Der Januar war ein
Monat ruhiger Wochenenden und trotzdem kritischen Schlafmangels.
Trotz guter Vorsätze habe ich schnell wieder angefangen, zu spät zu
schlafen. Höhepunkt war ein Tag Schnee, für den sofort die
Katastrophenpläne aus den Schubladen geholt wurden. Kein Wunder,
einheimische Kollege sagen sie sähen zum dritten oder vierten Mal im
Leben Schnee in diesen Breiten. Also wurde schon am Vortag dieses
einzigen Schneetags geplant und überlegt, ob das Büro nicht am
besten gleich geschlossen wird. Das wurden dann zwar nur andere (der
öffentliche Dienst arbeitet, die privaten nicht!), aber mein Team
war auch das einzig vollständige auf der sonst außergewöhnlich
stillen Etage, da viele Kollegen lieber zu Hause blieben. Schließlich
sind die Straßen so eine Sache, wenn Winterreifen weder Pflicht noch
leicht erhältlich sind. Dementsprechend habe ich reihenweise
durchdrehende Reifen schon an kleinen Steigungen gesehen, und
dutzendweise wurden Autos auch einfach am Straßenrand verlassen. Ein
Kollege hat so wohl einmal sechzehn Stunden im Wagen verbracht. Am
30. Januar veröffentlichen wir den nächsten Satz Daten aus der
Volkszählung. Diesmal sind die Arbeiten dazu aber erstaunlich
pünktlich verlaufen und die Chefs haben weniger Stress als früher.
Mitte Februar geht meine direkte Vorgesetzte für ein halbes Jahr in
ein anderes Projekt, Ersatz kommt wurde aber noch nicht verraten.
Am zweiten
Januarsonntag war ich zum ersten Mal bei der russisch orthodoxen
Gemeinde, die sich ca. alle zwei Wochen zu mir bis dahin nie
passenden Terminen trifft. Zu meiner Überraschung besteht die kleine
Gruppe überwiegend aus Briten. Einen sehr guten kleinen Chor haben
sie auch für ihre Gesänge, die für mich der Hauptanziehungsgrund
sind. Ich habe danach brav beim Abbauen geholfen und wurde zum
Gemeindeessen eingeladen. Dabei habe ich eine der vielen lokalen
Bulgarinnen kennen gelernt, die gerne singt und an der Uni arbeitet.
Darum habe ich sie zum Unichor eingeladen. Die ist am folgenden
Mittwoch auch tatsächlich erschienen und hat sogar gleich eine
Freundin mitgebracht, aber besonders begeistert sahen sie dann nicht
aus und sind auch nicht wieder gekommen. Überhaupt hat der Chor über
Weihnachten ein seiner Drittel Mitglieder verloren. Das ist zum neuen
Jahr wohl normal, für mich aber trotzdem wieder ein Zeichen, wie
wenig die meisten Menschen machen.
Ein erfolgreicherer
Kontakt ist allein mein französischer Bekannter Mathieu, mit dem ich
wieder beim Filmverein zu Dark Horse und danach trinken war. Im Pub
haben wir eine Gruppe Leute kennen gelernt, die mehrmals die Woche
unter Anleitung von Armeeangehörigen auf der großen Wiese am Meer
Sport treiben, was ich mir vormerkte. Einige Tage darauf bin ich noch
einmal allein in den polnischen Film In Darkness von Agnieszka
Holland gegangen. Der behandelt eine Gruppe Juden in der Kanalisation
von Lemberg und ist mir aufgrund der vertrauten Sprache und Umgebung
mehr an die Nieren gegangen, als ähnliche Filme früher.
Samstag morgen habe ich
mich tatsächlich der Sportgruppe angeschlossen, die nicht weit von
meinem Haus auf der großen Wiese am Wasser trainieren. Nach zehn
Minuten hab ich gejapst und habe nach weiteren zehn schamvoll
aufgageben. Trotzdem ist das eine gute Art, das Wochenende zu
beginnen. Das war gerade an diesem wunderschönen Sonnenmorgen zu
merken, der nach dem Herbst und Winter eine erste Ahnung brachte, was
in einer Seestadt der Sommer bringen könnte. Morgens als es noch
still war, klarer blauer Himmel, glitzerndes Wasser, Möwenkreischen,
Schiffe. Keine zehn Minuten weiter habe mir zum ersten Mal vom Markt
am Fischereihafen eine frische Makrele zum Mittag geholt. Auf dem
Rückweg sah ich, dass dieser Morgen die Leute aus den Häusern
geholt hatte, und sie zum ersten Mal durch die Einkaufsstraße von
Southsea flanierten und durchaus schon draußen vor den Cafés saßen.
(Am folgenden Montag gab es einen richtig ordentlichen Sturm, mit
handfester Brandung, die schönen Tanggeruch in die Nase trieb, und
das weckt in mir das gleiche Glück, am Meer zu leben, wie ein
Sonnentag.) Zum Makrelenmachen ist der nicht weit wohnende Mathieu
gekommen, der mich auf den Fischmarkt erst aufmerksam gemacht hatte.
Selbstredend will ich jetzt richtig Fischmachen lernen, jedes in
Portsmouth verbrachte Wochenende damit beginnen. Das trifft sich gut,
da ich auf der Suche nach neuen Rezepten war. Ente habe ich wie
geplant erfolgreich probiert und auch die letzten Probleme des
Brotbackens gelöst. Einmal habe ich auch Banizza allein probiert,
was ich das letzte Mal noch zusammen mit Monika im Herbst gemacht
hatte. Irgendwas hat gefehlt.
Letztes Abendmahl
Abends schließlich bin
ich nach Southampton gefahren, zur Abschiedsfeier einer sehr netten
italienischen Kollegin. Das war im kleinen Kreise des informellen
internationalen Mittagstischs im Büro, wo sich diverse Immigranten
zusammenfinden, weil man sich irgendwie näher ist als den
Einheimischen. Dementsprechend war das ein Gelegenheit, einige der
wenigen persönlichen Kontakte potenziell auszubauen. Den positiven
Einfluss dessen habe ich gut wahrgenommen, auch wenn der Weggang der
ob ihres unzerstörbaren Lächelns allseits beliebten Silvia ein
dementsprechender Verlust ist.
Beim Abschiedsessen für die selig lächelnde Silvia in der Mitte. Man beachte meine Fliege und weiße Blume in der Jackettasche, zu Recht strahlt und funkelt es um mich. |
Am nächsten Morgen
haben die Muskeln erst richtig weh getan. Praktischerweise konnte ich
ihnen etwas Auslauf geben, denn ich habe mich Mathieu Richtung
Winchester angeschlossen, der zwei frisch immigrierte Freunde aus
Southampton mitnahm, ein spanisch-französisches Pärchen. In
Winchester war ich im Juli gewesen, aber diesmal schien es um einiges
belebter zu sein. Das lag neben der Gesellschaft auch am
hervorragenden Wetter, das im Januar die Außenplätze der Cafés
füllte, auch mit uns. Nächstes Wochenende wollen wir gleich weiter
fahren, zu einer bekannten Felsformation nahe Brighton.
Die Wochenenden vor Ort
haben auch Zeit zum Lesen und Üben erlaubt. Das Buch Die Kunst kein
Egoist zu sein, das ich zu Weihnachten bekommen hatte, habe ich fast
geschafft. Lange wird es aber nicht mehr so ruhig bleiben. Mitte
Februar gehe ich in Birmingham mit Kalina auf einen Maskenball. Am ersten Märzwochenende werde ich endlich wieder mit wunderbare, wunderschöne Ania wieder, die Zierde Rostocks, und anschließend meine wunderbare, wunderschöne Kasia, die Zierde meiner Lodzer Zeit, die ja seit kurzem leider Zierde die von Celle geworden ist. Später im
März besucht mich Papa, Ostern will ich selbst wegfahren, vermutlich
Richtung York. Und dann ist Frühling und mich wird vermutlich wenig
zu Hause halten.
Oben mit und oben
ohne
Zum Schluss ein kleiner
Eindruck vom Ergebnis eines gemeinsamen Neujahrsvorsatzes mit
Friedemann, sowie vom Beginn meiner privaten Hutsammlung.
Während Friedemanns Besuch im November hatten wir festgelegt: zu Neujahr Haare ab. Im Gegensatz zu ihm fehlt mir aber die Zeit, auch den Rest abzurasieren. |