Sonntag, 30. September 2012

Neue Kleider

Für Samstag hatte ich einen ernsthaft guten Plan: am Tudorhaus in Southampton fand ein Tudorfest (Zeit der englischen Renaissance & Reformation) statt und die Leute vom historischen Dorf Gosport (vgl. 27.08.2012) nahmen mich mit – komplett mit Kostüm. Das Fest bestand aus einem zeitgemäßen Markt im Rest der Altstadt, auf dem Platz zwischen dem Tudorhaus (ein zeittypisches Fachwerkgebäude, heute Museum) und der St. Michaelskirche (der einzigen von 5 in der Altstadt, die 1940 überlebt hat). Ich hatte das mit Abstand coolste Kostüm innerhalb der Stadtmauern und spielte je nach Lust einen deutschen Wollhändler, oder einen deutschen Offizier, der das neue stehende Heer Heinrich VIII. ausbilden sollte, der sich ja gerade mit dem Papst überworfen hatte. Ich musste auch nicht mehr machen, als stolz herumzustolzieren, was mit eine Schwert im Gürtel ganz von alleine kommt. Und eins muss man sagen – damals wurde noch richtige Kleidung gemacht! Ich spielte nicht nur Adel, ich muss auch so ausgesehen haben, denn es war gar nicht zu übersehen, welche Blicke ich anzog. Ganz abgesehen von diversen Bitten um ein Foto, inklusive einige ebenfalls adliger Ladies. Ich war an keinen Stand gebunden und konnte die Altstadt inspizieren, von der ich gar nichts wusste. Zwar hatte der Krieg auch nicht viel von ihr übrig gelassen, aber es gibt doch einige Häuser, Türme und eine ganze Länge Stadtmauer waren noch zu besichtigen. Das Tudorhaus selbst war mir zu voll, sodass ich gleich beschloss, am Sonntag gleich nochmal zurückzukommen.

Samstag abend fand in der anglikanischen St. Michaelskirche noch eine katholische Messe statt – vermutlich die erste seit der Reformation. Dazu sang der Kammerchor der Uni Renaissance in Latein. Sonntag meldete ich mich zum Bannertragen bei der Prozession entlang der fünf zerstörten Kirchen. Ich schnappte mir natürlich das größte von allen und rief am enthusiastischsten Hurra, wenn der Ausrufer seine Texte an jeder Station mit einem "Gott schütze den König" beendete. Ganz zum Ende hörte ich noch den Minnesängern beim Geschichtenerzählen zu, und auf dem Rückweg nach Portsmouth habe ich noch kurz bei Burg Portchester vorbeigeschaut (vgl. 30.06.2012).

Mehr Fotos auf: http://www.flickr.com/photos/reinardina/


Copyright by Reinardina @ http://www.flickr.com/photos/reinardina/

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Fragen?


Hört hört! Der neue König ist in der Stadt!

Mein Büro.


Mein Schuppen.

Kompromisse in der Altstadt.

Mein Hofstaat.

Meine persönlichen Lobpreiser.
Prozessionsexpertise gelernt in Polen.


Der Herbst ist unverkennbar da. Vor kurzem habe ich das erste Mal im Dunkeln zugesehen, wie die Wellen ans Ufer brüllen. Die Lampen der Küstenstraße sind dann in Wasserdunst gehüllt. Gut, dass mein neues Zimmer richtig gemütlich ist. Lärmprobleme habe ich gar keine, und ich mag das Art Nouveau Profil der hohen Decke mit Stuckrose und Kunstpostern.
Abschließend: ich bin Zeuge einer spürbaren Welle spanischer Emigranten. Die letzten Wochen habe treffe ich immer wieder junge Spanier, die hier gerade angekommen sind und Arbeit suchen. Wie in den Siebziger Jahren, als hätte es ein paar Jahrzehnte wirtschaftlicher Aufholarbeit nie gegeben.

Sonntag, 23. September 2012

Zusammenfassung

Zusammen fahren
Freitag morgen war ich aufgewacht und mein Körper sagte mir, dass ich zulange keine Pause vom Radfahren genommen hatte. Einen Ausflug musste ich aber noch machen, Samstag zur Ruine der Abtei Netley auf halben Weg zwischen Arbeit und Southampton. Dieser Plan war noch lange vor dem Umzug entstanden, als ich in Rostock die Landkarte studierte und mich besorgt fragte ob sich eine Wohnung auf dem Land vermeiden lässt; ob sich die Distanz von einer der Städte fahren lässt. Als ich noch Southampton als Wohnort favorisierte, entdeckte ich den Namen Netley Abbey am Meer und stellte mir träumerisch vor, wie ich nach der Arbeit mit einem Buch dort halten würde, schwimmen und lesen.
Nun ist weder Southampton noch dieser Feierabend wahr geworden, aber die Abtei war immer nah genug für einen Ausflug. Ursprünglich sollte das mit Adriana passieren, jetzt hatte sich vor einer Woche der deutsche Mitbewohner meiner Gastgeberin Charlotte interessiert gezeigt. Auf dem Weg wollten wir auch die Abtei Titchfield besuchen, eben jene in meinem Arbeitsort und direkt neben der Theaterscheune (vgl. 21.08.2012), die ich durch die Arbeitszeiten nie von nahem zu Gesicht bekommen hatte. In der Tat trafen wir uns Samstag morgen am Hafen, er kam von der Insel und ich vom Gespräch mit einer Rumänin, die richtigen, nichtenglischen Kuchen bäckt. (Ich kann ungewöhnlich sozial sein, wenn ich mich allgemein wohl und sicher fühle). Wieder war der Tag gut gewählt, die Sonne strahlte, anders als was für den Sonntag angekündigt war, der endlich als Pause geplant war.
Thomas aus dem Ruhrgebiet ist seit März im Land und war mit dem Teil des Festlands noch nicht vertraut. Wir setzten über den Hafen und fuhren am Meer entlang Richtung Westen, bis zum mehrmals erwähnten Vogelschutzgebiet (vgl. 13.08.2012), und über den ebenfalls bekannten Kanalweg (vgl. 02.09.2012)nach Norden, direkt nach Titchfield. Die dortige Abtei war vom gleichen Bischof wie Netley gegründet worden und bei beiden erwähnt der Lexikonartikel, dass sie eine solide und absolut unspektakuläre Geschichte hatten, bis sie von Heinrich VIII aufgelöst und beide von Höflingen in Privatresidenzen umgewandelt wurden. Von Titchfield ist weit weniger übrig, vom gesamten Klosterkomplex nur der Westteil der Kirche, der in ein betürmtes Torhaus wurde. Dafür ist das Gelände von fruchttragenden Apfelbäumen bewachsen, die ich sehr schätze.
Ich zeigte kurz die ebenfalls bekannten Klosterteiche und dann fuhren wir weiter nach Westen in unbekanntes Gelände, Richtung Netley. Das liegt auf der anderen Seite des Flusses Hamble, sodass wieder eine Fähre anstand, und zwar die süßeste der Welt, eine kleine rosa Nussschale, deren pensionierter Kapitän seine Arbeit an sonnigen Tagen wie diesem liebt. In der Tat war es noch einmal richtig Sommer, der Fluss ein einziger langer Ankerplatz für hunderte Segler und das andere Ufer für Besucher ausgebaut, wo ein ebenfalls Hamble genanntes hübsches Dorf Leuten Gastronomie am Wasser bietet und ich im Minutentakt mitteilte, was mich gerade an das schöne schöne Rostock erinnert.
Einige Kilometer weiter erreichten wir die Abtei Netley, die in ihrer Geschichte der in Titchfield ähnelt, aber viel vollständiger erhalten ist. In der Tat ist es „eine der am vollständigsten Zisterzienserabteien in Südengland“. Im 19. Jahrhundert, als der Geschmack der Romantiker nun das Mittelalterliche entdeckte wurde ihr Wert als pittoreske Ruine entdeckt und alle Spuren des Herrenhauses entfernt, was wiederum moderne Historiker bedauern. Auch heute wurden beide Abteien als Fotomotiv für Hochzeiten genutzt. Nach einem Rundgang machten wir beiden Mittagsruhe unter einer großen Eiche, bevor ich mir mit einem Lexikonausdruck bewaffnet die Gebäude im Detail betrachtete; größtenteils sehr ähnlich zum berühmten Schwesternhaus der Abtei Fountains (vgl. 18.9.2010).

Dann sind wir mit einem Pubaufenthalt den ganzen Weg zurück gefahren, Thomas auf die Insel und ich nach Hause, wo ich noch einmal baden ging, mit richtiger Lust auf kaltes Wasser.

Abtei Titchfield unter einem Apfelbaum. Nur der Südteil der Kirche bleibt, der zum Hauseingang wurde.


Die Fähre über den Fluss Hamble. Der pensionierte Kapitän mag seinen Job sehr.

Das Mastenmeer auf dem Fluss.

Abtei Netley. Eckige Fenster sind Herrenhaus, Spitzbögen Kloster.

Ostfenster der Klosterkirche. Von rechts stiegen die Mönche 2 Uhr morgens zur ersten Messe aus dem Schlafsaal hinab.

Bildung unter einer Eiche; ein Hund ist auch interessiert.

Kircheingang.

Auf der Rückfahrt.
Zusammen singen
Ich bin recht zufrieden mit mir, denn momentan bin ich relativ aktiv. Donnerstag Abend besuche ich jetzt eine weitere, soweit vielversprechende neue Tanzstunde, wo endlich der Umstand berücksichtigt wird, dass wir eben keine Lateinamerikaner mit Musikgefühl sind. Am letzten Mittwoch ist außerdem endlich der Universitätschor zusammengetreten. Wie die der Uni ist er strikt zweite Klasse, ohne Einzelproben der Stimmgruppen und wir singen im Auditorium Maximum, weil es keinen Konzertsaal gibt. Die Stimmqualität ist unverkennbar mangelbelastet und wir haben ganze sieben Tenöre. Mir fehlt die Professionalität der HMT, ganz zu schweigen vom Stadthafen am Abend danach. Ja, manchmal vermisse ich die ganze elende Arbeitslosigkeit. Aber zumindest gibt es einen Chor, denn die Uni Portsmouth hat gar kein Musikstudium, nur eine Musikgesellschaft. Der Dirigent ist motiviert und schafft es, trotz Verantwortung für alle vier Gruppen auf einmal, den Chor in dieselbe Richtung zu steuern. Sein Humor ist sich der Herausforderung klar bewusst (Noten und Worte sind nicht wichtig, sondern dass es laut ist!) und das Prinzip lautet, wenn schon nicht gut dann wenigstens Spaß dabei. Er ist erstaunlich gut vorbereitet und zwar vor allem auf Anfänger, kennt die Noten genau und weiß auch, was Laien nicht verstehen werden. Insbesondere gibt er sehr viel Hintergrundwissen über die Carmina Burana. Das sind ja säkulare Lieder, die in der Beschreibung ihrer Welt kein Blatt vor den Mund nehmen. Und auf einmal versteht man den beißenden Witz einer Zeile Latein, dass alles und jeder gerne trinkt.

Zusammen wohnen
Auch meine Suche nach Gesellschaft macht vorsichtige Fortschritte. Freitag Abend hat mich das spanische Pärchen besucht und wir haben spanisches Omelett gemacht. Am Morgen muss Monika ausgezogen sein, ohne ein weiteres Wort, aber dafür hat sie mir ihre übrigen Lebensmittel in den Schrank gestellt, wer daraus schlau wird... Ich habe bereits neue Mitbewohner, da offensichtlich das neue Semester losgegangen ist. Matty ist im zweiten Jahr Illustration/Gestaltung, hat einen merkwürdigen Schlafrhythmus und ist meiner Ansicht nach sehr jung und etwas verwirrt. Alex ist im letzten Jahr (was hier drüben vermutlich das dritte ist, weil der zweite mögliche Teil eines Studiums ja nur ein Jahr dauert) Architektur und sieht dementsprechend seriös aus. Zori schließlich ist wohl auch um die 21 und soll Montag eintreffen, Bulgarin sein, die aber hier aufgewachsen ist, und sehr gerne putzt. Daher hoffe ich, dass wir hier einen ruhigen und vor allem sauberen Haushalt führen können. Die Gespräche mit Charlotte haben nämlich alle schlechten Erfahrungen mit englischen Studenten wieder wachgerufen. Matty und Alex bringen ihre Fahrräder mit, was den Schuppen eng macht. Matty schläft nicht nur zu komischen Zeiten sondern offenbar auch leicht, weshalb ich zugestimmt habe, die Zimmer zu tauschen, da an meinem weniger Leute vorbeilaufen. Jetzt wohne ich im Erdgeschoss direkt unter meinem alten Raum. Die Decke ist etwas höher und hat eine sehr schöne Stuckrose, die gut zu meinen Kunstposter im Jugendstil passen. Hoffentlich irre ich mich mit meinem besseren Schlaf nicht.

Montag, 17. September 2012

15/16. September - Nachlese

Das letzte Wochenende und die derzeitige Arbeit hat mich sehr erschöpft. Insbesondere die Beine bitten jeden Tag um eine dringende Pause. Aber noch mehr quaelen mich unbewältigte Programmpunkte. Darum bin ich wie angekündigt gleich wieder auf die Insel Wight gefahren. Die Entscheidung wurde dadurch erleichtert, dass ich diesmal sofort eine Übernachtung angeboten bekommen habe. Auf dem Plan standen diesmal die römische Villa in Brading für Samstag und für Sonntag die Morgenmesse in der Abtei Quarr und danach noch einmal Haus Osborne.
Weil ich so lange im Büro bleibe und private Sachen nur am Wochenende gemacht werden können, bin ich wieder zu spät zur Fähre gekommen. Diesmal statt Festivalbesuchern Butterfahrer.
Das Wetter war wieder sonnig, wenn auch kühl, Sonntag sollte es sich bewölken. Am anderen Ufer bin ich gleich am Sandstrand schwimmen gegangen, weil das vermutlich nicht mehr lange möglich sein mit dem anrollenden Herbst. Bei der ersten Pause danach habe ich gemerkt, wie erschöpft ich bin, als in der Sonne fast gleich eingeschlafen bin. Ich bin langsam weiter über Seaview und St. Helens nach Brading geradelt. Die Villa hatte ich schon eine Woche vorher gesehen, ohne die Verbindung herzustellen. Damals war ich durch eine Hecke vom Feld auf eine Straße gebrochen und stand auf einem Plateau über Brading, direkt über der Villa. Auf einem Schild war gezeigt worden, wie das Meer seinerzeit anders verlief, bis an das Anwesen ging und somit die Lage erklärt, denn so konnte problemlos importiert und exportiert werden. Der Wohlstand wurde ich Bodenmosaiken ausgedrueckt, wovon ein Mann mit Hahnenkopf besonders beruehmt ist, denn das Motiv gibt es nur hier. Noch einige tausend Jahre vorher war die Insel Wight überhaupt ganz mit England verbunden gewesen und noch schlimmer, England mit Europa. Die Römer nannten die Insel Vectis, was mir den Namen der lokalen Busgesellschaft erklärte. Insgesamt scheint es wohl ein Dutzend römischer Villen auf der Insel gegeben zu haben, aber Brading ist die einzig bekannte Überlebende.

Zugang zu einem der vielen kleinen Kirchhöfe entlang des Weges. Geschmückt für eine Hochzeit.

Eins der historischen Häuser in Brading. Die Straße nach rechts geht es zur römischen Villa.

Die Tür mitte rechts im Detail.
Nach Torschluss bin ich zurueck nach Ryde geradelt und habe am Pier meine Gastgeberin getroffen. Charlotte aus Frankreich ist Lehrassistenz in einer oertlichen Schule. Mit ihrem deutschen Mitbewohner sind wir des ganze schoene franzoesische Abendessen lang bei Gratin und Bananenkuchen über die Briten hergezogen, angefangen wie immer beim Essen und ganz speziell darüber, wie sie Körper, Geist und ihre Häuser vernachlässigen, speziell unsere 21jährigen Mitbewohner. Das allgemeine Saufen, Fressen und Nichtbeachten von Dreck in der Küche. Wenn man uns Ausländern im Moment zuhört, ist das hier wirklich das Land der halbdebilen Barbaren.

Nach der ersten langen Nacht seit meinen eigenen letzten Gaesten hatte ich das erste schoene, franzoesische, langsame Fruehstueck seit, nun vermutlich seit Juni. Pfannkuchen mit Marmelade von Charlottes Mutter, komplett ohne Plastik. Charlotte und eine weitere franzoesische Lehrerin sind mit mir zur 10 Uhr Messe im Kloster gelaufen. Das war ursprünglich mit der Reformation aufgelöst worden und Anfang des 20. Jahrhunderts von französischen Benediktinern in der Nähe der alten Ruinen neu gegründet, nachdem diesmal in Frankreich religiöse Gemeinschaften verboten worden waren. Heute sind die knapp ein Dutzend Mönche natürlich Briten und singen die Messe auf Latein. Leider ist ihr Chor etwas schwach.

Die beiden Mädchen sind zurück nach Ryde gelaufen und ich habe nach einem kleinen Abstecher in den Apfelgarten den Bus zu Haus Osborne genommen. Das hatte ich eine Woche vorher bereits besucht, aber nicht mehr genug Zeit gehabt, alles zu sehen. Jetzt merkte ich, dass soviel gar nicht übrig geblieben war. Das Prunkstück, der indische Saal der scheinbar sehr weltoffenen Viktoria, hatte ich aber noch nicht besichtigt. Auch für den großen Park mit Privatstrand war etwas mehr Zeit ganz gut. Leider waren die Pferde dieses Mal nicht auf der Koppel. Im Ganzen ist das Schloss nichts wirklich anderes als viele andere. Es macht aber einen anderen Eindruck, wenn man seine Geschichte kennt, denn aus allen Details spricht in der Tat das Verlangen von Viktoria und Albert, ihre Kinder zu normalen Menschen zu erziehen. Haus Osborne zweimal zu besuchen ist eine relativ teure Angelegenheit, darum habe ich gleich noch ein bisschen mehr Geld ausgegeben und bin English Heritage (Englisches Kulturerbe) beigetreten. Das ist das staatliche Gegenstück zum National Trust und als Mitglied habe ich freien Eintritt in all ihre Besitzungen.

Den Gedanken, auch noch Burg Carisbrooke im Hauptort Newport zu besuchen, habe ich verworfen und bin stattdessen nach Ryde zurückgekehrt. Ich habe noch einige anglophobe Zungenschläge mit Charlotte ausgetauscht und dann die Fähre zurück genommen. In der Tat wurde ich begleitet von einer lauten Gruppe Mitzwanziger in nicht billigen Mänteln und einer Weinflasche, offensichtlich nicht der ersten. Daneben der Mann mit dem Plastebecher Bier. Daneben füttern Väter ihre Söhne mit Fertignahrung aus Plastikverpackungen in Plastiktüten auf dem Schoß.

Als nächstes steht vermutlich eine Fahrradtour zur Ruine der Abtei Netley etwas westlich von meiner Arbeit an. Mittelfristig will ich auch den alten Michaelspilgerweg laufen und mache auch neue Bemühungen bezüglich der Studentengemeinden, da das Semester wieder anfängt. Am Mittwoch tritt der Unichor zusammen, um die Carmina Burana zu singen. Die Ausflüge sind sowohl nötig als auch möglich, weil mir weiterhin Sozialkontakte fehlen. Das merke ich insbesondere dann, wenn ich dann mal mit Leuten spreche: ich rede ohne Pause. Ich habe neuerdings in dieser Hinsicht wieder etwas Hoffnung. Beim wöchentlichen Couchsurfing Treffen habe ich die Telefonnummern von einem halben Dutzend Leuten eingesammelt, die nicht nur für zwei Wochen Sprachschule hier sind. Mit einem spanischen Pärchen habe ich gleich ein Café und eine Kneipe ausprobiert und einige Tage später sind meinem Ruf fast ein Dutzend Leute in weitere Kneipen gefolgt. Und ich habe viele Pläne, bei denen Menschen nötig sind, wie die beiden französischen Restaurants und die gesamte Kneipenszene, die ich doch sonst immer recht gut kennenlerne. Die Spanier sind klassische Wirtschaftsflüchtlinge, vor zwei Wochen hier eingetroffen, weil es zu Hause zu schwierig wird. Angenehmerweise sind sie in meinem Alter und wie sich rausstellte wohnen sie gleich die Straße runter. Die anderen vor allem Franzosen (die Nähe zu Frankreich macht sich in Portsmouth allgemein bemerkbar). Jetzt aber bin ich schon wieder so aufs Alleinsein und Alleinplanen eingerichtet, dass ich erstmal wieder Platz, Zeit und Geduld für andere Menschen finden und lernen muss.

Monika ist zurück und am Montag soll die andere bulgarische Bewohnerin aus den Ferien zurückkommen. Monika's einziger Kommentar bisher war, ihre Pfanne vor Fremdnutzung zu schützen und ich zähle darauf, dass sie bald auszieht. Der englische Student ist bereits angekommen, aber ich sehe niemanden sehr viel, da ich oft erst nach elf zurück bin. Momentan habe ich nicht mal Zeit zum Putzen oder Kochen (oder Tagebuchbschreiben). Jeden Tag nehme ich mir nur vor, früh nach Hause und direkt in Bett zu kommen. Auf der Arbeit bleibe ich momentan täglich bis 19 Uhr. Der nächste Publikationstermin steht an und noch ist viel zu machen. Ich bin verwirrt wie immer aber meine Chefin ist derzeit selbst zu beschäftigt, um das zu bemerken. Nach einer langen Zeit mit reinem Datenabgleich schreibe ich derzeit endlich wieder an einem Artikel. Das heißt, ich werde eine gewisse Zeit mit den Daten allein gelassen und kann mich etwas mit der Analyse austoben.

Samstag, 15. September 2012

02.09.2012 – Vorwärts immer

Monika ist jetzt für knappe zwei Wochen weg und wird dann nach London umziehen. Ihre Abreise hat sie leider mehr wie Emilie (vgl. York) aussehen lassen denn wie die Mitbewohnerin, die anfangs solche Hoffnungen geweckt hatte. Genau genommen lässt es mich ein bisschen an ihrem Geisteszustand zweifeln. Die letzten zwei Wochen ist sie kaum noch aus ihrem Zimmer gekommen und hatte zu nichts Lust. Am letzten Abend hatte ich mir vorgenommen, Banizza zu machen, einen bulgarischen Blätterteigkuchen. Das hatte Monika mir praktisch beim Einzug versprochen und mir war die Geduld ausgegangen. Sobald ich die Zutaten auf dem Tisch hatte, stand sie aber in der Küche und wir haben mein erstes hausgemachtes dampfendes Banizza hinbekommen. Wir hatten noch einen schönen letzten Abend, so wie ich eigentlich die letzte Woche insgesamt gerne gesehen hätte. Monika meinte, ich könnte doch am nächsten Tag mit nach London fahren. Kalina war zwar dieses Wochenende nicht vor Ort, aber ich wollte das Britische Museum sehen, also habe ich gerne zugesagt und auch gleich eine Fahrkarte zurück nach Portsmouth für Samstag Abend gebucht. Am nächsten Morgen ist sie wie immer ewig nicht aus dem Bett gekommen; gegen elf meinte ich, wenn wir nicht bald fahren, kann ich in London gleich wieder in den Bus zurück steigen. Dann bin ich kurz zur Post gefahren, weil ich nur am Samstag zum Briefmarken kaufen komme. Zwanzig Minuten später komme ich zurück und Monika ist weg. Wortlos verschwunden wie damals Emilie. Kein Anruf, keine Frage, wo ich bin, und natürlich nimmt sie selbst auch nicht das Telefon ab. Zum Glück war die Busfahrkarte nicht allzu teuer gewesen.

Mein erstes selbstgemachtes Banizza.


So musste der Tag wieder alleine gemeistert werden. Zuerst habe ich meine gesprungenen Brillengläser ersetzt und dann bin ich auf die Insel Hayling gefahren. Das ist die nächste Insel gleich östlich von der Insel, auf der Portsmouth selbst liegt. Sie stand auf meiner langen Liste mit Zielen und Aktionen, weil dort richtige Sandstrände sein sollen. Eine kleine Fähre setzte mich über die schmale Wasserrinne zwischen den Inseln. Hayling ist tatsächlich viel ländlicher als Portsmouth, richtiges Heidekraut auf beiden Seiten der Strandstraße. Offenbar war versucht worden, auch dort Hotels zu bauen, aber das scheint nie so angesprungen zu sein wie in anderen Seebädern. Daher wirken die Häuser überdimensioniert und etwas verlassen, ähnliche wie alte FDGB Heime in unseren Wäldern. Urlaub wird offenbar eher in einer Rehaklinik und Urlaubshäusern gemacht. Dadurch ist es nicht nur ländlich, sondern auch ruhig genug, dass am Strand die Wellen das bestimmende Geräusch waren. Familien grillen und Leute lassen auf dem weiten Watt Drachen steigen. Nur in der Mitte der Seepromenade habe ich einen lauten Vergnügungspark gefunden, der in England zu jedem Seeort gehört. Ganz am östlichen Ende des Strandes, wo der nächste Hafen die Insel von der nächsten trennt, fand ich eine Landzuge, die bei Ebbe weit ins Meer reichte, mit einem wunderbaren sandigen Ende. Da musste ich natürlich rauf, und zum Glück bin ich nicht baden gegangen, denn auf dem Rückweg wurde ich fast von der Flut überrascht, die viel plötzlicher einsetzen kann, als ich vermutet hatte, nachdem noch eine Stunde zuvor das Wasser mit Wucht aus dem Hafenbecken gelaufen war. Erst vor ein paar Wochen habe ich im Hafenbecken von Portsmouth gesehen, wie reißend eine echte Gezeitenströmung wirklich ist. Baden bin ich dann lieber an einer sichereren Stelle gegangen, gleich neben der Küstenwache. Und als ich abends zurück nach Hause kam, ging ich noch einmal an der üblichen Stelle baden, diesmal bereits unter einem wunderschönen Vollmond. Denn es wird früher dunkel und es ist seit Kurzem auch deutlich kühler. Dafür ist morgens so ein wunderschönes Licht, Himmel und Luft sind so klar; wenn ich morgens auf dem Oberdeck der Fähre sitze und auf das Meer blicke, habe ich Lust laut zu singen. Solche frühen Herbsttage erinnern mich jedes Jahr an Lodz, wie jetzt die tiefer stehende Sonne in die langen geraden Straßen scheint und wie schön ich mit Kasia durch die Parks spazieren würde.

Rinder in einem Heidereservat am Strand.

Die Landzunge tritt nur bei Ebbe hervor.


Wer könnte da widerstehen?


Strand und Buhnen von Hayling, von der Landzunge aus gesehen. Links hinten geht es nach Portsmouth.

Isle of Wight
Am kommenden Wochenende will ich weiterhin mit dem Rad auf die Isle of Wight. Seit ich diesen Plan auf meinem ersten Besuch gefasst hatte, sind schon wieder gute zwei Monate vergangen. Letzten Sonntag bin dann bereits einen Tag mit zwei sehr jungen Franzosen (Bekanntschaften vom lokalen Couchsurfing; derzeit ist eine Gruppe Franzosen auf Sprachkurs in der Stadt) dort gewesen, großteils, um einmal in Gesellschaft unterwegs zu sein. Die Kommunikation war schwierig, weil nur eine der beiden schwaches Englisch sprach. Und ich bin selbst durch sämtliche Sprachen getorkelt, da mir auf dem Weg noch eine polnische Kellnerin die Richtung weisen musste. Diesmal war das Wetter grau und gelegentlich nieselte es. Daher fuhren wir mit dem Bus durch die Gegend, insbesondere nach Ventnor am östlichen Ende der Südküste, wo wir ein Stück an den Klippen entlang liefen und den botanischen Garten besuchten. Es gab wieder einige sehr schöne Aussichten, sowie die Erkenntnis, dass die Insel auch sehr bergig sein kann. In den Badeorten war wieder das britische Sommerverhalten zu beobachten, wo also die wenigen Touristen an den schmalen, schmutzigen Stränden direkt vor ihrem Hotel bei jedwedem Wetter Karibik spielen, im nebelfeuchten Sand grillen und im Mantel picknicken.



Bei Ventnor an der Südküste des Isle of Wight.

Eine kleine Bucht unterhalb des botanischen Gartens.

Schaukeln ist weiterhin sehr gut.

Farbtupfer im Grau - der botanische Garten bei Ventnor.


Rückwärts manchmal
So also verbringe ich die Zeit, seit ich wieder alleine wohne. Um ganz ehrlich zu sein, so wie ich mich am Anfang gefreut hatte, endlich jemanden zu haben, der mitkommt, hatte ich mich jetzt eigentlich darauf gefreut, wieder allein zu sein. Die für Monika freigenommene Zeit war eigentlich nicht genutzt worden, weil sie nie was unternimmt. Jetzt kann ich eine lange Liste mit Zielen abarbeiten, und wenn ich dabei allein bin, so mache ich zumindest etwas mit meiner Zeit. Das ist auch wichtig, denn die Arbeit nimmt mehr und mehr Zeit in Anspruch, der die nächste Veröffentlichung langsam näher rückt. Übrigens hat sich rausgestellt, dass zwei meiner Kolleginnen einige Jahre in York gelebt haben. Meine jüngste Kollegin hat ihr Grundstudium dort gemacht und eine andere mit ihrer Familie fünf Jahre praktisch in der Nebenstraße meines späteren Hauses gewohnt. In Bezug auf York wird mir derzeit bewusst, dass ich vor genau einem Jahr ohne größere Trauer oder Rückkehrbedürfnis von dort weggezogen bin. Und ich denke oft an die Woche in Frankreich, das bessere Wetter und Essen, und dann an Rostock, das Zentrum, den Hafen, Warnemünde, die Mecklenburger Alleen und Felder. Die Brombeerzeit hier ist fast vorbei und wird von Holunder ersetzt; dann fällt mir, wie in den Brandenburger Wäldern jetzt die Pilze wachsen müssen und das ich hier auf dem Weg nach Hause gerne einen alten Gärten mit Apfelbäumen hätte. Immerhin habe ich endlich einen Obst- und Gemüseladen gefunden, der täglich übrige Ware so billig abgibt wie jener in York. Morgens auf dem Weg zur Arbeit fülle ich ein oder auch zwei Beutel, das ist gut für die Gesundheit und den Geldbeutel.

Der Kanalweg, von der Mühle in Titchfield zum Vogelreservat am Meer. Einer meiner Lieblingswege, wenn ich nach der Arbeit Zeit habe, und die zweite Strecke, die ich mit Adriana probiert habe. Eichenüberdacht und vor allem still, abgesehen von Vogelstimmen. Hier gibt es nicht viele stille Orte.




Dienstag, 11. September 2012

8-9. September – Große Freiheit Nr. 2

Ich habe eine lange Liste mit Zielen und Plänen. Die Insel Hayling war eins der kleineren, aber das große war seit dem ersten Besuch ein ganzes Wochenende mit Zelt auf der Isle of Wight. Früh rüber, früh schlafen, früh wieder raus. Zwecks Mitfahrern habe ich das auch wochenlang unter Kollegen beworben, besonders dem Ausländerklub. Niemand hat sich gemeldet und am Ende hat auch noch Adriana kurzfristig abgesagt. Nicht nur für die Isle of Wight, sondern allgemein ist sie 'bis auf weiteres nicht verfügbar'. Abgesagt hat auch die Kollegin, die ursprünglich Unterkunft angeboten hatte. Aber ich wollte nicht noch länger warten, nicht nochmal verschieben, denn wer weiß, wie in diesem Land in einer Woche das Wetter ist, gerade mit Herbstbeginn. Noch bin ich weit von der Ruhe entfernt, die ich vor zwei Jahren in York gespürt habe, als ich zum ersten Mal am liebsten den ganzen Tag am gleichen Ort gesessen und gelesen habe. Im Gegenteil ist meine Stimmung ganz überraschend dicht an die Zeit des Abiturs gekommen, voll Frustration mit den Menschen und Selbstmitleid. Zumindest die irische Kollegin, die auch beim Theater war, hat sich für den Sonntag mit Auto angekündigt. Daher sollte der Samstag zünftiges Radeln werden, immer am Meer entlang, und der Sonntag dann der Besuch einiger Kulturobjekte, darunter Haus Osborne (Wohnpalast von Königin Viktoria), die „Nadeln“ (eine Reihe von weißen Kalksteinfelsnadeln an der Südwestspitze) und die römische Villa bei Brading.
Ich hatte große Erwartungen: alles sollte einmal anders werden als unter der Arbeitswoche. Alles, was ich seit Jahren machen will und nie schaffe. Ich freute mich darauf, endlich, endlich früh zu schlafen (spätestens bei Sonnenuntergang), früh aufzuwachen (mit Sonnenaufgang), im Meer zu baden. Am Meer, immer am Meer zu sein. Viel zu lesen, nachmittags bei Bedarf auf dem Feld zu schlafen, Briefe zu schreiben. All die Sachen, die seit Wochen rumliegen und nicht gemacht werden, weil ich zuletzt kaum vor 19 Uhr das Büro verlasse.

Bei Abfahrt am Samstag morgen habe ich gemerkt, dass ich die Freizeit zuviel allein verbringe. Die Stimmung geht rauf, weil was passiert, und im nächsten Moment runter, weil man das Gefühl nicht teilen kann. Ein ständiges auf und ab, das zeigt, dass ich innerlich noch überhaupt nicht zur Ruhe gekommen bin und nicht zu vergleichen mit der Zeit in York, als ich nirgendwohin fahren musste, sondern glücklich war, jeden Tag in der Bibliothek zu lesen. Hier fehlt mir dazu absolut die innere Ruhe, und vermutlich auch das Sozialleben als Gegengewicht.
Aber gefreut habe ich mich auf die Abfahrt wie auf Weihnachten. Wie beim ersten Besuch war auf der Insel gerade ein großes Musikfestival. Schon an den Vortagen hatte ich morgens am Hafen Scharen junger Leute mit Rucksäcken und Zelten gesehen. Unter den Festivalbesuchern habe ich auf der Fähre auch gleich zwei Italienerinnen kennen gelernt und mit ihnen zum guten Anfang einen Kaffee auf der sonnigen Landungsbrücke in Ryde getrunken. Ich musste erstmal wieder auftauen, mit Menschen privat zu reden, nicht arbeitsbezogen.
Der Himmel war strahlend blau und das Wasser glitzerte wieder unter der Sonne. Der Wetterbericht sagte, es sollte bis Sonntag Mittag so bleiben und sich dann bewölken. Trotz allem: nichts hier kann sich mit Stränden, Wasser und Grün der Ostsee vergleichen. In der Tat schweifen meine Gedanken derzeit auf der Arbeit häufige nostalgisch ab.

Der Hafen bei der Abfahrt. Ein neuer Segler liegt am Kai.

Auf der Überfahrt ist blau alles was ich mag.

Nachdem die beiden Italienerinnen Richtung der Inselhauptstadt Newport weg waren, bin ich wie immer nach Osten nach Seaview gefahren und habe eine weitere Pause gegenüber meiner Wohnung und der Insel Hayling gemacht, wo ich letzte Woche gewesen war. Ihre gesamte Seeseite ist ein einziger langer Strand. Dann bin ich kurz in ein Vogelschutzgebiet, davon gibt es hier viele (zum Beispiel jenes am Ende des Kanalwegs von Titchfield zum Meer, und die Insel Hayling ist selbst ein großes Schutzgebiet) und alle sind 'international bedeutend'.


Glückliche Vögel.

Und dann habe ich leider zu viel Zeit und Kraft auf den kleinen Fuß- und Reitwegen verloren, die die Felder und Wälder der Insel so verführerisch durchziehen. Ich wollte die Ostküste meiden, wo ich letztes Wochenende gewesen war, und direkt an die Südküste gelangen. Nur habe ich das ganze Wochenende die Entfernungen unterschätzt. Als ich am zeltbedeckten Festivalhügel vorbeigekommen bin, merkte ich, wie weit die Südküste noch weg ist und fing wieder an, sauer auf mich zu sein, weil wieder ein Ausflug wegen ungeprüfter Ziele mehr Schweiß und Stress mit Gepäck als Entspannung am Strand ist.


An einem sehr engen Feldweg.

Goldene Felder zur Erntezeit.

Auf dem ersten der vielen Hügel.

Portsmouth noch recht nah.

Der Zeltplatz des Festivalgeländes.
So bin ich erst gegen sechs ans Meer gekommen und dann ist alles Steilküste. Kein einfacher Zugang zu Sandstränden wie bei dem Ausflug von Warnemünde nach Heiligendamm im Mai, der hierfür halb Pate gestanden hat. Im Wald hinter den Dünen übernachten wollte ich, morgens aus dem Zelt direkt in Wasser springen wollte ich...unbewusst. Hier gibt es keine Dünen und schon gar keinen Wald. Erst gegen sieben bin ich an einen Strand gekommen und habe in dem Moment gemerkt, dass vor kurzem mein Handtuch vom improvisierten Gepäckträger gefallen sein muss. Strände habe ich auch schon bessere gesehen. Aber zumindest Sand. Und das Schwimmen tut wieder seine Wirkung. Neben dem Müll bemerke ich jetzt auf das ruhige Wasser und den Sonnenuntergang neben den weißen Klippen am Südwestzipfel der Insel, die mir hier zum ersten Mal bewusst werden. Sie sind der Beginn des Nadel-Parks und damit die mein Ziel für den nächsten Morgen. Die Kinder, die ich argwöhnisch in den Augenwinkeln behalten hatte, haben jetzt einen Vater, der mit ihnen ein Lagerfeuer macht. Und ich bin bereit fürs Bett. Wo die Sonne weg war, musste sowieso schnell ein Ort zum Schlafen gefunden, bevor es dunkel und kalt wurde. Das Zelt hatte ich mir geborgt, einen neuen Schlafsack auf der Insel selbst gekauft, und für mehr Komfort hatte ich noch meine Luftmatratze eingesteckt.
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Kein Fahrrad, kein Stress.
Die letzten Sekunden Sonne nach dem ersten und letzten Schwimmen am Samstag.
Entlang der langen Straße, die die gesamte Südküste lang läuft, war ich bis Brightstone gekommen. Dieses kleine Dorf hatte meine Aufmerksam durch eine gut gemacht Broschüre erregt. Eigentlich wollte ich es als letzten Tagespunkt besichtigen und dann in der Nähe übernachten. So blieb erstmal nur die Übernachtung. Halb bewusst hatte ich den Gedanken den ganzen Tag über vermieden. Denn für den Zeltplatz wollte ich nicht zahlen und bei der Suche nach einem Feld (davon sollte es im ländlichen Süden genug geben) merkte ich, dass ich wahnsinnig und unsinnig nervös war. Ständig die Fantasie, dass mich der Bauer findet und wer weiß was macht. Kein schlimmeres Gedanke, als ohne Platz für die Nacht zu sein. Darum bin ich wohl nie verreist, ohne vorher ein Bett gebucht zu haben. Das wirkliche Problem: als ich mich zum Feldfriedensbruch zwischen Mais und einem Eichengebüsch entschlossen hatte, und konspirativ mit abgeblendeter Fahrradlampe im Gras arbeite, stelle ich mich als zu dumm heraus, das Zelt aufzubauen. Nach längeren Versuchen improvisierte ich und benutzte die Plane als Decke. Das war überraschend warm und auch gut so, denn der neue Schlafsack schien auch etwas zu kurz. So unrecht war mir das Freiluftschlafen gar nicht, schließlich war es mir um etwas Kontakt mit den Elementen gegangen, solange die nur trocken und nicht zu kalt sind und ohne Raubtiere, oder Bauern auf Mitternachtspatrouille. Aber der Sternenhimmel! Ohne Wolken, die ganze, lautlose Milchstraße. Komplett mit Sternschnuppen. Wieder einmal dachte ich mir, dass ich sowas schon früher hätte machen sollen.

So wirklich toll habe ich doch nicht geschlafen. Ständig gelauscht, was da gerade wieder durch den Mais raschelt, und den Mond übers Sternenrund wandern gesehen. Mit dem ersten Licht um sechs bin ich aufgestanden, so wie es sein sollte. Schnell die Sachen zusammen gepackt und aus dem Feld. Danke für die wasserdichten Schuhe!

Mein Schlafplatz am Morgen.
Morgens warten aber doch tolle Ansichten. Jetzt hatte ich Zeit für Brightstone, das in der Tat ein wunderschönes kleines Dorf ist. Mit der steigenden Sonne und krähenden Hähnen bin ich den Mühlenbach mit Drachenbaum entlang gefahren, die Kirche, wieder zum Strand. Der Zeltplatz am Zugang die Klippen hinunter hält Tiere, Ziegen und Esel. Als ich um sieben an den Strand gekommen bin, war erst ein Zipfel von der Sonne erfasst, die gerade über die Klippen stieg. Als ich wieder aus dem Wasser kam, war der ganze Strand hell, und in der Ferne strahlten wieder die weißen Felsen. Ich bin in die Morgenmesse in der Dorfkirche gegangen, wo mir dann ein weiteres Dorf empfohlen wurde, Shorwell zwei Meilen östlich. Das war ein wunderbar grüner Ort, zur Abwechslung richtig im Wald, an einem Bachtal, die alten Häuser aus Kalkstein und mit Reeddach Die alte normannische Kirche mit schweren, dunklen Dachbalken aus Eiche. Alle Kirchen hier sind offen und alle haben einen Büchertisch.

Die Kirche von Brighstone wird von den ersten Sonnenstrahlen berührt.

Der Kirchfriedhof.

Zum morgendlichen Schwimmen am Meer.


Der gleiche Strand am Morgen. Die Klippen gehören zu den Nadeln.
Die Westen der Insel ist in der Tat der ländlichste und am Sonntag sind noch weniger Menschen unterwegs. Hier ist das Fahrrad in seinem Element, man kommt in Minuten von Dorf zu Dorf, in jedem eine alte Kirche, auf einem Kirchplatz mit Eichen. Viel Grün, alte Reedhäuser mit gepflegten Vorgärten (Geld ist wie gesagt offensichtlich vorhanden) und dahinter das Meer. Zwischen den Orten abgeerntete Felder, dazwischen Hecken, und dahinter wieder das Meer. Wie auf dem Darß. Noch ein Stück weiter westlich bin ich durch richtige Alleen gefahren. In Mottistone, gleich ein Dorf nach Brighstone, fand ich ein altes Herrenhaus, dass vom National Trust verwaltet wird. Das Haus selbst wird bewohnt, aber der Garten ist zugänglich und an diesen noch sonnigen Vormittagsstunden ein Paradies. Seit mindestens dem 12. Jahrhundert liegt das Anwesen dort auf einem Hügel mit dem besten Blick auf das Meer.


Der Gärten des Herrenhauses Mottistone nahe Brightstone, mit örtlicher Kirche dahinter.

Haus Mottistone, in bester Lage seit mindestens 900 Jahren.

Der Hausgarten.
Den Samstag und Sonntag morgen hatte es kein Zeichen von Sarah gegeben, und nach den letzten Erfahrungen plante ich lieber für den Fall, dass auch sie nicht kommt. Darum bin ich gleich Richtung Nadeln gefahren und nicht zum weiten Fährhafen im Nordne, wo sie ankommen würde. Erst gegen elf rief sie an, und erst gegen Mittag hatte sie die erste Fähre verpasst, und das ohne Auto, weil zu teuer. Ich hatte inzwischen aber selbst gesehen, dass ich auf die Nadeln besser verzichte. Das ist nämlich ein ganzer Naturpark und sehr hügelig. Und von Bergen hatte ich die Nase voll: davon gibt es auf der Isle of Wight überraschend viele. Ich musste mich die Küstenserpentinen bis kurz vor den Naturpark kämpfen, dessen weiße Klippen langsam von weißem Nebel umhüllt wurden, als es sich wie angekündigt bewölkte, aber dann brauchte ich eine Pause wegen Erschöpfung. Der neue Plan war, direkt zum Schloss zu fahren und zumindest das zu sehen. Wieder unterschätze ich aber die Entfernung von der Westspitze bei Yarmouth bis zum Hauptort Newport. Gute zwei Stunden kämpfte ich mich die Straße entlang und war erst kurz vor vier am Tor. Das ließ zwei viel zu kurze Stunden für die Besichtigung von Haus und Park, einschließlich Strand und der Schweizer Hütte. Haus Osborne war der Privatsitz von Königin Viktoria und ihrem Albert, ganz primär als unzeremonieller Ort zum Aufwachsen ihrer Kinder. Ich zog eine Bank vor der Pferdekoppel vor langem Laufen vor. Bei einsetzendem Herbstwetter in einem gut gepflegten Landschaftspark etwas durchaus angenehmes. Sarah und ich trafen uns erst kurz vor Torschluss, da sie bereits ganz woanders auf dem weiten Gelände war. So blieb von einem Tag gemeinsam etwa eine Stunde.
Dann mussten wir zurück zu unseren jeweiligen Fähren, meine noch etwa eine weitere Stunde weg in Ryde. Nichtsdestoweniger sind die Straßen auf der Insel so grün und gesäumt von Bäumen, Feldern, alten Herrenhäusern und Höfen, dass ich singe soweit der Atem reicht. Eine letzte Station lag noch auf dem Weg, die Abtei Quarr, ein bewohntes Benediktinerkloster. Ich kam lange nach Torschluss, aber das Gelände mit Schweinegehege, Garten und Apfelplantage waren noch offen. Ich kam auch zu spät für eine der lateinischen Messen, aber die Klosterkirche war wenigstens nicht verschlossen. Sie ist modern und kahl, aber man konnte noch den Weihrauch riechen und ganz am Ende des völlig dunklen Schiffs fällt Licht durch die vier Lanzettfenster.


Pause.

Die Sandstrände der Südküste.

Näher bin ich den Nadeln nicht gekommen.

Haus Osborne.

Die Abteikirche von Quarr. 

Die Brombeerend sind fast vorbei, der Holunder kommt, und ich erinnere mich ans Apfelpflücken vor einem Jahr.

Klosterschweine.
So habe ich am ersten Tag wenig vom geplanten Meer gesehen, und am zweiten praktisch nichts von den geplanten Anwesen. Darum stand auch schon am Samstag fest, dass ich das Wochenende am besten gleich nochmal wiederhole. Diesmal habe ich schnell eine Übernachtung bei einer Französin vereinbart, über das Netzwerk, das sonst mir Gäste ins Haus gebracht hat. Etwas nützliches habe ich noch gelernt: in einer Reflektorweste, wie ich sie fürs Radfahren habe, wird man oft für einen Mitarbeiter der Institution gehalten, in der man sich gerade befindet. Stellt man sich an der Fähre direkt neben die Kasse, halten alle Leute Abstand, und keiner versucht, sich vor mich zu stellen. Und in der Schlange stieß ich auch genau auf die beiden Italienerinnen von der Hinfahrt.

Gelesen habe ich nichts, nichts geschrieben, nicht mehr geschlafen als sonst. Zurückgekommen bin ich absolut erschöpft, meine Beine brauchten erstmal einen Tag Pause. Aber zum ersten Mal seit langem habe ich das Gefühl, dass ich mit meiner Zeit etwas gemacht habe. Nach dem Wochenende hätte ich kein Problem, ein Wochenende in der Bibliothek zu verbringen. Aber noch gibt es zu viele zu sehen, gerade jetzt, wo der Winter spürbar näher rückt.