Als ich also vor drei Wochen nach Fareham zum Zahnarzt fuhr, bemerkte ich beim Parken eine Menge weißen Rauch aus dem Auspuff. Ich rief die Feuerwehr, die auch nach drei Minuten um die Ecke bog und einen Brand ausschloss. Der Abschleppdienst brauchte geschlagene drei Stunden und sagte, das lohnt sich nicht zu reparieren. Die haben mich aber zum Glück noch nach Hause geschleppt. Dafür habe ich den längsten Spaziergang seit Ottos Geburt gemacht, bei Sonnenschein und ohne Ziel, durch ein völlig biederes englisches Wohnviertel, ein echtes Erlebnis wie in den ersten Tagen auf der Farm.
In den folgenden Tagen hat uns Ellie in Windeseile einen Hyundai i10 organisiert. Online gefunden, Testfahrt bestellt, gekauft - ich musste nur noch bezahlen, das ist Service. War auch nötig, denn in einem Monat muss Ellie wieder arbeiten, und Otto drei Tage die Woche zur Tagesmutti fahren. Die erwartet inzwischen für den August selbst wieder ein Kind; gucken wir mal wie es dann mit der Betreuung aussieht.
Otto hat in der Zeit ebenfalls einen Gang zugelegt. Nicht nur weil er übt vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen (wenn er will und man ihn festhält). Er feilt auch an den ersten Worten; Papa und Mama erkennen wir schon, auch wenn sie anders klingen. Ich bewundere sein Gleichgewicht und Fingerfertigkeit. Diese Entwicklung wirft wie auch die vorigen Phasen seinen Schlaf völlig durcheinander. Vorbei die glorreiche Zeit, wo er jeden Abend fast sofort ein- und dann fast durchschlief. Jetzt schläft er nur noch ein, wenn man ihn ins Bett holt und festhält. Oder aufsteht und ihn wiegt. Oder beides abwechselnd. Aber nicht einfach im Bett. Und er wacht wieder auf, meist bevor wir selbst im Bett sind, und dann schläft er nur noch in unserem Bett. Zwar ohne großes Theater. Aber der eigenen Schlaf ist nicht toll. Kann man nichts machen. Muss man durch.
Alles in allem reagieren wir ganz robust. Mein Wohlbefinden hing aber auch immer wieder durch. Mit den Schlafschwierigkeiten ist der Abend noch kürzer; in den letzten Wochen schien mein Leben manchmal doch ziemlich monoton. Nach der Arbeit bringt man Otto ins Bett und wenn man dann "frei" hat, bleibt noch sowas wie anderthalb Stunden, wo man man sich entscheiden muss, dringende Haushaltsarbeiten zu erledigen, sich dringend draußen zu bewegen, dringend andere Aufgaben wie das Auto zu erledigen, oder etwas Zeit mit Ellie zu verbringen und sich zu entspannen.
Ich denke aber auch, dass ich inzwischen die soziale Isolation durch Kind und Lockdowns spüre. Und nicht zuletzt einen Mangel an Tageslicht. Denn meistens komme ich genau eine halbe Stunde aus dem Haus, zu mehr reicht es nicht. In den letzten Tagen hatte ich die Freiheit früher Pause zu machen und mit Ellie und Otto spazieren zu gehen. Das war wunderbar, aber ob es so weitergeht kann man nicht sagen. Ich hatte nach Weihnachten angefangen Bücher zu lesen, aber dafür fehlt mir schon wieder die Muße und Zeit. Dafür höre ich viele Märchenhörspiele aus dem deutschen Radio. Ursprünglich für Otto rausgesucht, inzwischen für mich selbst.
Das spüre ich auch daran, wie mein Geist wieder auf Reisen geht. In jeder halbwegs ruhigen Minute entschwebt er auf lang vergangene Ausflüge und Orte. Vorgestern stand ich plötzlich in der Küche meiner Wohnung in Torun, und es kamen nicht nur Bilder sondern das spezifische Gefühl dieses Sommers zurück. In den letzten Tagen ziehe ich mir dagegen reihenweise Videos rein wie Leute im Harz wandern. Und ich tagträume dort irgendwann mit Otto durch die Wälder zu ziehen und ihm Sagen zu erzählen. Woran ich dann immer wieder denke: über die ganzen Jahre meiner Wanderungen habe ich implizit immer gedacht, sollte ich mal Partner und Familie haben, zeige ich ihnen meine vielen Stationen als Orte, die in meinem Leben noch eine aktive Rolle spielen würden, wo ich nicht nur Tourist wäre. Inzwischen ist mir klar, dass das nie so passieren wird. Dass das keine aktuellen Orte mehr sein werden. Sondern nur Geschichten, die Papa aus seiner Jugend erzählt.
Meine Arbeit ist anstrengend - viele Projekte auf einmal, Fristen verschieben sich, ich verliere oft die Übersicht; ich muss meinem Team einiges beibringen. Aber ich schaffe das ab und zu auch und langfristig merkt man das auch. Es ist aber noch ein weiter Weg.