Sonntag, 11. Dezember 2016

Neue Ideen für alte Leute

Krückenrücken
Als ganz persönliches Adventsgeschenk habe ich seit Ende November große Rückenprobleme. Ohne Zweifel Folgen einer Übung bei der Tangoshow im Sommer. In München meinte Friedemann noch, ich sollte das nicht auf die lange Bank schieben. Nun, eines Montagmorgens konnte ich kaum noch laufen. Habe mich zum Arzt geschleppt, der mir wie immer nicht helfen konnte. Zwar wurde es am Nachmittag spürbar besser, aber ich hatte richtig Angst bekommen und wie das so ist habe ich sofort und ohne Umschweife gehandelt, sobald das das Kind in den Brunnen gefallen war. Nun habe ich privat Osteotherapie, weil das öffentliche Gesundheitssystem erst irgendwann im Januar dazu kommt, mir Physiotherapie zu geben. Ich machte jeden Tag fleißig meine Übungen und mehr Sport, fuhr Fahrrad, ging schwimmen, und bald war alles wieder gut. Am nächsten Montag dann machte ich eine normale Bewegung und alles war wieder schlecht. Diesmal brauchte es mehrere Tage, bis ich wieder schmerzfrei war. Bisher keine Anzeichen, wohin das letztendlich führt. Ich jedenfalls habe mal wieder erst durch persönliche Erfahrung wirklich verstanden, was einem immer gesagt wird, wie das an die Nieren geht, wenn man Hilfe braucht sich die Socken anzuziehen.

Advent
Nun hat der Advent auch gute Seiten. Ich backe und esse fleißig Plätzchen. Ellie ist mit, wurde auch wieder vom Nikolaus besucht und hat aus Adventspaketen aus Rostock und Templin genug Haribo bekommen, bis ich Nachschub aus Deutschland mitbringe. Zusammen waren wir auf dem Weihnachtsmarkt in Winchester. Interessant: laut Ellie gibt es hier traditionell keinen Rummel. Zugegeben sind Weihnachtsmärkte erst seit der Jahrtausendwende Tradition. Aber in der Tat habe ich nie ein Karussel oder Riesenrad gesehen. Winchester hatte hochwertiges Kunsthandwerk und ich habe mir einen Fez gekauft. Zuletzt waren wir noch beim heimeligen Adventssingen in der Kirche und beim albernen Weihnachtstheater für Kinder, beides lange Traditionen in England.

Bücher

Ich habe Jens Biskys Buch "Unser König" über Friedrich den Großen ausgelesen und bin zur Reihe Per Anhalter durch die Galaxis zurückgekehrt, Buch 5 von 6. Und irgendwann kann ich dann auch endlich das große Geschichtsbuch anfangen, dass mir Ellie zum Geburtstag geschenkt hat.
Ellie habe ich Haffners Geschichte eines Deutschen aus der Bibliothek geholt. Und das ist Pflicht. Ellie beklagt sich nämlich immer, dass ihr ständig die interessanten Bücher ausgehen, aber wenn ich mal was extra für sie finde, oder ihr etwas gebe, womit sie etwas über Deutschland lernen könnte, wird das alles erst begrüßt und liegt dann Monate rum, bis ich es zurück in die Bibliothek bringe. In München zum Beispiel hatte ich zu meiner Überraschung englische Versionen von Max und Moritz sowie vom Struwwelpeter gefunden. Beides Klassiker der Kultur ihres Freundes, beides gute Übersetzungen, letzterer übrigens von Mark Twain höchstselbst. Beide findet Ellie sehr interessant, und beide stehen seitdem im Regal. Neben den Deutschlehrbüchern und meiner ersten Hausarbeit, um die sie vor Jahren gebeten hatte. Ellie liest genau vier Buchgattungen: historische Romane, Ferner Osten, englische Geschichte 1500-1700, Frauen. Und am liebsten historische Romane über Frauen in England oder Fernem Osten. Sowas liest sich natürlich schnell durch, und dann sitzt sie auf dem Trockenen. Aber sie liest eben auch nur, was genau ihrer Natur entspricht. Und wenn man einen Historienroman zum zehnten Mal liest, ist das immer noch besser, als ein neues Buch, was kein Historienroman ist.

Neue Eindrücke
Am 3. Dezember habe ich mit dem Chor Faures Requiem gesungen. Das Konzert folgte einem neuem Konzept, indem wir mit zwei Stundentenchöre zusammen sangen. Damit wollte unser Dirigent vor allem mehr Studenten rekrutieren, von denen wir paradoxerweise immer wenige hatten. Ellie und ich waren da immer skeptisch, weil wir beide wenig von den Studenten hier halten. Ich denke ohnehin seit meinem Master in York, dass es hier schlicht und einfach an kultureller Bildung und Interesse fehlt. Aber ich muss sagen, ich habe mich geirrt. Noch nie hat mir ein Konzert soviel Spaß gemacht. Die Studentenchöre haben wie erwartet viele Freunde ins Publikum geholt, was dadurch ausgesprochen wohlwollend war. Noch nie habe ich einen solchen Beifall erlebt, und ich war ganz überrascht, wie schön das doch ist. Leider ist die Qualität nicht in Quantität umgeschlagen: noch nie hatten wir sowenig Publikum (wirkte an dem Abend gar nicht so).
Kurz darauf haben wir wie immer Weihnachtslieder im Uniadventsgottesdienst gesungen. Als nächstes steht Händels Messias im März an, worauf Ellie und ich uns schön lange freuen. Ich denke, dass bekannte Stücke großes Publikum anwerben.
Gleichzeitig wurde mir von meiner Gesangslehrerin ein Student vorgestellt, der nach Leuten sucht, die er auf dem Klavier begleiten kann. Insbesondere mag er Schubert. Jetzt treffen wir uns jeden Freitag nach der Gesangsstunde und spielen zusammen. Das macht zum einen großen Spaß (kein Lehrer, der mich ständig unterbricht), ist zum anderen eine großartige Übung (die Hälfte der Gesangsstunde verbringe ich mit Aufwärmen), aber vor allem geben mir diese Erlebnisse einen ganz neuen Eindruck britischer Studenten. Nicht nur engagiert sich Liam selbst für Musik; als wir uns unterhielten, übten im Nebenraum seine Freunde Weihnachtslieder auf Blasinstrumenten. Er ist also nicht unbedingt eine Ausnahme. Allerdings sagte Ellie ganz richtig, dass solche Leute entweder aus der Middle Class kommen (also ein ganzes Stück höher als was wir als Mittelschicht verstehen) und/oder aus religiösem Hintergrund. Und das trifft auch auf Liam zu. Aber man klammert sich ja an jeden erfrischenden Strohhalm.

Letztens habe ich Ellie (Florian Silbereisens Version von) Volksmusik vorgestellt. Dieses Fernsehformat gibt es hier nämlich nicht. Ellie vermutet, weil man seine Schnulzen hier direkt aus Amerika bezieht, und nicht sein eigenes Kulturgut verwursten muss.



Arbeit

Auf der Arbeit hatte ich vor allem mit der Veröffentlichung eines langen Forschungsberichtes zu tun, an dem wir die letzten anderthalb Jahre gearbeitet haben. Die Analyse macht mir immer Spaß, die Veröffentlichung weniger. Da schreibt man nur für andere auf, was man selbst schon weiß, und verbringt viel Zeit mit langweiligem Gegenlesen und endlosem Editieren. Nur nebenher kann ich ab und zu etwas lernen. Zum Beispiel hatte ich den letzten Teil einer Fortbildungsreihe über Bayesianische Statistik, wieder an der Uni Southampton. Außerdem spiele ich mit Programmieren rum und hatte einige sehr spannende und für andere Kollegen sehr merkwürdige Unterhaltungen mit den schlauen jungen Leuten, die bei uns angefangen haben und auch gerne programmieren. Diese Gruppe erreicht langsam eine kritische Masse, mit der man vielleicht etwas innovatives machen kann. Denn in der Datenanalyse bewegt sich momentan einiges.

Nach der Fortbildung in Southampton habe ich bei Kalina übernachtet und sie so noch einmal vor Jahresende gesehen. Wir haben ein sehr gutes Ein-Mann-Theaterstück gesehen, was hervorzuheben ist, da ich in England inzwischen nur noch von großen Theatern Qualität erwarte. Außerdem war es kurz, sodass wir noch Zeit hatten, uns zu Hause ganz in Ruhe zu unterhalten, bevor ich mich einmal ausschlafen konnte.