Sonntag, 29. November 2020

Routine und Windmühlen

Montag nahm ich mir frei und wir sind in das Dorf Halnaker gefahren, knapp über eine halbe Stunde Fahrt östlich, hinter Chichester. Ellie hat von einem besonders schönen Pfad einen Hügel hoch zu einer Windmühle gehört, der teilweise ein richtiger Hohlweg war, über dem sich die Bäume und Haselnussbüsche schlossen. Otto war begeistern ob der Natur, und er hat zum ersten Mal Esel gesehen, auch wenn ihm das natürlich nicht klar war. Wir waren begeistert, dass wir mit den Babyträgern in jedem Gelände laufen können. Ich war begeistert, immer mehr in die Natur zu kommen und sogar etwas ganz neues zu sehen. Oben vom Hügel hatte man einen Blick über die gesamte Südküste, was mir ein willkommenes Gefühl von Raum und Freiheit gab. Die blasse Sonne und kleine Vögel in den kahlen Büschen gaben mir zum ersten Mal ein Gefühl von Winter. Auf dem Rückweg schlief Otto fast im Träger an Mamis Brust ein; eine ganz neue Entwicklung die in uns beiden die Gefühle wallen ließ.


Unter der Woche hatte Otto mit wachsenden Zähnchen zu kämpfen. Aber er ist zum Glück häufig abgelenkt durch seine Stehversuche, die nur einige Tage nach erfolgreichem Krabbeln einsetzten. Am Sonntag sah er seinen allerersten ersten Advent. Dieses Jahr war die Vorbereitungszeit natürlich knapp, aber ich war sehr zufrieden, wie wir es begangen haben. Einen Adventskranz hatten wir noch am Vortag vom Gemüsehändler gekriegt. Gemüsehändler sind inzwischen meine bevorzugte Quelle für Kranz und Baum, weil sonst zuviel Schnickschnack dran ist. Noch schwieriger sind Kerzen und Kalender zu finden - letzterer wurde am Ende aus Deutschland bestellt. Aber Otto hat Kranz, Kerzenlicht, ordentliche Musik und auch ein erstes Plätzchen erfahren. Und während unser derzeitger Tagesrhythmus häufig nur Zeit für einen Ausflug am Tag lässt, freue ich mich, dass wir häufig morgens und mittags zusammen essen. Das war ohne Kind nicht so, weil wir da viel zu spät aufgestanden sind. Ich freue mich wirklich sehr, dass Otto tatsächlich die Traditionen mitbekommt, die ich irgendwann in mir tief verwurzelt gefunden hatte.

Erster Advent im Hafen. Eher wie Mai.


Wir haben außerdem seinen Kinderwagen mit einem leichteren Model ersetzt. Damit kann der alte Wagen jetzt endlich wieder zerlegt und verstaut werden. Es ist nämlich erstaunlich, wie klein dieses Haus geworden ist, seitdem wir Babyausrüstung haben. Der Wagen insbesondere hat grundsätzlich den Flur oder ein Durchgangszimmer blockiert. Mir macht es richtig Spaß, Sachen wieder wegzuschaffen.

Ich hatte in der Beschreibung unserer täglichen Routine unsere Schlaflieder vergessen. Die haben sich in den letzten Wochen zu einem festen Repertoir gefügt. Wir sinden drei englische und ein deutsches Lied. Nur ein deutsches, weil ich Otto noch mehr vorsinge, wenn ich ihn im Anschluss ins Bett bringe. Die Routine ist daher wichtig, weil sie inzwischen so tief sitzt, dass er dabei spürbar müde wird. Schließlich brauchen wir einen ruhigen Abend.

Sonntag, 22. November 2020

Ottomobil

Wir sind alle in großer Gefahr. Otto krabbelt. An einem Tag hatte er den Bewegungsablauf halbwegs unter Kontrolle, am nächsten guckt man einmal nicht hin und er ist im nächsten Zimmer. Selbstverständlich nutzt er seine neue Gabe allein um sich in Gefahr zu bringen. Heiße Heizkörper, Holzkanten, Kabel, wackelige Wäscheständer, alles wird auf kürzestem Wege angegangen. Die Katzen müssen noch weitere Umwege um Ottos begeisterte Klauen machen.

Ich muss also endlich das Haus sicherer machen. Ist nicht so einfach. Steckdosen sind abgedeckt. Bisher bin ich aber an der Anleitung für das Treppengitter gescheitert. Und überhaupt finde ich kaum genug glatte Fläche auf der uralten englischen Haustreppe.

Otto ist dadurch auch schwerer zu hüten. Wie ein Sack Flöhe. Das heißt leider auch, dass ich noch seltener Zeit zum Telefonieren nehmen kann. Und dann geht die Stimmung, so positiv die Entwicklung allgemein ist, auch ganz schnell wieder ins Loch wo die Gedanken darum kreisen, wie Menschen und Orte inzwischen fast nicht mehr ganz wirklich sind. Wenn ich Otto abends schlafen lege liege ich noch einige Zeit neben ihm im Bett in der Dunkelheit und lasse meine Gedanken schweifen. Häufig gehen sie nach Torun oder Rostock. Interessanterweise nicht auf die Farm oder Lodz wo ich länger gewesen war. Aber ich denke mir auch, dass diese Orte mir selbst nicht mehr so alltäglich wie immer implizit gedacht sein werden, wenn ich sie irgendwann endlich Ellie vorstellen kann.

Ansonsten hat Otto
  • richtig lange Haare, und zwar meine
  • bei der letzten Untersungung 11 Kilo gewogen (nicht 12,5 Kilo wie letztens geschrieben; unsere Hauswaage ist wohl nicht so gut). Damit ist er in den zwei schwersten Prozent aller Babys, aber aufgrund seine Länge wundert das auch niemanden
  • angefangen weniger Milch zu trinken. Auch das ist kein Wunder so wie er auf alles Essbare losgeht
  • einen ersten Zahn im Oberkiefer. Beißen ist jetzt nicht mehr unbedingt niedlich
  • eine kurze Schlafregression durchgemacht. Manchmal übt er im Schlaf immer noch Krabbeln. Dann sieht man seinen fluoreszierenden Nuckel leuchtend in der Nacht schweben
  • sein erstes Paket bekommen. Eigentlich für uns alle gedacht war es einfach zu schön zu sehen, wie er es mit seinen Händchen erkundete
An Wochenendetagen nehme ich Otto seit Kurzem morgens fast immer zum Spielplatz um der Ecke. Frische Luft für ihn und mich, und Ellie kann in Ruhe Frühstück machen. Unser Wochenend-Rhythmus sieht dann eher so aus, dass er etwa um 7 Uhr aufwacht, dann machen wir uns fertig, schaffen aber meistens kein Frühstück vor seinem ersten Nickerchen. Danach essen wir (eine der schönsten Entwicklungen in unserer Familie) und gehen vielleicht spazieren, dann ist wieder Schlafenszeit. Danach haben wir die größte Chance etwas richtiges zu unternehmen, z.B. einen Ausflug in die Region. Dieses Wochenende waren wir wieder im Dorf Buriton, was ich mit jedem Besuch noch schöner finde. Die Winterlandschaft unter den Buchenwäldern auf der Hügelkette macht mich richtig glücklich. Otto hat das erste Mal ein Pferd gesehen; sein eigentliches Interesse galt aber einem Papierkorb. Mich erinnert der Ort immer mehr an Pölchow bei Rostock, weil dort regelmäßig Züge aus einem Tunnel durch den Wald fahren. Mich hat das als Kind immer fasziniert; Otto sollte besser dasselbe tun. Wir haben einen richtig schönen Spielplatz direkt neben Wald und Gärten entdeckt, wegen dem wir in Zukunft wahrscheinlich noch häufiger dorthin fahren werden.
Abends habe ich Otto Adventslieder von den den alten Schallplatten gespielt, die bei uns früher immer liefen.

Zuguterletzt haben wir endlich einen Hausmeister gefunden. Der hat unseren Ofen repariert und zwei Glühbirnenhalterungen gleich mit, die seit zwei Jahrne kaputt waren.


Morgens auf dem Spielplatz


Sonntag, 15. November 2020

papa post portas

Otto hat seine zweite Erkältung dann doch ziemlich leicht überstanden, und bisher haben sich auch seine Eltern nicht angesteckt. Überhaupt wage ich mich mal an die Behauptung, dass sich unsere Lage und Stimmung im Vergleich zu den erste Monaten verbessert hat. Ich spüre, dass ich mich leichter entspannen kann, dass ich Enttäuschungen besser aushalten kann und das wir regelmäßig einfach als Familie zusammen sein können, ohne das Gefühl eigentlich etwas ganz dringend erledigen zu müssen. Otto ist sehr viel aktiver und selbstständiger. Am 15. November hat er das Krabbeln nach langen Versuchen endlich hingekriegt. Und je besser seine Motorik, desto mehr kann er sich selbst beschäftigen, wodurch wir ab und zu mal kleine Pausen haben.

Diese Woche haben wir seinen Kinderwagen nach vorne gedreht. Otto kann es verkraften uns nicht mehr ständig sehen zu können und kriegt viel mehr zu beobachten, was ihn hoffentlich unterhält, denn besonders gerne war er noch nie im Kinderwagen.

Umso dankbarer sind wir, dass er seit einigen Wochen den Babyträger akzeptiert und sogar zunehmend mag. Wir haben einen zweiten für mich gekauft, damit wir die Träger nicht bei jedem Wechsel verstellen müssen. So kann ich ihn relativ schnell auf einen Spaziergang mitnehmen. Am schönsten ist es, mit ihm in der Mittagspause ans Meer zu gehen. Er mag die Wellen und Vögel, aber vor allem mag er Laternenpfähle gegen den Himmel zu sehen. Leider finde ich es seit meiner Beförderung schwierig genug Zeit für solche Ausflüge zu finden. Die Unmengen Besprechungen und Ottos Schlafrhythmus lässt fast nie die Stunde, die ich brauche. Dadurch komme ich letztens sehr selten aus dem Haus. Werde schon etwas komisch im Kopf, wenn ich drei Tag meine Beine nicht benutzt habe. Wenn es dann am Wochenende auch noch regnet so wie jetzt, muss ich schon wieder aufpassen, dass nichts durchbrennt.

Letztes Wochenende dagegen war eine Freude. Sonntag sind wir mit Ottos endlich mal ins Umweltzentrum gefahren, also das mit den Jurten. Streng genommen war er schon zwei Mal da gewesen, aber noch vor seiner Geburt. Es war ein diesiger Tag, wenige Leute unterwegs, man hatte den Wald für sich. Der klang vor lauter Vogelgesang und ich bin wirklich glücklich, wie aktiv Otto das alles aufnimmt. Ein Wochenende dort mit Kind war schon seit Jahren eine unserer häufigsten Vorstellungen. Mir liegt viel daran, ihm das Naturerlebnis mitzugeben, dass für mich in Brandenburg immer selbstverständlich gewesen war.

Ottos Schlaf ist seit einiger Zeit auch relativ verlässlich und einfach. (Ich sage das mit aller Vorsicht, denn bisher hat es sich nach jeder Feststellung wie dieser sofort verschlechtert.) Abends schläft er meistens fast sofort ein; allerdings ist der Nachtschlaf diese Woche nicht toll gewesen und ich habe nach meinen Schichten verdammt durchgehangen. Tagsüber schläft er seit Kurzem ein, indem er sich zur jeweiligen Person dreht, durch die Stäbe des Bettchens die Hand hält und uns in die Augen blickt. Seine fangen dann irgendwann an zuzufallen.

So ewig wie es mal weg schien, denken wir jetzt zunehmend über das Ende von Ellies Mutterschaftsurlaubs nach. Sie will wenn dann nur Teilzeit arbeiten. Im Idealfall kommt sie sowieso zu mir ins Amt. Dann könnten wir zusammen hier zu Hause arbeiten. Ellies Freundin hat bestätigt, dass sie Otto drei Tage die Woche betreuen wird. Das ist schon mal eine große Erleichterung.

Ich habe die Geschichte von Aladdin aus 1001 Nacht gelesen. Sehr merkwürdig. Außerdem habe ich meinen Mosaikband vom Geburtstag ausgelesen. Brauche also den nächsten, die Abenteuer am Bosporus beispielsweise... Momentan lese ich jeden Abend ein paar Seiten über die Geschichten des antiken Europas.

Schließlich schlaucht mich meine Arbeit momentan ganz schön. Einmal weil ich deswegen nicht viel aus dem Haus komme. Zweitens sind die ganzen Besprechungen anstrengend, weil ich meistens keine Ahnung habe worum es geht. Und ich habe erst jetzt Zugriff auf die notwenigen Systeme, wodurch mir bisher ein Gefühl von echtem Fortschritt fehlt.

Donnerstag, 5. November 2020

Positiv

Nachdem der Flug nach Deutschland nicht stattfand, hatte ich immer noch ein langes Wochenende, denn die genommenen Urlaubstage behielt ich bei. Ellie gab sich große Mühe mich zu trösten. Zum Glück können wir inzwischen immer besser Ausflüge machen. Otto schläft tagsüber zunehmend nur noch zweimal, wodurch wir längere Zeitfenster haben. Samstag sind wir bei Nieselregen nach Emsworth gefahren, einem kleinen Ort, der unspektakulär aber recht nett am Wasser gelegen ist. Für Otto gibt es dort besonders viele Enten und Möwen zu sehen, die er sehr aufregenend findet. Am Tag darauf fuhren wir an den Kanal in Chichester, einem unserer Lieblingsorte, wo wir auch zukünftige Besuche auf jeden Fall mit hinnehmen wollen. Für Kinder ist er besonders gut geeignet, mit seinem einfacher Fußweg, den vielen Enten und Booten. An diesem Tag schien die Sonne und der Sturm verfing sich in den hohen Bäumen, sodass wir einen wunderschönen Spaziergang genossen, mit Entenfutter und Otto war begeistert, die Umrisse kahler Äste über sich gegen den blauen Himmel zu sehen. Die Vision einer möglichen Zukunft.

Otto arbeitet hart am Krabbeln. Ich stelle auch fest, dass wir auf die erste Art und Weise kommunizieren können. Er versteht zum Beispiel, wenn ich es ihm nachmache, beim Frühstück mit dem Arm auf den Tisch zu klopfen, und er macht es mir nach. Aus irgendeinem Grund mag er im Moment besonders das Lied Alle meine Entchen. Er erkennt sich selbst im Spiegel. Und er wiegt 12,5 kg.

Mittwoch abend dann stellten wir mit Schrecken fest: er hat wieder einen Schnupfen. Schock, Horror, schlaflose Nächte.


der kranke Otto warm angezogen im Garten

Kanal von Chichester



Sturm in Southsea


Montag, 2. November 2020

Negativ

Letzten Freitag habe ich vergeblich versucht, zu Muttis 60. Geburtstag nach Templin zu fliegen.

Nachdem Mutti uns auf ihrem Besuch das Leben eine Woche lang wirklich einfacher gemacht hatte, und nachdem später einmal alle meine Schuldgefühle wegen des Kontaktmangels mit der Familie einmal aus mir hervorgebrochen waren, war ich entschlossen, trotz aller Umstände zu ihrem Geburtstag zu kommen. Es gibt nämlich seit Monaten nur noch Verbindungen ganz früh oder ganz spät, wenn ich denn nicht ganz weit anfahren will.

Eine Woche vor Abflug wurde ganz Großbritannien richtigerweise auf die Risikoliste gesetzt, d.h. ich brauchte einen negativen Covid Test. Der durfte maximal 48 Stunden alt sein und das Labor braucht mindestens 24 Stunden - ab Eingang der Probe - in Durham am anderen Ende des Landes. Dann informierten uns Freunde, die uns eine Woche vorher einen ganzen Abend besucht hatten, dass sie beide positiv getestet worden waren. Für mich war der Test auch ziemlich schwierig; ich bin kaum an die relevante Stellen im Rachen rangekommen und war mir gar nicht sicher, ob es überhaupt ein klares Ergebnis bringen wird.

Am Abend vor Abflug war noch nichts da. Nichtsdestotrotz stand ich um 4 Uhr auf und fuhr zum Flughafen. Während der Fahrt bekam Ellie ihr negatives Ergebnis (sie hatte das öffentliche Gesundheitssystem benutzt, während ich es privat machen musste). Also war ich wahrscheinlich auch negativ - wenn es denn ein Resultat gab. Auf Gatwick angekommen hatte ich immer noch kein Ergebnis und ich überlegte, trotzdem einfach zu fliegen. Wahrscheinlich würde das Ergebnis ja noch am Freitag kommen, und wenn nicht könnte ich in Deutschland am Flughafen einen Test machen. Nur, sollte der britische Test unklar sein, müsste ich mich isolieren, soweit das Hotel da mitmachte. Und ob der deutsche Test dann rechtzeitig vor meinem Rückflug Montag 7 Uhr käme? Außerdem waren einige Angaben der deutschen Behörden unklar. Der britische Test durfte nicht älter als 48 Stunden sein - aber 48 Stunden vor was? Abflug? Ankunft? Ich hatte ab Abflug gerechnet, um dem Labor mehr Zeit zu geben. Und ein negativer Test kann die 14 Tage Quarantäne unnötig machen - aber was genau heißt das?

Am Ende entschied ich, dass ich nicht riskieren kann, 14 Tage festzustecken und Ellie alleine zu lassen. Ich saß am Abflugsteig und wartete auf ein Ergebnis, bis sie die Tore zumachten. Dann fuhr ich zurück nach Hause. 18 Uhr kam dann das negative Ergebnis. Seitdem ist aus mir ziemlich die Luft raus und ich frage mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Besonders, als ich Fotos aus Templin sah. Ich hätte ein Wochenende Urlaub wirklich gebrauchen können. Ellie hat mir am folgenden Tag extra ein Hotelfrühstück gemacht, worauf ich mich so gefreut hatte. Nach 7 Monaten Elterndienst sehnt man sich nach Faulsein. Trotzdem hatte ich gerade nachmittags wieder zu knabbern. Früher hatte ich eine Faustregel, die mit sehr wenigen Ausnahmen immer richtig war, nämlich das man im Zweifel etwas besser tut als es nicht zu tun. Aber am Ende komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass ich momentan keinen Spielraum selbst für kleine Risiken habe, wenn es um Kind und Haushalt geht. Nichtsdestotrotz habe ich irgendwie das Gefühl, dass unsere kleine Blase von Haus, Parks und Strand undurchdringlich ist. Ich hatte auch mal eine weitere Regel, dass einmal getroffene Entscheidungen abgeschlossen sind. Wahrscheinlich muss man dafür ausgeschlafen sein.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Seit kurzem lese ich wieder etwas Sachliteratur. Das ist insofern bemerkenswert, dass ich bis vor kurzem abends noch Heimatfilme geguckt habe, weil mein Kopf mehr nicht mehr konnte. Mein psychischer Zustand ist aber weiterhin durchwachsen. Allgemein ganz gut. Aber spröde unter Baby-bezogenem Stress. Ende der Woche musste Ellie mehrmals Otto übernehmen, weil er unter meiner Betreuung partout nicht schlafen wollte. Da habe ich mich gleich wieder schlecht gefühlt, dass ich meinen Beitrag nicht leiste. Auch wenn der Kopf weiß, dass es wahrscheinlich einfach nur zufällige Verhaltensfluktuationen sind. Wir haben einen extra Begriff dafür, Baby stuff, also Babykram, wo man nur die Schultern zucken und weitermachen kann. Interessanterweise erinnert sich alle, dass Otto in ganz jungen Tagen eine zeitlang nur auf mir schlafen wollte und sie aus schlechtem Gewissen besonders viel für mich gekocht und geputzt hat. Ich dagegen kann mich daran überhaupt nicht erinnern.

Ausgelesen habe ich den Mosaikband, den ich zum Geburtstag bekommen hatte. Sogar der hatte eine Weile halb gelesen rumgelegen, weil es nichtmal dazu gereicht hatte im Kopf.

Otto war unter der Woche im örtlichen Aquarium. wir sind wirklich froh, wie aktiv er seine Umgebung wahrnimmt. Fische, Krabben und sogar die selten zu sehen Otter, hat er alles mit Lauten bedacht. Am verregneten Samstag sind wir zu dritt gleich nochmal hingegangen; auch mir hat das richtig Spaß gemacht. Vermutlich, weil auch die Vorstellung der Welt unter dem Wasser eine Art Reise darstellt, die mein lokal beschränkter Geist so gerne anstellt.

Essen ist weiterhin seine Leidenschaft. Er isst immer ordentlicher. Nur müssen wir unser eigenes Essen entweder verstecken oder ihm etwas abgeben. Inzwischen isst er, zusätzlich zur Milch, regelmäßig Frühstück und Mittagessen mit uns. Er liebt Gurke und Wassermelone und jeden möglichen Brei. Aber richtig wild wird er, wenn er ein Glas Wasser bekommt. Warum? Babykram. Vor kurzem hat Ellie etwas scharfes Essen ausprobiert. Das Experiment legte nahe, dass sein Geschmackssinn eher nach mir schlägt. Schumänner, schickt Schokolade.

Er sitzt gut aufrecht, kann Sachen in beiden Händen gleichzeitig halten (schlägt sie dann aber meistens nur zusammen), spielt gerne Verstecken, ist mehr und mehr an Tieren interessiert, besonders die Katzen findet er immer aufregender. Aber zu nah darf er nicht, sonst greifen seine Händchen blitzschnell zu. Er muss ganz kurz vorm Krabbeln stehen, aber auf den letzten Zentimetern fällt er weiter auf den Bauch. Er plappert fröhlich vor sich hin und kann vermutlich bald mit nur noch zwei Nickerchen pro Tag auskommen. Womit wir dann mehr Spielraum für Ausflüge hätten.

Sonntag, 18. Oktober 2020

Grenzen

Otto und Ellie haben ihren Schnupfen kuriert und ich bin scheinbar tatsächlich verschont worden. Otto hat gerade eine richtig gute Zeit. Insbesondere wenn er beide Eltern in einem Raum hat kann er gar nicht an sich halten. Unsere Nächte sind aber mittelmäßig, weil er sich permanent auf den Bauch rollt und dabei aufwacht. Wir treffen uns zunehmend mit Freunden, was uns gut tut und Otto eine Bühne bietet. Seit kurzem organisiert jemand regelmäßige Spielstunden, d.h. in einem Park oder bei Regen einer Halle werden Spielstationen aufgestellt, wo sich die Kinder für wenig Geld einige Stunden austoben können.

Ottos neueste Entwicklungen:

  1. lässt sich gelegentlich durch Singen oder sogar durchs Mikrofon des Babymonitors beruhigen.
  2. Hat gelernt sich aufzuregen, wenn er nicht seinen Willen bekommt
  3. sitzt ohne Hilfe in der Badewanne
  4. hat gelernt, dass man mit Wasser plantschen kann
  5. sein kleines Gehirn arbeitet wahrscheinlich am Krabbeln... bisher geht es aber nur rückwärts
  6. er tritt auch wie besessen um sich; vermutlich wird daraus mal das Laufen
  7. er liebt Essen. Wir probieren verschiedenstens, bisher hat er nichts abgelehnt. Im Gegenteilt - man darf ihn fremdes Essen gar nicht sehen lassen, sonst tritt Punkt 2 in Kraft.
  8. plötzlich akzeptiert er den Baby-Träger; wir können ihn also vor unserer Brust rumtragen, er findet das toll und wir haben beide Hände frei. Außerdem kann man so viel besser spazieren gehen, unabhängig vom Untergrund


Ursprünglich wollte ich schreiben, dass ich insgesamt das Gefühl habe mich etwas erholt zu haben. Aber dann haben Ellie und ich uns am nächsten Tag gezankt, weil ein von mir lang erwarteter Ausflug auf der Kippe stand. Dann hat sich Ellie abends nebenbei entschuldigt, während ich noch krampfhaft nach den Worte dafür suchte, und ehe ich mich versah heulte ich Rotz und Wasser auf dem Sofa. Im Gespräch schälte sich raus, dass ich mich zwischen verschiedenen gefühlten Ansprüchen zerrieben fühle:

  • das ich Ellie nicht genug aushelfe, weil sie in meinem Kopf immer noch die ausgebrannte Person aus dem zweiten und dritten Monat ist, die jederzeit zusammen brechen kann
  • das ich mich gleichzeitig schuldig fühle nicht genug mit Freunden und Familie Kontakt zu halten, weder telefonisch noch schriftlich. Ich will das mal ganz klar sagen: ich fühle mich furchtbar, dass ich das nicht mehr schaffe
  • das ich das Gefühl von Kontrolle über mein Leben verloren habe; zusehen muss wie vertraute Orte und Menschen verblassen und einfach nicht die Zeit da ist etwas dagegen zu tun. Das ganze Modell, dass ich im Ausland hängen geblieben bin, aber Kontakt halten kann und regelmäßig persönlich da bin.
Mindestens die letzten Punkte waren schon seit Jahren da, aber unterschwellig, und mein rationaler Teil konnte es kontrollieren. Jetzt bricht es alles hervor, weil ich geistig erschöpft bin. Und vor allem hätte ich nicht mal für eines genug Zeit, und stattdessen zerren alle gleichzeitig an der Zeit, die ich habe.
Alle diese Sachen sind unterbewusst, darum brach es so unerwartet aus mir hervor. Einige sind auch unberechtigt. Aber die ersten Monate Elternschaft haben sich offensichtlich tiefer in uns eingebrannt als ich wahr haben wollte.

Der Ausflug hat dann übrigens noch stattgefunden und mir gezeigt, dass es zwar albern war sich aufzuregen, mir Natur und Draußensein auch bitter fehlen. Wir sind an den Ententeich in Buriton gefahren; aus irgendeinem Grund hatte ich schon vor Ottos Geburt diesen Plan; und es wärmte meine Seele, das Grün, die Ruhe, die Tiere. Eine Woche sind wir nochmal hingefahren, diesmal mit Otto im Träger und es macht uns richtig glücklich, wie er da drin sitzt und auf die Sachen reagiert, die wir ihm zeigen. Ich kann es gar nicht erwarten, ihm die Eisenbahn zu zeigen, die dort im Wald aus einem Tunnel kommt, wenn er ein kleiner Junge ist.

Ein typischer Tag sieht inzwischen so aus:

  • wir stehen etwa 7 Uhr auf
  • ich bespaße Otto, im Garten wenn möglich und idealerweise sieht er Vögel; Ellie macht Frühstück
  • wir essen alle zusammen am großen Tisch; Otto schmiert sich sein Essen ins Gesicht; dann geht er bald wieder schlafen
  • ich fange an zu arbeiten, auch am großen Tisch wo mein Rechner steht
  • etwa 13 Uhr mache ich Mittagspause, eine ganze Stunde lang damit Otto und ich einen Spaziergang zum Meer machen können
  • dann arbeite ich bis etwa 17.30 Uhr.
  • dann übernehme ich Otto; wenn Zeit ist gehen wir nochmal spazieren, sonst gehen wir in den Garten, auch um mir selbst etwas frische Luft zu gönnen
  • Ellie bereitet das Bad vor; gegen 18.30 Uhr geht es los; zum Schluss lesen wir ihm ein Buch vor (meistens fehlt ihm die Geduld) und singen ein paar Schlaflieder
  • dann nehme ich Otto ins Schlafzimmer, gebe ihm noch eine Flasche die er aussaugt wie ein Verhungernder, während ich ihm noch etwas vorsinge
  • dann kommt er ins Bett, ich lege mich daneben und hoffe, dass er nicht allzulange rollt und bald einschläft
  • dann liege ich noch etwas in der Dunkelheit und höre fast die Luft aus mir pfeifen
  • dann gehe ich nach unten und wir haben mit noch etwa anderthalb Stunden für uns... oder für andere Aufgaben. Diese Wahl ist auch schwierig

Ellie und ich scheinen uns seit einiger Zeit einig, dass wir einfach mal einen Termin beim Standesamt machen und heiraten sollten. Um die Erwartungen zu dämpfen: wir reden wirklich nur davon, den rechtlichen Teil zu erledigen. Geredet haben wir davon schon lange; ursprünglich mehr zum Spaß und später, um einen Fakt formal anzuerkennen. Wir hatten über die Jahre auch eine recht klare Vorstellung entwickelt, wie und wo das gemacht werden könnte. Aber jetzt müssen wir sagen: für die große Zeremonie mit Feier und Gästen werden wir auf Jahre hinaus keine Zeit haben. Wir schaffen es nicht mal den kaputten Ofen zu reparieren. Wir würden das auch irgendwann nachholen, für alle. Aber der eigentliche Akt muss dafür nicht warten.

Ich habe jetzt zwei Wochen in meinem neuen Job als Manager hinter mir. Bisher habe ich eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl. Ich leite zwei Leute, die einen sehr guten Eindruck machen. Wir sollen mehrer mehrere Datenverarbeitungsleitungen auf Vordermann bringen. Ich habe auch einige Ideen; die Frage ist ob wir die Zeit dazu haben werden neben der Alltagsarbeit.

Sonntag, 4. Oktober 2020

Schnotto

Diese Woche haben wir Ottos erste Erkältung durchgemacht. Kam plötzlich Sonntag Nacht und hat uns einige schwere Nächte beschert. Erschwerend kam hinzu, dass Ellie sich die Erkältung sofort selbst einfing. Ihre sind immer kurz und schwer. Das hieß, eigentlich hätte sie die ganze Zeit im Bett sein müssen. Ging aber nicht, denn sie musste sich ja um Otto kümmern. Zwei Tage hatte ich mir freigenommen um zu helfen, mehr ging nicht. Ich finde es immer ganz schwierig, wenn sich solche Dilemmata ergeben, wo sich mindestens einer von uns quälen muss, weil einfach nicht genug Arbeitskraft da ist.

Was mich daran erinnert, dass ich im letzten Eintrag ein wichtige Sache vergessen habe: einer der größten Stress Faktoren im Eltern Dasein ist für mich das Gefühl des Kontrollverlusts. Das es ganz egal ist wie gut man plant und was eigentlich gemacht werden müsste, weil die Umstände es immer wieder kurzfristig durchkreuzen. Dazu kommt das Gefühl von Klaustrophobie, weil die Welt so auf das Haus, zwei Parks und den Strand zusammen schrumpft. Ich habe immer das Gefühl on Raum gebraucht und bin darum gerne unterwegs. Das ist ein wichtiges Mittel gegen Stress. Geht alles nicht mehr und man sagt sich solange , dass das alles wieder anders wird, bis man selbst Zweifel bekommt. Das beste Mittel scheint inzwischen einfach Akzeptanz zu sein und darum versuche ich auch ganz bewusst meine Ambitionen am jeden Tag   zu begrenzen und mir mehr freie Zeit zum Faulenzen zu lassen und lokal Bekannte zu treffen. Aber nicht alle Konsequenzen sind einfach zu ertragen. Insbesondere, so viele Leute so lange nicht sehen zu können.

Tagsüber ging es Otto trotz der Erkältung  ziemlich gut. Er quasselt viel - bäbäbä und mämämä. Es fasziniert ihn, seine Hände über Oberflächen zu streichen. Inzwischen freut er sich über die Wellen am Meer, aber am allerbesten ist die Betonmauer an der Promenade.

Zuguterletzt bin ich endlich befördert worden. Das ging plötzlich ganz schnell. Gespräch am Mittwoch, entscheidung am Donnerstag. Tritt bereits morgen in Kraft. Ich komme dazu in eine neue Arbeitsgruppe innerhalb meines derzeitigen Teams. Dort geht es wohl um den Bau einiger neuer Datenverarbeitungsprozesse, aber so wirklich versteht man das eh erst nach einem Jahr darum hier keine weiteren Details. Ich werde auch zwei Leute leiten, wovor ich durchaus etwas Schiss habe. Aber immer voran. Nicht zuletzt kriege ich ja mehr Geld, was ein wenig Ellies Einkommensverlust kompensiert. Und ich habe ohnehin Zweifel das sie in einem halben Jahr tatsächlich zurück in die Vollzeit geht.


Sonntag, 27. September 2020

gemeinsam einsam

In letzter Zeit spielt unsere geistige Gesundheit eine große Rolle. Freitag vor einer Woche hatte ich wahrscheinlich einen leichten Nervenzusammenbruch . Der Anlass war gar kein grissrr: Otto war beim sitzen umgefallen, leicht auf den Kopf. Die offizielle Anweisung ist mit dem Kind zur Notaufnahme zu fahren. Das hieß, dass ich Freitag Nachmittag nicht mehr arbeiten konnte und damit bin ich überhaupt nicht klargekommen. Die Untersuchungen verliefen dann relativ zügig und haben natürlich nichts gefunden, aber ich konnte mich den ganzen Tag nicht mehr einfangen. Ich konnte nur daran denken, dass beruflich und privat ohnehin viel zu viel zu tun war und jetzt überhaupt keine Chance mehr bestand, das aufzuholen.
Abends spürte ich, dass mein Geist völlig aufgeregt war und später machte mein Körper komische Sachen; mir war kalt und ich hatte das Gefühl, dass jeder Gedanke zuviel Kraft erforderte. Da habe ich mir dann Gedacht, dass das nach einer Art Nervenzusammenbruch klingt.
Der Tag selbst kann nicht allein der Auslöser gewesen sein; es müssen die Monate davor gewesen sein, die meine Reserven verbraucht hatten. Konkret das ständige Gefühl, nichtmal mit den allernötigsten Aufgaben hinterherzukommen. Ich hab dann entschieden, nur noch zu machen, worauf ich Lust habe ohne über die Konsequenzen nachzudenken.
Heute waren Ellies Vater mit Frau da, und abends unsere Freundin Claire. Dabei habe ich gemerkt, dass sich mein ganzen Grundgefühl verbessert hat. Es ist also inzwischen auch so, dass mir ganz einfach ein Sozialleben fehlt. Stimmt ja auch, wochenlang bin ich wochentags gar nicht aus dem Haus gekommen und auch heute kriege ich maximal eine dreiviertel Stunde nach der Arbeit. Und das unabhängig von irgendwelchen Viren. Also versuche ich jetzt mehr Menschen zu sehen.
Da kommt uns gelegen, dass wir inzwischen alle diese Probleme haben. Ich spreche die meinen ganz bewusst offen an, weil es die meisten Leute in unserer Umgebung nicht machen. In den letzten zwei Wochen haben wir von einem weiteren Fall in unserer Elterngruppe erfahren, wo einem die Haare zu Berge stehen - aber gesprochen wir darüber nur unter vier Augen. Und mit wem ich es auch beredet, Freunde und Kollegen, sogar die die man für besonders stabil hält, alle bestätigen, dass auch sie zu merkwürdigen Einsiedlern werden, die nicht mehr normal mit anderen Menschen sprechen können. Und alle sind ganz dankbar für irgendwelche Einladungen. Außerdem merke ich einen Unterschied zwischen den Generation. Ellies Papa machen sich auch große Sorgen um uns. Darum sage ich mal ausdrücklich: wir sind nicht auf dem Weg in die Nervenklinik. Es passieren viele schöne Dinge.

Vor einigen Wochen waren wir zu dritt am Meer unterwegs und als Ottos Schlafenszeit kam, meinte Ellie, sie könnte ihn ja allein nach Hause nehmen und später wieder zu mir stoßen. Dadurch hatte ich einen ganzen Nachmittag draußen am Meer in der Sonne, wofür ich sehr dankbar war. Ich bin sogar kurz schwimmen gegangen.
Am vergangenen Sonntag sind wir mit Otto auf den Berg über Portsmouth gefahren und haben ihm gezeigt, wie groß die Welt wirklich ist. Ich nehme ihn dazu auch regelmäßig mit ans Meer. Er sitzt dabei immer auf meinem Arm und guckt, als machte ihm etwas ganz große Sorgen. Aber inzwischen denke ich, dass er ganz einfach völlig verblüfft von der Weite ist. Er kann inzwischen Vogel im Flug erkennen und letztens haben wir im Garten eine Taube beobachtet, die Beeren aus dem Busch gepickt hat. Ich bin so froh, dass er daran Interesse zeigt, weil ich ihn im nächsten Frühling endlich in die Natur nehmen will. Seine unteren Schneidezähnchen kommen durch und er ist sein Frühstück mit Gusto; in sehr kurzer Zeit hat er praktisch aufgehört sich zu verschlucken und er mäkelt über gar nichts.

Kleiner Wichtel am großen Meer
Fliegende Wichtel auf dem Berg

2008 in Breslau


Samstag, 12. September 2020

Otto und Oma

Letzte Woche war Mutti hier und hat uns so etwas wie Urlaub beschert. Ich hatte mir die ganze Zeit freigenommen und sie hat richtig angepackte. Der Unterschied, den ein weiteres paar Hände und Muttererfahrung macht, war wirklich jede Minute zu spüren. Dass man einfach ein paar Aufgaben deligieren kann und tatsächlich auch mal ein paar Momente frei hat. Diesmal habe ich mich nicht beschwert, dass sie das ganze Haus auf Vordermann gebracht hat. Sie hat uns durch die Entlastung bei den Alltagsarbeiten vieles lange vernachlässigtes möglich gemacht. Ich war beim Friseur, Garten und Dachboden wurden geräumt, mehrere Säcke zu klein gewordener Babysachen wurden zur Spende gebracht, ein Elektriker wurde bestellt um sich um seit zwei Jahren kaputtes zu kümmern. Ottos neues, größeres Bett wurde zusammengebaut, denn Otto wächst. Es gab mir endlich wieder ein Gefühl von Fortschritt und Veränderung das mir in der Routine vorher so fehlt hatte.


Leider konnten wir Mutti gar nichts besonderes zum Dank anbieten. Allein auf ein Pimms im Hafen konnten wir sie einladen und auch das war an die zwei Stunden gebunden, die Otto zwischen Nickerchen wach sein kann.


Besonder schön war, dass wir angefangen haben, am späten Nachmittag, in seiner letzten Wachzeit, mit Otto ans Meer zu gehen. Seine rasante Entwicklung ist auch daran zu sehen, dass man das jetzt mit ihm machen kann. Ich habe entdeckt, dass er es richtig lange dort aushält. Für mich ist das eine große Sache, denn das Meer tut mir sehr gut. Der Raum und die frische Luft sind das genaue Gegenteil des Hauses, aus dem ich über Monate kaum gekommen war.


Muttis Besuch war auch zeitlich glücklich gewählt, denn Otto hatte nach einigen traumhaften Wochen eine etwas schwierigere Zeit, in der er schlechter schlief, ab und zu wieder nächtliche Fütterungen und tagsüber mehr Aufmerksamkeit brauchte. Es war klar, dass er wieder eine Entwicklungsphase durchlief und da war Hilfe sehr willkommen.


Emotional ging in mir in dieser Woche viel durcheinander was auch nicht leicht zu formulieren ist. Am Ende blieb wieder einmal vor allem Bedauern. Dass Otto seine Oma nicht jeden Tag sehen kann, dass ich meine Familie so selten sehe, dass das jetzt auf Jahre noch schwieriger wird. Dass wir nicht alle zehn Jahre jünger sind.


Ottomobil

Ansonsten ist auch viel los:

Otto entwickelt sich rasant. Seine Entwicklungssprünge sind auch ganz erstaunlich plötzlich. Als ich ihn am Abend nach Muttis Abfahrt ins Bett legte, fing er auf einmal an sich auf den Bauch zu rollen. Monatelang hatte er daran gearbeitet, jetzt war es da - dass also hatte sein kleiner Kopf die Tage vorbereitet. Er hat dann weiter viel geübt, besonders nachts, wodurch jeweils einer von uns aufpassen musste, dass er nicht auf seinen Atemwegen liegen bleibt. Inzwischen dreht er sich wie ein Profi, stützt sich auf den Händen ab und probt eindeutig, wie man sich mit den Füßchen vorwärts schieben könnte. Dann fing er auf einmal an, mehr und mehr zu sitzen. Innerhalb weniger Tage hatte er gelernt, sich selbst aufrecht zu halten.

Er mag klickende Geräusche, z.B. wenn man Steine am Strand wirft, die ihm vor Kurzem noch Angst gemacht hatten.



Otto ist jetzt offizielles Mitglied bei Union Berlin. Kann dann seinem Papa Karten besorgen.



Wir haben dann einfach mal ausprobiert was passiert wenn wir ihm Essen vorlegen. Die letzte Wochen steckt er sich ja schon alle sin den Mund was nicht niet- und nagelfest ist. Und wie erwartet lernt er ganz schnell zu essen. Die Milch wird dadurch nicht ersetzt, er kann sich einfach schon mal an festes Essen und den Geschmeck gewöhnen. Ich habe dann den Hochstuhl zusammen gebaut und plötzlich essen wir jeden Morgen als Familie Frühstück, einfach weil es am praktischsten ist. Ellie und mir tut das richtig gut. Vorher hatte ich ja immer schnell vorm Computer gegessen. Brei ist übrigens nicht dabei, das wird hier drüben wohl nicht mehr gemacht.


Nachts isst Otto normalerweise nicht mehr. Er pullert auch kaum noch ein, seit wir ihm richtige Windelhosen besorgt haben. All das macht unser Leben einfacher.

Ich habe auch wieder so etwas wie ein Leben. Seit einiger Zeit lese ich abends wieder ein bisschen. Die letzten Tage habe ich die Geschichten von Sindbad dem Seefahrer gelesen. Ich lerne für Otto weiter weiter Volks- und Kinderlieder. Als letztes die gesamte Vogel Hochzeit und das Lied von Dornröschen. Wer wusste, dass Tochter Zion englischer Herkunft ist? Geschrieben von Händel. 

Ich habe den letzten Busch im Garten identifiziert. wir haben: Budelaia, Feuerdorn, Kohuhu, Heckenkirsche und Säckelblume. So klein war meine Welt geworden, dass mich das interessiert hat, wenn ich Otto in den Garten nehme.

Leider ist die Sonderregelung meines Arbeitgebers ausgelaufen, die mir lange Zeit erlaubt hatte, Ellie mittags Otto eine Stunden lang abzunehmen. Gottseitdank ist er jetzt einfacher. Trotzdem machen wir alles, was uns Zeit spart. Zum Beispiel haben wir angefangen, uns unseren gesamten Wocheneinkauf liefern zu lassen, was insbesondere mein Wochenende entlastet.

Donnerstag, 3. September 2020

Ungefähr die letzten sieben Tagen war es mit Otto etwas schwieriger als in den wunderbaren Wochen davor. Wahrscheinlich hatte er irgendwas mit dem Magen - eine Menge Magensäure kam hoch, eine Menge Reflux. Was genau haben wir nicht rausgekriegt, aber es scheint sich wieder einzurenken.

Dadurch war unser Leben wieder schwieriger, insbesondere nachts. Durch rollen und schaukeln rotiert er langsam im Bett bis er eine Wand findet gegen die er dann arbeitet. Manchmal dreht er sich im Schlaf um 180 Grad und man wacht neben dem Kopf auf, wo abends noch die Beine waren. Natürlich wacht er dabei regelmäßig auf und braucht Fürsorge. Symptomatisch für unseren Zustand war, dass es eigentlich nicht schlecht war, verglichen zu den ersten drei Monaten sogar richtig gut, aber wir hingen nach der ersten kurzen Nacht sofort wieder in den Seilen, weil wir keine Reserven haben. Das merke ich in der Arbeit und auch im Umgang mit einander. Nichts wirklich schlimmes, aber man hat weniger Geduld und schnappt verbal eher mal um sich als man es normalerweise tun würde.

Aufgelockert wurde das durch mehrere Treffen mit Freunden von Ellie. Meistens in unserem neuen Stammcafe um Park um die Ecke und letzte Nacht hat Ellies alte Unifreundin Zosia bei uns übernachtet. Das ist die, die ursprünglich in London gewohnt hatte und dann nach Hastings umgezogen war, wo wir sie vor Ewigkeiten besucht hatten. Sie hat zwei Kinder und war eine willkommene Hilfe.

Ich habe dabei bemerkt, dass die Abfahrt von Gästen mich zum ersten Mal so traurig macht, wie ich es sonst nur von anderen Menschen kenne. Die kurze Unterbrechung der ewigen Routine ist so erfrischend. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich psychisch immer noch nicht zurück beim Alten bin. Ich vermute, die eigentliche Ursache ist der Schlafentzug. An der Oberfläche wirkt das dass dann durch den ewig gleichen Tagesablauf, der gerade für mich so ungewohnt und unwillkommen ist. Das man nie mehr schafft als die tagesaktuellen Aufgaben; nie zu weiterreichenden Projekten kommt, die Abwechslung bringen könnten. Dann ist da der Stress, zwischen Arbeit und Hilfe für Ellie beim Kinderhüten prioritisieren zu müssen. Ich muss ab und zu nein sagen, aber ich habe auch bei besten Gründen jedes Mal ein schlechtes Gewissen. Dass man praktisch nie einfach fünf Minuten für sich hat, sondern jeder Moment schon morgens durchgeplant ist.

Momentan sieht unser Alltag so aus: an guten Tagen stehen wir um sieben auf. Bis neun bespaße ich Otto, dann arbeite ich. Gegen eins frage ich mich, wo die erste Hälfte des Tages geblieben ist. Gegen zwei schlafe ich fast auf der Tastatur ein. Kurz nach vier wache ich langsam wieder auf, aber dann ist half sechs schon wieder Zeit Otto zu baden. Um acht komme ich aus seinem Schlafzimmer und will eigentlich endlich nötige langfristige Dinge abarbeiten. Sagen wir mal einen neuen Stromanbieter, oder eine Anlage für das ganze Geld was man Otto schenkt, oder die Anreise zu Muttis Geburtstag. Meistens streikt der Kopf aber sobald ich ihn benutzen will und man versackt vor dem Fernseher. Dann hat man einen Tag hart gearbeitet, nur um es gleich nochmal machen zu dürfen. Irgendwann hat man dann alle anderen Pläne so oft "auf morgen" verschoben, dass man es nicht mehr glaubt. Es ist dieses Gefühl, dass mein Alltag völlig von den Umständen bestimmt wird und nicht von mir, das mir zusetzt.

Sonntag, 23. August 2020

Ottofroh

Die letzten Wochen wurde es mit Otto noch besser. Seit einigen Tagen braucht er nicht mal mehr gefüttert zu werden, und ein zwei Tage danach begann er, komplett ohne größere Unterbrechungen durchzuschlafen. Er kann sich zunehmend selbst beruhigen, wenn er mal aufwacht. Abends braucht er oft weder Schnuller noch meine Hand. Er hat gelernt sich auf die Seite zu drehen - noch nicht ganz auf den Bauch - und das hilft ihm offenbar beim einschlafen.

Momentan ist er das süßeste Kind, was man sich vorstellen kann. Eine echte Freude. Lacht und ist dankbar für jede Aufmerksamkeit. Seine Wahrnehmung nimmt jeden Tag weiter zu und ich spüre, wie meine emotionale Bindung ebenfalls immer stärker wird.

Nichtsdestotrotz bleibt neben Kind und Haushalt kaum etwas vom Tag für mich selbst. In letzter Zeit stört mich das wieder mehr. Zwar haben wir abends etwa anderthalb Stunden. Aber mir fällt es schwer Prioritäten zu setzen zwischen Dingen, die ich machen sollte, Dingen, die mich entspannen und Zeit für Ellie zu finden. Ich lese still und heimlich wieder. Zum ersten Mal seit März. Jeden Abend ein paar Seiten. Aber einfachere Kost, auf Deutsch, schonmal gelesen, über die Geschichte Brandenburgs.

Sonntag, 9. August 2020

Einmal raus

 Freitag bin ich zum ersten Mal in Ottos leben allein in die Natur geradelt. Ellie besuchte mit Otto ihre Freundin, die im nächsten Jahr die Tagespflege übernehmen soll, sodass ich kein schlechtes Gewissen haben musste. In letzter Zeit wurde mir zunehmend klaustrophobisch sodass Ellie vorgeschlagen hatte, ich sollte doch einen Tag frei nehmen und rausfahren. Da sie das Auto hatte konnte ich eigentlich nur nach Rowlands Castle fahren (auch den Zug habe ich seit März das erste Mal benutzt, zum Glück war es ruhig) und von dort nordwärts nach Petersfield radeln. Diese Tour hatte ich schon einmal gemacht und sie ist mir ob der Strecke und dem Umstand, dass es keine Rundtour ist, in guter Erinnerung geblieben. Am Weg kommt man an der Hubertuskapelle vorbei, dann durch die Buchenwälder der Königin Elisabeth Landschaftsparks, an desses Ende überquert man den South Downs Weg und dann kommt man ins Dorf Buriton, ein Lieblingsort von uns, mit einem schönen Pub, wo man zumindest Getränke im Biergarten bekam, der momentan für Blumen und Gemüse genutzt wird. Vermutlich nicht gut für die Besitzer; wenigstens ein bleibender Eindruck für mich. Gottseidank war mir kurz vorher noch eine Stelle eingefallen, wo direkt am South Downs Weg Haferflockenschnitten zum Verkauf stehen, sonst wäre der letzte Abschnitt nach Petersfield hungrig ausgefallen.

Die sonne brannte; meine große Wasserflasche hielt kaum bis zur Kapelle. Die Felder waren erntegelb, die Wälder geschlossenes Grün, Rotmilane kreisten über den Bäumen. Brombeeren Wildäpfel und Fotos von Pflanzen zur späteren Bestimmung.

Und die ganze Zeit arbeitet mein Kopf daran, welche Strecken und welche Sachen Otto die Natur und Landschaft so näherbringen würden wie mir als Kind... könnte man ihn nur schon mit rausnehmen. Aber: momentan ist er so süß, dass man mit dem Älterwerden warten kann.

Alle Fotos im Album

So sehe ich nach 4 Monaten ohne Frisör aus.





Die Buchen des Landschaftsparks. Stille und Kühle sobald man eintritt.







Das war mal Biergarten


Samstag, 1. August 2020

Ottolob

Otto scheint sein Schlafverhalten nach jeder Beschreibung zu ändern. Die letzten zwei Wochen war er ein guter Junge. Vermutlich waren die Auswirkungen der Impfung und einer Entwicklungsphase zu Ende. Wobei ein Fluch allein auf der Erwähnung zu liegen scheint; die letzten paar Abende waren wieder ziemlich wackelig und wir hoffen insgeheim, dass das nicht die nächste Phase ist. Ich hätte gerne mal einen Monat ohne Entwicklungssprung.
Jeden kann ich ihn jetzt abends wieder ohne ewiges Wiegen auf meiner Schulter ins Bettchen legen; häufig schläft er sogar schnell ein. Dadurch habe ich abends mehr Zeit. 
Tagsüber ist er durch die Erholung sehr gut drauf. Fröhlich, ausgesprochen vokal, nimmt immer wieder etwas neues wahr. Seit kurzem folgt er meinem ausgestreckten Arm, wenn ich auf etwas zeige. Rauschende Blätter an Bäumen faszinieren ihn weiterhin absolut. Die Katzen lösen mehr Neugierde als Furcht aus. Inzwischen macht auch das alte Liederbuch aus Rostock richtig Sinn. Erst dachte ich, dass ich es viel zu früh mitgenommen hätte. Aber inzwischen hört er zu oder schaut zumindest die Bilder an. Es ist auch eine tolle Inspiration, weil uns abends ziemlich schnell die neuen Lieder ausgegangen sind. Das Buch mit Kinderreimen kommt dabei auch immer mehr zum Tragen. Und der gute Mann kriegt nicht nur vorgesungen, nein, auch noch in Harmonie - schließlich haben Ellie und ich in den Jahrne im Chor viele Lieder in Sopran und Bass eingeübt.

Langsam wagen wir uns wieder aus dem Schneckenhaus der Vorsicht und denken an die mittlere Zukunft und was wir ihm so alles zeigen  wollen. In den letzten Wochen konnten wir mit ihm verschiedene Ausflüge machen. Das Umweltzentrum, die Burg Portchester und ein wunderbares Frühstück Freitag morgen im Cafe am Meer. Erst vor kurzem ist mir klar geworden, dass ich mit der extra Stunde, die mir mein Arbeitgeber gibt, Otto mittags nichts nur Ellie abnehmen sondern auch gleich einen Spaziergang ans Meer machen kann. Das passt uns allen super: Ellie hat mal Ruhe, ich komme regelmäßig aus dem Haus und Otto kriegt am Strand sein Fläschchen. Dazu parke ich seinen Wagen an der Seemauer, die wiederum eine durchlaufende Sitzbank auf genau der richtigen Höhe hat. Dadurch kann ich beim Füttern auch kurz jemanden anrufen, einfach mal so nebenbei. Angesichts meiner Isolation und Zeitnot ist das eine wirkliche Erleichterung.

Donnerstag, 23. Juli 2020

Schlechte Zeiten Gute Zeiten

Direkt nach dem vorletzten Eintrag über Ottos besseren Schlafrhythmus hat er ihn sofort wieder geändert. Diese Nacht wurde die bis dahin Schlimmste seit der Geburt, wo ich von 19 Uhr bis Mitternacht mit ihm auf den Beinen war, weil er nicht schlafen wollte. Und  zwei Tage darauf kam die nächste Schlimmste Nacht, nach der gefürchteten dritten Impfung mit der Meningitis, und die Nacht einfach mal überhaupt nicht schlief. Zum tausendsten Mal haben wir "Schlafrückfall" und "Zähne" gedacht - inzwischen weiß ich gar nicht mehr, woran ich das noch erkennen sollte. Seitdem wird es langsam wieder besser, aber diese letzte Woche spüre ich, dass auch meine nervlichen Reserven nach vier Monaten langsam alle sind. Das heißt nicht unbedingt, dass ich ständig schlecht drauf bin. Aber wenn mal etwas schief geht, insbesondere nachts, flippe ich viel schneller aus, weil einfach keine Kraft mehr da ist, es aufzufangen. Und es ist auch nicht unbedingt wegen Ottos Verhalten so, sondern, weil ich seit Monaten kaum Zeit für mich selbst habe, um mal abzuschalten und wieder aufzuladen. Unsere derzeitige Tagesroutine:
  • 7 Uhr aufstehen und ich bespaße Otto
  • 8.45 Uhr übernimmt Ellie für den Rest des Tages während ich arbeite - die erste dreiviertel Stunde geht aber meist für dringendes im Haushalt drauf
  • Mittags habe ich seit kurzem eine Stunde extra frei von meinem Arbeitgeber, wo ich Ellie eine Pause nehmen lasse und sie meistens für uns kocht
  • 17.30 Uhr mache ich Feierabend und übernehme Otto, dann baden wir ihn und ich bringe ihn ins Bett. Zwischen 19 und 20 Uhr komme ich dann wieder ins Wohnzimmer - an guten Abenden ist dann etwas Zeit für uns, aber vor allem werden dann die nötigsten Haushaltsarbeiten erledigt. Und meist wacht Otto nochmal auf und ich muss wieder mehr oder weniger lange hoch.
Das heißt, ich habe immer "Dienst" auf die eine oder andere Weise und ich komme unter der Woche auch nicht aus dem Haus. Und mir war es immer so wichtig, raus zu kommen um meinen Kopf freizukriegen. Am Wochenende ist es nur bedingt anders. Otto kann etwa zwei Stunden wach sein, dann nimmt ihn Ellie wieder zu einem Nickerchen. Das dauert dann etwa eine Stunde, manchmal bis zu drei, und er schläft etwa dreimal pro Tag. Das heißt, ich habe drei Gelegenheiten, Dinge zu erledigen, und rausgehen kommt da häufig nicht unter.

Manchmal kriegt man einfach nur die Krise wieso das Kind einfach nicht schlafen will egal wie vedammt müde und fertig es ist. 
Manchmal scheint die Nacht ein tiefer, schwarzer Tunnel weil man sich problemlos vorstellen kann, dass er niemals schlafen wird und wir auch nicht. Ellies Hände sind immer noch kaputt sodass nur ich ihn nacht halten kann wenn er wieder in den Schlaf gewiegt werden muss. Aber ich habe angefangen dabei im Stehen einzuschlafen und das ist nicht mehr sicher. Manchmal bin ich zu Arbeitsbeginn schon länger wach gewesen als ich überhaupt geschlafen hatte. Und wenn man dann eine ganze Woche nicht aus dem Haus gekommen ist, scheint das Leben allgemein ein großes Hamsterrad zu sein. 

Ohne Zweifel deswegen merke ich auch, dass mein Tagebuch wieder die Funktion einnahm, die es ursprünglich auf der Farm hatte: um mal mit jemandem zu "reden", wenn man nie wen sieht. Denn irgendwo muss man seinen Stress ablassen, aber Ellie hat das nicht verdient, die hat selbst zu tun.

Jetzt, nach vier Monaten, kommen auch nach und nach all die Lügen heraus, die Ellie haben so verzweifeln lassen. Es dringt immer mehr durch, dass der Großteil der anderen Eltern aus unserem Kurs dieselben Problem haben. Angstzustände und Pillen. Und jeder scheint gedacht zu haben, nur sie seien betroffen. Jede Mutter muss sich monatelang fertiggemacht haben. Sich entweder an sinnlose Regeln gehalten haben oder es geheim gehalten, wenn sie es nicht taten. Völlig unnötiges Elend.

Otto dagegen geht es vermutlich wunderbar. Ein echter Wonneproppen. Meist sehr fröhlich, lacht viel, mag Menschen. Erkennt zumehmend Dinge und man sieht, wie sein Geist das erstmal verarbeitet. Alles wandert derzeit in seinen Mund. Vor kurzem hat er plötzlich verstanden, dass meine Brille nicht zu mir gehört, seitdem muss ich sie beschützen. Am meisten beschäftigen ihn Blätter an den Bäumen und wie das Licht da durchspielt. Er hat jetzt aber auch mehr Schiss vor den Katzen, weil er vermutlich versteht, dass die nicht einfach passive Objekte sind. Während er anfangs Linkshänder zu sein schien benutzt er inzwischen beide Arme. Wir haben begonnen, Gutenacht-Geschichten und Lieder in seine Abendroutine einzubauen, vermutlich mehr für uns als für ihn. Sein Schlaf hat sich die letzten Tage verbessert. Ich kann ihn wieder direkt in seinem Bettchen zum Schlafen bringen, d.h. ich muss ihn nicht mehr soviel tragen. Nachts wacht er häufiger auf, aber auch da schläft er schneller wieder ein.

Samstag, 18. Juli 2020

Ottoloser Monolog

Um zu beweisen, dass sich mein Leben nicht allein und ausschließlich um mein Kind dreht habe ich mal eine Liste von anderen Dingen zusammengestellt.

Ich höre seit einiger Zeit mit Begeisterung den Sender Heimat des Bayerischen Rundfunks. Ursprünglich nur als Gaudi gedacht um Otto die volksmusikalische Seite seines kulturellen Erbes zu zeigen. Aber die Musik wird von wirklich interessierten Leuten ausgewählt und so war ich noch nie so detailliert über das bayerische Tagesgeschehen auf dem Laufenden. Nicht zuletzt geht mein eingesperrter Geist dabei zurück an die Woche in München bei Friedemann 2016.

Neulich habe ich mir ein richtiges, ausgewachsenes Brettspiel gekauft. Und zwar auf Ellies Initiative, die sich ja eigentlich nichts dafür interessiert. Die Isolation macht komische Sachen mit uns. Bei unseren wenigen gemeinsamen Besuchen im Spielecafe hatte ihr ein Spiel gefallen, in dem man gemeinsam eine Geschichte entdeckt. Und wo wir nun an guten Abenden ein, zwei Stunden für uns haben, wäre es schön da gemeinsam zu machen. Zu meiner großen Erleichterung hat das Spielecafe die Quarantäne überlebt und mir den Nachfolger empfohlen. Nicht, dass ich ernsthaft damit rechne, dass wir es tatsächlich spielen werden. Aber in diesen Zeiten ist Konsum schöner Dinge tatsächlich eine Erleichterung.

... unter dem Gesichtspunkt habe ich meine Hutsammlung um eine (Plastik-)Pickelhaube erweitert.

Ich bin einmal baden gegangen - zum ersten Mal seit dem Anbaden im April. Es war glorreich, und warm, und sommerlich; sonst komme ich diesen Sommer ja kaum aus dem Haus.

Im Garten

Farnsporen

Ich komme ab und zu wieder zum mikroskopieren. Durch die Umstände habe ich unseren Garten so gut wie nie zuvor kennen gelernt und Blätter und Blüten angeschaut.





Ellie hat ein neues Kleid bekommen, von Kasia mit Hasenglöckchen bemalt und von einer befreundeten Schneiderin geschnitten. Wer sich erinnert, vor vielen Jahren hatte ich ihr schonmal so eins geschenkt, damals mit Mohnblumen drauf. Es war wieder ein Risiko, dass die Schneiderin nicht selbst messen konnte - aber es passt perfekt und ist eine Augenweide.


Mittwoch, 8. Juli 2020

Mein Geburtstag

Auch mein Geburtstag fand natürlich unter besonderen Bedingungen statt. Mein erstes Geschenk war ein richtiges Frühstück - Ellie hat mir den großen Tisch gedeckt, ordentlich, als wäre es Sonntag. Ein kompletter Käsekuchen stand da, aus dem besten Cafe der Stadt. Dabei konnte ich in Ruhe Karten lesen und Muttis Paket auspacken. Dann nahm Ellie Otto für sein erstes Nickerchen des Tages ins Schlafzimmer und ich hatte mal richtig Zeit und Muße zum essen.
Nachmittag gab mir Otto ein Geschenk und schlief auf einmal drei Stunden lang. Dadurch konnte ich - schlafen! Und zumindest mit ein paar Leuten telefonieren.
Mein einziger konkreter Wunsch war es gewesen, endlich ein lange geplantes Picknick an einem bestimmten Ort der South Downs zu machen (diesem hier um genau zu sein). Das ist nicht weit von der Hubertuskapelle, auf einem Hügel mit Blick ins Flachland, unter richtig alten Erlenbäumen, die gerade jetzt voller Laub standen. Mit Otto konnten wir nicht lange bleiben, aber es hat mir einfach Freude bereitet, den Wind im Laub zu hören und Otto die Landschaft und Schafe und Pferde zu zeigen, die er natürlich alle nicht wahrnehmen kann, aber eines Tages werde ich ihm das alles nahe bringen. Und dazu hatten wir Plätzchen und Rhabarbersaft aus Muttis Paket.
Das heißt, ein weiterer konkreter Wunsch wurde mir noch erfüllt: Oma schickte mir Den kleinen Häwelmann.

Schließlich entwickelt sich Otto Schlaf momentan ganz fabelhaft. Der Schlafrückfall war eigentlich nicht so schlimm, sollte er denn vorbei sein. Aber was auch immer uns noch bevorsteht: tagsüber hat er letztens auffällig häufig zwei, drei Schlafzyklen geruht und am Abend meines Geburtstags habe ich es zum ersten Mal geschafft, ihn direkt ins Bettchen zu legen und dort durch Streicheln und Singen einschlafen zu lassen. Vorbei scheinen die Zeiten wo ich ihn Ewigkeiten schultern muss und er dann vielleicht doch wieder aufwacht, wenn ich ihn ins Bett lege. Er schreit auch nicht und es muss für ihn viel besser sein. Momentan sind eigentlich alle unsere großen Probleme gelöst, Verstopfung und der Schlaf. Otto ist ein fröhliches Kind, das viel lacht und sich freut andere Leute zu sehen. Ich habe abends keine Angst mehr ihn in sein Bettchen zu bringen, auch wenn der neue Methode länger dauert. Und ohne diese Angst erlaube ich mir endlich, in die weitere Zukunft zu blicken, auf alles was wir Otto zeigen und beibringen wollen, wie wir ihm Freude machen werden. Die letzten Monate waren wir notwendigerweise sehr pragmatisch eingestellt und haben maximal bis zum nächsten Tag gedacht. Jetzt kann ich mir langsam leisten, etwas sentimental zu werden. Da fällt eine Menge von mir ab, auch wenn es natürlich Rückschläge geben wird, aber man hat dieses Bedürfnis endlich mal loszulassen.

Unser Alltag wird schließlich noch dadurch erleichtert, dass ich seit Kurzem von einer Sonderregelung meines Arbeitgebers profitiere und pro Tag eine Stunde weniger arbeiten muss um mich um Otto zu kümmern. Das heißt, dass ich Ellie zur Mittagszeit eine Pause geben kann.

Zuletzt ein Notiz an alle die ich seit Ottos Geburt vernachlässigt habe: ich bin nicht für immer aus der Welt. Die Zeit war hart und eine Weile lang hatte ich einfach nicht die Zeit und auch nicht die Nerven mich regelmäßig zu melden. Es wird jetzt besser. Und ich bin mir auch bewusst, dass ich sehr lange hier drüben bin und es tut mir sehr weh, gerade jetzt, dass ich nicht regelmäßig und einfach nebenbei Euch alle besuchen kann. Das sind Entscheidungen die ich durchaus bewusst vor vielen Jahren getroffen habe und sich ja jetzt auch als richtig erweisen; der Preis dafür war mir klar, aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht spüre. In meinem isolierten Zustand stelle ich mir ganz konkret vor, Brandenburg im Mai zu sehen, die Oder langzuradeln, einen Ausflug ins Münchener Umland zu machen, über den Ziegenwerden zu laufen, durch Leipzig zu laufen oder im Winkel Sonntags zu frühstücken. Ich habe dafür erstmal keine Lösung, außer viel zu schreiben und bald wieder regelmäßig zu telefonieren. Tut mir leid.

Otto in seinem zukünftigen Wandergebiet



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