Donnerstag, 31. März 2016

24.03.2016 - Vor Berlin

Radio
Seit vielen Jahren denke ich alle paar Monate, dass mir Radio fehlt. Meinem Alltag fehlt die Zeit, in der ich sowohl allein als auch ohne konzentrationsbedürftige Aufgabe bin, um nebenbei einer Sendung zu folgen. Bis auf den Fußweg von Ellies Haus zu meinem, wo ja immer noch mein Fahrrad abgestellt wird. Da hätte ich gerne etwas Ablenkung, denn englische Städte machen Fußwege ziemlich langweilig. Nun hat man weder ein tragbares Radio dabei, noch würde das gerade interessante Sendungen bringen. Doch nun habe ich eine weit bessere Lösung: Sowohl Ellie als auch Friedemann haben kürzlich alte Handys abgelegt. Anders als meins können deren Modelle alle möglichen Kunststücke. Somit also kann ich nun Radiosendungen aus dem Internet speichern und sie auf dem Weg hören. Effizienz, Recycling and Bildung - wieviel deutscher kann man sein!

Arbeit

Mein Privatleben ist moment ziemlich mundän. Mehr ist auf der Arbeit los - genau gesagt bin ich derzeit oft fertig, weil doch viele Fristen anstehen, u.a. selbst verursachte. So hatte ich mich in blindem Enthusiasmus für ein Projekt gemeldet, lokale Schulen im Statistikunterricht zu helfen. Ja, hier wird Statistik (wie auch viele andere Fächer, die ich eher mit Universität verbinde) an Schulen gelehrt. Auf niedrigem Niveau. Wir haben also eine Stunde vorbereitet, in der Schüler um die 16 Jahre das Spannende an Statistik sehen und dann auch selbst damit arbeiten sollten. Meine Einstellung zu 16-jährigen ist bekannt; einige Kollegen waren da etwas optimistischer und dementsprechend ernüchtert. Wirklich eingefangen haben wir sie nie und so war die ganze Sache vor allem gut für die bald darauf gefolgte Jahresleistungsbesprechung. Die ist wieder sehr gut gelaufen - meine jetzige Stelle ist weiterhin die beste, die ich soweit im Amt hatte.
Leider überschnitt sich die Vorbereitung für die Schule mit der Hauptveranstaltung meines Hauptprojektes. Der März war dementsprechend hektisch. Am 23. März haben wir eine Schulung in London durchgeführt, deren Vorbereitung natürlich jede Menge Arbeit verursachte. Wir haben vor einem Fachpublikum aus größtenteils Versicherungsmathematikern die Ergebnisse der letzten Monate vorgestellt, in denen wir die Leistung unseres Models zur Schätzung der ältesten Bevölkerung untersucht haben. Ich habe einen Vortrag gehalten. Ich mag Vorträge. Mit etwas Glück werde ich das auf einer Konferenz im September nochmal vorstellen.

Geburtstag

Mathieu reist kräftig durch den Süden Englands. Ich kann so häufig nicht mitkommen, schließlich hat man sowohl Freundin als auch Tangoproben jeden Sonntag. Zum Geburtstag einer unserer portugiesischen Freundinnen jedoch konnte ich ihn begleiten. Das fand ich Winchester statt und war eine schöne Erinnerung an die Zeiten, als ich mich noch jeden Tag mit Leuten aus ganz Europa umgab. Aber für jegliche Aktivitäten nach 23 Uhr bin ich einfach zu alt. Und da geht der portugiesische Tag ja erst los.

Auf der Bühne

Ellie und ich haben das Stück "Ruddigore" der mir inzwischen ja bekannten Gilbert und Sullivan gesehen. Dabei habe ich zum ersten Mal das inzwischen endlich offene New Theatre Royal von innen gesehen, das ewig restauriert worden war. Kurz darauf haben wir dort zur offiziellen Eröffnung mit dem Chor selbst etwas Shakespeare gesungen. Ein schöner Moment: bei einer Chorprobe spielte unser Pianist kurz Bachs "Wie soll ich Dich empfangen" an, und zu meiner Überraschung sang oder summte der halbe Chor mit.
An der Bücherfront wurden Der Geheime Garten sowie Die Elemente besiegt. Nun stehen entweder ein Buch über Statistik, ein Buch über Chemie oder ein Buch über Landkarten auf dem Plan.

Silberstreif

Die Sonne bleibt endlich wieder bis nach 18 Uhr am Himmel und so haben wir an guten Tagen wieder die schönen Abende zurück, an denen man nach der Arbeit noch ans Meer kann. Das Herz geht auf vor Hoffnung.
Bulgarischer Frühling 2016.
Ein Kollege hatte deutsche Eiermalsets übrig. Ellie und ich hatten einen schönen sonnigen Nachmittag damit.


Sonntag, 13. März 2016

Kurzes Kenterbury

Mathieu bleibt noch bis Ende Mai im Land und ist schwer dabei, möglichst viel vom Süden Englands zu sehen, bevor er nach Norden nach Nottingham zieht. Ich habe mich einem Wochenendsausflug nach Canterbury angeschlossen. Richtig verreisen kann man schließlich nur mit Männern. Denn wir sind Samstag morgen 8 Uhr los, mit Fahrrädern auf dem Auto.
Natürlich lag es nahe, Ellie mitzunehmen und bei ihrer Schwester abzusetzen.  Sie war ja eine Woche vorher noch traurig gewesen, als ihr Familienbesuch wieder abfuhr. Aber nun hatte sie sich schon mit einer Freundin verabredet.

Wie sich rausstellte, war Mathieu mehr an der Landschaft Kents als an Canterbury selbst interessiert.
Samstag haben wir zwei Radtouren gemacht. Zuerst sind wir dem 'Crab and Winkle Walk' gefolgt, also dem Krabben und Strandschnecken Weg von Canterbury zur Küste. Der folgt der ältesten regulären Eisenbahnlinie Englands, die Austern von der Küste brachte. Ellie hatte schon oft davon gesprochen. So wie sie allgemein viel von Canterbury spricht. Wir wollten das immer mal ablaufen. Nun, ich bin froh, den Weg gefahren zu sein, denn mich hat er nicht beeindruckt. Die Strecke über die Felder wäre ohne Eisregen vielleicht schöner gewesen, aber lange Abschnitte führen auch einfach durch die Langeweile englischer Wohngebiete. Alle hocken in den Häusern, wegen derer sie sich keine Hobbys leisten können. Oder erbrechen sich auf der Straße.

Am Ende des Wegs liegt der Ort Whistable, am Südufer der weiten Themsemündung. Ehemals Bootsbauzentrum; hier wurde der Tauchanzug erfunden; und vor allem lebt man vom Andenken an den Austernfang. Eine Wir hielten kurz am Hafen, wo im ehemaligen Bahnhof ein Fischmarkt ist, der natürlich auch die immer noch im kleinen Umfang gefangenen Austern anbietet.  Nette Leute, aber eine Sensation ist der Ort nicht. Und ja ich habe meine erste Auster probiert. Nicht so schlimm wie befürchtet (der Mann meiner Gesangslehrerin hatte nach einem Besuch hier wohl eine schlechte Nacht). Aber immer noch ziemlich schlimm.

Nach dem Rückweg ins Zentrum Canterburys haben wir Ellies erste Pflichtempfehlung erfüllt und in einem hervorragenden mexikanischen Restaurant gegessen, und uns aufgewärmt, getrocknet und die schlammigsten Klamotten abgenommen. In diesem tatsächlich sehr netten Ort verstand ich zum ersten Mal Ellies Verbindung zu Canterbury. Dort ist sie nämlich zwar zur Schule gegangen, aber nicht direkt aufgewachsen. Es hat aber den Charme einer historischen Stadt mit vielen versteckten Orten, die bei Sonne und Nacht sicherlich Jugenderinnerungen formen, wie ich sie z.B. mit Torun verbinde.

Danach sind wir noch auf eine zweite Radtour gefahren. Kürzer, wie wir dachten, auf dem Land, beim Dorf Selling. Das Land, was mich im übrigen oft an Mecklenburg erinnert, war dann so hügelig und die Wege so verschlammt, dass diese Fahrt viel länger und anstrengender war, als gedacht. Irgendwie ging es immer bergauf. Als wir nach zwei Stunden endlich in unser Hotel fuhren, konnte ich kein Fahrrad mehr sehen.

Den Rest des Abends verbrachten wir endlich in den empfohlenen Kneipen Canterburys. Davon wird mir wahrscheinlich am meisten das Schokoladencafe im Gedächtnis bleiben, von dessem ersten Stock man einen wunderschönen Blick auf die beleuchtete Kathedrale hat.

Am nächsten Morgen ging es wieder früh raus, denn wir radelten den Fluss entlang in die Stadt, um um 8 Uhr in ebenjener Kathedrale die Morgenandacht zu besuchen. Nicht zuletzt, um so gratis reinzukommen. Anschließend sind wir noch ganz allein durch die Gärten und Kreuzgänge gelaufen, die sonst voller Menschen sind. Früh aufstehen lohnt sich.