Samstag, 14. Dezember 2013

Advent muss sein

Am 30. November haben wir Mozart & Salieri in der katholischen Kathedrale gesungen. Unerwartet waren dazu sogar junge Kollegen erschienen. Ich hatte noch nie ein Stück so gut vorbereitet und habe dementsprechend in der Generalprobe durch einen Lesefehler voll Selbstvertrauen in eine Pause reingeschmettert. Im Konzert passierte das zum Glück nicht, aber ich war so nervös, dass ich mich nie mehr ganz lösen konnte. Dazu hatte ich mir in der Probe die Stimme angeknackst und konnte die hohen Töne nicht mehr erreichen, auf die ich so stolz gewesen war. Außerdem stand ich zwischen zwei Profis und ganz in der letzten Reihe der Bässe, sodass es für meine Ohren schien, als würden nur wir singen und alle Details hörbar sein. Schade, dass diese Stücke jetzt vorbei sind, die letzten Wochen waren wunderbar, als ich durch Übung richtige Beherrschung fand. In einem wunderbaren Moment habe ich auf einer Probe so einmal die Augen geschlossen und zum ersten Mal bewusst den Chor als Ganzes gehört, nicht nur die Bässe, und wie meine eigene Stimme zu dem ganzen Wunderschönen beiträgt.
Beim ersten Weihnachtssingen haben ich im Vergleich zu Vorjahr zum ersten Mal festgestellt, dass meine Stimme ohne Zweifel Fortschritte macht. Jetzt habe ich erfahren, dass ich als Mitglied der Musikgesellschaft die Proberäume der Musikfakultät nutzen kann. Endlich habe ich damit die nötige Umgebung und sitze seitdem  mehrmals die Woche eine Stunde oder mehr in einem kleinen Raum und hole richtig was raus aus dem Geld für die Gesangsstunden. Natürlich habe ich es gleich übertrieben und meine Stimme in hohen Lagen wohl etwas überdehnt. Dafür klimpere ich dazu wie von selbst auf dem Klavier rum, als wäre ich früher nie zu faul zum Üben gewesen.
Diese Umstände bringen mich jetzt zum ersten Mal dazu, meine Privatzeit auf weniger Aktivitäten zu konzentrieren. Ich bin aus dem Tanzkurs am Donnerstag praktisch ausgestiegen und fahre wann immer möglich nach der Arbeit singen und dann in die Bibliothek nebenan. Da versuche ich dann, etwas über Logik zu lernen. Denn die Arbeit hat mir gezeigt, dass mein Denken nicht sehr logisch ist.
Erwähntes Weihnachtssingen fand am Tag nach dem Konzert auf dem Weihnachtsmarkt auf der historischen Werft statt, zu dem ich mich wieder gemeldet hatte. Im Gegensatz zum Vorjahr wäre ich diesmal aber lieber ausgestiegen, weil es mir physisch und zeitlich zuviel wurde. Außerdem musste ich in meiner Rolle als Apotheker diesmal Menschen ansprechen und ohne die geringste Vorbereitung hatte ich davor etwas Angst. Natürlich war ich zu gut um ein paar Tage vorher einfach abzusagen. Am Ende habe ich mich ganz gut eingewöhnt und mit meiner Stimme gerne meine Reklame vom ersten Stock meines Apothekenkulisse gerufen. Aber so ganz wohl war mir nie, auch waren nicht alle Besucher dankbar und mir taten die Waden nach diesem Wochenende noch drei Tage später weh, sodass dieses Mal war wohl das letzte war.

Weihnachten ist mir wichtig. Daher zwinge ich es meiner Umgebung auf wo nur möglich. Anfang Dezember wurde im Büro überfallartig die Weihnachtsdekoration rausgeholt, billiger Plasteglitzer wie sonst alles in England. Dazu die Weihnachtsfeiern. Mit den Kollegen, nach der Arbeit, von der Stange organisiert in Pubs, dementsprechend teuer. Ellie bestätigt, dass die praktisch Pflicht sind. Kollegen erzählen stolz, wie stockbetrunken sie auf diversen Dienstreisen und auch Weihnachtsfeiern waren. Ich verweigere mich strikt. Nur um ein kurzes Weihnachtsessen mit dem Team auf der Arbeit bin ich nicht herumgekommen. Ich mache keinen Hehl aus meinem Urteil über englische Weihnachten. Nur das Ritual in meinem Team, dass jeden Morgen ein anderer das Türchen am Adventskalender öffnet und ein Stück der Weihnachtsgeschichte liest, gefällt mir. Auf meinem Schreibtisch steht mein wunderschöner deutscher Bilderkalender, ohne Schokolade. Sowas ist hier drüben wohl nicht so einfach zu kriegen. Meiner ist so schön, dass ich die Türchen gar nicht öffne. Jedes Jahr bereue ich das, weil das heile Bild viel schöner ist.
Weihnachten sollte private sein. Hier höre ich immer nur, wie stressig das sei, mit der Familie eingesperrt zu sein. In der Tat macht man sich einen wahnsinnigen Druck, als auch Kosten, unglaubliche Mengen Geschenke zu kaufen (Ellies Mutter fragte bereits an, ob sie eins für mich kaufen muss). Kein Wunder also, dass sie sich dann alle betrinken und Fernsehen gucken ('Stirb langsam' gilt als traditioneller Festtagsstreifen). Advent gibt es übrigens nicht, nur den Weihnachtstag selbst (am 25.12.). Keine Vorfreude, keine Spannung.  Ich dagegen schaffe es endlich, bewusst langsamer zu leben, den Advent mitzubekommen, anstatt wieder erst kurz vor Weihnachten aufzuwachen.

Richtig wird Weihnachten also nur in Deutschland gemacht. Und diese kulturelle Überlegenheit gilt es natürlich auch ungefragt kundzutun. Darum hatten Theresa und ich schon im November einen Adventsabend vereinbart. Denn das kann ich sagen, Weihnachten ist allen Auslandsdeutschen wichtig. Mit Backen, echter Musik, ohne Plastik. Ellie hat dazu ihre Wohnung gesponsert. Fast fürchtete ich, zu hohe Erwartungen zu schüren. Aber dann wurde es schöner als erwartet - nachdem Theresa und ich jeweils zwei unserer Lieblingsrezepte gemacht hatten, saßen wir im Wohnzimmer bei Glühwein, Heinrich Schütz und Kerze. Ich war besonders stolz, richtige Tannenzweige bekommen zu haben, umsonst. Denn sonst ist hier alles Grüne unglaublich teuer, weil fast niemand in die Natur kommt. Und man nichts traut, was außerhalb einer Plastikverpackung kommt. Anschließend bin ich mit Theresa auf die Tangoweihnachtsfeier gefahren, die mir mehr Spaß denn je machte (leider ließ sich Ellie nicht überzeugen, mitzukommen). Sogar Cristina habe ich da wiedergesehen und ihr die übrigen Kekse für ihre Tochter mitgegeben. Denn die meisten Ausländer finden deutschen Advent auch gut. Am nächsten Tag bin ich mit Theresa noch in die Sonntagsmesse in der katholischen Kathedrale gegangen. Denn Weihnachten muss richtig gemacht werden.
Am nächsten Tag war ich da zum dritten Mal in einer Woche, denn der Chor kam seiner ungeliebten Aufgabe nach, den Uniweihnachtsgottesdienst zu unterstützen. Mir und Ellie machen Weihnachtslieder aber Spaß, und da deutschen natürlich die besten sind, habe ich eine Strophe von Stille Nacht für mich auf Deutsch gesungen. Denn ich werde echt sentimental mit Weihnachten.
Bevor alles nach Hause fährt und fliegt, habe ich Mathieu noch ein paarmal sehen wollen. Dazu habe ich noch einmal Ellie und ihn zum Kochen geladen, diesmal bei mir. Auch auf diesem angenehm erwachsenen Abend (meine Mitbewohner sind entweder auf Weihnachtsurlaub oder bis spät mit Theaterproben beschäftigt) habe ich darauf bestanden, den Advent zu würdigen.

Am letzten Wochenende vor dem Heimflug bin ich nochmal aufs Land gekommen. Mit Ellie habe ich den 'Königin Elisabeth Landschaftspark' nördlich von Portsmouth besucht. Die Anfahrt war teurer als erwartet, aber ich hatte einmal richtigen Buchenwald, Laub auf den langen Wegen über Hügel und Felder, Bäume um mich herum und Ruhe. Ellie wurde überraschend nervös, allein durch einen Wald zu stapfen und auch die Landbewohner schienen das nach Dunkelheit für viel zu gefährlich zu halten. Aber das beweist nur einmal mehr, dass man in England keine wirkliche Natur mehr kennt.
Am Sonntag habe ich Ellie zum Geburtstag in das beste, französische Restaurant eingeladen, das ich vor einem Jahr mit Kalina dokumentiert hatte. Ebenfalls mit Ellie war ich früher im Monat auf einem Konzert gewesen, wo drei Uniabsolventinnen und die Uni Big Band Musik aus der Zeit des Kriegs zum Besten gaben. Mit Begrüßung von Churchill und Luftangriff. Da mussten alle in einen Nebenraum gehen und lustige Lieder singen, mit denen man sich wohl die Zeit vertrieben hat. Ich fand das geschmacklos und ließ das auch soweit anklingen, dass mir Ellie vorher riet, vielleicht besser doch nicht mit ihr und Freunden mitzukommen. Nun war ich da und alle in zeitgenössischen Kostümen und die Musik machte Spaß. Leider tanzten wir nicht soviel, wie ich es gerne gehabt hätte.

Auf der Arbeit habe ich zum ersten Mal die Datenbank zu Gesicht bekommen, an der wir seit Monaten arbeiten. Ich durchleuchte sie kreuz und quer, damit sie auch repräsentativ für die große Volkszählungsdatenbank ist, derenproportionaler Eindruck sie sein soll. Und das macht mir riesengroßen Spaß - mit Informationen rumzuspielen, querzuschließen, mir immere kleinere Gruppen anzusehen, wie als Student. Ende Januar stelle ich das Projekt, seinen Zweck und Arbeitsweise auf einer internen Konferenz vor. Ich habe auch etwas Zeit, mir Gedanken um Vorstellungsweise zu machen, und dementsprechend macht es mir Spaß, mein Präsentationstalent auszuleben. Daneben habe ich eine ringvorlesungsartige Fortbildungsreihe abgeschlossen und sollte bald ein schönes kleines Zertifikat bekommen.

Abschließend sind einige Informationen zu Ellie wohl von Interesse. Sie ist fast 29 und lebt seit einigen Jahren in Portsmouth. Hier hat sie "sowas wie Aufnahmetechnik" studiert und ist dann in der Univerwaltung hängen geblieben. Da bearbeitet sie Visumsanträge nichteuropäischer Studenten. Ursprünglich kommt sie vom Land, in der Grafschaft Kent. Das ist östlich von London, nahe des berühmten Canterburys. Sie singt, tanzt und kocht gern. Ist besonders aktiv im Bauchtanz. Wir haben uns im Mai auf einem Tanzkurs kennen gelernt, als uns auffiel, dass wir seit über einem halben Jahr im gleichen Chor sind.
Auf der Tangoweihnachtsfeier.

Unser Lehrer auf Knien. Mein langes Haar zwischen der hübschen Italienerin und der hübschen Griechin. Alle Tanzkurse haben außergewöhnlich hohen Ausländeranteil.

Die katholische Kirche vor dem Konzert.

Nach der Aufwärmung.

Nach dem Konzert.

Advent in Ellies Küche: Das Deutsche Plätzchen für Fremde.


Ich bin besonders stolz auf die Tannenzweige. Rechts unten Theresa's  Muttiadventskeksdose - fast jeder Deutsche im Ausland kriegt sowas.


Ellie und Mathieu kochen für mich...

...ich überwache die präzise Einhaltung Echter Deutscher Weihnachten.

Satt und sehr müde nach dem Geburtstagsessen.

Nachtrag aus dem Sommer: im frühen September in Rostock, beim "umsonst und draußen Klappstuhltreffen", den eine Freundin organisiert hatte.