Dienstag, 26. Dezember 2017

Von Greenwich bis Zylinder

Im Winter 2004 habe ich bei Pauls Eltern das erste Mal englische Weihnachten erlebt. Ich hätte nie gedacht, dass ich 13 Jahre später mein eigenes hier organisieren werde. Ellie und ich sind beide sehr zufrieden, wie gut es gelungen ist. Alles hat zusammen gepasst und es war sehr entspannt.

Heiligabend
Grob gesagt haben wir den 24. Dezember nach deutscher und den 25. nach englischer Art gefeiert. Das sind in der jeweiligen Kultur die wichtigen Tage. Bis zum Nachmittag des 24. Dezember haben wir vor allem gekocht. Dann sind wir am Meer spazieren gegangen bis es dunkel war. Dabei haben wir ein Weihnachtssingen auf der Seebrücke besucht, aber das hat uns nicht gefallen. Dann gab es Kaffee und Stollen, dann Bescherung. Leider konnten wir Buddha nicht überreden in seinem Zimmer zu warten bis ein Glöckchen klingt. Dann haben wir im Nebenzimmer das Abendbrot aufgebaut und den Rest des Abends auf dem Sofa verdaut. Buddha war auch sehr zufrieden, er hat eine große Dose Leckerlies bekommen und sich in Muttis Handtuch verliebt.

Meine Lieblingsgeschenke: ein Herrnhuter Stern, ein Zylinder und ein Ausflug zur Sternwarte in Greenwich - die von der die Längengrade ausgehen. Tagsüber gucken wir uns die normalen Ausstellungen an und abends können wir das größte Telelskop benutzen und Astronomen mit Amateurfragen nerven.


Weihnachtstag

Am Weihnachtsmorgen war die zweite Bescherung. Ich fand einen gefüllten englischen Weihnachtensstrumpf am Bett hängen. Ich hatte noch ein paar Geschenke für Ellie aufgehoben und später packte sie die Geschenke ihrer Familie aus, die wir unter dem Weihnachtsbaum gelassen hatten. Dazu schaltete sie ihre Familie per Videoanruf zu - das hat mir sehr gefallen: wir haben das Bild auf den Fernsehschirm gelegt und saßen so fast im gleichen Zimmer. Dann packten sie jeweils gleichzeitig ein Geschenk aus.


Gutes Essen mit schlechten Witzen
Den Großteils des Morgens verbrachten wir aber mit der Zubereitung des traditionellen englischen Weihnachtsessens. Das ist Truthahn, Rosenkohl, Möhren, Esskastanien, Steckrüben und Kartoffeln, alles im Ofen zubereitet. Anders als in Deutschland unterscheidet sich das Essen in England nicht viel zwischen Familien. Dazu gibt es noch den Yorkshire Pudding, eine hohle Bierteigform; früher wohl eine gefüllte Pastete, heute bleibt davon nur die Hülle, weil sie einfach lecker ist. Schließlich sind da noch die Knallbonbons, traditionell gefüllt mit einer bunten Papierkrone, einem nutzlosen Spielzeug und einem schlechten Weihnachtswitz. An sich gehört natürlich noch eine Menge Alkohol dazu, aber irgendwie hat das bei uns zwein nicht so geklappt. Nachmittags habe ich noch darauf bestanden, die Rede der Königin zu sehen. Die haben wir 2004 nämlich auch gesehen. Interessant: die königliche Familie feiert am Heiligabend! Ist schließlich deutscher Adel. Bereits der Weihnachtsbaum wurde von Prinz Albert eingeführt.


Ellie hat mir soviel von Wein vor 10 Uhr erzählt und am Ende haben wir ihn kaum angerührt!

Unser neuer Herrnhuter Stern

Mein neuer Zylinder
Mein neuer Hubschrauber. Und Meerschweinchen. Und der Baum. Mit Buddha.

Mein Weihnachtsstrumpf, gefunden am Weihnachtstag.

Samstag, 23. Dezember 2017

Unser erstes Weihnachten

Tradition gegen Tradition
Seit wir uns kennen, haben Ellie und ich uns über Weihnachten unterhalten; welche Traditionen wir haben und wie wir es zusammen gestalten würden. Das war ganz praktisch, schließlich ist die genaue Begehung von Weihnachten für viele eine Glaubensfrage, an der viele Paare scheitern. Für uns schien es immer ganz einfach - Deutsche machen Advent und Heiligabend, Briten kümmern sich eigentlich nur um den 25. Dezember. Und überhaupt wird ja jeder irgendwann einsehen, dass deutsche Weihnachten am besten sind.

Oh, Tannenbaum!
Jetzt also machen wir zum ersten Mal gemeinsam Weihnachten und legen vermutlich den Grundstein für eine ganz neue Tradition. Erstmal haben wir uns gestritten. Wann wird der Baum aufgestellt? In England nämlich Anfang Dezember. Ich dachte wir hätten uns auf eine Woche vor Weihnachten geeinigt, Ellie dachte zwei. Ich habe zwar nachgegeben, weil ich zugegeben musste, dass die Mitte unserer Traditionen zwei Wochen vor Weihnachten liegt. Aber wie schwierig das ist, wenn es die Kindheitserinnerungen berührt! Ich war ordentlich sauer - wie soll denn da das Geheimnisvolle des Heiligabends enstehen?!
Zwei Wochen mit Baum später gebe ich zu, es bringt schon Stimmung ins Haus. Spart vermutlich auch Stress kurz vor Heiligabend. Und wir sind noch zivilisiert. Viele Bäume sind Plastik, stehen Mitte November und sehen aus wie Neonreklame - abends blinkt es aus den Wohnzimmer wie eine Ampel. Und überhaupt, der Glitzerkram. Mein Büro wurde wie jedes Jahr damit dekoriert und mir ist erst jetzt aufgefallen, dass diese speziellen Girlanden bei uns typischerweise zum Fasching hängen. Den es hier drüben ja nicht gibt. Ach ja, und die Häuser sind natürlich von oben bis unten mit Lichtfiguren verhängt. Als ich solche Häuser eines Abends einmal zu oft verurteilte, wies mich Ellie freundlich aber bestimmt darauf hin, dass erleuchtete Häuser für sie Weihnachtserfahrung sind wie für mich Backen und Oratorium. Vermutlich hat sie recht.

Unser Baum ist echt. Die 240 Lichter sind wegen Katzengefahr zwar elektrisch, aber zugegebenermaßen sind kleine LEDs eigentlich ok. Und dekoriert haben wir human, dank zweier guter Weihnachtsmärkte, dem in Winchester und einem Überraschungsfund hier vor Ort.

Ich bin diesen Advent eigentlich kaum zu Vorbereitungen gekommen und habe sehr wenig gebacken. Aber wenigstens habe ich einen Adventskranz und etwas Tannengrün gefunden. Buddha interessiert sich praktischerweise kulinarisch gar nicht für Nadeln. Seit Anfang Advent haben wir fünf Kalender und seit seinem Ende Drei Haselnüsse für Aschenbrödel auf DVD!
Nun ist der 23. Dezember und wir vertragen uns gut. Ich habe traditionellen Kartoffel- und Obstsalat, Ellie den traditionellen Alkohol und übermorgen machen wir die Truthahnbrust.

Zwischendurch hatte Ellie am 16. Dezember noch Geburtstag. Ich habe sie nach London genommen und bis zum Schluss nicht verraten, dass ich sie zum Musical Aladdin einlade.

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Kurzer Prozess

So ganz groß wurde die Pause dann doch nicht: nach vier Tagen war der Geschworenendienst schon wieder zu Ende. Ich bekam einen Fall und nach dessen Ende brauchte man bereits viel weniger Leute. Aber es war eine tolle Erfahrung und ist Einzelheiten wert. Also.

Grundsätzlich werden eine Menge Leute zum Dienst gerufen, die dann Montag auftauchen und auf einen Fall warten. Man bekommt also nicht von vornherein einen zugewiesen, sondern sitzt in einem großen Warteraum (in dem jeden Tag Talkshows laufen), ob sie einen brauchen. Denn es werden nicht alle Fälle von Geschworenen entschieden, sondern nur schwerere. Wenn ein Richter entscheidet, dass man eine Jury braucht, lost man 14 Namen aus. Die kommen dann in den Gerichtssaal, wo 12 eingeschworen werden. Die übrigen 2 sind Ersatz, sollte jemand nicht antreten können, z.B. weil er jemandem in dem Fall kennt.
Es kommen also ab und zu Leute in den Wartesaal und rufen Namen auf. Am ersten Tag habe ich nichts bekommen und konnte am frühen Nachmittag nach Hause gehen. Am Dienstag dann bekam ich einen Fall, dessen Details ich nicht verraten darf. Zwei Tage lang haben Anklage und Verteidigung uns Zeugen und Beweise vorgeführt. Am Donnerstag dann haben wir uns in einem Zimmer beraten, mit Bewachung vor der Tür und wenn jemand aufs Klo ging durften wir nicht diskutieren. Mittag wurde in den Raum geliefert, denn wir durften nicht raus, bevor wir nicht entschieden hatten, und zwar einstimmig. Dementsprechend hat das fünf Stunden gedauert, aber ich denke, wir haben richtig geurteilt. Die Entscheidung ist allein schuldig oder nicht zu jedem Anklagepunkt. Die Strafe legt natürlich der Richter fest und zwar nicht am Tag unserer Entscheidung. Nach unserem Bericht war unser Anteil am Prozess vorbei. Drei von uns haben sie für weiteren Dienst behalten, der Rest wurde entlassen. Andere, die keinen Fall bekommen hatten, waren bereits Mittwoch Mittag entlassen worden.

Gelernt habe ich

  • Richter und Anwälte tragen wirklich Perücken
  • Die Anwälte sprechen sich als “Mein gelehrte Freund" an und können einem wirklich ein X für ein U vormachen.
  • Richter haben wirklich eine harte Arbeit. Ich habe gestaunt, wie er die Anwaelte unter Kontrolle behielt und uns nach drei Tagen eine wirklich gute Zusammenfassung mitgegeben hat. Er hat zu jedem Anklagepunkt klargemacht, welche Fragen wir uns stellen muessen, um zu entscheiden. Das hat wirklich geholfen sich nicht voellig zu verheddern. Respekt.
  • die Rechtssprache ist so archaisch dass sie selbst für Muttersprachler erklärt werden muss
  • Häusliche Gewalt ist wirklich schwer zu beweisen






Das Geschworenensystem ist für Deutsche natürlich merkwürdig. Ich weiß nicht, wass ich davon halten soll. Einerseits muss ich ehrlich sagen, dass die eigene Erfahrung mein Vertrauen in das Rechtssystem in der Tat stärkt, weil wir wirklich mit uns gekämpft haben, objektiv zu entscheiden. Als Bürger fühle ich mich mit dem System verbunden und glaube tatsächlich, dass es zu unserem Besten ausgerichtet ist. Andererseits habe ich gesehen, dass doch viel von der spezifischen Dynamik innerhalb der Jury abhängt. Wer spricht gerne, wer verschafft sich Gehör? Das funktioniert nur mit einem guten Vorsitzenden, der darauf achtet, dass auch die stilleren Leute reden können. Und man muss rigoros Spekulation und persönliche Erfahrung abhalten.

Ab Freitag bin ich also wieder zurück auf Arbeit. Wäre lieber im Dienst geblieben. Meine Arbeitszeiten waren nämlich 10 Uhr bis spätestens 16.30 und häufig weniger. Ich konnte also morgens ausschlafen und gemütlich frühstücken und war abends früh zurück, weil ich mir täglich zwei Stunden Pendeln sparen konnte. Geschafft habe ich trotzdem nicht wirklich viel. Eigentlich bin ich nur dazu gekommen, endlich unsere Glühbirnen im Haus zu modernisieren - solchen Mist muss man als Hausbesitzer machen. Nur einmal konnte ich mit Ellie Mittag essen, obwohl sie sehr nah am Gericht arbeitet. Aber am letzten Tag konnte ich ihr Blumen ins Büro bringen - zum ersten Mal seit Jahren. Zu Hause geht das nicht, weil Buddha sie sofort auffrisst.

Samstag, 9. Dezember 2017

Große Pause

Bühnen der Welt
In der Tat kam Ellie zu meinem ersten Vortrag an der Uni Portsmouth, die insgesamt ein großer Erfolg waren und wahrscheinlich zu einer Wiederholung in der Zukunft führen werden. Auch am Ende der Woche saß Ellie in meinem Publikum, diesmal beim Chorkonzert, da sie in diesem Semester nicht selbst mitsingen konnte. Mit Brittens Leben des Heiligen Nikolaus gefällt mir zum ersten Mal ein britischer Komponist. Das Stück wurde 1945 zum Jubiläum einer teuren Privatschule gar nicht weit von hier bei Brighton geschrieben. Britten wollte Musik für alle machen und dieses Stück beinhaltete zwei bekannte Kirchenlieder, die traditionell vom Publikum mitgesungen werden. Hat tatsächlich funktioniert. In der Tat habe ich auch etwas über das Leben von Nikolaus und seine heutige Rolle in der orthodoxen Kirche gelernt. Ein paar Tage später hat er auch Ellie wieder was im Stiefel hinterlassen.
Zwei Tage später sangen Ellie und ich wieder zusammen auf der Bühne, beim akademischen Adventsgottesdienst. Und dann wurde ich gebeten, bei einem kleinen Tangoauftritt zu vertreten, also stand ich auch da vor Publikum.
Apropos Publikum und Auftritte - mein Vortrag in Southampton vor einem Monat ist jetzt als Video verfügbar!
Alle Vorträge
Mein Vortrag
Fotos!

Ist denn schon Weihnachten?!
Abgesehen von der Adventsmusik fällt es dieses Jahr aber schwer, es weihnachtlich zu gestalten. Ich habe einfach zuviel zu tun, und dann haben Ellie und ich doch verschiedene Vorstellungen, wie das zu gestalten ist. Insbesondere wann der Weihnachtsbaum aufzustellen ist war eine heikle Frage. Hier drüben passiert das Anfang Dezember, oft schon Mitte November - fürs erste haben wir uns auf Mitte Advent verständigt. Für mich ist damit die Überraschung des Heiligabend kaputt, für Ellie ist es schlimm genug solange warten zu müssen, weil, wie ich gelernt habe, es außer dem Baum eigentlich kaum Dekoration gibt. Überhaupt Dekoration - schwer, etwas geschmackvolles zu bekommen, gerade wenn man ohnehin keine Zeit hat. Sogar auf dem Weihnachtsmarkt nach Chichester haben wir nichts gefunden. Dafür erkannte mich eine kassierende Studentin und sagte mir die Vorlesung war gut aber Statistik mag sie trotzdem nicht. Nun versuchen wir es nochmal auf dem Weihnachtsmarkt in Winchester, der uns letztes Jahr gefallen hat.

Große Pause
Nun wird vielleicht alles besser, denn ich gehe bis 18. Januar praktisch nicht arbeiten. Montag geht der Geschworenendienst los, dann ist Weihnachten und am 4. Januar fliege ich nach Deutschland. Beim Gericht arbeite ich 9:30 bis 16:30 und habe keine Anfahrt, also kann ich ausschlafen und habe hoffentlich viel mehr Muße. Als letztes ging auf der Arbeit mein Spezialprojekt zu Ende, zu dem ich die letzten zwei Monate abgestellt worden war. Das war ja alles ganz aufregend gewesen, weil wir mit einer Firma in London moderne Datenverarbeitung ("Datenwissenschaft") anwenden sollten. Konkret haben wir parlamentarische Anfragen nach Thematik analysiert, z.B. wann ist welches Thema wichtig, oder für welchen Abgeordneten, oder in welcher Region. Gute Idee, wie immer mittelmäßig ausgeführt. Von den Profis aus London habe ich wenigstens eine Menge gelernt.
Und das kann ich jetzt hoffentlich sogar vertiefen, denn ich habe frei und kann lernen! Dazu habe ich mir optimischerweise einige Lehrtexte mit nach Hause genommen und programmieren will ich auch. 

Kultur
Privat lese ich gerade zwei kurze Bücher, aus einer sehr geschätzten Reihe von Kurzeinführungen, eins über das Alte Testament, das andere über Evolution. Mit meiner Gesangslehrerin habe ich die Arie "Großer Herr" des Weihnachtsoratoriums wieder rausgeholt und "Erleuchte auch meine finstren Sinne" angefangen.

Direkt auf mein Handy!
Zuletzt: ich habe einen neuen Telefonanbieter. Ich bin ab jetzt nur auf meiner englischen Nummer erreichbar, nicht mehr der Berliner. Ich kann weiterhin gratis nach Deutschland anrufen - aber ihr nicht mehr billig mich. Dafür habe ich Ellies altes Smartphone reaktiviert und bin jetzt auf Whatsapp.

Nach dem letzten Tangoauftritt.


Nach meinem Vortrag in Southampton