparen. Im neuen Jahr kam er in den Garten wo er bleibt bis ich weiß was ich mit ihm mache. Am liebsten würden ich ihn irgendwo einpflanzen, schließlich lebt er ja noch. Nur wo in diesem Land mit wenig Wald und öffentlichem Land.
Heiligabend habend wir nachmittags unsere gegenseitigen Geschenke und die Pakete aus Deutschland ausgepackt. Nachdem Otto im Bett war hat uns noch ein Freund zum Abendbrot besucht. Der kam auch am nächsten Tag zurück, als wir englische Weihnachten feierten. Tonnenweise Geschenke für Otto.

Silvester wird hier drüben ja nicht groß begangen. Wir haben Dinner for One geguckt. Ich bin einmal zum Strand um nach Feuerwerk auf der Isle of Wight zu schauen. Aber Nebel lag über dem Wasser - wenigstens tönten später die Schiffshörner. Zu dem Zeitpunkt schlief Otto nachts schon wieder so schlecht, dass ich nicht mal daran dachte auf Mitternacht zu warten und später die wenigen Feuerwerker auf der Straße verfluchte.

Mein Wohlbefinden geht auf und ab. Das folgt mehr oder weniger Ottos Schlafgewohnheiten. Ich komme weiterhin nur einmal am Tag aus dem Haus. Seit Otto abends oft später ins Bett geht nehme ich ihn wenn möglich gleich morgens auf einen Spaziergang. Dadurch sehe ich zumindest auch mal das Tageslicht. Und früh ans Meer zu kommen hilft anschließend auf der Arbeit, die schwerer geworden ist. Meine Mittagspause nehme ich immer häufiger alleine, weil sich schlecht voraussagen lässt, wann Otto seinen Mittagsschlaf hält. Zum Glück ist er tagsüber relativ einfach zu betreuen, sonst hätte ich ein sehr schlechtes Gewissen Ellie gegenüber. Seit er mobiler ist und Sachen besser greifen kann beschäftigt er sich oft selbst und man muss ihn nur noch beschützen aber nicht unbedingt unterhalten. An guten Tagen ist es abends nach der Arbeit richtig entspannend mit ihm zu spielen. Man kann mit ihm kommunizieren, er erkennt viele Worte und macht Gesten nach. Es ist sehr schön ihn als aktive Person zu beobachten.
Ich als alte Person habe seit einigen Wochen wieder Probleme mit dem Ischias. Da ging in einer schwierigeren Nacht etwas kaputt als ich Otto aus seinem Bettchen hob.
Und heute ging zusätzlich unser Auto kaputt. War ich nach zum ersten mal seit über einem Jahr zum Zahnarzt gefahren, da ging wohl der Motor kaputt. Darum könnte ich auch endlich schreiben: seit drei Stunden warte ich auf den Abschleppdienst.