Sonntag, 29. Mai 2022

Echos

In der letzten Zeit habe ich zwei Dinge aus meinem alten Leben gemacht, die lange Zeit völlig undenkbar gewesen waren. Letzten Sonntag war ich relativ spontan anbaden. Mit dem wärmeren Wetter war ich mit Otto häufiger am Meer und habe ihn seine Füße ins Wasser stecken lassen. Während der Pandemie haben scheinbar viele Leute angefangen zu baden; ich habe das Gefühl, dass mehr Leute als früher im Wasser sind. Und da war es Sonntag morgen so voll, dass ich dachte, vielleicht findet sich ja heute nochmal die Zeit. Früher wäre es mir nie in den Sinn gekommen, Ellie allein zu lassen, nur um mich zu vergnügen. Ich hatte immer dieses schöne Bild, dass Otto sieht, wie sein Papa schwimmen geht, dass das Meer für ihn so etwas schönes ist wie für mich. Noch bräuchte ich Ellie, die auf ihn am Strand aufpasst. Aber ich kann mir wenigstens vorstellen, dass wir irgendwann gemeinsam baden gehen.

Am Freitag drauf bin ich abends zum Tango gefahren. Sieben Jahre lang habe ich das kaum eine Woche ausfallen lassen, um dann ganz plötzlich zweieinhalb Jahre völlig aufzuhören. Es war wieder relativ spontan, nachdem ich mit einer Bekannten aus dem Kurs gesprochen hatte. Es war eine ganz tolle Erfahren, abends aus dem Haus zu kommen, und wie sich die Leute gefreut haben mich zu sehen (es sind fast alles noch die üblichen Verdächtigen). Es war schön, die Bewegungsabläufe zu spüren und sich körperlich zu betätigen, wo ich ja häufig die ganze Arbeitswoche nicht aus dem Haus trete. Und es ist ganz erstaunlich, was der Körper alles noch kann. Erstaunlich vieles ging noch, und oft wusste ich selbst nicht, was ich jetzt als nächstes machen würde. Ich glaube nicht, dass ich bereits regelmäßig jeden Freitag hingehen werden kann. Aber allein zu sehen, dass dieses Leben noch irgendwo existiert, ist schön.

Samstag, 21. Mai 2022

Uropa bietet schnelle und bequeme Verbindungen zwischen Insel und Festland

Seit letzter Woche geht Otto nach langer Unterbrechung wieder zur Tagesmutti. Das hat seinen Rhythmus sofort und vollkommen durcheinander gebracht. Wochenlang hatte er jeden Tag wunderbar geschlafen, jetzt kommt er wieder völlig wuselig zurück, braucht ewig zum Einschlafen und wacht dann den ganzen Abend lang wieder auf. Ellie und ich pendeln zwischen Wohn- und Schlafzimmer, bis man ihn irgendwann, relativ früh, ins Bett holen und damit selbst schlafen gehen muss. Die Abende sind dadurch kaum den Namen wert; weder kann ich etwas erledigen noch kriege ich Ellie zu sehen. Manchmal ist die Frustration wieder immens, wenn auch kleinste Aufgaben wochenlang rumliegen und man das Gefühl hat sich nur im Kreis zu drehen.

Samstag haben wir bei Sonnenschein Frühstück am Meer gegessen. Otto war sehr vom Anblick des Luftkissenboots angetan, auf Englisch Hovercraft, was er genauso ausspricht wie "Uropa". Anschließend sind ins Dorf Droxford am Fluss Meon gefahren. Das uns aus der Vergangenheit vertraute Cafe in der Kirche hat expandiert und wir haben draußen im Gras gesessen und später in der Spielecke der Kirche. Ein Pfad läuft am Fluss entlang, an der alten Mühle vorbei zu einer Stelle, wo Otto mit den Füßen ins Wasser kann. Da waren bereits ein paar Jugendliche mit einem Pferd, dass sie wie Pippi Langstrumpf den Lauf auf und ab ritten. Könnte ich Otto nur so etwas bieten.

Am Sonntag habe ich mich bei Regen nachmittags abgeseilt und ein Waldstück erkundet. Ich muss einfach den Mai nutzen, wenn alles blüht. Der Wald ist ein kleines Schutzgebiet, vierzig Minuten Fahrt nördlich von Portsmouth, in den South Downs. Hohe alte Bäume, dichtes Gehölz, wo die Natur wachsen kann wie sie will. Gerade jetzt ist alles mit Grün überzogen, Blätter oben, Moos auf Totholz unten, Teppiche von Bärlauch und viele Orchideen. Daneben liegt ein großes Feld (ehemals muss das alles mal der Park eines großen Hauses nebenan gewesen sein) von wo viel Wildwechsel stattfindet. Ich hab zwei Rehböcke gesehen und ein Raubvogel wollte sich gerade in einer Baumkrone niederlassen, eh er mich bemerkte.


Otto Nachrichten

  • Blumen gießen ist weiterhin ein beliebter Spaß und seit kurzem darf Otto seine Gießkanne abends auch mit in die Badewanne nehmen
  • Neues Hobby: Mülltonnen raustragen. Müllautos waren schon immer eine Attraktion, aber weil Otto schon ein großer Junge ist, hilft er Papa jeden Donnerstag Morgen, die Tonnen vors Haus zu stellen
  • Neulich hatten wir ein paar Bekannte mit Kindern zu Besuch und Otto hat vorbildlich geteilt Essen und Spielzeug geteilt.

Johannes Nachrichten

  • eine Weile hatte ich überlegt, mehr Jane Austen zu lesen. Aber am Ende fiel mir ein, dass ich ja noch Barack Obamas Autobiographie fertig lesen könnte. Trotz aller Müdigkeit steht mir auch abends häufig noch der Kopf danach.
  • In den Zeiten, als wirklich keine geistige Kraft mehr übrig war, hatte ich mir mit bunten Computerspielen beholfen. Das beste davon habe ich kürzlich beendet: Der Fluch von Monkey Island, ein Klassiker von 1997, den ich aber nie gespielt hatte. Ob auf Brett oder Computer, richtig gute Spiele fühlen sich an wie richtig gute Bücher. Ich habe gleich nochmal angefangen, denn zum Glück gibt es einen zweiten Modus mit mehr Rätseln.





Sonntag, 8. Mai 2022

Das Traumboot

Samstag haben wir geprüft, ob man mit Otto inzwischen eine Flussfahrt machen kann. Auf dem Kanal von Chichester, wo kleine Besucherboote fahren. Ellie und ich sind dort mehrmals gewesen, später eher mit dem Kajak. Otto ist gleich nach der Abfahrt eingeschlafen. Wie wir später erfuhren, lag das an dem Eislolli, den er mir geklaut hatte. Kann man ja nicht nein sagen. Aber ich hatte mir schon gedacht, das das eine ganze Menge ist, sogar für seinen geübten Magen. Er hat dann abends zu Hause gekotzt und gut war. Wir haben die Fahrt genossen. Ottos Kopf in Mamis Schoß. Am Wasser Blüten und ein Reiher. JMW Turner hat ein berühmtes Panorama vom Kanal auf den Dom von Chichester gemalt.

Am Tag darauf sind wir zum Strand von West Wittering gefahren. Der ist weithin bekannt, weil einer der wenigen mit Sand, und breit, und sehr guter Infrastruktur. Für Otto wird das der erste richtige Strandtag gewesen sein, mit Schippe und Schaufel und Sandburgen (anderer Leute). Er selbst hat meist in einer flachen Pfütze gespielt, die die Ebbe hinterlassen hatte. Später hat er sich an einem rostigen Pfahl einen kleinen Schnitt zugezogen, aber wir konnten ihn gleich bei den Rettungsschwimmern versorgen. Er jammerte allein weil er wieder ins Wasser wollte.

Otto Nachrichten

  • hat nach langer Übung die Gießkanne gemeistert

Johannes Nachrichten

  • ich habe letztens abends das ungewöhnliche Problem, dass ich nicht weiß, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Eigentlich muss immer irgend etwas ganz dringend erledigt werden. Und es ist verdächtig, dass mir gerade nichts einfällt.
  • ich weiß nicht mal, was ich als nächstes lesen soll. Stolz und Vorurteil habe ich fertig.







Montag, 2. Mai 2022

Ach, man will auch hier schon wieder nicht so wie der Papa!

Gleich die erste Arbeitswoche musste ich nach der Hälfte abbrechen, denn unsere Tagesmutti samt Familie hat Corona. Die folgende Woche haben sie Urlaub, sodass wir gleich mal wieder zwei Wochen ohne Betreuung hatten, d.h. wo je einer von uns nicht arbeiten kann. Es ist eine einzige Misere. Die erste Woche habe ich genommen, weil Ellie da sowieso den Donnerstag zur Beerdigung ihrer Oma fahren musste.

Wenn ich ganz ehrlich bin habe ich immer noch Schiss, Otto einen ganzen Tag allein zu betreuen. Ich kann mich nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren, nicht z.B. Essen machen und gleichzeitig ein Auge auf Otto werden. Ellie kann das viel besser. Deshalb nehme ich ihn am liebstens soviel wie möglich raus. Umso mehr jetzt, wo endlich der Frühlich da ist und ja auch nicht ewig bleiben wird. Außerdem will ich auch ihm wenigstens die Chance geben, die Natur zu sehen, denn er ist schon ein richtiges Stadtkind.

Donnerstag bin ich mit ihm daher nach Rowlands Castle gefahren. Konnte er mal Zug fahren, und nicht weit vom Bahnhof geht das Grün los. Er konnte wieder auf Baumstämmen laufen und hat etwas mit seiner Schaufel hantiert. Aber er hat Bäume und Büsche nicht so erkundet wie ich es gehofft hatte.

Freitag sind wir mit dem Auto erst in einen Landschaftspark mit schönen Buchenwäldern gefahren. Darin ein Spielplatz, ganz für Otto allein. Nur dem war das vollkommen egal, er wollte an dem Tag grundsätzlich nur unser Auto fahren. Was habe ich ihn in den Wald geschleppt, auf Baumstämme gesetzt, Bienen gezeigt. Alles egal. Brumm Brumm. Ich hatte mehr Glück im Ort Buriton, wo er Stöcke in den Ententeich schmiss und Post- und Müllauto sah. Den  Spielplatz neben der Bahnstrecke machte er auch. Eigentlich eine gute Tour, mit einigen vielversprechenden Orten mehr auf der Rückfahrt, wo man noch Zeit hätte verbringen können. Aber ganz im Innern war ich schon genervt, dass ihm ein Tag im Auto vor dem Haus wahrscheinlich mehr gefallen hätte. Ich habe abends auch noch mit Ellie diskutiert, das mir die Betreuung schwerer von der Hand geht als ihr. Wahrscheinlich einfach das Mehr an Erfahrung bei ihr. Und Otto hat sich mit Sicherheit anders verhalten, weil er natürlich merkt, das irgendwas anders ist. Ich war nur froh selbst rausgekommen zu sein.

Samstag sind wir auf eine Feier mit den Kindern der anderen Eltern aus unserem Babykurs gegangen. Die sind in den letzten Wochen alle zwei Jahre alt geworden. Ich hatte mich gefragt, wie Otto sich da verhalten wird. Letztens haut er schon mal, wenn ihm andere Kinder im Weg sind. Er hat sich aber vorbildlich verhalten. Und es war gut den Vergleich zu sehen: andere Kinder machen das gleiche. Und alle haben die gleiche Obsession mit Autos. Auch in dem Haus lagen dutzende herum.

Sonntag sind wir mit Otto in eine Gärtnerei in dem zersiedelten Bereich zwischen Portsmouth und Southampton gefahren, der hier als Land durchgeht. Die haben zum Beginn der Erdbeersaison einen kleinen Straßenzug über ihr Gelände fahren lassen. Hat Otto mittelmäßig interessiert. Besser fand er ein handbetriebenes Karussel daneben.

Montag, als der Maifeiertag nachgeholt wurde, sind wir in den Ort East Meon gefahren. Der ist sehr schön, am Fluss Meon gelegen. Außerdem wurde da eine richtige Maifeier organisiert. Vor Jahren hatten wir mal nach sowas gesucht, ohne Erfolg. Das hat mir richtig gut gefallen. Ein richtiges Dorffest, mit Grill und einer Pferdekutsche. Traditionelle Kinderspiele und sogar eine manuelle Achterbahn. Grundschüler tanzten um den Maibaum. Eine Hundeshow; abends eine Kinderdisco. Es wirkte wirklich, als wirkten alle im Dorf zusammen. Hilft vermutlich das Leute, die sich ein Haus in den South Downs leisten können, Zeit und Geld haben. Persönlich hat mir am meisten Kuchen und Tee in der Dorfhalle gefallen. Otto hat uns zweimal zum Auto zurück führen wollen. Allein die Lego Autos am Stand des lokalen Kindergartens haben ihn interessiert. Pferde nicht. Spielplatz nicht. Aber als die Kinder um den Maibaum tanzten hat er sich zur Musik mitgedreht. Der war wieder sehr früh sehr müde, sodass wir dann los sind. Aber eine sehr schöne Fahrt über Land konnte ich noch einfügen. Der Mai ist eine Pracht. Das Herz geht einem Stadtmenschen über, wenn beide Straßenränder in allen Farben sprießen, der Raps gelb leuchtet und Hasen auf den Feldern hoppeln.


Otto Nachrichten

  • er unterscheidet inzwischen klar Deutsch und Englisch. Und er macht klar, dass seine Präferenz Englisch ist. Keine Überraschung, trotzdem irgendwie ein doofes Gefühl. Liegt vielleicht daran, dass er gemerkt hat, dass Papa mit ihm gestresst war
  • er besteht absolut darauf, dass er kein Baby mehr ist. Das Lied vom Butzemann  zum Beispiel nennt er jetzt "Baby Dodo" Lied, weil ich es erst kürzlich nach langer Zeit wieder rausgeholt habe. Er protestiert, wenn man ihn aus Versehen als Botbaby bezeichnet. Aber das ist ok. Wir haben ihm früh zugestanden, dass er schon ein erwachsenes Baby ist, das alles selber machen muss.
  • er beginnt Zuneigung zu zeigen. Heute waren Bekannte mit ihren Zwillingen da. Ich hatte Sorge, wie Otto da über den kleinen im Kinderwagen ragte und ihnen Stöcker aufdrängte. Aber statt sie spontan zu hauen hat er sie umarmt. Seine Arme reichten locker um beide gleichzeitig.

Johannes Nachrichten

  • Ich lesen weiter mit großem Vergnügen Stolz  und Vorurteil. Anfänglich schien es mir ein überraschend einfaches Buch. Inzwischen denke ich, dass die Gedanken und Gefühle der Menschen gut beschrieben sind, selbst wo sie sich selbst belügen.