Dienstag, 26. Dezember 2017

Von Greenwich bis Zylinder

Im Winter 2004 habe ich bei Pauls Eltern das erste Mal englische Weihnachten erlebt. Ich hätte nie gedacht, dass ich 13 Jahre später mein eigenes hier organisieren werde. Ellie und ich sind beide sehr zufrieden, wie gut es gelungen ist. Alles hat zusammen gepasst und es war sehr entspannt.

Heiligabend
Grob gesagt haben wir den 24. Dezember nach deutscher und den 25. nach englischer Art gefeiert. Das sind in der jeweiligen Kultur die wichtigen Tage. Bis zum Nachmittag des 24. Dezember haben wir vor allem gekocht. Dann sind wir am Meer spazieren gegangen bis es dunkel war. Dabei haben wir ein Weihnachtssingen auf der Seebrücke besucht, aber das hat uns nicht gefallen. Dann gab es Kaffee und Stollen, dann Bescherung. Leider konnten wir Buddha nicht überreden in seinem Zimmer zu warten bis ein Glöckchen klingt. Dann haben wir im Nebenzimmer das Abendbrot aufgebaut und den Rest des Abends auf dem Sofa verdaut. Buddha war auch sehr zufrieden, er hat eine große Dose Leckerlies bekommen und sich in Muttis Handtuch verliebt.

Meine Lieblingsgeschenke: ein Herrnhuter Stern, ein Zylinder und ein Ausflug zur Sternwarte in Greenwich - die von der die Längengrade ausgehen. Tagsüber gucken wir uns die normalen Ausstellungen an und abends können wir das größte Telelskop benutzen und Astronomen mit Amateurfragen nerven.


Weihnachtstag

Am Weihnachtsmorgen war die zweite Bescherung. Ich fand einen gefüllten englischen Weihnachtensstrumpf am Bett hängen. Ich hatte noch ein paar Geschenke für Ellie aufgehoben und später packte sie die Geschenke ihrer Familie aus, die wir unter dem Weihnachtsbaum gelassen hatten. Dazu schaltete sie ihre Familie per Videoanruf zu - das hat mir sehr gefallen: wir haben das Bild auf den Fernsehschirm gelegt und saßen so fast im gleichen Zimmer. Dann packten sie jeweils gleichzeitig ein Geschenk aus.


Gutes Essen mit schlechten Witzen
Den Großteils des Morgens verbrachten wir aber mit der Zubereitung des traditionellen englischen Weihnachtsessens. Das ist Truthahn, Rosenkohl, Möhren, Esskastanien, Steckrüben und Kartoffeln, alles im Ofen zubereitet. Anders als in Deutschland unterscheidet sich das Essen in England nicht viel zwischen Familien. Dazu gibt es noch den Yorkshire Pudding, eine hohle Bierteigform; früher wohl eine gefüllte Pastete, heute bleibt davon nur die Hülle, weil sie einfach lecker ist. Schließlich sind da noch die Knallbonbons, traditionell gefüllt mit einer bunten Papierkrone, einem nutzlosen Spielzeug und einem schlechten Weihnachtswitz. An sich gehört natürlich noch eine Menge Alkohol dazu, aber irgendwie hat das bei uns zwein nicht so geklappt. Nachmittags habe ich noch darauf bestanden, die Rede der Königin zu sehen. Die haben wir 2004 nämlich auch gesehen. Interessant: die königliche Familie feiert am Heiligabend! Ist schließlich deutscher Adel. Bereits der Weihnachtsbaum wurde von Prinz Albert eingeführt.


Ellie hat mir soviel von Wein vor 10 Uhr erzählt und am Ende haben wir ihn kaum angerührt!

Unser neuer Herrnhuter Stern

Mein neuer Zylinder
Mein neuer Hubschrauber. Und Meerschweinchen. Und der Baum. Mit Buddha.

Mein Weihnachtsstrumpf, gefunden am Weihnachtstag.

Samstag, 23. Dezember 2017

Unser erstes Weihnachten

Tradition gegen Tradition
Seit wir uns kennen, haben Ellie und ich uns über Weihnachten unterhalten; welche Traditionen wir haben und wie wir es zusammen gestalten würden. Das war ganz praktisch, schließlich ist die genaue Begehung von Weihnachten für viele eine Glaubensfrage, an der viele Paare scheitern. Für uns schien es immer ganz einfach - Deutsche machen Advent und Heiligabend, Briten kümmern sich eigentlich nur um den 25. Dezember. Und überhaupt wird ja jeder irgendwann einsehen, dass deutsche Weihnachten am besten sind.

Oh, Tannenbaum!
Jetzt also machen wir zum ersten Mal gemeinsam Weihnachten und legen vermutlich den Grundstein für eine ganz neue Tradition. Erstmal haben wir uns gestritten. Wann wird der Baum aufgestellt? In England nämlich Anfang Dezember. Ich dachte wir hätten uns auf eine Woche vor Weihnachten geeinigt, Ellie dachte zwei. Ich habe zwar nachgegeben, weil ich zugegeben musste, dass die Mitte unserer Traditionen zwei Wochen vor Weihnachten liegt. Aber wie schwierig das ist, wenn es die Kindheitserinnerungen berührt! Ich war ordentlich sauer - wie soll denn da das Geheimnisvolle des Heiligabends enstehen?!
Zwei Wochen mit Baum später gebe ich zu, es bringt schon Stimmung ins Haus. Spart vermutlich auch Stress kurz vor Heiligabend. Und wir sind noch zivilisiert. Viele Bäume sind Plastik, stehen Mitte November und sehen aus wie Neonreklame - abends blinkt es aus den Wohnzimmer wie eine Ampel. Und überhaupt, der Glitzerkram. Mein Büro wurde wie jedes Jahr damit dekoriert und mir ist erst jetzt aufgefallen, dass diese speziellen Girlanden bei uns typischerweise zum Fasching hängen. Den es hier drüben ja nicht gibt. Ach ja, und die Häuser sind natürlich von oben bis unten mit Lichtfiguren verhängt. Als ich solche Häuser eines Abends einmal zu oft verurteilte, wies mich Ellie freundlich aber bestimmt darauf hin, dass erleuchtete Häuser für sie Weihnachtserfahrung sind wie für mich Backen und Oratorium. Vermutlich hat sie recht.

Unser Baum ist echt. Die 240 Lichter sind wegen Katzengefahr zwar elektrisch, aber zugegebenermaßen sind kleine LEDs eigentlich ok. Und dekoriert haben wir human, dank zweier guter Weihnachtsmärkte, dem in Winchester und einem Überraschungsfund hier vor Ort.

Ich bin diesen Advent eigentlich kaum zu Vorbereitungen gekommen und habe sehr wenig gebacken. Aber wenigstens habe ich einen Adventskranz und etwas Tannengrün gefunden. Buddha interessiert sich praktischerweise kulinarisch gar nicht für Nadeln. Seit Anfang Advent haben wir fünf Kalender und seit seinem Ende Drei Haselnüsse für Aschenbrödel auf DVD!
Nun ist der 23. Dezember und wir vertragen uns gut. Ich habe traditionellen Kartoffel- und Obstsalat, Ellie den traditionellen Alkohol und übermorgen machen wir die Truthahnbrust.

Zwischendurch hatte Ellie am 16. Dezember noch Geburtstag. Ich habe sie nach London genommen und bis zum Schluss nicht verraten, dass ich sie zum Musical Aladdin einlade.

Mittwoch, 20. Dezember 2017

Kurzer Prozess

So ganz groß wurde die Pause dann doch nicht: nach vier Tagen war der Geschworenendienst schon wieder zu Ende. Ich bekam einen Fall und nach dessen Ende brauchte man bereits viel weniger Leute. Aber es war eine tolle Erfahrung und ist Einzelheiten wert. Also.

Grundsätzlich werden eine Menge Leute zum Dienst gerufen, die dann Montag auftauchen und auf einen Fall warten. Man bekommt also nicht von vornherein einen zugewiesen, sondern sitzt in einem großen Warteraum (in dem jeden Tag Talkshows laufen), ob sie einen brauchen. Denn es werden nicht alle Fälle von Geschworenen entschieden, sondern nur schwerere. Wenn ein Richter entscheidet, dass man eine Jury braucht, lost man 14 Namen aus. Die kommen dann in den Gerichtssaal, wo 12 eingeschworen werden. Die übrigen 2 sind Ersatz, sollte jemand nicht antreten können, z.B. weil er jemandem in dem Fall kennt.
Es kommen also ab und zu Leute in den Wartesaal und rufen Namen auf. Am ersten Tag habe ich nichts bekommen und konnte am frühen Nachmittag nach Hause gehen. Am Dienstag dann bekam ich einen Fall, dessen Details ich nicht verraten darf. Zwei Tage lang haben Anklage und Verteidigung uns Zeugen und Beweise vorgeführt. Am Donnerstag dann haben wir uns in einem Zimmer beraten, mit Bewachung vor der Tür und wenn jemand aufs Klo ging durften wir nicht diskutieren. Mittag wurde in den Raum geliefert, denn wir durften nicht raus, bevor wir nicht entschieden hatten, und zwar einstimmig. Dementsprechend hat das fünf Stunden gedauert, aber ich denke, wir haben richtig geurteilt. Die Entscheidung ist allein schuldig oder nicht zu jedem Anklagepunkt. Die Strafe legt natürlich der Richter fest und zwar nicht am Tag unserer Entscheidung. Nach unserem Bericht war unser Anteil am Prozess vorbei. Drei von uns haben sie für weiteren Dienst behalten, der Rest wurde entlassen. Andere, die keinen Fall bekommen hatten, waren bereits Mittwoch Mittag entlassen worden.

Gelernt habe ich

  • Richter und Anwälte tragen wirklich Perücken
  • Die Anwälte sprechen sich als “Mein gelehrte Freund" an und können einem wirklich ein X für ein U vormachen.
  • Richter haben wirklich eine harte Arbeit. Ich habe gestaunt, wie er die Anwaelte unter Kontrolle behielt und uns nach drei Tagen eine wirklich gute Zusammenfassung mitgegeben hat. Er hat zu jedem Anklagepunkt klargemacht, welche Fragen wir uns stellen muessen, um zu entscheiden. Das hat wirklich geholfen sich nicht voellig zu verheddern. Respekt.
  • die Rechtssprache ist so archaisch dass sie selbst für Muttersprachler erklärt werden muss
  • Häusliche Gewalt ist wirklich schwer zu beweisen






Das Geschworenensystem ist für Deutsche natürlich merkwürdig. Ich weiß nicht, wass ich davon halten soll. Einerseits muss ich ehrlich sagen, dass die eigene Erfahrung mein Vertrauen in das Rechtssystem in der Tat stärkt, weil wir wirklich mit uns gekämpft haben, objektiv zu entscheiden. Als Bürger fühle ich mich mit dem System verbunden und glaube tatsächlich, dass es zu unserem Besten ausgerichtet ist. Andererseits habe ich gesehen, dass doch viel von der spezifischen Dynamik innerhalb der Jury abhängt. Wer spricht gerne, wer verschafft sich Gehör? Das funktioniert nur mit einem guten Vorsitzenden, der darauf achtet, dass auch die stilleren Leute reden können. Und man muss rigoros Spekulation und persönliche Erfahrung abhalten.

Ab Freitag bin ich also wieder zurück auf Arbeit. Wäre lieber im Dienst geblieben. Meine Arbeitszeiten waren nämlich 10 Uhr bis spätestens 16.30 und häufig weniger. Ich konnte also morgens ausschlafen und gemütlich frühstücken und war abends früh zurück, weil ich mir täglich zwei Stunden Pendeln sparen konnte. Geschafft habe ich trotzdem nicht wirklich viel. Eigentlich bin ich nur dazu gekommen, endlich unsere Glühbirnen im Haus zu modernisieren - solchen Mist muss man als Hausbesitzer machen. Nur einmal konnte ich mit Ellie Mittag essen, obwohl sie sehr nah am Gericht arbeitet. Aber am letzten Tag konnte ich ihr Blumen ins Büro bringen - zum ersten Mal seit Jahren. Zu Hause geht das nicht, weil Buddha sie sofort auffrisst.

Samstag, 9. Dezember 2017

Große Pause

Bühnen der Welt
In der Tat kam Ellie zu meinem ersten Vortrag an der Uni Portsmouth, die insgesamt ein großer Erfolg waren und wahrscheinlich zu einer Wiederholung in der Zukunft führen werden. Auch am Ende der Woche saß Ellie in meinem Publikum, diesmal beim Chorkonzert, da sie in diesem Semester nicht selbst mitsingen konnte. Mit Brittens Leben des Heiligen Nikolaus gefällt mir zum ersten Mal ein britischer Komponist. Das Stück wurde 1945 zum Jubiläum einer teuren Privatschule gar nicht weit von hier bei Brighton geschrieben. Britten wollte Musik für alle machen und dieses Stück beinhaltete zwei bekannte Kirchenlieder, die traditionell vom Publikum mitgesungen werden. Hat tatsächlich funktioniert. In der Tat habe ich auch etwas über das Leben von Nikolaus und seine heutige Rolle in der orthodoxen Kirche gelernt. Ein paar Tage später hat er auch Ellie wieder was im Stiefel hinterlassen.
Zwei Tage später sangen Ellie und ich wieder zusammen auf der Bühne, beim akademischen Adventsgottesdienst. Und dann wurde ich gebeten, bei einem kleinen Tangoauftritt zu vertreten, also stand ich auch da vor Publikum.
Apropos Publikum und Auftritte - mein Vortrag in Southampton vor einem Monat ist jetzt als Video verfügbar!
Alle Vorträge
Mein Vortrag
Fotos!

Ist denn schon Weihnachten?!
Abgesehen von der Adventsmusik fällt es dieses Jahr aber schwer, es weihnachtlich zu gestalten. Ich habe einfach zuviel zu tun, und dann haben Ellie und ich doch verschiedene Vorstellungen, wie das zu gestalten ist. Insbesondere wann der Weihnachtsbaum aufzustellen ist war eine heikle Frage. Hier drüben passiert das Anfang Dezember, oft schon Mitte November - fürs erste haben wir uns auf Mitte Advent verständigt. Für mich ist damit die Überraschung des Heiligabend kaputt, für Ellie ist es schlimm genug solange warten zu müssen, weil, wie ich gelernt habe, es außer dem Baum eigentlich kaum Dekoration gibt. Überhaupt Dekoration - schwer, etwas geschmackvolles zu bekommen, gerade wenn man ohnehin keine Zeit hat. Sogar auf dem Weihnachtsmarkt nach Chichester haben wir nichts gefunden. Dafür erkannte mich eine kassierende Studentin und sagte mir die Vorlesung war gut aber Statistik mag sie trotzdem nicht. Nun versuchen wir es nochmal auf dem Weihnachtsmarkt in Winchester, der uns letztes Jahr gefallen hat.

Große Pause
Nun wird vielleicht alles besser, denn ich gehe bis 18. Januar praktisch nicht arbeiten. Montag geht der Geschworenendienst los, dann ist Weihnachten und am 4. Januar fliege ich nach Deutschland. Beim Gericht arbeite ich 9:30 bis 16:30 und habe keine Anfahrt, also kann ich ausschlafen und habe hoffentlich viel mehr Muße. Als letztes ging auf der Arbeit mein Spezialprojekt zu Ende, zu dem ich die letzten zwei Monate abgestellt worden war. Das war ja alles ganz aufregend gewesen, weil wir mit einer Firma in London moderne Datenverarbeitung ("Datenwissenschaft") anwenden sollten. Konkret haben wir parlamentarische Anfragen nach Thematik analysiert, z.B. wann ist welches Thema wichtig, oder für welchen Abgeordneten, oder in welcher Region. Gute Idee, wie immer mittelmäßig ausgeführt. Von den Profis aus London habe ich wenigstens eine Menge gelernt.
Und das kann ich jetzt hoffentlich sogar vertiefen, denn ich habe frei und kann lernen! Dazu habe ich mir optimischerweise einige Lehrtexte mit nach Hause genommen und programmieren will ich auch. 

Kultur
Privat lese ich gerade zwei kurze Bücher, aus einer sehr geschätzten Reihe von Kurzeinführungen, eins über das Alte Testament, das andere über Evolution. Mit meiner Gesangslehrerin habe ich die Arie "Großer Herr" des Weihnachtsoratoriums wieder rausgeholt und "Erleuchte auch meine finstren Sinne" angefangen.

Direkt auf mein Handy!
Zuletzt: ich habe einen neuen Telefonanbieter. Ich bin ab jetzt nur auf meiner englischen Nummer erreichbar, nicht mehr der Berliner. Ich kann weiterhin gratis nach Deutschland anrufen - aber ihr nicht mehr billig mich. Dafür habe ich Ellies altes Smartphone reaktiviert und bin jetzt auf Whatsapp.

Nach dem letzten Tangoauftritt.


Nach meinem Vortrag in Southampton

Sonntag, 26. November 2017

Bach mochte Oper!

Wir haben einen neuen Boiler! Einen ganzen Tag haben sie hier rumgewerkelt. Dafür kommt jetzt warmes Wasser und Heizung auf Knopfdruck. Außerdem kann man ihn vom Handy aus bedienen und z.B. von der Arbeit aus einschalten bevor man nach Hause geht. Wir müssen nur noch die Bedienung verstehen. Effizienter ist der Boiler auch, aber Ellie gleicht das gekonnt durch erhöhtes Heizen aus.
Eine neue Matratze hätten wir auch haben sollen, dann hätten uns Freunde ein Bettgestell abgegeben und wir ein richtiges Gästezimmer gehabt. Aber die Lieferung kam in so schlechtem Zustand, dass wir sie abgelehnt haben. Sie versuchen es nochmal, wenn das nicht klappt stornieren wir.

Hastings
Anfang November (und im letzten Eintrag vergessen) sind wir ein Wochenende sind wir zu Ellies Freunden nach Hasting gefahren. Das sind die mit polnischer Familie, bisher in London, Anfang des Jahres umgezogen. Für mich sind die Leute eine durchschnittliche Freude, aber dafür war Hastings eine schöne Überraschung. Ellie hatte meine Erwartungen mit Geschichten aus ihrer Jugend gedämpft, als sie mit der Dorfjugend Tagestouren dorthin unternommen und größtenteils in Kneipen gesessen hat. Aber in der Zwischenzeit hat sich wohl einiges getan. Die Seepromenade hat einige Perlen von Zwanzigerjahrearchitektur. Die Seebrücke wurde gerade erst renoviert und hat Ausstellungsfläche und Gastronomie aber keine Spielsalons, wie sie sonst üblich sind. Auf den Klippen darüber steht dramatisch eine alte Burg Wilhelm des Eroberers, der in der berühmten Schlacht in der Nähe seine Herrschaft errungen hatte. Dann gibt es tatsächlich eine attraktive Altstadt von fast europäischer Bauweise mit sehr vielen gemütlichen Kneipen und Cafes. Nicht zuletzt existiert noch eine große Fischereiwirtschaft. Die Boote landen direkt am Strand, es gibt Direktverkauf und eine Menge wirklich guter Restaurants.

Vorträge
Zwei Wochen darauf habe ich mit anderen Amateursängern Bachs Magnificat brutal misshandelt. Für mich sehr aufregend, da ich noch nie wirklich Bach gesungen habe, es aber schon immer wollte. In Chichester fand nämlich wieder ein offenes Singen statt, organisiert von einem großen Chor in Portsmouth, wie schon im Frühling, als ich dort mit Ellie Händels Messias gesungen hatte. Wie damals gab es auch einen kleinen Vortrag Diesmal habe ich gelernt, dass Bach Oper mochte. Wer hätte das gedacht.

Kurz vorher war ich auch wieder auf einer öffentlichen Kneipenvorlesung gewesen. Diesmal in Portsmouth, von der großartigen lokalen Kosmologiefakultät. Am kommenden Montag und Dienstag trage ich selbst vor. Vor vielen Jahren habe ich beim Tanzen eine deutsche Dozentin (aus Leipzig!) kennengelernt, die Statistik unterrichtet. Immer haben wir gesagt, dass ich ihren Studenten mal was aus dem richtigen Leben erzählen sollte. Erst jetzt passiert was, aber hoffentlich lässt sich das in eine langfristige Zusammenarbeit verwandeln. Ich habe nämlich nie verstanden, warum wir mit Portsmouth nicht so eng arbeiten wie mit der Uni Southampton. Das ließe auch mich gut aussehen. Und Ellie will auch kommen.

Samstag, 18. November 2017

Freud´s Leid

Im Moment wird mein Leben stark von meiner Arbeit bestimmt. Natürlich führe ich meine Hobbies weiter, aber die finden regulär jede Woche statt (Chor, Gesangsstunde, Tango und Spieleabende finden weiter statt - und lassen mir kaum einen freien Abend). Die besonderen Ereignisse passieren auf der Arbeit. Das ging damit los, dass mich ein Kollege privat um eine interessante Übersetzung bat. Er sammelt historische Originaldokumente und hat vor kurzem eine kurze Notiz erstanden, in der Sigmund Freud handschriftlich eine Bitte um Authorisierung einer Übersetzung ziemlich rüde abweist. Danach haben wir uns erstmal zusammengesetzt und über Geschichte geredet.

Fest der Gesellschaftswissenschaften
Als nächstes habe ich einen öffentlichen Vortrag gehalten. Seit einigen Jahren bin ich ja großer Anhänger zugänglicher Wissenschaft, am besten abends in Kneipen. Seitdem ich sowas das erste Mal selbst besucht habe, dränge ich, dass mein Arbeitgeber das auch macht - Vorträge und Redner haben wir zur Genüge fertig rumliegen, unser Profil wollen wir schärfen, gerade regional der Rekrutierung wegen. Aber kreativ oder aktiv sind wir überhaupt nicht. Jetzt also endlich haben wir uns einer jährlichen Aktion für Gesellschaftswissenschaften in Southampton angeschlossen. Dazu habe ich einen Vortrag über Bevölkerungsalterun geschrieben und gehalten. Wir hatten ca. 40 Leute im Publikum und ich habe fleißig Kontakte geknüpft und für Daten und gegen dubiose Debatten geworben. Weil das meines Wissens die erste Aktion dieses Format war, werde ich den Vortrag für Kollegen wiederholen und für Fortsetzungen werben. Dazu habe ich auch schon die Organisatorin des Abends eingeladen.


Mit meinen Mitvortragenden beim Fest der Gesellschaftswissenschaften
Demografiekurs
Vom 13.-17. November waren ich und einige Kollegen von der Arbeit abgestellt um an der Uni Southampton eine Woche lang Demografie zu lernen. Dafür bin ich täglich gependelt. Nur Montag Abend konnte ich bei Kalina übernachten und Dienstag abend mal richtig schön in Ruhe frühstücken. Sonst hatte ich abends immer was zu Hause vor.
Der Kurs war besonders für mein Team sehr relevant, erklärte einige unsere Hauptprodukte und bezog sich auch sehr häufig auf unsere Daten. Nicht zuletzt, weil wir sehr eng mit der Uni Southampton kooperieren und von der vor Expertise beziehen. Leider habe ich momentan soviel zu tun, dass ich nicht im Voraus lesen konnte. Und Vorlesungen allein funktionieren für mich nicht, weil ich nicht zuhören kann. Dementsprechend habe ich mich wieder ziemlich deppert angestellt, sobald nach der Vorlesung eine Übung kam. Wie in meinem eigenen Studium damals also. Dafür habe ich Kontakte geknüpft wie ein Profi und einen Analysten aus der Verwaltung von Buckinghamshire eingeladen, mal bei uns im Büro zu erzählen was sie von unseren Daten halten. In der Vergangenheit hatte ich das bereits mit zwei anderen Ämtern organisiert und beide haben jeweils unsere größten Konferenzräume zum Überlaufen gebracht. Außerdem hat ein sehr netter polnischer Professor Vorlesungen gehalten, der meinem Amt oft als Sachverständiger berät. In Rostock bei Max Planck war er auch schon ein paar Mal und findet die Stadt sehr schön.
Allgemein habe ich eine Woche zurück auf den Campus ziemlich genossen. Nur bin ich mir ziemlich sicher, dass ich damals nicht so jung gewesen sein kann wie die Studenten aussahen.

Über Ellies Deutschkurs habe ich gelernt, dass das deutsche Partizip II kein Präfix ge- nutzt, wenn das Verb ein Lehnwort aus Latein oder Griechisch ist. Wer hat das gewusst?

Zur Erinnerung: ab 30. November funktioniert meine billige Nummer nicht mehr. Das gilt in beide Richtung: von mir nach Deutschland und umgekehrt. Ich arbeite an einer Alternative, finde aber nur selten Zeit zum Suchen.

Samstag, 4. November 2017

Lehrlinge brauchen große Rohre

Zwischen aller Tanzerei haben Ellie und ich wie jeden Herbst bei Haus Stansted Esskastanien gesammelt. Diesmal war das Wetter besonders schön und wir  haben einen neuen Weg entdeckt, der sich wahrscheinlich gut für einen Weihnachtsspaziergang eignet. Wie sich rausstellte, war das unser letzter Ausflug mit dem Auto. Eine Woche später fiel es durch den TÜV, auch wie jedes Jahr, aber diesmal lohnt sich die Reparatur nicht mehr. Also wird es verschrottet und im nächsten Jahr schauen wir uns nach einem neuen um. Es hat uns gut gedient, alt wie es war - wir haben viele schöne Orte entdeckt und für Ellies ein Stück mehr Selbstbewusstsein.
Mit Kalina habe ich den ersten kalten Winterspaziergang den Fluss Itchen entlang gemacht. Der führte die Feuchtwiesen entlang und um den Sankt-Katharinenhügel herum, über dem später der Mond aufging. Auf halbem Wege konnten wir uns im Cafe des Heiligkreuzspitals erfrischen, wo ich im Sommer mit Mutti gewesen war. Dann sind wir weiter zum Dom und dann zum Bahnhof. Ich fühle mich auf diesem Weg immer ganz ins Mittelalter zurückversetzt.

Wir geben weiter mit vollen Händen Geld aus. Am 10. November kommt der neue Boiler mit diversen digitalen Spielzeugen und eine neue Matresse ist auch bestellt. Ellie beweist übrigens erstaunliches Heimwerkertalent. Trotzdem habe ich mir etwas gegönnt: ein neues Teleskop. Das erste hat mir bestätigt, dass sich etwas mehr Investition lohnt und so habe ich mir ein weiteres gebrauchtes mit 130mm Linse gekauft. Nur ist es viel zu schwer (und die Röhre viel zu groß) für einfachen Transport, speziell ohne Auto, sodass ich es vorerst wohl nur im Garten in der Stadt nutzen kann.

Die Arbeit ist momentan wirklich stressig. Am 9. November spreche ich in Southampton auf einer öffentlichen Veranstaltung in einer Bar. Der Vortrag hat viel mehr Zeit benötigt als gedacht, nicht zuletzt, weil ich zwei Tage die Woche  auf einem besonderen, innovativen Projekt arbeite. Im Anschluss muss ich gleich einen Vortrag an der Uni Portsmouth Ende November vorbereiten. Und zwischendurch bin ich eine Woche auf einer Fortbildung an der Uni Southampton. Denn es gibt viel zu lernen. Ich habe mich darum für eine Art Lehre in Datenanalyse angemeldet. Das ginge im Januar los und kompensiert in vielerlei Hinsicht das mir entgangene Aufbaustudium.

Im Advent werde ich auf der Arbeit nichts schaffen - denn ich wurde als Geschworener bei Gericht ausgewählt. England hat nämlich ein Geschworenensystem. Jede Bürger kann per Los herangezogen werden und ist dann auch verpflichtet anzutreten. Arbeitgeber können da auch nichts sagen. Wie ich erfuhr, sind dazu auch EU Ausländer zugelassen. Das geht am 11. Dezember los, dauert durchschnittlich zwei Wochen - und wenn ich Glück habe, ist nicht viel los und ich kann lesen und Lebkuchen essen. Man wird nämlich nicht zu einem bestimmten Fall herangezogen, sondern hat praktisch eine zeitlang Rufdienst. Und manchmal ist nichts los. Persönlich finde stehe ich der Idee von Laienentscheidung etwas misstrauisch gegenüber. Hoffentlich funktioniert das besser als bei Volksabstimmungen.




Wanderung am Fluss Itchen mit Kalina.






Das Heiligkreuzspital, ältestes arbeitenden Krankenhaus Englands. Wobei es eher ein Altenheim ist.






Am Halloween-Tangoabend habe ich getanzt wie ein junger Gott.


Der Tod und die Mädchen.
Chorkonzertposter

28. Oktober 2017 - tanzen tanzen tanzen

Ellie und ich haben uns im Chor aber vor allem auf einem Tanzkurs kennen gelernt. Wir tanzen beide gern und viel, aber komischerweise seitdem fast nie miteinander. Das hat sich im Oktober geändert, dank zweier Hochzeiten und einer Party.

Auf dem Boot

Zuerst heiratete Mitte Oktober eine ihrer Freundinnen. Hochzeit war in Portsmouth, die Feier auf einem Boot in Southampton. Die ganze Veranstaltung hat mir seit der Ankündigung sehr gefallen, weil das Paar es mit gesundem Menschenverstand und wenig Geld organisierte. Einmal ohne den ganzen Firlefanz den ohnehin niemand braucht. Das Brautkleid zum Beispiel hat 150 Pfund gekostet statt der üblichen 5000 und die Braut sah einfach umwerfend aus. Und ich finde Brautkleider normalerweise langweilig. Die Zeremonie dagegen hat mir wieder nicht gefallen, insbesondere die Reden - durch Ellie wusste ich, dass Worte und Verhalten der Redner nicht immer übereinstimmten. Ehrlich gesagt bin ich dadurch in eine antisoziale Stimmung verfallen, wie ich sie seit vielen Jahren nicht mehr kannte. Bis Ellie auftrat. Die Braut ist nämlich auch Bauchtänzerin und ihr nunmehr Mann hatte Ellie gebeten, mit einigen anderen heimlich eine Choreographie vorzubereiten. Sie hat die Truppe auf Trab gebracht - beim Tanzen sind ihre Ansprüche hoch und Skrupel niedrig genug wenn nötig Klartext zu reden. Der Auftritt war dann auch umwerfend - sowas schönes habe ich seit einem Straßentheater 2006 in Torun nicht mehr gesehen. Die Braut hat spontan mitgemacht. Dann war die Tanzfläche offen und ich kam aus meiner Schale und habe Stimmung gemacht! Zum ersten Mal haben Ellie und ich einfach zum Spaß miteinander getanzt; es war toll. Und das beste: 23 Uhr war Feierabend und es ging nach Hause.

In den 90ern
Eine Woche drauf sind wir zwei zur 90er Jahre Party gegangen. Erst seitdem ich mit Ellie unsere Kindheit und Jugend vergleiche ist mir, durch Demonstrationen, klar geworden, was für tolle Musik zu meiner Grundschulzeit gemacht wurde. Gut, eigentlich war man zu jung um das wirklich mitzurkiegen oder mitzumachen. Und damals habe ich die Musik eigentlich mit einer mir ziemlich fremden und beängstigenden Kultur verbunden (ab und zu habe ich diese Reflexe an diesem Abend auch gespürt). Aber seitdem ich weiß, dass ich ein ziemlich alberner Mensch bin, kann ich den glorreichen Kitsch einer Zeit richtig wertschätzen, als Musik meistens von holländischen Jugendlichen produziert wurde. Nun durften wir also auch mal 90er machen. Natürlich haben wir uns zeitgemäß angezogen, was Männern nicht viel Material bietet, Ellie aber sah bezaubernd aus mit ihren geflochteten Zöpfen. Klamotten und Stil kann sie. Sogar sie selbst sagte: Makeup Triumph! Wahrscheinlich eine Premiere.
Die Party war eine Riesensause in der Stadthalle, später am Abend spielte eine Live Band. Mir gefiel am besten der frühe Abend, als noch Platz zum Tanzen war. Ellie war wieder hinreißend und wieder sind wir früh nach Hause: halb elf nach drei Stunden. Pizza und Geschichtsdoku auf dem Sofa.

Auf Afrikanisch

Das folgende Wochenende heiratete eine Kollegin Ellies. Das war eine afrikanische Hochzeit und zwar schon die dritten des Paares: zwei waren in Nigeria für die jeweiligen Stämme gemacht worden. Diesmal war die Sache sehr kirchlich, beide sind in einer Studentengemeinde. Drei Stunden dauerte die Zeremonie, vieles davon war Singen und Tanzen. Mein persönlicher Höhepunkt war, als alle mit Glückwünschen am Brautpaar vorbeitanzten. Da erfasste mich das Tanzfieber nämlich so sehr, dass ein Afrikaner meinen Stil lobte. Essen und Feier fanden in einer Turnhalle statt, um all die Gäste unterzubringen. Ich lernte: nigerianisches Essen ist gewöhnungsbedürftig, die traditionelle Kleidung ist toll, und in deren Kultur tanzen auch Männer ganz selbstverständlich und zwar gut. Beide Väter sind übrigens Pastoren, einer Stammeshäuptling; beide tanzten später miteinander. Auf der anderen Seite ging es eindeutig auch um gesellschaftlichen Status: Plastikkronleuchter, Brautpaar auf einem zentralen Sofa, vier Fotografen, Gastgeschenke. Ein Zeremonienmeister wurde extra eingeflogen - und ein gewisser Timi Dakolo. Niemand von uns kannte ihn, aber wir haben es überprüft - er ist tatsächlich der berühmteste moderne Sänger Westafrikas. Nun kam er den ganzen Weg nach Portsmouth und dann funktionierte der Ton nicht richtig.


Die 90er werden nachgeholt.

Montag, 9. Oktober 2017

Und es bewegt sich doch was

Endlich passiert wieder was! Kaum haben wir unsere Statistik veröffentlicht da bekomme ich interessante Aufgaben, und dann gleich einen ganzen Batzen. Bis Mitte Dezember arbeite ich jetzt zwei Tage die Woche an einem modernen Projekt, in dem ich hoffentlich viel programmieren kann. Es ist eher ein Experiment zur Entwicklung neuer Ideen und Fähigkeiten. Genau gesagt analysieren wir das Protokoll des Parlaments, wonach Abgeordnete fragen. Das kann man dann, vielleicht, nach Themeninteresse analysieren. Dafür arbeiten wir mit einer Beraterfirma voller junger Doktoranden in London zusammen, wohin ich einen Tag zur Vorstellung und Besprechung gefahren bin.
Bereits zuvor hatte ich mit Kollegen beschlossen, endlich einen öffentlichen Vortrag über moderne Statistik vorzubereiten. Das wollte ich machen, seitdem ich das erste Mal zu solchen Wissenschaftsveranstaltungen gegangen bin. Unabhängig davon hatte ich auch mit einer bekannten deutschen Dozentin hier in Portsmouth vereinbart, Ende November ihren Studenten mal was vom Zahlen im echten Leben zu erzählen. Dann wurde mir plötzlich ein ganz ähnlicher Vortrag an der Uni Southampton übergeholfen, nur bereits für Anfang November. Und zwischendurch führe ich noch ein Team ins Programmieren ein. Alles Gute auf einmal.

Sonntag habe ich den ersten richtigen Ausflug mit Mathieu seit seiner Ankunft gemacht. Ellie war auf Tanzkursen. Zuerst habe ich ihm den Hügel Butser gezeigt, den auch er in seiner Zeit hier nie besucht hatte, dann den Hasenglöckchenwald, wo ich im Frühjahr mit Ellie gewesen war. Dann haben wir bei gutem Wetter im Umweltzentrum ein Nickerchen gemacht und sind später mit Spielen in die Kneipe gezogen wie früher.


Nachdem ich den Anfang des Preußenbuchs nochmal studiert hatte, habe ich jetzt ein Buch über die Evolution am Wickel. Ich wollte schon länger einige Kapitel aus meinem alten Biologiebuch wieder lesen.


Unser Haus ist im großen und ganzen eingerichtet und ich habe langsam Übersicht über die Ausgaben. Momentan bereiten wir uns vor, einen neuen Boiler zu kaufen. Irgenwie muss das Geld ja weg.

Dienstag, 3. Oktober 2017

La France, enfin!

Seit fünf Jahren erzähle ich, wie ich unbedingt mit der hiesigen Fähre in die Bretagne will. Das ich noch nie so nah an Frankreich gewohnt habe. Und ich habe nichts getan. Von wegen Zeit und Geld. Bis Ellie die Sache selbst in die Hand genommen und uns zu meinem Geburtstag ein Wochenende in Saint Malo gebucht hat. Überfahrt Freitag Nacht mit Kabine, Ankunft Samstagmorgen, ein Tag in der Stadt, Nacht im Hotel, Abfahrt Sonntag vormittag. Für mich war das das erste Mal in Frankreich, seit ich Rieke 2012 in Metz besucht habe.

Saint Malo ist eine kleine Stadt, direkt an der Küste, historisch, Hafen- und Piratenstadt, immer mal wieder von den Engländern angegriffen. Im Krieg stark zerstört, aber mit Sachverstand wieder aufgebaut.

Nun wurde Ellie auf der Überfahrt leider sofort richtig seekrank. Und in dem Zustand war ihr die Fähre auch nicht geheuer. Erst kurz vor Mitternacht konnten wir schlafen. Aber dem Morgen wohnte ein Zauber inne. Halb neun gingen wir von Bord und liefen den Hafen entlang der Stadt entgegen. Die lag ganz wunderbar an Wasser und Strand. Die Sonne erleuchtete die grauen Fassaden und wir hatten die Gassen um die Zeit noch ganz für uns allein. Gepäck konnten wir schon im Hotel abladen und waren dann frei. Erst als wir in einem Cafe gefrühstückt hatten waren die ersten Läden auf, darunter grandiose Bäckereien.


Von dort trieben wir den Tag lang durch die Gassen. Denn Saint Malo lebt von seiner Atmosphäre, nicht unbedingt von einzelnen Sehenswürdigkeiten. Ganz besonders bleibt mir der Moment in Erinnerung, als wir das erste Mal auf die Stadtmauer traten und die Sandstrände und die Felseninseln sahen, an denen sich in der ganzen Bucht das Meer bricht. Anders als in Portsmouth bleibt der Sand sogar bei Flut unbedeckt, man kann stundenlang laufen.


Ellie kaufte sich einen Pullover und Schokolade, ich viel Kuchen. Mittags haben wir Crepes gegessen und abends in einem winzigen Restaurant mit bretonischer Küche und Musik von Bach und Händel. Überall waren die Menschen auffallend fröhlich und freundlich. Mehr, als man als Tourist in einem Touristenort erwartet. Vielleicht lag es daran, dass mein Französisch doch noch ziemlich gut ist. All die Jahre mit täglichem Vokabeldrill zahlen sich aus.


Die Rückfahrt war viel angenehmer als die Hinfahrt. Dem Gleichgewichtssinn hilft es offensichtlich, bei Tageslicht Fixpunkte zu sehen. Vor allem die Ausfahrt aus der Bucht war noch einmal schön, bevor die restlichen 10 Stunden grau und nass wurden. Aber wir hatten eine Kabine, sodass wir auch noch schlafen konnten.






An dieser Kapelle haben wir erfahren, dass der mythische Stadtgründer aus dem keltischen Britannien kam. In der Tat wurde die Region wohl von der Insel aus besiedelt.


Wir versuchen immer noch rauszufinden, wer das ist.
De Gaulles Aufruf an die Franzosen am Platz der Resistance hat Ellie besonders gefallen.


Freitag, 29. September 2017

Das Haus ist nicht allein zum Wohnen da

Wir sind angekommen! Im erlauchten Kreis der Hausbesitzer! Und es hat nichtmal weh getan.

Umziehen
Der eigentliche Umzug ging sehr schnell. Viel schneller als vor allem Ellie gedacht hatte. Freitag bekamen wir die Schlüssel und haben die paar Sachen aus meinem alten Zimmer rübergeschafft. Samstag kamen Ellies Sachen dran. Alles war schon gepackt und mit zwei Packern und einem großen Laster haben wir alles in einer Fuhre innerhalb von 90 Minuten geschafft. Bett und Sofa waren schnell zusammengebaut. Mittag konnten wir schon im Garten essen. Wir haben auch gleich Nachbarn kennengelernt und gemerkt, dass die gut miteinander klarkommen. Nur Sonntag, beim Auspacken der ganzen Kisten, hatten wir etwas Stress miteinander und brauchten etwas Meer und Sonne um uns ans große Ganze zu erinnern. Am Strand war ich schon am Morgen gewesen, gleich nach der ersten Nacht - es sind nur fünf Minuten Fußweg. Ich habe eine Waschmaschine bestellt und ganz allein angeschlossen! Buddha wehrte sich zwar kurz gegen seine Transportkiste und hat den ersten Tag unter einer Bettdecke verbracht, hat sich das Haus aber inzwischen Untertan gemacht und interessiert sich ganz besonders für die katzengesperrten Bereiche wie den Dachboden.

Einziehen
Ellie und ich machen uns natürlich trotzdem überall Sorgen. Ich beobachte Gas-, Wasser- und Strommesser und stelle fleißig monatliche Rechnungsstatistiken aus. Und bisher sieht alles ganz gut aus. Somit treiben wir die weiteren Einrichtungspläne voran. Inzwischen haben wir einen richtigen Esstisch und Stühle, alles aus schwerem Holz, schön anzusehen, kaum zu bewegen, wahrscheinlich Krallenschärfer für Buddha. Einmal hat uns mein nun ehemaliger Vermieter besucht und mit seinen Erfahrungen das Haus inspiziert. Und es stellt sich heraus wir haben gut gekauft! Viele gute Sachen, die ich gar nicht bemerkt hatte. Nur der Boiler braucht wohl mittelfristig Ersatz. Ich versuche da die Kontakte meines Vermieters zu nutzen.

Losziehen
Bisher sind also vor allem die Vorteile des Hausbesitzes evident geworden. Ich spare jeden Tag 30 Minuten, die ich früher vom Ellie zum Fahrrad und zurück gelaufen bin. Ellie geht es richtig prima, und ich glaube ich schlafe hier besser. Sogar einen Besuch bei IKEA haben wir gut überstanden. Nichtsdestotrotz mussten wir nach zwei Wochenenden ohne viel Auslauf mal raus. Ich sehe jeden Tag auf dem Arbeitsweg die Kastanien und Eichen sich färben und wollte auf unsere traditionelle Herbstwanderung bei Haus Stansted. Schließlich sollen Häuser dem Leben dienen und nicht umgekehrt! Zum Beispiele haben die Spieleabende wieder begonnen. Neben allem Umzug habe ich das Preußenbuch ausgelesen, um dann gleich nochmal von vorne anzufangen. Der Chor ist wieder da, dieses Semester mit einem Vertretungsdirigenten und Benjamin Brittens "Sankt Nikolaus" - beide gefallen mir. Ellie ist dieses Semester nicht dabei, sie leitet Übungen für eine Tanzeinlage zur Hochzeit einer Freundin Anfang Oktober. Und jeden Donnerstag geht sie ab jetzt zum Deutschkurs!

Fotos kommen auch noch - aber erstmal fahren wir heute abend mit der Fähre nach Saint Malo!

Freitag, 15. September 2017

Ad Astra

Freundliche Übergabe
Seit heute gehört das neue Haus offiziell uns. Die Vorbesitzer haben uns Schlüssel, Schokolade und Champagner überreicht. Wir haben bereits einige Sachen rübergeschafft, darunter die meisten von meinen, aber der Großteil wird morgen am Samstag mit einem gemieteten Lieferwagen transportiert. Ellies Bude liegt seit Tagen in Kisten, als letztes haben wir Bett und Sofa auseinandergenommen - hoffentlich kriegen wir sie auch wieder zusammen. Stressig wurde es nur am Nachmittag, als wir wider Erwarten doch ganz schnell Anbieter für Wasser, Strom etc. finden mussten. Wichtig: Internet kriegen wir erst am 25. September. Bis dahin kein Tagebuch, keine Internettelefonie. Dafür unten einige Bilder.

Freundliche Übernahme
Praktisch für mich: Mathieu übernimmt mein altes Zimmer. Kontex: als er im Dezember seine Arbeit aufgab und auf Reisen ging, ließ er viele seiner Sachen bei mir. Ich benutzte mein Zimmer ja kaum noch. Jetzt ist er zurück aus der Weltgeschichte, sucht nach Arbeit, und das kann er ja genausogut von hier aus machen. Dann kann er sein Zeug anschließend gleich zum neuen Ort mitnehmen. Für mich zum einen eine Erleichterung, weil ich ihm viele Sachen des täglichen Bedarfs dalassen kann. Ich muss sie nicht schleppen, er brauch sich nicht erst einrichten. Zum anderen freue ich mich einfach, für eine Weile wieder einen Freund vor Ort zu haben.

Prioritäten
In meinem Kopf spielt der Umzug weiterhin keine große Rolle. Engländer finden es dagegen alle aufregend. Für mich wird der 15. September 2017 als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem die Sonde Cassini in den Saturn stürzte. Darüber war ich schon seit Wochen aufgeregt und habe fast mit Rührung die letzten Minuten im Kontrollzentrum live verfolgt. Seit ich vor zwei Jahren Opas altes Physikbuch gelesen habe, habe ich eine echte Begeisterung für die Wissenschaft entwickelt. Schlägt Immobilienbesitz immer noch in meinem Herzen.


Buddha verurteilt jegliche Veränderung in seinem Reich.


Kisten findet er aber ganz ok.


Kurz vor dem großen Moment!
Ellie öffnet die Tür!








Vor einer Woche mit Kalina an der Windmühle von Bursledon.


Letztens habe ich die letzten Fotos aus meinem alten Tagebuch gerettet. Dieses hier stammt Januar 2005. So ging die ganze Schose los.

Sonntag, 10. September 2017

In der Mühle

Vor einigen Wochen bemerkte ich mit großem Unwillen, dass ich einige lang geplante Sachen einen weiteren Sommer lang nicht zu schaffen scheine. Sowas macht mich immer sehr unglücklich, schließlich soll man Sachen ausprobieren. Dann habe ich Schlag auf Schlag doch noch alles abgehakt: eine Sommerwanderung über Land, die Bootsfahrt zu den Nadeln mit Papa, die Kajakfahrt auf dem Itchen. Zuletzt habe ich mit Kalina die historische Windmühle in Bursledon besucht. Das liegt zwischen Portsmouth und Southampton, am gleichen Fluss, auf dem ich im Juli das erste Mal in diesem Jahr Kajak fahren war. Auf einem Hügel in der anderen Richtung betreibt ein Verein eine restaurierte Mühle, was mir vor Ewigkeiten auf der Karte aufgefallen war. Um die Mühle stehen nur noch eine Scheune und ein Getreidespeicher, gerettete historische Gebäude wie im Freilichtmuseum, wo wir mit Mutti gewesen waren. Es gibt eine kurze Führung und das war es auch schon, aber ich fand es gerade wegen des kleinen Formats sehr entspannend, mit Kalina in der Scheune bei einem Kaffee zu reden. Sie hat dann wieder bei uns übernachtet und konnte so zum Freiluftkino mitkommen.

Solche Ausflüge sind im Moment besonders wichtig, weil mich meine Arbeit frustriert. Ich bin offiziell aus Aufbaustudium ausgestiegen, weil es jeden Freitag fünf Stunden Fahren bedeutet hätte. Richtige Entscheidung, trotzdem eine Riesenenttäuschung. Durch den Umzug musste ich außerdem auf eine Konferenz und eine sehr interessante Veranstaltung im Büro verzichten. Und statt solche interessante Sachen zu machen, langweile ich mich ganze Tage lang mit dem statistischen Artikel zu Tode, der den Datensatz begleiten wird, den wir bald veröffentlichen. Die ganze Erfahrung mit der diesjährigen Datenproduktion, die ich dieses Jahr zum ersten Mal selbst geführt habe und die eigentlich eine tolle Karriereerfahrung wäre, hat mir nur gezeigt, dass mich eine technische Karriere interessiert und keine Projektleitung. Das Ganze tue ich mir jeden Tag auch noch besonders lang an, weil ich Arbeitszeit gutmachen muss.

Zu Hause wird gepackt. Mein Zimmer befindet sich wieder im Koffer und auch Ellie Bude ist größtenteils verkistet. Ellie nimmt sich eine Woche um den Umzug herum frei. Ich kann mir nur einen Tag nehmen.

Mittwoch, 6. September 2017

Mein ganzes Geld ist weg!

Donnerstag morgen habe ich alle meine Ersparnisse ausgegeben. Fast alle. Plötzlich war die Notarin fertig mit dem endlosen Prüfen und Suchen. Nachdem sie es monatelang nicht mal zum Rückruf geschafft hatte, sollten wir jetzt sofort Gebühren und Hauseigenkapital schicken, am besten am gleichen Tag, an dem sie anrief. Acht Minuten danach fragte dann auch schon der Immobilienmakler, ob das Geld denn schon überwiesen wäre. Natürlich nicht - das konnten wir erst am folgenden Morgen auf der Bank. Plötzlich ist also der 15. September Übergabedatum. Ab dann sind wir offiziell Eigentümer eines schönen, alten, kleinen englischen Häuschens. An dem Wochenende wird dann auch umgezogen. Und ich bin mein Geld los. Briten sagen mir zwar, dass mein Geld nicht weg sondern angelegt ist. Aber ein Deutscher Sparer weiß es, natürlich, besser.


Im Grünen
Um die lokale Deutschheit zu verstärken, kam Papa für ein langes Wochenende. Er erlebte das letzte schöne Wetter. Am ersten Tag ihn zu einigen meiner Lieblingsorte im Naturschutzgebiet der South Downs gefahren. Auf dem Hügel Butser war es so sonnig, dass wir im Gras schlafen konnten. Dabei bekam ich den Anruf, dass wir nun endlich das Haus bekommen. Dann ging es noch zur Jurte und zum Alten Winchesterhügel. Letzterer ist der prominent in die Landschaft vorstechender ehemalige Standort einer eisenzeitlichen Siedlung. Ich war dort bisher selbst nur einmal mit Ellie gewesen. Damals haben wir Äpfel gesammelt und später zu einer Art gesüsstem Apfelbackstein verkocht. Gegessen haben wir in einem Biergarten im Dorf Buriton, ebenfalls in der Sonne. Das liegt direkt unter einem Hügel der South Downs, und hinter dem Königin-Elisabeth Landschaftspark, durch den wir dann nach Hause gefahren sind, an der Hubertuskapelle vorbei. Das englische Land zeigte seine beste Seite und das englische Meer auch; abends haben wir auf der Seebrücke gegessen.

Auf dem Blauen
Den zweiten Tag haben wir dann komplett auf dem Wasser verbracht, was mir einen alten Plan erfüllte. Ich wollte nämlich schon lange mal die örtlichen Sommerseefahrten ausprobieren. Mit Papa habe ich die allerletzte dieser Saison erwischt, und zwar zu den Nadeln der Isle of Wight. Das ist eine Gruppe von Felsnadeln im Meer ganz am Westende der Insel. Bisher hatte ich sie nur einmal von Weitem gesehen, rangekommen war ich nie. Der Tag war ganz ausgezeichnet, Sonne, praktisch kein Wind, tausende Segel auf dem Meer, man konnte hundert Kilometer weit nach Westen blicken. Mittags wurden wir im schönen kleinen Ort Yarmouth auf der Insel abgesetzt, wo ich mal mit Mathieu übernachtet hatte und wo ich zuletzt im letzten Sommer mit Mutti und Ellie gewesen war. Ganz besonders hat mir aber die ganze Nordküste der Insel gefallen, vorne Wald und dahinter Hügel und Felder, die mich praktisch rufen, ich muesste alles abwandern. Auch vor der Abtei Quarr und Schloss Osborne kommt man vorbei. Und weil es die allerletzte Fahrt in diesem Jahr war, bekamen wir im Hafen noch eine Extrarunde um den neuen Flugzeugträger dazu.

Im Nassen
Nur der letzte Tag fiel ins Wasser. Aus lauter Verzweiflung haben wir in Winchester englischen Sonntagsbraten gegessen und sind ins Stadtmuseum gegangen. Ein weiterer Ort, den ich mal allein ausprobiert und jetzt in der Hinterhand hatte. Ich wurde sogar wiedererkannt.



Am Abend vor Papas Besuch hatte die Uni-Kosmologie einen weiteren öffentlichen Vortrag im Pub gehalten. Dabei habe ich einen der Leute hinter der Internetseite getroffen, auf der man bei Wissenschaftsprojekten helfen kann. Astronomen trinken gerne und können Mathe. Eine gute Kombination. Sie sagen ich sollte das Studium einfach nachholen.


Ellie freut sich übrigens schon so auf ihr neues britisches Leben als Hausbesitzerin, dass sie bereits anfängt zu packen. Zwar hat sie recht - besser früh anfangen. Aber ich kenne die Gute ja - sie freut sich einfach auf viele Räume zum Ausstatten. In meinem Kopf spielt das Ganze eine merkwürdig kleine Rolle. Das wichtigste bisher ist, dass Mathieu mein altes Zimmer für eine Weile übernimmt, wenn er demnächst seine dort gelagerten Sachen abholt. Dadurch muss ich mich nämlich erstens nicht um Zwischenlagerung dafür kümmern, und zweitens freue ich mich wirklich zumindest zeitweise einen Freund vor Ort zu haben.