Dann fiel die Temperatur merklich und die Jacke kam wieder aus dem Schrank. Trotzdem habe ich endlich einen Frühlingsausflug gemacht. Das hatte mir Landkind physisch unter den Nägeln gebrannt, seit die Sonne rauskam und ich auf dem Radweg jeden Morgen grüne Felder und blauen Himmel sah. Bisher ging das aufgrund all der Proben an Wochenendnachmittag nicht, während Mathieu bereits fröhlich auf der Isle of Wight radelte. Schließlich legte ich den Tag nach dem Konzert fest, bevor Mathieu für drei Wochen auf Dienstreisen ging. Gewählt wurde der Neuwald westlich von Southampton, wo Mathieu und ich schon im letzten Mai zelten gewesen waren. Wechselhafte Wettervorhersagen hielten Ellie von der Teilnahme ab, aber ich musste unbedingt einmal raus aus der Stadt.
Der Optimismus zahlte sich wieder aus. Zwar herrschte Aprilwetter mit buchstäblich Hagel und Sonnenschein innerhalb von fünf Minuten. Aber das störte mich genausowenig wie die weiterhin stellenweise überfluteten Wiesen, als wir an einem Bach entlangliefen. Zu sehr gefielen mir die Stille und das Grün, ganz zu schweigen von den Pferden, die in Wiese und Wald wieherten. Besonders schön war für mich ein spontanes Picknick auf einem großen Baumstamm, den wohl ebenfalls die Stürme umgeworfen hatten. Etwas kühl bei Wolken, aber eine ganz tolle Erfahrung für mich. Einmal stand ich oben auf der hölzern Wurzel und sang Schuberts Wanderlieder in den Wald. Anschließend wärmten wir uns in in einem Herrenhaus mit Tee und Büchern vor dem Panoramafenster auf. Nach einem zweiten Spaziergang durch den Wald fuhren wir bei Sonnenuntergang nach Hause.
Kultur gab es wieder genug. Ellie hat mir ihre Abschlussarbeit zum Lesen gegeben ("warum verbinden wir Filmkomödien mit bestimmter Musikuntermalung") und eine neue Kollegin einen interessanten Artikel aus der Ökonomie (man ist eben doch immer noch gern Freizeitakademiker) und ausserdem habe ich mit Schloss Gripsholm endlich den Tucholsky Sammelband aus Rostock ausgelesen. Ein Konzert des Uniblasmusikorchesters haben den Snob in mir gekitzelt, der sich anstrengen musste, Film- und Populärmusik zu akzeptieren. Vorgeschlagen hatte das Ellie, es schlossen sich Mathieu, Theresa und Laia an.
Höhepunkt war selbstverständlich das Chorkonzert mit Werken der zeitgenössischen Komponistin Cecilia McDowall eine Woche später. Sie soll wohl auch der Universität eine Hymne schreiben. Die Stücke hatten mir anfangs gleich gefallen, dann verlor ich etwas den Antrieb (nachdem ich die Musik gehört hatte, die mich stellenweise an Hollywood erinnert), zum Konzert kam er wieder zurück. Aber wie mit Poulenc vor einem Jahr hatte die moderne Komposition ihren Reiz, denn man muss mehr Acht geben als bei harmonischen Barockmelodien. Aufgrund der Akustik hörte ich im Konzert praktisch keinen der anderen Bässe und fast nur die Soprane. Speziell stand Ellie direkt hinter mir und wohlgleich mir ihr Können bekannt war, hörte ich hier mal ganz deutlich, wie gut sie wirklich ist. Insbesondere singt sie präzise und dient mir als Metronom, wenn ich die erfahrenen Bässe nicht höre. Und das macht sie alles aus dem Gedächtnis, ich muss dafür lange üben.
Als besondere Zugabe stand Cecilia im Konzert höchstselbst Rede und Antwort. Besonders interessant war dabei, dass sie Musik erst mit Ende 40 anfing und sehr schnell so scheint es zu den Größen der modernen Klassik aufstieg. Während ich bei ihrem ersten Besuch bei einer Probe nicht sicher war, was sie nun von uns denkt, waren wir jetzt alle beeindruckt, wie nett sie ist. Ich habe mir gleich ein Foto mit ihr machen lassen, und sie bat, es ihr doch auch zu schicken.
Leider haben wir auch erfahren, dass unser Dirigent den Chor nach gut elf Jahren abgeben will. Verstehen kann ich ihn, es ist für die meisten Sänger eben nicht mehr als das Mittwochsabendhobby. Aber fehlen wird er uns sehr, denn wer ihn gesehen hat weiß, das seine Art dem Chor einen besonderen Charakter gibt.
Cecilia McDowall nach dem Konzert. |
Es hagelt im Neuwald... |
...und fünf Minuten später sieht es so aus. |
Unser Mittagstisch. |
Mathieu hat eine Paprika aufs Messer gespießt (kein Glas). |
Sonne und Wald... |
Die Pferde laufen weiterhin frei durch den Neuwald. |