Mittwoch, 17. Juni 2015

Muss ja

Radeln in Richmond
Am ersten Juniwochenende hatte ich einen Tag reserviert um endlich wieder was mit Mathieu zu unternehmen. Das ist zunehmend selten, seitdem er auch eine Freundin hat und sie in einer anderen Stadt wohnt. Ursprünglich war das als Tagesradtour in der Region geplant. Am Ende sind wir bis nach Richmond westlich von London gefahren, dort wohnt ein Freund, der mit auf dem Wochenende Anfang Mai in Exmoor gewesen war. Mit ihm sind wir erstmal entlang der Themse bis zum Hampton Palast geradelt. Dort war ich 2013 mit Kalina gewesen. Richmond ist ein schöner Ort und der Tag war sonnig. Viele Leute und viel Geld war zu sehen, eine wohlhabende Verwaltung hat das alte Kanalsystem gut ausgebaut für Boote und daran entlang sehr angenehme Wege. Erstaunlich gut gekleidete Menschen für England - Zeichen von guter Bildung und Einkommen. Sehr viel Volk aus aller Herren Länder, die aus den weniger schönen Teilen Londons kamen. Wir aßen in einem libanesischen Restaurant an der Themse, bevor wir zurück fuhren und mit den anderen Freunden vom Exmoor-Ausflug den restlichen Abend in einer Kneipe am Fluss verbrachten. Dann ging es mir aus dem Ruder, weil das Abendessen mal wieder viel zu lange dauert und wir erst gegen 23 Uhr zur Rückfahrt aufbrachen.

Sommerloch

Der Sommer ist in diesem Jahr bisher eine Enttäuschung, inbesondere nach dem langen Warten auf ihn. Nach dem ersten Eisbad Ende Mai sind weitere Versuche schrittweise erträglicher geworden, aber es fehlt die Sonne der letzten zwei Sommer, um danach auch am Strand bleiben zu wollen. Ein gutes Gefühl ist es hinterher trotzdem immer und ich bin auch nicht der einzige. Insbesondere alte Frauen sind immer ganz vorne mit dabei. Wenn ich nach der Arbeit auch nicht schwimme, gehe ich doch sehr häufig noch in ein Cafe am Meer, das seit einigen Monaten bis 20 Uhr öffnet. Das ist ein wirkliches Privileg, gerade nach der Arbeit. Die Konzerte am Meer laufen seit Ende Mai auch wieder, aber eins musste bereits wegen schlechtem Wetter abgesagt werden.

Bootnot

Umso bedauerlicher, da ich Mitte Juni mit Resturlaub ein langes Wochenende hatte (was gleichzeitig den dritten Jahrestag meiner Ankunft bedeutet). Zusätzlich habe ich trotz monatelangem Vorwissen versagt einen längeren Ausflug zu organisieren. Pläne gäbe es genug - mit der Fähre nach Frankreich oder die Südküste der Isle of Wight - die nur an solchen seltenen, langen Wochenenden möglich wären. So blieben nur Tagesauflüge. Am ersten Tag sind wir nach Petersfield gefahren, nordöstlich von Portsmouth. Dort ist die einzige mir bekannte Möglichkeit in der Region, auf einem kleinen See ein Ruderboot zu mieten und ich war bitter enttäuscht, als wir vor Ort erfuhren, dass das nur am Wochenende geht. Zurück in Portsmouth bin ich nochmal ins Wasser gesprungen, dann Essen mit Freunden, dann Freiluftfilm über Jimi Hendrix, über den ich praktisch nichts wusste.

Haus Osborne III

Am Tag darauf, einem Freitag, sind wir zum dritten Mal dieses Jahr auf Isle auf Wight gefahren, diesmal um Haus Osborne zu besuchen. Das war der Lieblingsort von Königin Victoria, von mir 2012 zweimal besichtigt. Ellie war noch nicht dagewesen, aber zwei Wochen vorher auf dem Weg zur Kirche in Whippingham zweimal vorbeigelaufen. Gleichzeitig fand eins von jährlich zwei großen Musikfestivals auf der Insel statt (im übrigen seinerzeit einer der großen Auftritte von Jimi Hendrix), sodass es auf der Überfahrt richtig voll wurde. Am Palast angekommen wurde uns jedoch eine ausgesprochen ruhiger Besuch zu Teil. An einem Wochentag war es viel weniger überlaufen, als bei meinen ersten Visiten allein. Ellie und ich halten Victoria und ihren Albert ja für Spießer auf dem Thron und die weniger interessanten Monarchen der britischen Geschichte; der Palast selbst zeugt, wie wohl schon damals von mir angemerkt, mehr von guten elterlichen Absichten denn von Geschmack. Das weite Parkland dagegen war ohne Straßenlärm und mit wenigen Besuchern eine wahre Labsal. Besonders die Schweizer Hütte, das Spielhaus der königlichen Kinder, mit ihren Gärten und Wiesen, hat es uns angetan. Auch der späte Nachmittag am Strand, in einer wohl natürlich ruhigen Bucht, wird mir in Erinnerung bleiben.

Vermischtes

Weniger erfreulich: ein drittes Blutbild zeigt ein weiteres, langsames Abrutschen meiner Werte. Diesmal hat die Ärztin sich dann endlich zu weiteren Untersuchungen entschlossen und die "Chemologie" um Unterstützung gebeten. Die würden mein Blut genauer untersuchen - noch warte ich auf einen genauen Termin. Zu Euren Hinweisen: für einen Hämatologen brauche ich eine Überweisung des Hausarztes. Andere Untersuchungen werde ich vorschlagen. Am schwierigsten ist für mich eigentlich, dass sich Ellie große Sorgen macht. Ich bemühe mich, sie zu beruhigen, aber ich verstehe sie schon sehr gut. Sie war es, die mich überhaupt zum ersten Bluttest gedrängt hatte und ich hatte immer erwartet, dass er nichts ungewöhnliches zeigt, geschweige denn wiederholt. Trotz besten Bemühens kämpfe ich mit der Ungewissheit, was da seit mindestens einem halben Jahr in meinem Körper ist. Auch hilft mir der Zweifel nicht, wie genau meine Praxis mich wirklich untersucht. Den dritten Bluttest musste ich ansetzen, nicht sie. Nicht das ich etwas ändern könnte: ich bin bei der Praxiswahl an meinen Wohnort gebunden und habe sogar schon Glück, dass es eine Praxis gibt, die lange öffnet. Ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, aber jedes Mal, wenn ich schon nachmittags müde werde, frage ich mich, ob ich schlecht geschlafen habe oder etwas Schlimmes in mir wuchert. Da ist es kaum ein Trost, dass der Zahnarzt beim letzten Termin kein einziges Loch gefunden hat.

Schließlich ist unser jüngster Mitbewohner nach einem Jahr wieder ausgezogen. Er wird nicht gerade beweint, wieder ein junger Student, dem in der Familie das Putzen nicht beigebracht worden war. Jetzt habe ich nur noch meine zwei Mädchen im Haus. Eine ist ähnlich wie ich meistens bei ihrem Partner. Ich schlafe immer Montag und Mittwoch bei mir zu Haus und habe somit Hoffnung auf einen ruhigen Sommer.


Landeskunde: In unseren Gesprächen über die merkwürdige britische Klassenteilung hat mir Ellie erläutert, dass Doppelnamen in England fast immer auf höhere Familie hindeutet. Wenn die untereinander heiraten, soll keiner der wichtigen Namen verloren gehen. Auch an exotischen Vornamen erkennt man sie, und eben nicht zuletzt an einer ganz merkwürdigen Sprechweise, sowohl in Wortwahl als auch Aussprache, die auch ich inzwischen zu erkennen beginne.


Meine Arbeit läuft weiter gut, mir wird sehr viel Zeit zum Anlernen gegeben. Auch sonst hat man viel Freiraum: neulich besuchten wir das örtliche Meldeamt und schaute uns an, wie sie Geburten, Todesfälle etc registrieren. Denn wir nutzen diese Daten und müssen wissen, was genau wie genau gemessen wird.


Nachträge: nachstehend zwei Fotonachlieferungen. Erst aus Exmoor (mit Mathieu und Freunden, Mai 2015), dann Dartmoor (mit Ellie und Papa, Ostern 2014, neulich auf Ellies Kamera entdeckt.)


Exmoor (Mai 2015)
Reflektorwesten passen immer und überall.





Kaffee und Croissants - hier bekannt als Europäisches Frühstück.
Abschiedsfoto

Dartmoor, Ostern 2014
Ellie unter dem Baum der Erkenntnis.



Einer von vielen alten Steinkreisen a la Stonehenge.






Eine traditionelle Brücke.


Niemand weiß, wann und wie der nackte Mann in den Felsen kam.

Ostereiersuchen für Ellie.



Samstag, 13. Juni 2015

31.05. Inselsingen

Einmal, vor langer, langer Zeit, hatte unser Chor die schöne Idee, auf der Isle of Wight eine Tour mit einer lokalen Folkloregruppe durchzuführen, die uns vorher noch einen Lehrgang gibt. Darauf hatten Ellie und ich sehr gefreut. Ich wegen der Isle of Wight, Ellie wegen der Folklore. Die Gruppe hat sich dann irgendwie zurückgezogen und uns blieb nur ein Konzert, zugunsten der Heizung in der St. Mildred Kirche im Dorf Whippingham. Das liegt bei East Cowes, an der Mündung des größten Flusses der Insel, der Medina, an der Nordküste.

East Cowes

Während der Großteil von Chor und Orchester in einer Jugendherberge an der Ostküste schlief, hatten Ellie und ich entschieden in einer Pension in East Cowes zu übernachten, näher am Konzert. Für die Überfahrt nahmen wir zum ersten Mal die Autofähre, die näher an unserem Ziel anlegt. Außerdem läuft sie länger als die kleinen Fähren, sodass wir 40 schöne Minuten auf dem Oberdeck in der ab und zu durchscheinenden Sonne hatten.
Am anderen Ufer erwartete uns eine merkwürdige Überraschung: gerade hatten wir auf der Hauptstraße unsere Bushaltestelle gefunden, da kam plötzlich Mathieu angeradelt. Wie sich rausstellte, war er einen Tag auf der Insel, aber dass er gerade zu diesem Zeitpunkt an der gleichen Stelle auftauchte, war für mein Gehirn im ersten Moment etwas zuviel. Viel konnten wir auch nicht sagen, denn der Bus kam ebenfalls. Mathieu fuhr abends zurück und kam daher nicht zum Konzert.
Wir lieferten erst unser Gepäck in der sehr geschmackvoll eingerichteten (weil von Ellie ausgewählten) Pension am Hafen von East Cowes ab. Das war mal mehr als das gewöhnliche Extrazimmer bei jemandem, sondern planvoll gestaltet und dekoriert. Ellie war vor allem von Bad und Qualitätsmatratze begeistert, deren Hersteller und Model sie sich gleich aufschreibt. Ellie mag Komfort.
Von dort liefen wir nachmittags eine halbe Stunde zur Kirche, entlang von Haus Osborne, dem alten Sommersitz von Königin Victoria und größtem Touristenmagnet der Insel. Ich war dort 2012 gewesen.
Nun hatte die gute Victoria ihren Stempel auch auf unserer Kirche der Hl. Mildred hinterlassen. Dort ist sie mit Familie zum Gottesdienst gegangen und hatte sich dafür nicht nur eine königliche Loge bauen lassen, sondern hat gleich ihren Mann Albert (aus dem Hause Saxe-Coburg und Gotha) auf einen Umbau losgelassen. Dazu sind verschiedene Einrichtungsstücke von ihrer musischen Tochter Louise gebaut worden. Auf dem Friedhof drumherum liegen verschiedene Hoheiten und Eminenzen, vor allem aber liegt die Kirche an der Medina, getrennt nur durch eine Feldwiese. Und dazu die in diesem Land so untypische Stille der Isle of Wight - ich beneidete Mathieu an diesem Tag regelmäßig um seine Radfreiheit.

Konzert

Nach einer Probe wurde uns Fish und Chips kredenzt und wir hatten einige Zeit für Muße vor dem Konzert. Unser Programm waren neun Volkslieder aus der Region, von den Volkstumforschern des späten 19. Jh. aus verschiedenen Armenhäusern gerettet wie es damals Mode war. Sechs davon waren von Gustav Holst bearbeitet, den wir seit seinem Programm vor einem Jahr sehr schätzen. Nach einer Pause standen einige Instrumentalversionen des Uniorchesters auf dem Programm.
Nun muss ich leider berichten, dass wir zum ersten Mal in meiner Chorkarriere ein Stück abbrechen und neu anfangen mussten. Mir war es ob meiner Position ganz hinten nicht zu Ohren gekommen, aber die Soprane (also auch meine Freundin...) sind wohl völlig durcheinander gekommen. Meine Stimmgruppe hatte sich zwar nichts zuschulden kommen lassen (Bässen passiert sowas nicht), aber mir zitterten danach etwas die Beine. Ich lächelte tapfer bis zum Ende und sagte mir, dass die Leute auf der Insel nicht direkt an Spitzenauftritte gewöhnt sind, aber ich nahm es mir mehr zu Herzen, als der Anlass wert war. Ich sollte dazu sagen, dass sowas laut Ellie bis dahin nur einmal passiert war. Aber eine Aufnahme, die ich etwas später erhielt (ausgerechnet zu diesem Fiasko habe ich endlich eine Aufnahme, in der ich auch noch durchgenend zu sehen bin), klang entsetzlich, egal ob sie nun direkt vor dem Alt aufgenommen worden war. Da hilft auch keine Entschuldigung, dass wir nicht viel Probezeit gehabt hatten.
Aber nicht nur deshalb stahlen Ellie und ich uns in der Pause mit einer Flasche Wein nach Hause. Der jüngere Teil von mir bedauerte  zwar, nicht mit anderen zu feiern, aber das größere Altteil war froh, vor Mitternacht auf der besten Matratze der Welt zu schlafen. Ich habe mir bereits die Noten für unser Herbstprogramm besorgt, Hummels Messe in h-moll, falls unser Dirigent noch will.

Burg Carisbrooke
Sonntag morgen haben wir mit unseren alten Knochen erstmal auf dieser Matratze gelegen und Musik gehört, während draußen der Regen fiel. Dann wurde uns einmal der Luxus zu Teil, Frühstück gemacht zu bekommen. Während der Rest des Chors an diesem Tag nach Frühstück nach Hause fuhr, sind wir zur Burg Carisbrooke gefahren. Die hatte ich bereits 2013 besucht. Sie ist die größte Befestigung der Insel und für Ellie vor allem wegen ihrer Verbindung zu Karl I. interessant. Das war der erzkatholische König, der einen Bürgerkrieg gegen Cromwells Parlamentarier verlor. Bevor er in London geköpft wurde, war er auf Carisbrooke erst Gast, dann, nach zwei Fluchtversuchen, Gefangener.

Der Tag war frühherbstlich, wenn auch nicht zu kühl, und die Burg wohl auch daher nicht überlaufen. Wie das gesamte Wochenende habe ich auch hier Ruhe und Grün sehr genossen. Während die Burg selbst zwar interessant aber nicht spektakulär ist, hat man von den Mauern doch eine sehr schöne Sicht über die Felder ins Land, und dazu genug Zeit, sich nicht beeilen zu müssen. Nachdem wir uns bis in den Bergfried und wieder runter gemüht hatten, haben wir Cream Tea getrunken, wie die anderen Frührentnerpaare.
Auch wir fuhren anschließend zurück zur Fähre, deren Sonnendeck wir an diesem Tag nicht nutzen wollten. Eine schöne Erfahrung blieb und aber noch: kurz vor Portsmouth hielten wir, um einen schönen Dreimastsegler vorbeizulassen. Das war wohl ein exklusiveres Kreuzfahrtschiff für meine besserverdienenden Tage. Segler vor der Küste sind sehr schön anzusehen.
Das Kreuzfahrtschiff "Seacloud II". Quelle: OceanEvent