Mittwoch, 15. Dezember 2010

16.12.2010 – Letzte Meldungen 2010

Eigenbildung
Am Vormittag des 04.12. war ich im Bar Konvent, einer kleinen katholischen Nonnengemeinde am Micklegate Tor. Die wurde von einer mutigen Mary Ward zu Zeiten der Katholikenverfolgung gegründet, die sich zum gottesfürchtigen Leben nicht in ein Kloster sperren wollte. Nach langem Kampf mit Anglikanern wie den eigenen Katholiken (wollten keine so selbstständige Frau) heute Kopf vieler Frauenkonventsableger in aller Welt. Im ersten Stock ist eine versteckte Kapelle, von außen nicht sichtbar, mit acht Ausgängen und Priesterversteck für den Fall einer Razzia. Überraschend leicht und hübsch. Parterre ein überdachter Patio mit Café, auch mit Gartenplätzen.

Statistik
Wartezeit für den öffentlichen Zahnarzt: 18 Monate.
Geschätzter deutscher Anteil an der Bevölkerung Yorks: 25%. Hauptthema: überall Deutsche.

York gucken
Eine Internetseite mit guten, teilsweise 360 Grad Bildern sowie Videos von Yorks wichtigsten Ansichten: http://www.york360.co.uk/


Anfang des Semester hatte ich ein paar französche Erasmus Studenten kennen gelernt. Erst spaet erfuhr ich, dass sie Musik studieren, Gregoir spielt Klavier, Morgain Geige; und noch spaeter, dass sie taeglich in der Musikfakultaet ueben. Erst eine Woche vor ihrer Abreise konnte ich zum ersten Mal zuhoeren, und es war ganz toll, Beethovens Fruehlingssonate. Gregoir studiert uebrigens Musik und Physik – und wieder sehe ich, dass ich meine Karierre vollkommen falsch gewaehlt habe. Recht – ja, Ingeneurswesen – ja, Physik – ja, wenn man dann auch noch Musik macht – super. Und was kann ich? Von allem ein bisschen und damit von nichts wirklich etwas.

Wetter
Nach dem Schockwinter taut jetzt alles, vom Unidach kommen geradezu Bäche, nur die festgetreteten Eisschichten auf den Wegen gehen ohne Metallwerkzeuge nirgendwohin. Viele Seitenstraßen sind übrigens gletscherartig, seit dem ersten Tag ist dort nichtmal ein bisschen Sand hingekommen. Der Straßenräumdienst in diesem Land funktioniert als wären sie zum ersten Mal mit Schnee konfrontiert.


Mittwoch den 08.12. war ich im zweiten Konzert des Unichors, der Brahms deutsches Requiem sang. Seit ich dabei herausfand, dass eine japanische Kommilitonen mitsingt und sie im nächsten Semester im Münster auftreten werden will ich mich auch einschreiben.
Natürlich wird das Frühlingstrimester viel weniger Zeit lassen, und selbst hätte ich 48 Stunden am Tag frei reichte es nicht für alle Pläne. In einem halben Jahr soll ich die Uni verlassen, und jetzt im Master sehe gerade mal wieviel noch zu lernen ist, sogar in den wenigen Bereichen wo ich mir wenigstens ein bisschen zugetraut hatte. Nichts schließe ich ab, ich sehe gerade zum ersten Mal die Bruchstücke in so etwas wie einen Kontext fallen, und erst so erkenne ich, wieviel man noch lesen müsste bevor man es sich herausnehmen kann irgendetwas selber zu schreiben. Dann gibt auf und geht zum arabischen Essen weil man ohnehin nie soviel lesen und nachholen könnte, aber sogar dort wartet nur Verzweiflung ob der Unmöglichkeit der Umsetzung aller Ambitionen in nur einem Leben (selbst wenn ich die Zeit bisher effektiv genutzt hätte) auf einen. Schließlich will man sofort Arabisch lernen will und Türkisch, weil der Präsident der türkischen Gesellschaft da ist, und dann tauchen die Kazachen auf und man will doch wieder ganz schnell das Russischlehrbuch aus der Bibliothek zurück holen, wo es liegt um wenigstens den Pflichtfeldern wie Mathe ihre Zeit zukommen zu lassen, in einem der wenigen Vernunftsmomente wo man akzeptiert, dass man sich für nur einige wenige der vielen Wünsche entscheiden kann. Es gab auch eine ausgezeichnete Bauchtanzeinlage, von einer Chinesin, und später haben wir alle fröhlich im Kreis arabisch getanzt.
Im Anschluss gab es noch eine zweite „Weihnachts“party, die sich weit interessanter gestaltete als erwartet. Vor allem die sonst eigentlich ganz ruhigen Griechen üerraschten mich mit erstklassigem Balkanhabitus. Zwei Mädchen tanzten bald andeutungsreich auf einem Tisch während wir darunter die Arme hochreckten und Hopa und Aide riefen.

Heute abend fahre ich nach Nottingham und übernachte auf dem East Midlands Flughafen. Freitag mittag sollte ich in Deutschland sein.

Freitag, 3. Dezember 2010

03.12.2010 - Notizen

Dienstag 23.11. habe ich den Computerlehrgang mit einer Prüfung beendet und bin jetzt offiziell Datenbankfuzzi.

Freitag, 26.11., war morgens plötzlich Winter. Seitdem schneit es jeden Tag mehrmal massiv. Die Studenten aus dem Süden waren erst völlig begeistert. Spätabends wurde der Campus noch einma lebendig als alle aus ihren Wohnheimen liefen und sich Schneeballschlachten lieferten. Mir hat das von Anfang nicht gefallen. Zu früh, zu viel, zu kalt. Und zwei Tage später hatte auch jeder genug und geht nur aus dem Haus wenn er muss. Die Gassen der Altstadt sind natürlich sehr verwunschen im Schnee, vor allem abends wenn sie schon leer und dunkel sind. Die Laternen geben ihnen dann das orange Leuchten wie in Torun. Die weißen Türme des Münsters stehen unbeindruckt im Schneetreiben. Von meinem Haus sind sie dann nur etwas verschwommen.

Am 01.12. war ich im Konzert der Uniorchesters. Haydns Trauersymphonie sowie Mozarts Maurerische Trauermusik und Requiem gesungen vom Chor. Zwei Stunden für drei Pfund.

Am gleichen Tag habe ich endlich die Flugtickets für Weihnachten gekauft. Ich komme 17.12. - 05.01. Mit Hausarbeit im Gepäck. Genaue Besuchstermine in Kürze. Allerdings bin ich gespannt, ob das überhaupt klappt. Ich nutze einen kleinen Flughafen im Süden, wo die Anfahrt ein Wagnis ist, zumal bei dem Wetter. Im Moment sind jedenfalls alle Flughäfen gesperrt und ein Drittel der Züge wie auch die Straßen stillgelegt.

Sonntag, 21. November 2010

21.11.2010 – Gesund und mit Musik

1. Gesundheit
Die jüngsten Ereignissen haben uns alle hier etwas hypochondrisch gemacht. Bei jedem Kopfschmerz messe ich meinen Puls. Inzwischen hat mir ein Arzt bestätigt, dass ich nur eine weitere leichte Erkältung fast überstanden habe. Am 19.11. wurde ich außerdem gegen Meningitis geimpft.

Persönlich denke ich, dass der häufige Schnupfen einen simplen Grund hat: zu wenig Stress. Ganz allgemein muss ich nämlich trotz allem klar feststellen, dass es mir seit Jahren nicht so gut ging. Ich habe eine Aufgabe, die mich nützlich erscheinen lässt, und nebenbei noch Zeit ausreichend zu schlafen und zu essen, sogar um zu tanzen, für Museen, privates Lernen, ab und zu kann ich ausgehen und ich treffe ausnehmend schnell Freunde aus vielen verschiedenen Ländern. In Magdeburg war für Krankheit gar keine Zeit.

2. Uni
2.1 Wie ich erfahren habe, sind wir in York alles 'geeks'. Wären wir cool „würden wir in Leeds studieren“.

2.2 Am Campussee kann man prima in Ruhe sein Mittag essen. Dabei kann man in melancholischen Momenten die Enten füttern. Die sind mindestens so gierig wie Meerschweinchen. Denkt man nicht wie schnell so ein Erpel sein kann, wenn er einen fallenden Brotkrumen sieht.
Für den Nachmittagstee habe ich die Musikfakultät gefunden. Deren Gemeinschaftsraum überblickt wunderbar eine Wiese und dahinter ist der Campussee. Dazu spielt und singt es aus den Proberäumen, besonders stimmungsvoll vor Weihnachten und mit dem melancholischen Ausblick auf die diesige Wiese davor im Spätherbt. Trotzdem ist es ruhig genug um zu arbeiten weil sich wenige Studenten dorthin verirren. Das ist gut, denn ein grundsätzliches Problem der Uni ist die große Zahl von Studenten. Die meisten sind damit beschäftigt mir im Weg zu stehen.

Letztens habe ich gesehen, das die Colleges bis spätnachts voll Leben sind. Denn nicht nur hat jedes tagsüber sein Cafe, abends können die anwohnenden Studenten alle Einrichtungen benutzen. Ich nutze die Tanzabende der Südamerikanischen Gesellschaft, andere sehen sich mit den Projektoren der Lehrsäle Filme an.

3. Eigenbildung
3.1 Am Vormittag des 12.11. war ich im Prunkhaus der Stadt, wo bis heute wichtigere Gäste wie der König unterhalten werden. An den Wänden hängen die Regalien der Gemeinde, inkl. eines Schwerts von Kaiser Sigismund und einem zweiten, welches sich James I (König schottischer Abstammung, der England und Schottland zu Großbritannien vereinigte) zu seiner Krönung auslieh und nur auf wiederholte Bitte und ohne Gold- und Edelsteinbesatz zurückgab. Man vermutet dies als Grund für die bis heute gültige Stadtverordnung, dass jeder, der Samstag von 6-7 Uhr mit Pfeil und Bogen auf der Stadtmauer steht und einen Schotten sieht, diesen erschießen darf.

3.2 Terrific race the Romans
Danach bin ich noch unter (!) einen Pub im Zentrum gefahren, wo bei Kellerarbeiten in der 1930ern das Badehaus der römischen Garnison gefunden wurde. Seitdem mit Spaß am Thema als kleines Privatmuseum betrieben. Ich bin ja vollkommen begeistert von der römischen Zivilisation. Allein wenn man eine Karte des Schachbrettmusters der römischen Siedlung mit dem Straßenwirrwarr des mittelalterlichen York überlegt. Die Stadt wurde im 5. Jahrhundert verlassen und stand ca. 150 Jahre leer bevor es von den Angelsachsen rekolonisiert wurde. Was für ein Anblick müssen die langsam verfallenden Säulen und Bögen einer römischen Stadt gewesen sein inmitten der Wüstenei der Barbaren.

3.3 Eine Wohe später habe ich Samstag vormittag noch zwei in einem speziellen Faltblatt aufgeführte Kirchen besucht. Eine ist das letzte Überbleibsel eines der mit der Reformation abgeschaften großen Klöster und das einzige was niemals ganz geschlossen wurde. Die zweite ist gleich am Fluss und das schönste Sakralstück nach dem Münster aufgrund zweier Glasfenster, in denen die christlichen Tugenden sowie die letzten 15 Tage der Welt gezeigt werden.

3.4 Nach dem Buch über den Münster lese ich eine Reihe Kurzbiographien einiger der für seinen Bau wichtigsten Bischöfe, ähnlich den Euch zugeschickten.

4. Remembrance Day
Sonntag 13.11. war Gedenktag für die gefallenen Soldaten der Weltkriege. Im Vergleich zu Polen sehr dezent. Keine Paraden in jeder Kleinstadt, keine patriotischen Reden, keine Kinder in Uniform. In den Vorwochen wird auf den Straßen für die Veteranenorganisationen gesammelt; Spendern werden rote Blüten angesteckt, Symbol der französischen Mohnfelder, in die wohl viele Tote des 1. Weltkriegs aufgegangen sind.

5. Briefe
Neoliberalismus in drei Worten: Markt über alles. Aber das spricht selbstverständlich jeder wissenschaftlichen Anspruch Hohn, sogar dem von Studenten. Wie so oft geht das Problem schon bei der Definition los, und darum ist es auch so ein populäres Thema, weil sich jeder das raussucht was ihm passt und so interpretiert wie er will. Für Näheres wie immer Wikipedia, und als Buch das von mir gerade bearbeitete „Im Schatten der Globalisierung“ von Stiglitz.

6. Weihnachten
Ich habe einen Messbecher gefunden und kann jetzt backen.
Am 1. und 8. Dezember gehe ich zu Konzerten des Unichors (Mozart und Brahms).

Montag, 8. November 2010

08.11.2010 - Notizen

1. Guy Fawkes Nacht
Guy Fawkes Nacht war, wie zur Zeit die meisten Versuche etwas abends zu erleben, eine Enttäuschung. In Newcastle hatte mich Paul damals noch zu einer großen Menge in einen Park mitgenommen, mit Lagerfeuern und Strohpuppen und Ballons und Süßigkeiten für die Kleinen. Hier waren die Parks schon zu als ich ins Zentrum kam. Überall ging zwar Feuerwerk in den Himmel, genau genommen schon in den Tagen davor wie auch danach, aber das scheint alles privat im Hintergarten erledigt zu werden. Und das obwohl Guy Fawkes hier zur Schule gegangen ist!

2. Uni
Die erste Präsentation verlief ereignislos. In der kommenden Woche sind zwei schriftliche Arbeiten abzugeben, für die einzigen beiden ernstzunehmenden Kurse. Größtenteils Mathe. Die beiden anderen bringen am Ende des Semesters dann die Hausarbeiten. Sämtliche Klausuren kommen am Ende des Frühlingstrimesters, und zwar aus beiden Trimestern, wodurch es wohl stressig werden dürfte, zumal das Frühlingssemester die geringe Kurszahl des jetzigen ausgleichen wird.

Neben den Lehrbüchern lese ich schnell ein 100-Seiten-Buch zum Münster aus der Unibibliothek durch, die erste wirklich detaillierte Beschreibung, die mir gratis in die Hände gefallen ist.

3. Statistik
3.1 Drei römische Kaiser wurden in York gekrönt. Der letzte, Konstatin der Große, war es, der im Zuge der Durchsetzung des Thronanspruchs das Christentum legalisierte. Gekrönt wurde im Hauptquartier der neunten Legion, also der Basilika, dem Zentrum der Siedlung, direkt unter dem Münster. Ein Büro ist noch heute samt Mosaik unter dem Hauptturm zu sehen, und vor dem Münster eine der Kapitelsäulen, mit einer Statue Konstantins.

3.2 Post läuft wie seinerzeit 3 Tage.

4. Der Schokoladengeruch kommt vermutlich von der Rowntree-Schokoladenfabrik, heute im Besitz von KitKat oder Nestle.

5. Antwort auf einige Fragen aus Briefen
5.1 Andenken und Souvenirs habe ich, vielleicht überraschend, gar keine. Einmal sammle ich sowas nicht gezielt, und zweitens fällt sowas gnadenlos der Gepäckspardoktrin zum Opfer. Weiterhin – dafür schreibe ich ja ein Tagebuch! Viele traurige Abende im ersten Studienjahr wurden nur durch intensive Lektüre detaillierter Berichte aus England und Torun gerettet. Andenken sind dabei eher eigene Erinnerungen, meist vernebelte Eindrücke aus Kneipen oder Panorama über Städten und Landschaften, plus Fotos und Musik die sich leicht auf dem Laptop transporen lassen. Gegenstände habe ich aus England, Polen und Bulgarien, meist Geschenke von Freunden. Aber die stauben an sicheren Orten in Deutschland. Die meisten sind Alltagsgegenstände, die weiterhin nützlich und schwer neu zu finden sind, und die dazu einen Erinnerungswert besitzen. Mein großer Koffer z.B. wurde eigens für England gekauft, und mein unersetzliches dt.-pl. Wörterbuchprogramm, in dessen Hülle ich wichtige CDs transportiere, habe ich in den letzten Sommertagen in Torun erstanden. Mein Rucksack ist eine Konstante auf allen Fotos seit den ersten Ausflügen von der Farm.

5.2 Selbstverständlich ziehe ich bewusst und unbewusst Vergleiche zwischen den verschiedenen Wohnorten und -ländern. Das passiert schon ganz unwillkürlich wenn in einer neuen Gesellschaft eine bestimmte Verhaltensnorm (schließe dein Fahrrad immer an etwas stabiles an! vs. Kann man auch mal kurz unangeschlossen stehen lassen / „bei Vorfahrtsregelung schlägt LKW Auto, Auto Fahrrad, Fahrrad Fußgänger“ vs. „jeder hat seine eigene und respektierte Spur mit eigenen Rechten“) plötzlich nicht mehr gilt oder radikal anders interpretiert wird (in Polen oder Bulgarien eskortiert man das Mädchen nach Dunkelheit nach Hause oder zumindest bis zum Bus, in Deutschland oder England kann das ganz andere Intentionen suggerieren).
Es braucht sich aber niemand Sorgen machen, dass ich Polen den Rücken kehre, wenn ich immer mal wieder erwähne, was dort noch alles nachzuholen ist. Ha, wenn ihr wüsstet wie mir das Lodzer Kultur- und Nachtleben fehlt!
Wenn ich mich z.B. zwischen Lodz und York entscheiden müsste, würde ich vermutlich Lodz wählen. Nur den Münster und den Fluss würde ich mitnehmen. Die Altstadt könnten wir ein neues Viertel machen. Dom und Elbe würde ich sogar aus Magdeburg mitnehmen. Ginge es um Polen oder England, wäre ich mir schon nicht mehr so sicher.

5.3 Trimestertermine
Herbsttrimester 11.10.-17.12.2010
Frühlingstrimester 10.01.2011 – 18.03.2011 (anschließend Prüfungszeit)
Sommertrimester 26.04. - 01.07.2011

Donnerstag, 4. November 2010

04.11.2010 - Notizen

1. Miete
Am 28.10. haben wir endlich unseren Mietvertrag unterschrieben. Dabei haben uns die Vermieter auch erklärt, wie die Heizung richtig funktioniert. Endlich laufe ich ohne Jacke im Haus rum und Emilie muss nicht mehr in selbiger schlafen. Andererseits sind wir ohnehin kaum mehr im Haus. Genauso hätte ich mir den Laptop sparen können: ich bin sowieso 9-22 Uhr an der Uni oder danach zum Salsa.

2. Geister
Samstag den 30.11. bin ich morgens noch einmal zum Schatzmeisterhaus, um die Kellertour mitzumachen. Da bezahlt man im Prinzip drei Pfund, um zehn Minuten in einem kleinen Kellerraum stehen zu können. Dabei werden Geistererschichten von den römischen Soldaten erzählt, die dort noch regelmäßig zu Fanfarenstößen aus den Wänden marschiert kommen. Der Keller liegt nämlich auf einer der Haupteinfallsstraßen der alten Garnison, welche man im Boden freigelegt hat.

3. Lichterfest
In York fand am 27.-30.11. das jährliche Lichterfest statt, an dem historische Gebäude bunt angestrahlt werden. Ich war am Donnerstag kurz im Zentrum, wo Blumenbilder an die Südfassade des Münsters geworfen und dazu komische Gedichte erzählt wurden. Nicht so beeindruckend wie die Fotos in der Touristeninformation. Der Münster hat im Übrigen 'im Moment keine Stellen für Freiwillige'.

4. Statistik
4.1 Offizielle Zählung des vorreformatorischen Yorks: 40 Kirchen, 8 Kloester.

4.2 Meine Professoren:
1 Pakistaner (Recherchetraining)
1 Mexikanerin (Mikroökonomietheorie; vorher Leiterin des Intensivkurses)
1 Japaner (Quantitative Methoden, d.h. Statistik) – sehr jung, sehr unsicher, sehr süß
1 Dänin (Entwicklungspolitik), früher an Oxford, bestes Englisch auf der Welt, superprofessionell
1 Türkin (Entwicklungsmakroökonomie, wo ich nur gasthöre) geboren für ihr Fach so ihren Beruf. Ganz ganz toll.

5. Unibildung
Freitag den 05.11. halte ich in Entwicklungspolitik meine erste Präsentation seit der Bachelorprüfung. Thema: Neoliberalismus.
Inzwischen studiere ich de facto Mathematik. Von den vier Kursen sind nur zwei ernstzunehmen, Mikroökonomie und Quantitative Analyse, beide füllen allein die Woche, für sie allein brüte ich jeden Tag über Formeln. An sich macht mir Mathe Spaß, solange bis es zu den Übungen kommt. Das Problem dabei ist nicht so sehr, dass ich nach einer Woche durchaus harten Lernen auf die Formeln an der Tafeln starre wie auf ein abstraktes Gemälde, sondern das allgemeine zustimmende Nicken um mich herum. Plus die intelligenten Fragen, und Korrekturen, für die uns die Professorin reichich Gelegenheit gibt. Dabei sind das die gleichen Leute aus dem Sommerkurs, die vorher Politik oder Medizin oder Politik studiert hatten, aber weniger Mathe als ich.
Verglichen mit dem Bachelor ist das hier aber immer noch Urlaub. Schließlich habe ich noch ein Leben außerhalb der Uni, mit Kaffee trinken und tanzen und ab und zu was aus privatem Interesse lernen.

6. Extrabildung
Zu Russisch komme ich kaum noch. Dafuer habe ich mich fuer einen kurzen Computerlehrgang zu Datenbanken eingeschrieben.
Ich habe Drei Maenner in einem Boot beendet und lese jetzt Die Schatten der Globalisierung von Joe Stiglitz. Geringstes Uebel einer Wahl verschiedener Titel fuer den Kurs Recherchemethoden.

7. Spaß mit Feuer
Samstag den 06.11. ist Guy Fawkes Nacht, zur alljährlichen Feier der Folter und Hinrichtung des katholischen Verschwörers, der das Parlament samt protestatischem König in die Luft jagen wollte. Dazu trifft man sich alle Jahre wieder um ein Feuer, auf denen früher dazu seine Strohpuppe verbrannt wurde. Für mich ist abends große Salsaparty, endlich Platz zum Tanzen.

8. Wenn jemand ein Weihnachtsgeschenk fuer mich sucht: eine Sekretaerin waere sehr nuetzlich.

9. Der Schokoladengeruch hat sich auf andere Stadtviertel ausgebreitet.

Dienstag, 26. Oktober 2010

24.10.2010 – Berichte & Meinungen

1. Computer
Nach einer Woche Suchen kann ich endlich wieder zu Hause Zeit mit einem Computer verlieren. Eigentlich habe ich gemerkt, dass ich gar keinen brauche. An der Uni sind genug, und zu Hause lerne ich besser ohne.
Jetzt versuche ich die verlorene Lehrbuchlesezeit nachzuholen. An der Uni habe ich tatsächlich nur vier Kurs, die aber erstaunlich viel Arbeit erfordern. Gott sei Dank habe ich den Sommerkurs besucht. Ohne diese Extraübungszeit wäre ich hoffungslos verloren in Mathelehrbüchern und Vorlesungen. Gelegentlich wünschte ich, schon im September weniger Tourist und mehr Bibliotheksbesucher gewesen zu sein. Aber dann bin ich froh, damals York und Fountains Abbey und die Farm besucht zu haben, denn jetzt ist keine Zeit mehr für irgendwelche Ausflüge und Privatbildungspausen mit vernünftiger Vorbereitung.

2. Studium
Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass man hier an der Uni sehr wenige Kurse hat. Ich habe grade mal fuenf dieses Semester und nur an maximal vier Tagen pro Woche bin ich zwingend an der Uni. Es gibt aber trotzdem mehr als genug Arbeit, man studiert mehr selbstständig und so komme ich meist sieben Tage die Woche gegen neun abends aus der Bibliothek, die bis Mitternacht auf hat.

3.
In erwähnter Woche durfte ich beide Einkaufsparks Yorks kennen lernen. Nach dem Kauf des Laptops gab ich noch etwas mehr Geld im Supermarkt nebenan aus. Jetzt haben wir mehrere Kochtöpfe im Haus und ich Ordner für die Semesteranfangspapierflut. Dabei lernte ich einen polnischen Mitarbeiter kennen, der meine Meinung über die hiesige Polonia entschieden verbesserte. Er gab mir eine Führung zu den besten Produkten, inklusive Empfehlungen zur Konkurrenz, und lieferte mich dann bei der strahlenden polnischen Kassierein ab.

4. Buecher
York hat eine Unzahl sehr guter Gebrauchtbuchläden. Außerdem sehr viele sog. Wohlfahrtsläden, wo Erlös aus gespendeten Gütern an sehr alte, sehr junge, sehr kranke etc. Menschen als auch Tiere geht. Eine Gottesgabe für Studenten. Ich habe mir für den nahenden Winter eine Breschnew-Gedächtnismütze gekauft, die so billig war, dass ich freiwillig mehr bezahlt habe.

5. Salsa
Mittwochs besuche ich einen Salsakurs an der Uni. Nicht sehr anspruchsvoll, aber man lernt viele Leute kennen, die auch verzweifelt nach genug Raum zum Tanzen suchen. Sehr gut zur Sprachübung, vor allem seit man mich als überqualifiziert von den Englischkursen abgewiesen hat. Bei der wöchentlichen Salsaparty am Donnerstag habe ich dann eine erzbulgarische Studentin kennen gelernt.

6. Bildung
Eine der letzten historischen Bildungsaddressen in der Stadt ist die sog. Merchant Adventurers Hall. Das ist die Versammlungshalle der Woll- und Tuchfernhändler. Ein Meisterstück mittelalterlicher Holzdächer. Eine zweischiffige Halle, weil kein Baumstamm weit genug für die gewünschte Dachgröße war. 1357 von einer ursprünglich religiösen Vereinigung gebaut, die sich während der Reformation in eine Handelsgilde umbildete, um dem Einzug der Besitzes durch die Krone zu entgehen. Wurde später zur mächtigsten Organisation der Stadt, bis ihre Monopole widerrufen wurde und der Fluss zu klein wurde für die immer größer werdenen Schiffe. York wurde nämlich ursprünglich so reich, weil es anfangs eine für Seefahrer anlaufbare Hafenstadt war. Das ist lange vorbei, aber die Gilde existiert immer noch und hält seit 700 Jahren ihre Halle.

7. Sonntag
Wieder Gottesdienst im Münster. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied zu Polen: zur Kommunion steht diszipliniert eine Reihe nach der anderen auf, wenn die Schlange zum Priester kurz genug ist. Kein zeitgleiches Vorwärtsstürmen der gesamten Gemeinde. Dabei scheint es mir oft katholischer als bei den Katholike. Nicht erst seit gestern verhandelt man ja mit Rom über eine Rückkehr. Das wird erleichtert durch die große Autonomie, die hier jede Gemeinde hat. Anhänger der sog. 'Niederkirche' begleiten die Messe mit der Gitarre, der Pfarrer der 'Hochkirche' nebenan schwenkt den Weihrauch des selbst dem Papst die Luft wegbleibt. Nach viel Ärger um weibliche Priester hat sich jetzt laut Zeitung die erste traditionelle Gemeinde zur Heimkehr nach Rom entschlossen.

8. Tee
Ich dagegen trank nach der Messer noch einen Tee in einem zauberhaften Ort mit zwei Meerschweinchen in einem Garten direkt an der Stadtmauer, auf dessen grünen Rasen das rote Laub der Bäume fällt.

9. Äpfel
Emilie hat mir ein Rezept für gedünste Äpfel gezeigt. Zusammen ernten wir den Baum im Garten bevor alles erfriert.

10. Mein ganzes Viertel riecht zur Zeit nach heißer Schokolade.

11.
Von meiner Haustür sehe ich direkt auf den Hauptturm des Münsters, mit den zwei kleineren Westtürmen dahinter. Morgens weiß vor z.Z. meist blauem Himmel, abends angestrahlt in der Dunkelheit.

12. Post
Vielen Dank für Eure Briefe. Leider kann ich über das Tagebuch hinaus nicht individuell antworten.

Montag, 18. Oktober 2010

18.10.2010 – UniAnfang

Uni
Ab Montag, den 11.10., läuft offiziell das Semester. Die erste Woche jedoch ist für fast alle Studiengänge Einführung. Das wird hier mit relativ ungezwungenen Empfängen erledigt, wo massiv Wein auf den Tisch kommt. Meine war Donnerstag Abend. Ich bin mit einem Zyprioten den Wein angegangen, dann tauchte meine neue Mitbewohnerin Emilie auf der Suche nach einer eigenen Party auf und blieb, später traf ich die viele Bekannte in der Stadt beim Salsa wieder. Tanzen ging aber schlecht wegen Platzmangel. Uni und Stadt sind ueberlaufen von Studenten, die zum Semester zurueck sind. Und Salsa am Donnerstag war vor allem ein Beispiel fuer englische Maenner. Tagsueber die besten Gentlemen, nach ein paar Bier abends haben sie die Haende ueberall an einem Maedchen bevor sie sich vorstellen.

Unser Studiengang wird von bemerkenswert wenigen Leuten geleitet, die sich weit besser verstehen und alles effektiver organisieren als in Magdeburg, und das trotz derselben Koordinationsprobleme eines interdisziplinären Studiengangs. Das sind größtenteils zweieinhalb Professoren und eine Sekretärin, die auch keine Scheu haben mit uns was zu trinken.

Heute, 18.10., gehen die ersten Vorlesungen los. Wie nachfolgend sichtbar haben wir nominell wenige Vorlesungen. Aber dazu kommen noch Uebungen und wie ich das kenne wir das wieder alles viel zu viel.

Für Interessierte meine Kurse:
Herbsttrimester: theoretische Mikroökonomie, Theorien & Praktiken der Entwicklungsverwaltung, Quantitative Analytik 1, Recherchetraining

Frühlingstrimester: Entwicklungsökonomie, Die Politik, Philosophie und Wirtschaft gesellschaftlicher Wahl, Internationale Makroökonomie, Quantitative Analytik 2, Recherchetraining, Vorbereitung der Abschlussarbeit

Sommertrimester: Abschlussarbeit

York
Am Wochenende, 16./17.10., also vor den ersten wirklichen Vorlesungen, habe ich Samstag zum ersten Mal eine Fuehrung durch den Muenster mitgemacht und bin danach endlich mal auf den Turm gestiegen. Sonntag morgen kam ich zurueck zur Messe, wohl die einzige, die im Hauptschiff gehalten wird statt nur im Chor. Im Vergleich zu Polen ist die Gemeinde natuerlich kleiner, aber sozial besser gestellt, aelter und wirklich glaeubig. Beim Singen versteckt sich niemand hinter der Stimme des andern, und beim allgemeinen Haendeschuetteln sieht man keine peinlich gezwungenen Gesichter. Anschliessend ging ich ins sog. Haus des Schatzmeisters, eine Besitzung des National Trust gleich neben dem Muenster. Urspruenglich Heim des Muensterschatzmeister hat ein Fabrikant dort um die Jahrhundertwende in 13 Raeumen seine Sammlung von Inneneinrichtung aus 400 Jahren aufgebaut. Jetzt sind nur noch wenige wichtige Orte zur Stadtgeschichte uebrig, aber jetzt geht auch das Semester los und ich weiss nicht, wieviel ich noch schaffe.

Zu Hause
Nach der Auskurierung der letzten Erkältung bin ich gleich wieder krank geworden. Irgendwas neues, was die halbe Uni niederstreckt. Und das obwohl ich mich gesünder ernähre sowie aufgrund fehlenden Internets zu Hause früher und länger schlafe als in den letzten fünf Jahren. Das beste: mein Laptop ist puenktlich zum allerersten Unitag kaputt gegangen und ich brauche einen neuen. Das kostet wohl weniger als halb soviel wie der letzte und zum Glueck sind an der Uni sehr viele Rechner. Aber vor allem kostet es unvorstellbar viel und unvorstellbar knappe Zeit. Nach gerade mal zwei Vorlesungen am ersten Tag sitze ich abends um sieben im Computerzentrum, renne seit 8 Uhr morgens den Aufgaben hinterher, dabei ist die Liste nur immer laenger geworden. Und ein Buch habe ich heute nichtmal angefasst.

Nur zu Hause bleibt ohne Rechner viel Zeit zum Lesen. Ich habe endlich Bruno Schulzes ‚Zimtlaeden‘ (Abschiedsgeschenk meiner Freundin Kasi aus Polen), abgeschlossen, und lese nun abends Jeromes ‚Drei Maenner in einem Boot‘. Die Gebrauchtwarenlaeden hier sind eine Gottesgabe fuer Buecher. Aber mit Unianfang hat sich das private Lesen wohl einstweilig erledigt.

Auch zum Backen bin ich gekommen. Leider haben sich die Damenplaetzchen in fuenf Minuten in eine Pfuetze auf dem Blech verwandelt.

Montag, 11. Oktober 2010

11.10.2010 – Schoener Wohnen, besser Lernen

Zu Haus
Freitag, den 01.10., also am Tag vor der Abreise nach Manchester, ging der Intensivkurs zu Ende. Angeblich haben alle bestanden, sogar Statistik. Ich habe ein weiteres Abschlusszertifikat, was mir nun die Einschreibung in die Entwicklungsökonomie erlaubt. Nachmittags brachte ich meine Sachen in die neue Wohnung. Die Mitbewohnerin aus Sunderland musste leider kurzfristig ausziehen, weil ihr Studienkredit doch nicht in nötiger Höhe genehmigt worden war. Dafür habe ich jetzt an der Uni zufällig Ersatz gefunden und die 29jährige Französin Emilie auf einem Jahr Austausch an unsere Vermieter vermittelt. Ist auch noetig, denn die beiden anderen Mitbewohner Louis und Ella sind 19! Aber bemerkenswert angenehmer Haushalt. Wir haben uns ohne Probleme auf mehr Sauberkeit in Küche und Müllbeseitigung geeinigt. Die Besitzer kommen ab und zu vorbei und basteln am Haus rum. Zur Zeit wird eine Terasse im Garten gebaut. Dessen Aepfel und Birnen duerfen wir auch verbrauchen, und sie wollen mir gruene Bohnen bringen. Mein Zimmer ist eingerichtet, Einkäufe gemacht, u.a. fürs erste Plätzchenbacken.

Ausser Haus
Nach der Rückkehr aus Newcastle schließe ich mich dem allgemeinen Auffrischungskurs Mathe/Statistik an. Viele Einführungsveranstaltungen für neue Studenten sind im Gang. Überall verwirrte Neuankömmlinge.
Am Wochenende habe ich weiter die Geschichte Yorks abgedeckt. Von der neuen Wohnung sind es ganze 5 Minuten Radweg ins Zentrum. Samstag im Wikingermuseum, mit einer Gondelfahrt durch ein Wikingerdorf zur Zeit, als York das dänische Jorvik war. Danach das restaurierten Haus eines mittelalterlichen Bürgermeisters sowie die zweite Hälfte der Ausgrabungen unter dem Münster. Sehr gutes Wetter, und nirgends schöner als auf den sonnigen Stufen des Münsters zu sitzen während jemand davor Klavier spielt. Touristenmassen in den Straßen der Altstadt. Innen jedoch erkannte eine deutsche Mitarbeiterin sofort meinen Akzent, da hatte ich genug für heute und bin nach Hause. Denn es stimmt, ich spreche zu wenig, und das auch noch schlecht.
Sonntag morgen orthodoxer Gottesdienst, dann Burgmuseum für die Stadthistorie während viktorianischer Zeit. Stellte sich raus, dass es bis auf den gemeinsamen Standort mit der ehemaligen Burg gar nichts zu tun hat. Auf die Frage, warum es dann Burgmuseum heißt: „God knows why“. Aber ein ganz toller Nachbau einer viktorianischen Stadtstrasse, mit Geschaeften zum Reingehn und Anfassen. Anschließend ein letztes Infoblatt im Münster abgearbeitet. Egal, wann man hingeht, es wird immer gesungen. Zum Abschluss etwas, was ich seit langer Zeit nicht mehr getan habe: nach einem Tag als Tourist in einem Café mit einem Sprachlehrbuch sitzen.

06.10.2010 – Gibside, Durham, York

Gibside
Die Kosten dieses ganzen Spaßes sowie nötige Statistikvorbildung vor Semesterbeginn treiben mich, an diesem Mittwoch nach Hause zu fahren. Davor will ich nach Gibside, wo ich damals alle zwei Wochen einen Tag gearbeitet habe. Die Busverbindung ist besser als früher, ich bin eine Stunde vor Toröffnung da. Aber meine Geschichte lässt mich schon früher rein, und das gratis. Insgesamt fünf Stunden laufe ich bei strahlender Sonne durch das riesige Gelände, ohne ein bekanntes Gesicht zu treffen. Die Allee Richtung Freiheitssäule, die Orangerie umgeben von neuen Anpflanzungen. Die große Halle, dann hoch zum Stall, wo inzwischen keine Freiwilligen mehr wohnen, die sind neben die Büros gezogen. Dafür eine Fotoausstellung der letztjährigen Freiwilligen, beide aus Deutschland, groß auf einem Plakat vertreten. Eine neue Ausstellung nebenan erklärt mir endlich mal alles über Gibside selbst. Dann laufe ich zum achteckigen Teich unter dem Banketthalle. Kaum Gäste an diesem Mittwoch. Durch den Wald weiter hoch zur Freiheitssäule selbst. Wieder runter, an einer Gruppe Freiwilliger mit Handmähern vorbei. Die essen Sandwiches im Gras – schon wieder Mittag. Die Kapelle. Zuletzt ein Blick in den Garten; Lichtjahre weiter als damals, als wir sie ersten Beete legten. Zuletzt ein Tee vor dem Café. Wieder scheint es so natürlich hier zu sein, ich muss mich nicht zwingen, zu gehen.
In Newcastle finde ich vor der Abfahrt endlich gutes Fish & Chips. Beweis: sowas soll nur an billigen Imbissen gekauft werden, und: die Pommes müssen halbweich und voll mit Essig sein. Nachdem auch das endlich wieder erlebt wurde, kann ich mich wieder vom Fastfood verabschieden.

Durham
Auf dem Weg von Newcastle nach York liegt Durham. Dort machte ich einige Stunden Aufenthalt, einige Stunden mehr für die Kathedrale, mit einem weiteren Infoblatt während vorne unter der Ostrosette die Abendmesse gesungen wurde.

05.10.2010 - Ground Zero

Aber der wirkliche Test kommt natürlich erst am Dienstag. Und in schwachen Momenten bin ich auf der Anfahrt wirklich nervös. Per Zug nach Seaham, am alten Haus der Polen vorbei zur Hauptstraße, zum Bus. Zehn Minuten die alte Strecke entlang, immer parallel zum Meer. Bis Easington. Nicht gleich runter zur Colliery. Erst der historische Ortsteil auf dem Berg, mit der Kirche und dem Herrenhaus. Die Infotafeln verstehe ich erst jetzt wirklich. Am wichtigsten: unten sehe ich das Meer. Die Hauptstraße hinunter. Alle Läden sind noch da. Ich kaufe irgendwas bei Co-op. Dann biege ich ab. Nicht weiter hinunter, nicht den Fußweg über den Hügel mit dem Minenfahrstuhl nehme ich wie damals meist. Sondern den Fahrweg, der von oben auf die Farm hinunterführt. Wie ich am ersten Tag hinein- und am letzten Tag hinausgefahren wurde, weg vom glitzernden Meer. Heute hängen graue Wolken darüber.
Im letzten Haus am Dorfrand wohnt noch immer der bewaffnete Fischer, die Reusen auf dem Hof verraten es. Dahinter geht der Fahrweg zur Farm los. Ich hatte mir immer vorgestellt wie ich den Weg wieder runterlaufen würde. Ich hatte mir immer vorgestellt, wie sie erst nach und nach hinter dem Kamm auftauchen würde. Wie das sein würde. Sentimental, traurig, voll Pathos auf jeden Fall. Der Weg wurde bald nach meiner Abfahrt asphaltiert. Gerade als ich ihn betrete, kommt von hinten ein Auto, und vom Fahrersitz zwinkert mir Ron zu ohne anzuhalten. Unzeremoniel als käme ich gerade vom Englischkurs. Jetzt kann ich kaum aufhören zu kichern.

Die Farm
Der Weg führt einige hundert Meter durch die Felder. Biegung rechts, das Meer ist vollends zu sehen. Dann taucht hinter einem Busch tatsächlich die Farm auf. Erst die Ställe und dann das Haus. Oben ist ein neues Tor, mit der Aufschrift 'White Lea Farm'. Dort unten erst liegt sie, keine vierhundert Meter vor mir. Ron kümmert sich um die Hühner. Er wohnt jetzt hier samt Familie im Haus, der Trust ist inzwischen vornehmlich auf dem Besitzurkunde anwesend. Fensterläden neu getrichen, Zaun um den Vorgarten. Youth in Action sind lange weg. Ron ist nicht groß erstaunt mich zu sehen. War sich nur nicht sicher, ob ich das war. Ich fühle mich auch nicht anders, als wenn ich gerade rausgekommen wäre die Hühner zu füttern. Nach dem kurzen Gespräch kaum Aufgewühltheit. Es scheint ganz normal wieder hier zu sien. Schließlich ist auch hier alles wie ich es verlassen hatte. Hinter dem Stall liegen die Heuballen, das Feuer für alles Unerwünschte am alten Fleck, Ron hat nichts dagegen wenn ich durch die Farm laufe und über die Zäune steige wie früher.
Es folgen drei Stunden Laufen. Runter zur ersten Eisenbahnbrücke; die Mauern höher als damals; nicht, dass das jemanden an irgendwas hindern würde. In den Büschen hängen weiter zerfetzte Plastiktüten. Nur die Wiesen sind frei von Ragworse, sagt Ron, dank zwei Jahren guten alten Chemiesprühens. Ich laufe nach Norden Richtung Beacon Hill, einfach nur froh wieder hier zu sein. Bis auf den Moment, wo ich über Shippersea Bay auf einmal das dumpe Rollen der Brandung höre. Unten schlagen wie eh und je die Wellen über die Steine und Felsen.

Auf Beacon Hill ist tatsächlich die Mauer fertig, die der erste Working Holiday auf White Lea begonnen hatte. Keine Blumen mehr im Betonpfosten auf dem Gipfel. Das Blick über das Meer, von Sunderland im Norden über die Mole mit Leuchtturm in Seaham im Norden bis zum Hafen von Hartlepool am Ende des weiten Bogens im Süden. Frachtschiffe scheinen weit draußen still zu liegen.

In Hawthorn Dean sind die Treppenstufen noch frei, und die im Sturm weggespülte Brücke noch immer weg. Jetzt kommt die Sonne langsam durch die grauen Wolken und gibt den Wellenkämmen das Glitzern, das ich als letzten Eindruck von der Farm mitnahm. Unter dem Eisenbahnviadukt wieder hinauf auf den Küstenpfad, zurück nach Süden, unterhalb der Farm vorbei, bis zu den Stufen hinunter zum Meer, die ich die ersten drei Wochen über gangbar hatte machen sollte. Inzwischen von beiden Seiten wieder bewachsen, aber jemand hat tatsächlich ein Geländer bis zum Strand installiert. Dort rauschen die hohen grauen Wellen mit Wucht auf die Steine. Nur die letzte Schicht Minenabraum erreichen sie weiter nicht. Am Beginn nach Foxholes Dean kehre ich um, gehe fast bis zur Farm zurück, klettere auf den Hügel mit dem Minenschaft. Die Bänke dort sind inzwischen durch wohl weniger zerstörbare Betonklötze ersetzt. Hinunter zum Parkplatz und zur alten Bushaltestelle.

Peterlee
Schon ist der lange Tage fast wieder zu Ende, doch bevor es zurück nach Newcastle geht, will ich noch Peterlee sehen. Fast siebzehn Uhr. Das College ist leider schon zu, keine Chance noch einen Englischkurs zu erwischen. Auch die Läden auf der furchtbaren Einkaufsstraße sind dicht. Aber darüber ist ASDA. Keine Stunde in Peterlee ohne ASDA zu sehen. Auch des Hungers wegen. Und inzwischen gibt es sogar sowas wie ein Café für warmen Tee.

Eine Runde ums Zentrum; viel gab es schon damals nicht und so auch jetzt nicht wiederzusehen. Nur ist die Sonnen inzwischen allein am Himmel und ich will das Meer sehen; wohin gehe ich da: zu den Zeugen Jehovahs auf dem Hügel über der Stadt. Auf dem Friedhof nebenan setze ich mich doch für eine halbe Stunde und schaue aufs Wasser. Sechs große Frachter, zwei Fähren, liegen fast regungslos da. Ein drittes Mal am Meer, wieder an der anderen Küste als vorher.

Zuguterletzt erklingt hinter mir eine wohlbekannte Melodie. So gehe ich den Eiswagen jagen. Im verwinkelten Wohngebiet hinter mir trennt uns immer eine Ecke. Aber sein Glockenspiel verrät ihn. Und so sehe ich nach sechs Jahren zum ersten Mal den Eiswagen.

04.10.2010 - Newcastle

Aber Manchester war natürlich nur der Anfang der großen Erinnerungstour. Am wichtigsten war es, Montag früh nach Newcastle zu fahren. Immer hatte ich mir vorgestellt, wie das wohl werden wird, wie ich reagiere. Beim sonnigsten aller Tage schlief ich die Busfahrt aber fast durch. Jedoch wachte ich genau in dem Moment auf, als wir an Easington vorbeifuhren. Ich brauchte keine Sekunde, um zu sehen, wo wir waren. Die Mühle an der Autobahn, dahinter die Kirche, und dahinter das Meer das Meer und kein Ende. Frachter am Horizont. Es traf mich härter als gedacht. Dann Seaham. Die Route mir durch meinen ersten Fahrradausflug bis nach Sunderland wohl bekannt. Das Verkehrsterminal. Über die Wear. Penshaw am Horizont. Der Engel des Nordens. Gateshead. Über die Tyne. Die sieben Brücken. Die silberne Raupe der Konzerthalle Sage in der Sonne. Der Hauptbahnhof. Und dann steige ich aus.
Immer hatte ich mir vorgestellt, wie die Rückkehr wohl sein würde. Am wenigstens hatte ich erwartet, dass alles wie damals sein würde. Alle Läden, alle Kneipen am gleichen Ort, die gleiche Obdachlosenzeitung wird noch verkauft. Die alten Wege führen noch zu den gleichen Orten, zu Peter fährt sogar noch der alte Bus zur alten Haltestelle. Soviele Gedanken, wie das wohl sein würde, und jetzt scheint es so normal hier zu sein, ich fühle kaum mehr als eine solide Zufriedenheit.
Der Hauptbahnhof war wohl der symbolischste Ort, und dahin gehe ich als erstes, in die lichte Halle mit der Brücke aus dunkelblauem Gusseisen. Dann hoch zu Grey's Monument, zum Mittag Shepherd's Pie auf dem Grainger Market. Durch die einkaufenden Massen auf der Northumberland Street nach Norden; niemals ist mir aufgefallen, wie hässlich die Straße ist. Ein Tee an der Uni, eindeutig sind hier tausende Studenten mehr als damals. Zurück nach Süden, das Tyneside Cinema, weiter zum Fluss, über die Jahrtausendbrücke und auf die Aussichtsterasse der Baltic Galerie. Kaum Gedanken an ein tränenrühriges Wiedersehen. Eher lese ich mir routiniert die Infotafeln an der Burg durch, was ich damals nie gemacht hatte.

01.01.2010 – Das grosse Damals

Der leichtgläubige Leser dachte sicherlich, dass all die Zeit und all das Geld hier in meine Bildung investiert werden. Das ist natürlich falsch. Hier geht es nur um eins: mir ein Nostalgiereise ganz an den Anfang zu spendieren; dahin, wo alles begann. Fahrtroute: am 02.10. nach Manchester zu Joanna, am 04. nach Newcastle mit Übernachtung bei meinem alten Betreuer Peter, am 05. auf die Farm, am 06. mit Zwischenstopp in Durham zurück nach York.

02.10.2010 - Manchester
Am Samstagmorgen nach dem Ende des Kurses fuhr ich nach Manchester. Zwei Nächte blieb ich bei Joanna, der ersten Bekannten, die ich seinerzeit im Englischkurs kennengelernt hatte. Wir hatten über die Jahre zwar sporadischen Kontakt, aber wie halb erwartet war mein Eindruck jetzt ein solcher, dass ich ihn nicht wieder aufwerten werde. Manchester war etwas netter als in meiner Erinnerung, aber weiterhin nicht sehr spannend. Einige Male war ich schon da, habe davon aber scheinbar keinerlei Orientierung behalten. Kein Wunder, bin ich damals doch tatsächlich das ganze Jahre mit einem mickrigen Marco-Polo Reiseführer über die Insel gefahren.

03.10.2010 - Liverpool
Sonntag ein kleiner Ausflug nach Liverpool. Wie Manchester auf Industrie gebaut, plus Werften und Seehandel, aber keine der beiden becirct mich so wie z.B. Lodz. Jedoch schön zweimal in einer Woche am Meer zu stehen, und das an Ost- und Westküste. Und die Kathedral in Liverpool ist toll, das Bestuhlung fast nur im Chor so wie es früher gewesen sein muss, da merkt man erst, wie groß die Halle des Hauptschiffs eigentlich ist. Die Docks sind restauriert mit einem guten Stadtmuseum. Vorher waren wir noch im polnischen Gottesdienst. Irgendwie habe ich bisher kaum was von der berüchtigten Emigrantenarmee gesehen, und wenn, dann passte es eher in das zweifelhalte Bild, was man hier wie zu Hause von ihr hat.

Freitag, 1. Oktober 2010

01.10.2010 - Notizen vor dem Ernstfall

Kurze Nachrichten bevor ich morgen frueh abfahre.

Heute, Freitag, haben wir den Intensivkurs abgeschlossen. Wir hatten in der letzten Woche zwar noch Vorlesungen, aber keine Pruefungen mehr. Darum habe ich ob meiner Unfaehigkeit zuzuhoeren aufgehoert, hinzugehen, und lieber in der Bibliothek aus Buechern gelernt, abwechselnd ein Kapitel Wirtschaft und Russisch. Klappte sehr gut.

Wir haben den Kurs uebrigens alle irgendwie bestanden, sogar ich. Letzte Nacht haben sich alle zu einem Abschlussessen getroffen, inklusive zweier unserer Wirtschaftsprofessoren. Fuer einen war heute die letzte Vorlesung seiner Unikarriere. Wir sind noch in einen Pub und ich spaeter kurz Salsa tanzen gegangen.

Die Erkaeltung ist vorueber, etwas Schnupfen und Husten, aber meine Arbeitsfaehigkeit ist nicht mehr eingeschraenkt.

Heute habe ich mein Wohnheimzimmer ausgeraeumt und bringe alle Sachen in die neue Wohnung. Ich selbst uebernachte noch einmal im Heim. Samstag frueh fahre ich dann nach Manchester zu Joanna. Montag fahre ich von dort nach Newcastle. Uebernachtung bei meinem alten Tutor Peter. Dienstag Easington. Rueckkehr nach York Mittwoch oder Donnerstag. In der Zeit vermutlich ohne Internetzugang und Email.

Vorlesungen gehen erst ab 14.10. los. Bis dahin laeuft aber ein weiterer Vorbereitungskurs Mathe und Statistik fuer alle. Aufgrund meiner eklatanten Ergebnisse in Statistik werde ich mich nach meiner Rueckkehr dort anschliessen und soviel wie moeglich nachholen bevor das Semester losgeht.

Sonntag, 26. September 2010

26.09.2010 - Soli Educatio Gloria

Geschichte
Sonntag wurde der Museumstag nachgeholt. Morgens wollte ich zur orthodoxen Unigemeinde, die aber nicht auffindbar war. Dann ging es ins renovierte Yorkshire Museum, Abteilung Stadtgeschichte. Ganz vergessen: Museen und Galerien sind hier ja gratis für britische Bürger und Studenten. Das Museum hat vier Zweigstellen, die Hauptfiliale ist teilweise in den Überbleibseln des ehemals größten Klosters St. Marien (aus welchem die Mönche auswanderten, die Fountains Abbey gründeten), wie soviele in Yorkshire durch Heinrichs VIII Kirchenspaltung ruiniert (also wie Fountains Abbey). Darum präsentieren sie die Geschichte auch von römische Periode bis Reformation, wovon mich erstere am meisten interessiert. Alles danach ist im Burgmuseum. Das ist aber für einen anderen Tag geplant.

Archäologie
Zeitlich kohärent ging es anschließend nämlich endlich in die für mich ja ebenfalls kostenlose Ausgrabungen unter dem Münster. Geschichtliche Details wären in York viel zu umfangreich und werden daher ausgelassen. Der Eintrag des ersten Besuches 2004 ist meines Wissens sehr umfangreich gewesen. Erstaunlich wieder der Wiedererkennungsgrad. Ich bin auch keiner allzu großen Nostalgie anheim gefallen, sondern war aufgrund inzwischen vermehrter Erfahrung vielleicht noch stärkter beeindruckt als damals. Die römischen Kanäle führen noch Wasser, ein halbes Büro mit Mosaiken hat man ausgegraben, die Mauern des normannischen Vormünsters sind klar zu erkennen, mit dem Brunnen davor wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Religion
Bald wurde klar, dass ich nichtmal die halben Ausgrabungen erledigen können und den Rest später nachholen müsste. Wobei ich gleich bei der Ankunft beschlossen habe, ob der schieren Masse an Geschichte gar nicht erst versuchen werde, einen umfassenden Eindruck zu bekommen. Sechszehn Uhr stellte ich mich daher oberirdisch in die Abendmesse für wunderschöne Chorklänge und einmal durfte ich sogar selbst singen. Manche Rituale der Anglikanischen Kirche wirken mittelalterlicher als die heutige katholische, z.B. dass fast nur der Klerus singt und spricht. Und das Glaubensbekenntnis spricht man tatsächlich an die heilige katholische Kirche.

Zu Hause kam viel Gemüse in den Topf; der Schnupfen wird schnell zum Husten und ist wohl in den letzten Zügen. Beim Kochen erfuhr ich: mein italienischer Mitbewohner studiert nicht nur in Cambridge, nein, genau gesagt macht er dort seinen Doktor.

25.09.2010 – Seeluft macht die Nase frei

Einige Stunden nach dem Wohnungsglück spürte ich deutlich, dass ich krank werde. Internationaler Bakterienaustausch im Kurs hat mich hat mich it einer aggressiven Erkältung getroffen. Ich trete im Moment sehr kurz um das schnell hinter mich bringen. Für diesen Samstag war daher statt dem eigentlich angekündigten Besuch auf Schloss Howard endlich der ohnehin lang geplante museale Großangriff auf die Geschichte von York selbst anberaumt. Am Freitag hatte ich dann eine desaströsen Statistikklausur und wohl zum Seelenstreicheln schloss ich mich einer Gruppe anderer Studenten an, die ans Meer wollten. Denn Meer ist immer gut, und merke, hier fuhr ich zum ersten Mal seit fünf Jahren an das Meer, auf dessen Klippen ich ein Jahr gewohnt hatte.

Eigentlich wollen alle in den populären Hafen Whitby nordwestlich von York. Aber aus verkehrstechnischen Gründen ging es nach Scarborough. Das ist eins der Seebäder, deren beste Zeiten um 1900 waren. Seitdem Briten ihren Urlauber lieber in warmen Ländern verbringen, künden die Grand Hotels zwar noch von der großen Zeit, an der Promenade jedoch reihen sich die inzwischen ebenso berühmten Casinos, Fastfoodläden und Pubs für die Spaßtouristen. Erste übrigens sind mir noch gut aus den Wochen in Brighton bekannt. Gute zehn Jahre ist das jetzt her.

Mit dabei Maisam aus Jordanien und Harika aus Japan, die schon in Durham dabei gewesen waren. Dazu Frida aus Tansania. Harika und ich eher am Schloss auf der vorragenden Klippe über Scarborough interessiert und die anderen an Einkaufsmöglichkeiten. Jeder bekam was er wollte. Ich einen Spaziergang am Sandstrand, wo mir der Anblick der hohen grauen Wellen gut tat. Zur Burg hinauf, wo uns der Wind fast von der Mauer fegte und man ein tolles Panorama auf Stadt und die von weit draußen hereinrollenden Wellen hatte.

Ich hatte Regenjacke, Extrapullover, Regenschirm, Proviant und die richtige Erwartung an englisches Küstenwetter. Die anderen waren aufgrund ihrer Heimatländer mental wie kleidungstechnisch mehr auf sonnenwarme Strände eingestellt. So ging es anschließend schnell zu einem warmen Mittag in den Pub und dann, endlich, in die Läden, Wintersachen kaufen.

Da ich wegen Krankheit auch als einziger in den Vortagen geschlafen hatte, ging es schon nachmittags zurück. In York nahm ich mir die Extrazeit um kurz in den Münster zu schauen und auf dem Weg die tschechische Praktikantin in der Touristeninformation kennen zu lernen.

Die Seeluft hat meiner triefenden Nase gut getan. Dafür huste ich jetzt.

Mittwoch, 22. September 2010

21.09.2010 - Hausrad

Da ich im Wohnheim nur für die Zeit des Intensivkurses eingebucht bin, also bis zum 1. Oktober, gehörte die Wohnungssuche zu meinen Prioritäten sobald ich einen Fuß auf dem Boden hatte. Da ich Wohnungssuche aber hasse, habe ich nach einer Pseudoanstrengung alle gerade sein lassen und mich auf ein sehr günstiges Angebot verlassen, dass ich aber erst zwei Wochen später sehen konnte. Natürlich hat sich dass am Montag in Wohlgefallen ausgelöst und ich musste mich der unangenehmen Pflicht stellen wieder zu suchen, diesmal mit der Frist bis nächsten Freitag und Horden inzwischen angereister Studenten als Konkurrenz. Einmal mehr ging ich abendlich mit Wohnungsbauchschmerzen ins Bett. Nicht, dass mich sowas noch zu größeren Anstrengungen motiverte.

Und wieder zeigt sich, Faulheit wird belohnt. Heute nämlich habe ich quasi nebenbei, als spontan anberaumte Anschlussbesichtigung neben einer anderen Wohnung, die perfekte Bleibe für pflegeleichte Studenten gefunden, und so meinen ruhigen Schlaf.

Haus
Typisch englisches Haus in ruhigem Viertel, gepflegte Vorgärten, vereinzelt mit Rosen, dazu Blick auf den Münster und es schien gerade die Sonne. Familien mit Kindern, eine Schule, um die Ecke ein teuer aussehendes Altenheim. Etwa 20 min zu Fuß zur Uni, 8 zum besten Supermarkt; Post, Friseur und verschiedenste Kleingeschäfte um die Ecke. Das Haus innen neu gemacht und sauber, makellos sogar, mit allen Annehmlichkeiten. Auch wir haben einen Garten, mit Apfel- und Pflaumenbaum.

Mitbewohner
Fast zu schön um wahr zu sein, und da stimmen drei Mitbewohner unisono mit ein. Eine Psychologiestudentin aus...Sunderland, hat Freundin in Easington, Autobesitzerin, nimmt mich gerne mit Richtung Newcastle, dank Soldatenpapa fünfeinhalb Jahre bei Paderborn gelebt. Der zweite kommt aus Lincoln, also wo Pauls Eltern wohnen. Will von Management zu Literatur wechseln und lernt privat Polnisch. Dritte ist schon Literaturstudentin. Alle an der zweiten Uni von York, St. John's. Immer gut, Leute zu Haus zu haben, die nicht das gleiche am gleichen Ort machen wie man selbst. Ich hätte nie gedacht, dass sie Erstsemester sind, vielleicht weil alle drei sympathischerweise arbeiten.

Ein wahrgewordener Traum, insbesondere verglichen mit der vorher besuchten möligen Bude ungepflegter Studenten und Bierdosen. Und das allerbeste: den ganzen Jackpot gibt es ausgesprochen günstig. Das wohl dank der philantropen Vermieter, eines netten Rentnerpaares, die das Haus als Einkommen neben der Rente gekauft haben und scheinbar nicht mehr verlangen als zur Aufbesserung nötig ist. Ha, ich bezahle keiner Agentur 300 Pfund nur damit sie mich an wen vermitteln!

Tea Party
Außerdem sind alles Engländer und so kriege ich zum billigen Preis auch noch gratis endlich die Sprachübung die ich suche. Ha, ihr hättet hören sollen, wie fließend es schon jetzt plötzlich sprudelte, nur weil Selbstwert und Sicherheitsgefühl in die Höhe schossen. Und echte Engländer sind sie: drei Wochen habe ich auf die doch als so allgegenwärtige Frage gekannte warten müssen, ob ich eine Tasse Tee will.

Zuviel des Guten
Anschließend nutze ich den Supermarkt auf dem Weg. Dabei fand ich ein Regal mit polnischen Produkten. Die Familia Waffeln, Bigos, Kohlrouladen wie im Biedronka um die Ecke. Und das kombiniert mit dem verlässlichen Lächeln im englischen Alltag, dass jedes Anrempeln sofort entschärft und jeden Gesprächsauftakt vereinfacht. Heute fiel mir ein, wie mir das nach dem Freiwilligendienst gefehlt hat. So verwirrt war ich wohl von den glücklichen Informationen des Tages, dass ich der Kassierin auf Polnisch antworten und anschließend beim Busfahrer eine Karte nach Easington kaufen wollte. Der guten Nachrichten nicht genug heute: auch ist abschließend festzustellen, dass sich englische Mädchen im Durchschnitt definitiv verbessert haben.

Fahrrad
Und einen Tag später habe ich mich endlich dazu entschlossen eins der zu Hauf verfügbaren 26er Räder zu kaufen. Wird mir wohl den Rücken kapuut machen. Aber wichtiger, es ist billig.

Englische Kirche
Zum Schluss: Sonntag war ich nach der Erfahrung in der Kathedrale von Ripon zum Erntedankgottesdienst in der lokalen Dorfkirche von Heslington, immer eine gute Art Leute kennen zu lernen. Die ist eine Gemeinschaftsgemeinde von Anglikanern und Methodisten und ein fröhliche Ökumene, wo auch die Pfarrer frei sagen, dass die Unterschiede sowieso nur prozedural sind. Und ich sage: Laien-Einbeziehung, Pfarrer im Pullover und Headset sowie lärmende Kinderecke schön und gut – aber das kommt nie und nimmer gegen den autoritären Bombast und rigorose Entindividualisierung einer guten katholischen Messe an.

Sonntag, 19. September 2010

18.09.2010 - Offene Rechnungen in Fountains Abbey

Warum in die Ferne schweifen
Bei der kleinen Stadt Ripon, westlich von York, liegt der Königliche Park Studley sowie die Ruine eines Zisterzienserklosters. Letzteres war zuerst da, ab 1134, gegründet von 13 Benediktinern, denen die Klöster in York zu sündig geworden waren. So wurde ihnen ein wildes Tal gegeben, zu sehen ob sie da überleben. Sie rodeten das Tal, bauten sie einen riesen Komplex und wurden Zisterzienser ob der strengeren Regeln. Mit der Zeit wurden sie trotz alledem reich, eröffneten Tochterklöster in ganz England, Frankreich und Norwegen. Und dann kam Heinrich VIII, machte alle Klöster zu, raubte sie aus und sorgte dafür, dass sie ordentlich verfielen. Das Gelände der Fountains Abtei mit den zunehmend bröckelnden Ruinen verkaufte er an einen Finanzmakler, der sie höchstens als Steinbruch nutzte.
Viel später kaufte sich ein königlicher Finanzminister das andere Ende des Tals. Nach einem Skandal igelte er sich vor der Welt auf seinem Besitz ein und steckte die Energie seines restlichen Lebens in seinen Garten und einen Palast der niemals entstand. Seine Nachfahren kauften dann die angrenzenden Mauern der Fountains Abtei als ultimatives Ruinenpanorama für den Park. Irgendwann im 19. Jh. wurden die ersten wohlhabenden Touristen auf den Wert des Geländes aufmerksam, aber niemand hatte das Geld für Instandhaltung. 1983 kaufte dann der Trust das gesamte Geländer von Ruine und Park, ließ letzten als seltenes erhaltenes Originalüberbleibsel georgianischer Wassergärten auf die UNESCO Liste setzen und entwickelte es zu einem der berühmtesten seiner Besitzungen. Mir wurde in meiner Zeit viel von Fountains Abbey erzählt, aber es war zu weit um hinzufahren. Jetzt nutzte ich die nähere Wohnlage.

Auf dem Weg
Früh morgens ging es raus, hinter mir stieg die Sonne gerade über das Wohnheim und vor mir stand ein Regenbogen. Über Harrogate ging es nach Ripon, eine wunderschöne Überlandfahrt durch die von Hecken getrennten grünen Felder Englands, mit weißen Schafen unter hohen Eichen, Fasanen im Kohl und steingrauen Dörfern in der leicht hügeligen Landschaft Yorkshires. Schon auf der Anfahrt sah man weithin eine Kirche deren eckige Flachtürme sehr wie ein kleiner Yorker Münster aussahen. Wirklich war das der Münster (heute Kathedrale) von Ripon, für dessen unerwartete Pracht ich gar keine Zeit eingeplant hatte.

Am Ziel
Endlich am Besucherzentrum von Fountains Abbey abgesetzt ging ich mit alten Leuten in teurer Allwetterkleidung (lies: National Trust Mitglieder) über Felder mit Hasen, begrenzt von Trockensteinmauern auf denen Fasane hocken und den akurat geschnittenen Hecken des Trusts.
Durch einige Bäume den Abhang in die Talmulde hinunter trat ich und gerade als die Sonne durch die als grau und dauerhaft vorhergesagten Wolken brach stand ich vor dem Kloster. Grandios. Wie Chorin, nur viel größer. Und auf freier Wiese; grünem englischen Rasen. Von ihm ragt dunkel der große Turm in den Himmel, leer und von Raben besetzt.

Der Garten: Studley Royal
In der alten Torwache ist die geschichtliche Ausstellung, und dann schloss ich mich der Führung des Gartenteils am anderen Ende des lang gestreckten Tals an. Bei bestem Sonnenschein liefen wir nur zur viert das Tal des Flüsschens Skell entlang. Auf beiden Seiten stehen über dem Taleinschnitt Bäume aus denen es zwitschert und gurrt. Wenn mir in Warschau Natur gefehlt hat bin ich in der Region hier genau richtig. Mit Regenjacke und Rucksack, darin nur Essen, Bücher und Fahrpläne. Während des Weges geht das Gelände des Klosters aus dem 12. Jh. langsam über in einen Landschaftspark aus dem 18. Jh. Der Fluss wird kanalisiert, unterirdisch geleitet, oberirdisch in künstliche Teiche verteilt, mit gestochenen Ufern und gepflegtem Rasen, importiertem Gehölz und Finessen wie Grotten, mythologischen Statuen, illusionistischen Elementen und „Überraschungspanoramen“. Die Anhöhen links und rechts des Tals hoch und runter gingen wir an Teehäuschen und Tempelchen vorbei und wieder zurück zur Klosterruine.

Das Kloster: Abtei Fountains
Dort ging es nahtlos weiter mit einer zweiten Führung, diesmal zur Ruine selbst und danach bin ich noch ein wenig allein durch die riesigen Hallen der Kirche und die Wirtschaftsgebäude gestolpert. Nach zwei Jahren Polen konnte ich auf dem Hauptaltar stehend quasi die katholischen Chöre hören, die im Hauptschiff gesungen worden sind. Und dahinter die Kapelle der neun Altäre, später kopiert und bis heute in aktivem Zustand zu besichtigen in Durham.

Die Zeit flog davon, noch ging ich in die Klostermühle, die eine Ausstellung des Mönchslebens birgt, und zu Fountains Hall, dem Herrenhaus des ersten Käufers des aufgelösten Kloster, dessen Steine zum Bau geplündert wurden. Auch das heute Teil des Geländes und von außen sehr englisch, innen aber nur ein Raum zu besichtigen.

Die Kathedrale in Ripon
Zurück in Ripon nahm ich mir noch eine Stunde bis zum letzten Bus zurück nach York um doch noch in die Kathedrale zu gehen. Die war gegründet vom Hl. Wilfried, eines noch sächsischen Heiligen, also wirklich alt. Von ihm bleibt nur eine Krypta. Das Kloster, was irgendwann mal angeschlossen gewesen sein muss (der Besucherführer in Fountains Abtei erwähnte das Yorkshire voll ist mir Klöstern), ist allerdings weg. Dafür viel farbiges Glas, fröhlich sprang mein Herze. Am Ende geriet ich noch in den Gottesdienst und sage: katholisch schlägt anglikanisch. Chor sehr gut, aber warum darf ich nicht selber singen?

Ein Licht am Abend
Für den Bus stahl ich mich etwas früher aus dem Chor und stand wieder im inzwischen von Touristen geleerten und abgedunkelten Hauptschiff. Dazu muss man wissen, dass englische Kirchen meist einen Schirm zwischen Chor und Schiff haben, mit nur einem mittigen Durchgang, ähnlich wie orthodoxe. Und als ich durch diese Tür das Licht des von den Kerzen beleuchteten Altars sah und den Chor hörte wurde mir klar: bald ist wieder Weihnachten!

Freitag, 17. September 2010

17.09.2010 - Notizen

Samstag fahre ich nach Fountain's Abbey, darum vor diesem größeren Eintrag kurze Meldungen von mir.

Studium
Der Kurs wird härter. Wir haben Mathe abgeschlossen, was ich mehr oder weniger alles schon kannte und nur nochmal von null wieder lernen musste. Dafür jetzt Statistik, und da habe ich keine Vorkenntnisse. Mir macht es nichtsdestotrotz wirklich Spaß wieder mit Zahlen rumspielen zu können. Es ist nicht mehr wie früher wo man durch die Formeln steigen und verstehen konnte. Aber die Klarheit macht mir Freude. Wirtschaft ist das gleiche wie im ersten Studienjahr. Nur sobald man an eine praktische Aufgabe muss, stehe ich da und sehe, dass ich keine Ahnung habe, was das in der Praxis heißt.

Am Anfang habe ich noch täglich mehrere Lektionen durchlesen und so vorarbeiten können. Inzwischen schaffe ich nur noch eine Lektion pro Statistik und Wirtschaft pro Tag. Aber zumindest arbeite ich in den letzten Tagen ganz gut. Nach der Vorlesunggehe ich in die Bibliothek bis 18 Uhr und dann nach Hause. So sehe ich zwar kaum die Sonne, aber in der Bibliothek arbeite ich wenigstens.

Arbeit ist nötig, denn der alte Rhythmus ist zurück: man hat nicht die Zeit seine Aufgaben ordentlich zu erledigen und weiß nicht, warum man sie dann überhaupt machen soll. Aber ohne wahnwitzigen Aufgabendruck macht man andererseits überhaupt nichts. Die anderen Studenten stellen sich dabei übrigens zur Hälfte nach und nach als Cambridge- oder London-Abkömmlinge raus. Kein Wunder, dass ich den Eindruck habe, ich bin der einzige, der nicht durchblickt. Und am Montag ist Wirtschaftsklausur.

Freizeit
Außerhalb der Uni suche ich weiterhin Wohnung und Fahrrad. Letzteres ist schwieriger als gedacht, weil alle zu klein sind. Und ca. einmal die Woche fahre ich weg. Von York sehe ich allerdings recht wenig. Und dabei habe ich solche Lust die römischen Ausgrabungen unter dem Münster wiederzusehen.
Donnerstag abend war ich wieder mit Rana Salsa tanzen, diesmal sind auch vier Leute vom Kurs mitgekommen. Das hat sich so überragend entwickelt, dass ich erst um drei zurück war.

Wetter
Nachdem die ersten zwei Wochen ziemlich nett und sonnig waren, wird es jetzt empfindlich kalt. Dabei hatten wir noch einige Tage richtig schönen Herbst. Und gleich hinter dem Wohnheim gehen die sanft geschwungenen Hügel bis zum Horizont los. Als Freiwilliger wäre ich schon längst über die Straße querfeldein in die Richtung marschiert, vermutlich ohne Karte und Jacke. Aber heutzutage ist jeder teure Tag hier degradiert zum Pendeln zwischen Wohnung, Vorlesung, Bibliothek und Haus. Sprachübung gleich null.

Zwei Kuriosi zum Schluss: Paul ist vor drei Tagen nach Bielefeld gezogen. Und die Wirtschaftsschule Warschau hat mich endgültig angenommen, und zwar für meinen Erstwunsch, Wirtschaft & Recht.

Samstag, 11. September 2010

11.09.2010 – Durham

Durham liegt ja nur 40 Minuten von York und war darum erstes Ziel bei der unvermeidlichen Wiederentdeckung meiner alten Orte. Samstag kurz nach elf kam ich mit der Neuseeländerin Kim aus dem Intensivkurs auf dem inzwischen völlig verglasten Bahnhof auf dem Eisenbahnviadukt an. Aus dem Zug schon war die riesige Kathedrale zu sehen. Den Berg hinunter und über den Fluss, stets überragt von der Kirche, ging es zum Marktplatz und kurz in die Markthalle. In der Touristeninformation erfuhren wir außerdem, dass gerade Tag des Kulturerbes und ohne Eintritt war. Vom Markt weiter hoch auf den Kathedralenplatz – in solchen Momenten glaube ich immer noch nicht, dass ich wirklich wieder hier bin. Wir machten erst die Führung in der Burg gegenüber, also wo heute das Uniwohnheim ist. Erst da fiel mir wieder ein, dass ich das schonmal gemacht hatte. Aber überhaupt kamen an jeder Ecke wieder Erinnerungen hoch. Am komischsten: Läden, Restaurants, Markt, alles noch genau wo ich es gelassen hatte.

Nach dem Mittagessen ging es zum Höhepunkt, natürlich der Kathedrale. Zugegeben, etwas kleiner als in der Erinnerung. Aber innen wurde mir nach einer Weile doch komisch zumute. Vor allem, weil ich so vieles überraschend unverändert fand und längst vergessene Details sofort wieder erkannte. Die bemalten Orgelpfeifen, die große östliche Fensterrose, die freakigen Bilder am Grab des Hl. Cuthbert, seine Darstellungen mit dem Kopf des Hl. Oswald. Und dann vor dem Chor fiel mir ein, wie ich am letzten Tag hier abends ganz allein und verwirrt auf genau der gleichen Bank gesessen hatte.

Jedoch habe ich in den letzten doch viel dazu gelernt, zum einen Sentimentales zu bekämpfen, zum zweiten hatte ich trotz der vielen Besuche damals erst jetzt richtiges Infomaterial dabei. Bei dessen Studium stießen wir auf einmal auf noch zwei Mädchen aus unserem Kurs, eine Japanerin und eine Jordanierin, die morgens spontan auch nach Durham gefahren waren. Zu viert ging es nach in den Kreuzgang des Klosters nebenan. Dann übernahm ich die Führung und wir gingen runter zum Fluss, am Ufer gegenüber der Kathedrale zurück zum Zentrum, dort, wo man von unten auf die sonnenbeschienenen Türme der Kathedrale über den Bäumen am Steilufer blickt, und wohin junge Freiwillige in ihren letzten Tagen gingen. Vor allem fühlte ich bei allem, dass ich so ein Drama wie Ende 2005 nicht mehr erleben werde.

Zuletzt tranken wir alle noch einen Kaffee am anderen Flussufer. Dann ging es zum Bahnhof, vorbei an den ersten in die Stadt strömenden Kreaturen der englischen Samstagnacht, und mit einem letzten sentimentalen Blick auf die Kathedrale und die sonnigen Täler um die bewaldeten Hügel von Durham herum. Auf der Rückfahrt, durch die ebenso sonnigen englischen Felder voller Schafe, vergaßen wir die Jordanierin in Durham, aber unter meiner bescheidenen Führung stiegen wir an der nächsten Station aus und in ihren nachfolgenden Zug wieder ein.

Freitag, 10. September 2010

10.09.2010 – Mitteilungen von der faulen Haut

Uni
Neueste Notizen vom täglichem Rumgerenne auf dem Campus: der Unisee, der den westlichen Campus teilt, mit Schwärmen exotischer Kreischvögel. Wo der 1960er Campus in das historische Dorf Heslington übergeht sind Unieinrichtungen in wunderschönen alten Gebäuden mit echt englischen Gärten untergebracht. In fast jedem Gebäude ist heutzutage ein Café, sogar die Briten haben also inzwischen dahin gefunden, auch wenn es für unsere Verhältnisse eher Imbisscharakter hat. Und die Uni ist besser ausgeschildet als die durchschnittliche Kleinstadt, und im übrigen besser als York selbst wie ich letztens immer wieder feststellen muss.

Intensivkurs
Akademisch bin ich nach dem gutem Start zurück zur alten Zeitverschwendung, kann mich ganz schlecht auf die Vorlesungen konzentrieren und finde mich trotz viel Zeit jeden Abend unter einem Berg unerledigter Aufgaben wieder. Das schlimmste, die Leute, die zum ersten Mal im Land sind und im Gegensatz zu mir den Stoff noch nie hatten scheinen weitaus besser klarzukommen als ich. Ich weiß schon jetzt diesmal wird die Zeit nicht reichen mein Englisch wieder zu erlangen. Im Gegensatz zu damals komme ich nämlich viel zu wenig unter Leute. Nichts schlimmeres als sich in einer Sprache quälen zu müssen die im Kopf mal Erststatus hatte. Bei Gelegenheit plappere ich noch eher auf Polnisch los.

Wohnungssuche
Unter den erwähnten Aufgaben ist die Wohnungssuche, die mir letztens einen sinnlosen zweieinhalb Stunden Spaziergang eingebracht hat. Ich habe ein interessantes Angebot, kann es aber wohl erst in einer Woche ansehen, und wenn das dann nicht klappt stehe ich in Konkurrenz mit anderen zum Semesterbeginn eintreffenden Studenten.

Salsa
Donnerstag abend bin ich zum ersten Mal ausgegangen. Mit Rana, der libanesischen Doktorantin, die ich im Zug Nach York getroffen hatte, und Freunden ging es zum Salsa im Stadtzentrum. Zum ersten Mal wieder im oberen Stock eines Busses, zum ersten Mal wieder die Athmosphäre englischen Nachtlebens, die klassische Samstagabend Dance-Musik aus jedem zweiten historischen Haus, und schon am Donnerstag massiv Leute unterwegs, Frauen in gnadenlosen Minis, da kamen richtig Erinnerungen hoch. Salsa war mittelmäßig, gute Stimmung aber wenig Platz. Nachtbusse sind außerhalb des Semesters hier übrigens nicht zu haben, aber wie ich erfuhr kann man locker ins Zentrum und zurück laufen. Und apropos Erinngerungen, auf dem Rückweg sah man Hasen und Fasane auf den Straßen.

Daheim
Zu Hause wohne ich weiter mit in der Wohnung mit einem Italiener und einem Österreicher. Dazu stieß letztens ein Thailänder hinzu, von dem man nie wieder was gesehen hat, nur der Gestank der von ihm gleich am nächsten Morgen abgefackelten Mikrowelle hängt noch Tage danach in der Luft.

Durham
Heute, Freitag, haben wir den Matheteil des Kurses abgeschlossen. Über das Wochenende lösen wir dazu einen simplen Test. Da ich in Wirtschaft noch etwas Vorsprung habe und wir den neuen Stoff (Statistik) erst Montag kriegen, ist dieses Wochenende wohl die beste Gelegenheit einen Tag frei zu nehmen. Daher fahre ich Samstag zur ersten Nostalgiereise nach Durham. Nach Kursende Anfang September geht es zu Joanna nach Manchester und danach wohl nach Newcastle, wo ich mit meinem alten Mentor in Kontakt stehe. Zu dem Zweck habe ich mir eine Bahncard geholt.

Samstag, 4. September 2010

05.09.2010 – Ein Tag Tourist

Das Wetter ist sonnig, so bin ich Samstag nachmittag wie angekündigt endlich einmal als Tourist ins Zentrum Yorks gefahren. Hauptziel war der schon seinerzeit geschilderte Münster. Der ist dank meiner Studentenkarte sogar gratis. Und er hat nichts von seinem Eindruck verloren. Gerade singt auch der Chor. Die Hälfte der Kirche scheint aus Glasfenstern zu bestehen, in der Tat wohl die meisten in ganz Europa. An denen restaurieren sie auch fünf Jahre später immer noch rum. Einfach grandios. Und alle noch original und heil. Zusammen mit den ganzen kleinen schiefen mittelalterlichen Häusern überall in der Stadt, und in der Tat im Land, aus Holz und Lehm...im Rest Europas ist das alles verbrannt.
Bei Hunger ging ich das erste ordentliche und lang erwartete Fish&Chips essen. Danach war der Münster schon zu, wie im übrigen fast alles hier ab 17 Uhr. Dafür war Abendmesse und da die meisten Besucher schon weg waren konnte man den Chor besonders gut hören.

Alternativ wollte ich auf die Stadtmauer, auf der Suche nach den grauen Eichhörnchen die ich dort damals gesehe hatte. Die springen aber schon durch einen Park, wo Leute abends auf dem makellosen englischen Rasen zwischen den Ruinen alter Kirchen und der Stadtmauer liegen. Alle paar Meter erkenne ich etwas wieder, springen plötzlich Erinnerungen hoch. Das letzte Mal war ich wohl noch mit Hanni hier. Außerdem fällt mir wieder ins Auge, wie integriert hier wirklich alle Ethien wirken.

Eine weitere Erkenntnis der letzten Tage: wie grottenschlecht mein Englisch geworden ist.

Der Fluss nebenan sieht aus wie in Amsterdam mit kleinen Barkassen und Hausbooten. Endlich finde ich die Stadtmauer und gehe einmal um die ganze Stadt. Die Stelle mit den Eichhörnchen, ich finde sie nicht mehr. Dafür geht auf dem Parkplatz vor dem Burgmuseum eine Entenfamilie selbstbewusst spazieren. Und am Himmel hängen seit meiner Ankunft Heißluftballons.

Donnerstag, 2. September 2010

30.08.2010 – Zurück in England

So bin ich also unabsichtlich am 30.8. nach England zurück gefahren, genau fünf Jahre nachdem ich ausgereist war. Danke für die Ermutigung und die Zeit, in der ich mich um nichts kümmern musste und mir Essen wünschen konnte, in Lodz, Magdeburg, Rostock, Lübeck, Templin und Frankfurt. Danke deshalb, weil ich zum ersten Mal nicht voller Selbstbewusstsein im Bus auf die Abfahrt wartete. Denn diesmal bin ich nicht völlig überzeugt, das Richtige zu machen. Zum ersten Mail war ich bis zum Schluss geistig nicht schon am Ziel, noch im Bus als schon alles Englsich sprach, schien es nicht als wenn ich nächsten Morgen dort sein würde. Vielleicht war es so lange her?

Ankunft
Kurz vor 12 tauchten dann die Hügel von England vor der Ausfahrt des Kanaltunnels auf. Und immer noch kroch das Vertraute nur langsam in mir hoch. Das Umsteigen in London war so stressig, die Zugfahrkarte so teuer und ich so erschöpft, dass ich nur wieder weg wollte, nach Lodz, nach Warschau, nach Rostock, irgendwohin wo ich nicht über Unsummen entscheiden muss, man für mich kocht und wir abens Romme spielen.

Jedoch fand ich eine Sache wieder, die ich schon fast vergessen hatte: die allgegenwärtige Zuvorkommenheit in England. Zwar war ich verwirrt und genervt, doch jedesmal wenn ich nicht weiter wusste, war jemand zur Stelle, der mir half. Im Zug dann traf ich Rana, libanesische Doktorantin in York, die alle Zweifel an der Lehrqualität zerstäubte.

Der Intensivkurs
Seit Mittwoch bin ich im Intensivkurs, mit ca 40 Leuten aus allen Ländern. Technisch gesehen alles ganz einfach, umso mehr schmerzt es wie kläglich ich vor Aufgaben versage, die ich in der Schule beim Pausenbrot gemacht habe. Mir dann an der Uni wieder mühsam angelernt habe. Und jetzt wieder nicht kann.
Und das kontrastiert umso mehr vor den britischen Studenten. Das sind diese Cambridgetypen, jovial, kompetent, wortgewandt, interessiert, sympathisch. Die so nebenbei Summen ausgeben, wo mir der Atem stockt. Die wissen, dass sie sich ihr Selbstbewusstsein leisten können, denen der Hemdkragen unter dem Pullover vorlukt und die Probleme so locker nebenbei lösen, mit dem Gestus quasi wie beim Tennismatch im Club.

Er dauert bis 1.10., dann habe ich frei bis Semesterbeginn am 11.10. Wenn ich den Kurs bestehe, wurde mir bereits bestätigt, dass ich in meine Wunschstudienrichtung versetzt werde. Für die Zeit des Kurses wohne ich im College, zum eigentlichen Semester muss ich mir eine eigene Unterkunft besorgen.

Nur Zeit habe ich keine, denn wie bei jeder Neuankunft ist soviel zu organisieren, Wohnung und Versicherung, und wenn man daneben noch studiert, so einfach die ersten Lektionen auch sein mögen...

Das Wohnheim
Seit meiner Ankunft bin ich konstant am staunen ob der Modernität hier. Bei dem was hier als Bus um die Ecke biegt fragt man sich, ob das überhaupt noch die Erde berührt. Man muss es leider sagen, Polen wird das in 50 Jahren nicht aufholen. Auch das Wohnheim ist ein Traum. Ein ganzer zweiter Campus wird hier am Ortsrand neu gebaut. Die Zimmer sind in Wohnungen gruppiert, zwei Bäder, brandneue Küche mit Einrichtung, und der Portier ist so freundlich das lässt sich gar nicht in Worte fassen. Insbesondere werden hier sämtliche Türen mit Chipkarten geöffnet, und ich sehe es schon kommen wie ich einmal nach der Dusche nur mit einem Handtuch und ohne Karte vor meiner Tür stehe.

Die Umgebung
Hinter uns beginnen die Felder und neben uns ist das frisch eingemeindete Dorf Heslington. Auf dem Weg zur Uni liegt die Dorfkirche, eine Ode an das heile britische Landleben. Hier ist seit 500 Jahren eben nichts mehr kaputt gegangen! Heslington ist inzwischen quasi Unidorf, vier Banken, Pubs, reihenweise englische Cottages mit gepflegten Gärten, die sauberen Straßen emittieren ein Selbstbewusstsein, dass man versteht warum sich diese Leute von keinem großen Europaprojekt beeindrucken lassen wo bei ihnen ohnehin alles so schön funktioniert.

Freizeit
Tourismus ist erst für Samstag vorgesehen. Dann muss ich auch mal richtig einkaufen. Die Supermärkte sind nämlich alle weit (ach, in Polen gibt es an jeder Ecke einen Laden...) da muss man sich richtig Zeit nehmen. Auf dem Campus ist einer, aber bei dessen Angebot und Preisen verweigere ich den Konsum. So hoffe ich, dass mein Körper mir die Weißbrot- und Nudelmonotonie bis Samstag abnimmt und nicht so abklappt wie am Anfang auf der Farm, als ich für ausgewogene Ernährung noch zu geizig war.