Donnerstag, 30. Juni 2016

Als Ellie mal wieder auf einer Hochzeit war, bin ich in den New Forest radeln gefahren. Da war ich seit dem Winter nicht mehr. Bisher war ich fast immer mit Mathieu und seinem Auto dagewesen. Diesmal allein war ich etwas schneller und flexibler und bin einfach der Nase lang gefahren. Einmal hat mich das in eine Schlammkuhle befördert, denn es war sehr nass, aber wider Erwarten hat mich das nicht gebremst. Und die Ponies und Esel. Bald danach habe ich aber die festen Wege gefunden und habe den Wald und die Ruhe genossen. Ich habe auch einige schöne neue Orte zum Besuch mit Ellie gesehen, wie ein Rehgehege und ein Gartencafe. Ellie ist bisher nämlich nur zweimal durch den Wald gefahren und niemals wirklich dort rumgelaufen.
Zusammen mit Ellie bin ich eines Montagsabends zum Picknick zu St. Hubertus gefahren. Ich durfte sogar Auto fahren! Eigentlich wollte ich ihr die Blumen zeigen, aber scheinbar wachsen die dieses Jahr doch nicht. Aber jeder Besuch dort auf den Feldern, mit dem weiten Blick, dem Wald und den Vögeln öffnet meine Seele. Danach habe ich es sogar noch zum Schwimmen im Meer und zum Rosengarten geschafft. Die Rosen sind schon wieder am Verblühen, aber ich genieße jedes Mal, auch nur für fünf Minuten abends dort zu sitzen. Denn ruhig ist es dort auch.

Leider hat der Sommer nach einigen halbherzigen Versuchen wieder aufgegeben; das Wetter ist katastrophal kühl und langweilig. Der Garten macht zwar trotzdem Spaß, aber ich kann oft nicht Lesen, weil es irgendwann wieder zu regnen anfängt. Drei Männer auf Bummelfahrt habe ich ausgelesen und widme mich jetzt wieder der Geschichte und Chemie. Im Radio höre ich mir nach und nach Kurzproträts wichtiger Angelsachsen an. Wiederum eine Folge des Erbe Roms. Vor Kurzem habe ich auch mal ein Comicbuch zur Hand genommen, dass mir Mathieu zum Abschied vererbt hat. Das hat mich daran erinnert, wie wir in der Schule gelernt hatten, dass Comics in Frankreich eine populäre und ernsthafte Gattung sind. Wie Science Fiction in der Sowjetunion vielleicht. Nun, ich lese zum ersten Mal ein richtiges Comicbuch, und es macht mir Spaß.

Nun komme ich doch nicht um das Referendum rum. Politisch ist das ganze inzwischen nur noch eine Tragifarce. Besser also ein persönlicher Bericht. Am Morgen nach der Volksabstimmung musste ich erstmal Ellie trösten. Interessanterweise war auch auf der Arbeit eine miese, surreale Stimmung. Und die meisten Kollegen betrifft es ja nicht direkt. Sogar ich, der ich seit Monaten predige, dass es für uns persönlich erstmal keine Auswirkungen hat, hatte so ein komisches Gefühl von 19. Jahrhundert. Wirklich nerven tut mich aber nur eins: In der Presse, sowohl hier als auch im Ausland, analysieren Journalisten nun seit Monaten verzweifelt die Seiten voll mit Scheindebatten. Bei dem Referendum ging es natürlich nicht um die EU (wer kennt die schon), sondern um Rassismus. Ganz normalen Rassismus bei den einfachen Menschen (man zündet ja auch keine Asylheime an, weil man "besorgt" ist) und bei den reicheren Konservativen kommt dazu dieses merkwürdige Gefühl, es schon immer besser als andere Länder gemacht zu haben. Darum sind damals 2011 soviele Konservative der UKIP hinterhergerannt, und nur darum wurde das Referendum ja angesetzt. Ich persönlich werde also in der Tat keine Probleme haben, denn ich habe die richtige Hautfarbe und komme aus einem reichen Land.
Man muss den Leuten zu Gute halten, dass man sich außerhalb der Politik sofort öffentlich vor die Ausländer gestellt hat. Abgeordnete bauen dafür öffentlich Druck für die Leute ihres Wahlkreises auf. Vermutlich da es hier nur Direktmandate gibt. Auf der Arbeit kamen sehr schnell Statements von Gewerkschaft, Management. Das ist dann doch beruhigend. Überraschend sind die plötzlichen öffentlichen Angriffe auf Ausländer zwar nicht, aber wenn sogar persönliche Freunde davon berichten, trifft es einen doch mehr als gedacht. Und natürlich werden nicht nur EU Ausländer angemacht. Ausländer ist Ausländer.

Donnerstag, 23. Juni 2016

Einen Gang runter

Tango
Mitte Juni haben wir den vierten (von fünf) Tangoauftritten in Guildford absolviert. Bis zum fünften und letzten haben wir jetzt erstmal einen Monat Pause - was sehr willkommen ist. Trotzdem ist es schade, dass es schon wieder fast vorbei ist. Der letzte Auftritt lief nämlich noch einmal etwas besser als der davor (der war nur vier Tage vorher gewesen und der Übungseffekt steckte uns sicherlich noch in den Knochen. Jetzt wo wir unsere Routinen genug beherrschen um an Details zum Denken und den Tanz als ganzen zu  steuern macht das Ganze gerade erst richtig Spaß. Überhaupt scheint die Aktion diesmal schneller vorbei als 2014. Nicht zuletzt wohl, weil ich viel mehr Choroegraphien habe als damals - bevor ich das erste Mal durchatmen kann und nicht schnell zum Umkleiden rennen muss, ist die erste Halbzeit schon wieder vorbei.

Canterbury
Dieser Auftritt fand leider an einem Wochentag statt, und da wir erst spät zurückkamen, war ich am nächsten Tag ordentlich fertig. Sehr viel ausschlafen konnte ich auch nicht, denn zwei Nächte später bin ich mit Ellie zum Geburtstag ihrer Schwester nach Canterbury gefahren. Kaum zu glauben, dass der letzte Besuch bei ihr dort vor zwei  Jahren war - Ihr erinnert Euch vielleicht, das mit dem Haus auf dem Feld. Das letzte Mal in Canterbury selbst war ich aber erst Anfang des Jahres gewesen, mit Mathieu. Auf dem Weg haben wir im Ort Tenterden Halt gemacht, in dem Ellie bis zum Alter von 21 aufgewachsen ist. Natürlich für mich interessant, um ihre Geschichte zu verstehen. Aber auch sie war zum ersten Mal seit ihrem Wegzug vor 10 Jahren wieder da. Ich beobachtete, wie sie ihren alten Ort neu sah, so wie ich oft meine alten Orten wiedergesehen habe. Leider konnte ich nicht so lange bleiben wie Ellie (mir fehlen die Urlaubstage), am nächsten Tag musste ich schon wieder allein zurückfahren, aber es war ein schöner Ausflug. Die Sonne schien, die ausgebüxten Katzen mussten im Feld zwischen Mohnblumen gesucht werden, und am Ende spielten wir im Park Karten.

Portsmouth
Zu Hause ist es auch gar nicht schlecht, das Wetter zwar trübe, aber die Abende oft schön. Der Rosengarten insbesondere erlebt seine besten Wochen des Jahren - abends ist es dort still, man hört eintausend Vogelstimmen und die Blumen scheinen in allen Farben. Und durch das Tor sieht man das Meer. Ich nähere mich schnell dem Ende der Drei Männer auf Bummelfahrt und lese wieder einige Kapitel im Erbe Roms, dass ich schon zweimal durchgelesen hatte. Jedes Mal verstehe ich wieder etwas mehr, dank anderer Dinge, die ich in der Zwischenzeit gelernt habe. Die Zeit vergeht etwas entspannter seit Tango vorbei ist und ich auch endlich meinen Sommerbesuch gebucht habe. Ich komme den 6.-20. August und fliege mit Mutti zurück.

Sonntag, 12. Juni 2016

Am Strand und auf der Bühne

Anfang Juni kam Mathieu zurück von seiner Reise. Er verbrachten zwei Nächte in Portsmouth, bevor er nach Nottinghamg zog. Wir trafen uns einen Abend und einen Morgen am Meer, letzterer mit Frühstück, eine der zivilisiertesten Sachen, die ich in den vier Jahren hier gemacht habe. Zum Glück war der erneute Abschied kurz.
Nicht, dass mein Leben weniger hektisch wäre. Die Abende mit Mathieu gingen eigentlich nahtlos in die Brettspielabende mit dem tschechischen Paar über. Aber ich habe abends häufiger Zeit für einen Tee am Meer. An sich endlich mehr Zeit für Bücher, aber gerade wenn das Wetter mal wieder Herbst ist, fehlt mir doch ein Freund vor Ort. Auch Ellie war bis vor Kurzem weniger verfügbar - sie musste oft lang arbeiten, da die Prüfung ihrer Abteilung durch das Innenministerium nun doch stattfand. Nach vielem Bangen (zumindest von Ellies Seite) ging das (wie üblich mag man sagen) viel besser aus als erwartet.

Ein Mann auf Bummelfahrt

Andererseits hatte ich zwei lange Wochenenden, und jeweils einen Tag hatte Ellie zu tun. Was macht mann da - genau, eine Radtour. Sowas macht Ellie ja nicht mit. Einen Tag habe ich einen alten Pilgerpfad von Winchester nach Portsmouth abgefahren. Auf dem sind früher Pilger von Winchester nach Portsmouth gelaufen und dort nach Frankreich übergesetzt, um zum Kloster auf der Insel Mont St. Michel zu kommen. Noch im Sommer 2012 hatte ich mir einen sehr schönen Wanderführer dazu gekauft und wollte, unter dem Eindruck einer erzkatholischen Rostocker Freundin, den Weg ein Wochenende lang ablaufen. Morgens früh mit der Sonne aufstehen. Dazu kam es natürlich nie, denn wann hat man schonmal ein ganzes Wochenende, wenn man nicht mehr Single ist. Dann eben nur einen Teil, und schneller mit Fahrrad. Immerhin gibt es mir Hoffnung: alte Versäumnisse sind nicht ganz verloren. Nun, bereits Winchester selbst war sehr schön und ich ging gleich im Stadtmuseum verloren. Schließlich hat die Stadt eine lange Geschichte, nicht zuletzt als römisches Provinzzentrum, und die Domglocken läuteten die ganze Zeit. Vom Pilgerpfad habe ich dann immer noch die Hälfte geschafft. Dann waren mir die Pfade zu beschwerlich zum Radeln und ich bin wieder auf die Straßen umgestiegen. Zumindest waren die beschwerlichen Wege per definitionem in der Natur. Wogende Felder wachsenden Weizens. Nur kalt war es.

Am folgenden Wochenende ging es zu St. Hubertus. Mal wieder. Wie im Mai wollte ich vor allem gucken, ob denn dieses Jahr wieder die Wildblumenwiese um die Kapelle wächst. Auf meinem letzten Besuch war noch nichts zu sehen gewesen und ich dachte, dass der Naturpark sie nicht jedes Jahr wachsen lässt (so wie wir auf der Farm das Wachstum der Wiesen gesteuert haben). Jetzt sah ich, dass die Margarithen gerade erst wachsen! In einem perfekten Rechteck um die Kapelle. Weiße Margarithen, roter Mohn, gelber Senf, und alles grün. Ruhe, keine Motoren, nur Zwitschern und Summen und es war warm! Ganz unerwartet war Sommer! Ich erkundete einige neue Wege, fand ein schönes Dorf, dass ich nächstes Mal Ellie zeigen kann. Die selbst schrieb mir zwischendurch, dass die Prüfung bestanden wurde.


Vorlesungen

Natürlich habe ich auch etwas mit Ellie gemacht. Ende Mai war große Bildung angesagt. Zum einen ein ganz tolles Wissenschaftsfestival, an dem über drei Tage in Pubs Vorlesungen gehalten wurden. Mit Ellie habe ich etwas über Pterosaurier gelernt, und wenn sie keine Zeit hatte, ging ich zu den Astrophysikern (schließlich bin ich richtiger Wissenschaftler, mit Zahlen und so). Am Ende der gleichen Woche besuchten Ellie und ich die Vorlesung eines bekannten Historikers im örtlichen Theater, zu Tod und Nachfolge in der Tudordynastie. Als wir 21 Uhr aus dem Theater kamen, war es noch hell draußen und wir haben bis halb elf am Strand gesessen und Geschichte diskutiert.

Bücher

Statt mich auf vernünftige Sachen wie Statistik oder Chemie zu konzentrieren, lese ich Jerome's Drei Männer auf Bummelfahrt. Das beschreibt eine Fahrradtour durch das Deutschland Ende des 19 Jh. Einige Beobachtungen (Ordnung und Fahrradfahren) sind bemerkenswert modern. Ich hoffe, dass auch Ellie das Buch liest, wo doch auch Berlin und Potsdam beschrieben werden. Den bekannteren Vorgänger, Drei Männer in einem Boot, hatte ich übrigens 2009 in Lodz gelesen, in Vorbereitung auf eine englische Sprachprüfung, um mich an der Uni York zu bewerben. Die gleichzeitige Prüfung in Polnisch habe ich damals leider nicht bestanden.
Inzwischen habe ich Ellie Pippi Langstrumpf komplett durchgelesen und sie liest mir weiter Mathilda vor.

Tango

An zwei folgenden Wochenenden hat meine Tangotruppe Auftritt zwei und drei absolviert. Mit jedem Mal wurde es etwas besser. Besonders der dritter Auftritt in Winchester ist sehr gut geraten. Die meistens Details in jedem Tanz sitzen inzwischen, und trotzdem habe ich ganz am Anfang immer noch ungewöhnlich viel Lampenfieber. Als wir aus dem Theater kamen, gab es ein großes Feuerwerk über der Stadt. Vermutlich eher aufgrund des ersten EM Spiels Englands (leider traten wir zur gleichen Zeit auf, dürfte uns einige Zuschauer gekostet haben). Zum ersten Mal auch konnte ich nachts mit nur einem Tshirt rumlaufen. An einem Sommerabend kommt Winchesters historisches Flair richtig zur Geltung.

26. Mai war Anbaden! 11,7 Grad!


St Hubertus, Juni. Seit dem letzten Besuch ist der Raps verschwunden, dafür sieht man die Margarithen langsam um die Kapelle wachsen.
Komisch Gucken vor der Show.

Schminke ab nach der Show (bereits im Pub)
Komisch gucken nach der Show.