Montag, 23. November 2015

Winterwochenenden

Eines schönen Samstags hatte Ellie einen Tanzauftritt und ich endlich mal wieder einen ganzen Tag für Mathieu. Der ist wieder Single und hat dementsprechend mehr Zeit. Der Tag war sonnig und stürmisch. Nach einem schönen Kaffee am Meer haben wir die Fahrräder in den New Forest genommen. Dort haben wir geparkt, die Räder startklar gemacht und uns sofort verirrt. Am Ende haben wir sie die meiste Zeit durch Bäche, über die Heidefelder und nasse Hänge geschoben. Aber wir waren beide froh, einmal wieder die richtige Natur zu spüren - und da bin ich immer wieder froh, Männerfreunde zu haben. Als wir den richtigen Weg fanden, waren wir von der kalten Luft schon so müde, dass wir den Rest des Tags in einem Pub mit Spielen verbracht haben. Das Kartenspiel Die Siedler von Catan war eine gute Investition. Wir haben einen Weg gefunden, es trotz der deutschsprachigen Karten zu spielen. Es macht den Winter sehr viel erträglicher; sogar Ellie hat es einmal gespielt und gemocht.
Unser gemeinsamer Auftritt mit dem Chor rückt auch näher; eine Woche vorher hatten wir die Vorprobe mit dem diesmal sehr kleinen Orchester.


Einen anderen Winterwochenendsnachmittag habe ich mit Ellie bei einem Töpfer Keramik bemalt. Wie ich kurz darauf erfuhr, ist diese Geschäftsidee ziemlich verbreitet. Man kauft halbfertige Keramik vom Regal, bemalt es mit bereitgestellten Farben und lässt es dann brennen. Das macht überraschend viel Spaß; während ich anfangs dachte, dass ist bestimmt interessant aber ohne Massenreiz, weiß ich jetzt, dass man oft gar keinen Platz mehr bekommt. Hätte ich früher davon erfahren, hätte ich das für das Betriebsweihnachtsessen vorgeschlagen, schließlich kann man sich auch Essen mitbringen oder hinbestellen, wie ich an einem Kindergeburtstag sah. Besser als die überteuerten Restaurantbesuche, die man in der Arbeitswelt hier für Pflicht hält. Bestellungen dafür werden alle Jahre wieder ab August angenommen.

Von Arbeit wegen habe ich auf dem Karrieretag der Mathematikfakultät der Uni Portsmouth gesprochen. Das heißt regionale Arbeitgeber werben einen Tag lang um die Studenten im letzten Jahr. Was in England, dass muss gesagt sein, immer das letzte Jahr des Grundstudiums bedeutet, also Jahr 3, im Alter von ca. 22. Einen Master macht man hier eher selten. Mein Amt hat sich da wohl erst kurzfristig angemeldet und mir wurde dementsprechend kurzfristig klar, dass ich der einzige Vertreter sein würde und ein einstündiger Vortrag erwartet wird. Zum Glück kann ich Vorträge und erinnere mich auch noch gut daran, wie furchtbar langweilig diese Werbeveranstaltungen sind. Leute in Anzügen rattern Managerfloskeln herunter. Als ich dort ankam, hatten die Studenten schon 3 Stunden hinter sich und waren gelangweilt und müde. Aber ich habe sie aufgeweckt, mit konkreten Beispielen aus meinem Alltag.

In weiser Voraussicht hatte ich früh mit Adventsvorbereitungen begonnen. Unter anderem ließ ich mir einige Rezepte aus Rostock zuschicken. Mit Ellie habe ich sofort das Backen begonnen, damit Anfang Dezember auch genug für Freunde da ist. Zum Glück mag Ellie deutsche Weihnachtstraditionen. Wie mir die geleerte Dose unseres ersten Backabends verriet.

Montag, 16. November 2015

Brumm Brumm Katsching

Große Nachricht: wir haben seit Mitte November ein Auto. Ford Ka, 14 Jahre alt. Praktisch gratis durch Ellies Familie bekommen, sogar für uns hergefahren. Während das natürlich praktisch für Ausflüge in bisher unerschlossene Gegenden ist, kann ich mich nicht wirklich begeistern. Ich bin Fahrradfahrer. Die weiteren monatlichen Fixkosten für Versicherung würde ich lieber sparen, schließlich hat mir ein Auto nie gefehlt. Aber für Ellie ist es ein Kennzeichen des Erwachsenseins. Das hat mich wirklich umgetrieben. Zum einen, weil monatliche Fixkosten für mich immer selbstverständlich klein gehalten werden, zugunsten von Unternehmungen und Ersparnissen. Zum Glück ist alles viel einfacher als befürchtet und lässt sich leicht wieder abstoßen. Aber natürlich erinnert mich auch jede kleine Verpflichtung hier an die lieber ignorierte Entscheidung, wielange ich hier bleiben will.
Ellie ist übrigens eine überraschend gute Fahrerin. Dabei hat sie erst vor einem Jahr den Führerschein gemacht und hat seitdem nicht mehr hinterm Lenkrad gesessen. Meine Testfahrt am Folgetag in den engen  Straßen von Portsmouth war dagegen keine Freude für mich. Ich bin Radfahrer.

Ausgeben tue ich genug. Vor allem winkt zur Abwechslung die Kultur. Zum ersten Mal seit wohl gut zwei Jahren bin ich mit Ellie zu richtigem Theater gewesen, eine Amateurgruppe zwar, aber immerhin mal ein ernsthaftes Thema, nach dem Film "Begegnung" (1945). Zu einer weiteren Amateuraufführung waren wir in London. Bauchtänzer spielten Schneewittchen. Hervorragende Technik als auch teilweise exzellentes Schauspiel.
Zwei Wochen darauf habe ich mit Mathieu und Ellie in der alljährlichen Vorweihnachtsballetsaison Schwanensee gesehen. Das Russische Staatsballet ist dabei eindeutig eine Klasse über dem Moskauer Staatsballet, dessen Nussknacker die letzten zwei Jahre dran war. Außerdem war ich mit Ellie auf einer regionalen Bauchtanzshow in Fareham mit einer interessanten Mischung aus den schlechtesten lokalen Gruppen und zwei richtigen Profis. Eine davon hatte ich die Woche vorher in London gesehen. Im Gedächtnis werden mir aber einige betrunkene Frauen (im fast ausschließlich weiblichen Publikum) bleiben, die die Aufführung durch nur gequatscht haben. In der Pause hat sich dann jemand mit ihnen unterhalten und sie kamen nicht wieder rein. Aber mein Eindruck bestätigt sich, dass man sich hier bei Aufführungen aller Ort schlechter verhält als ich das gewohnt bin. Stichwort Plastiktüten, Handys, Kinderschreien.

Die Bücherfront: Ich habe die Einführung in die Physik ausgelesen. Kasia hat mir gleich zwei neue Bücher auf den Stapel gelegt; davon lese ich einen Roman im Finnland in den ersten Jahren des 20. Jh. Dazu habe ich ein angefangenes Buch von Margarete Atwood und ein Ellie ein sehr spannendes über die DDR aus der Bibliothek. Ellie sagt, sie weiß geschichtlich nichts je weiter es nach Osten geht und will zu Weihnachten ein Buch darüber, was um Gottes Willen im 20. Jahrhundert über die Europäer gekommen ist. Vorschläge an mich oder den Weihnachtsmann.

Der Chor steht zwei Wochen vor dem Konzert am 28. November, mir macht alles großen Spaß, weil ich die Musik gut kenne. Dann kann man das eigentliche Singen genießen. Tangoproben füllen die Wochenenden. Außerdem versuche ich Zeit für Mathieu zu finden. Dann spielen wir in den Kneipen Die Siedler von Catan, oder treffen uns Samstag früh zum Frühstück im Strandcafe. Letzteres wollte ich nach meinem Geburtstag unbedingt wieder machen; der lange Verzug zeigt, wie schwierig es ist füreinander Zeit zu finden.

Davon abgesehen genieße ich zunehmend wieder Zeit allein. Als einmal alle weg oder beschäftigt waren, habe ich allein neue Wege zwischen Haus Stansted und der Hubertuskapelle erforscht. Das war ein feuchter, nebliger Tag, aber mir hat es richtig Freude gemacht, einmal wieder als richtiger Deutscher mit meinen festen Schuhen über schlammige Wege und feuchtes Herbstlaub zu laufen, ohne Karte. Mit Ellie ginge das nicht.
Insgesamt ist wie auch in Deutschland der Herbst bisher schön. Nach dem Sommer zumindest ein Trostpflaster. Vom dritten Stock meins Büros sehe ich oft die Sonne über Portsmouth aufgehen. Ob bei Sonne oder Wolken und Sturm sitze ich abends gerne noch in den Cafes am Strand.

Nachstehend Fotos von Kasias Besuch im Oktober.
Kasia und ich nach zweijähriger Trennung.

Kasias Mann Andreas und ich vor dem Tor zum Kathedralenhof von Salisbury.

Mondaufgang. Kreuzgang der Kathedrale in Salisbury.

Wer erkennts? Kasia im Haus Stansted.