Samstag, 27. Februar 2016

Alles wird gut

Kochen und Essen
In letzter Zeit komme ich erstaunlich wenig an den Computer, was an sich immer ein gutes Zeichen ist, aber eben dem Tagebuchschreiben nicht hilft. Seit dem letzten Bericht hat sich Ellies Situation auf der Arbeit entspannt und das Leben ist uns allen etwas leichter. Die Prüfung wurde "bis auf weiteres" verschoben, vermutlich weil das Innenministerium selbst nur 5 Leute dafür hat und die dringend eine andere Uni dicht machen mussten. Ellie wurde inzwischen der Umbau der Abteilung übertragen, und einige andere Veränderungen (die ich nicht öffentlich nennen sollte) haben letztendlich dazu geführt, dass sie eher gestärkt als geschwächt aus dieser Krise herauskommt. Wie ich ihr von Anfang gesagt hatte könnte ich anfügen. Irgendwann wird die Prüfung zwar kommen, aber mit jedem Tag kann sich die Uni darauf besser vorbereiten. Und vielleicht merkt sogar Ellie, dass am Ende immer alles gut wird. Vielleicht.
Trotzdem will sie sich auf eine andere Stelle an der Uni bewerben, aber auch einfach weil wie schon gute sieben Jahre im gleichen Job sitzt. Und auch, weil ich mich mein Glück mal bei einer Bewerbung auf Beförderung probieren werde. Erfolg ist gar nicht so wahrscheinlich, aber zum ersten Mal traue ich mir den nächsten Dienstgrad zu. Halbwegs.

Arbeiten und Spielen

Mein derzeitiges Projekt wird momentan etwas hektisch - wir bewegen uns auf die Veröffentlichung eines Berichtes vor, wie man die sehr alte Bevölkerung besser schätzen könnte. Somit muss ich Untersuchungsergebnisse in verständlicher Sprache aufschreiben und habe dementsprechend weniger Zeit für Spielereien. Daher macht mir die Arbeit momentan nicht mehr ganz soviel Spaß, wie in den letzten Monaten. Aber nach Veröffentlichung kommt der interessante Teil hoffentlich wieder. Und immerhin freue ich mich auf eine Veranstaltung, die wir für Ende März organisieren, auf der wir mit Nutzern unserer Daten unsere Ergebnisse besprechen. Und am wichtigsten: ich habe mein Computerprogramm noch fertig bekommen. Das schafft unsere Berechnungen in einer Sekunde. Da fühlt man sich fast wie in der Privatwirtschaft.
Natürlich nur, bis man die Gehälter vergleicht. Aber immerhin: die nie endenden Gehaltsverhandlungen sind wohl endlich am Ziel. Und ich bekomme eine ganz gute Erhöhung, plus Nachzahlung, so verspätet ist der Abschluss.

Alles neu

Nun habe ich zum Glück auch noch etwas Privatleben. Zum Beispiel blickt manchmal der Frühling durch die Wolken. So sind Ellie und ich an einem sonnigen Samstag kurz in den Ort Chalton gefahren. Mit dem Auto sind solche schnellen Ausflüge nun möglich. Ellie fährt weiter sehr gut, ist aber über alle Maßen nervös. Ich darf daher erst gar nicht ans Steuer. Chalton liegt übers Feld vom Steinzeithof, den wir vor zwei Jahren einmal besucht haben und von dem aus ich es das erste Mal durchs Fernglas gesehen hatte, ohne hinzukommen. Im letzten Sommer war ich einmal kurz mit Mathieu und Papa dagewesen und wollte seitdem etwas mehr Zeit mitbringen. Der Ort ist die heile Welt der britischen besitzenden Klasse - der französische Name der bis heute in der Kirche begrabenen Familie geht ohne Zweifel noch auf die normannische Eroberung 1066 zurück. Grüne Felder, teure Häuser. Hier wohnt mit Sicherheitheit niemand, dessen Familie nicht schon vor drei Generationen Geld hatte. Und so jemand wird dort auch nicht hinkommen. Sollte die Sonne nochmal zurückkommen, will ich einmal allein oder mit Mathieu dorthin und etwas Radfahren. Denn Mathieu hat eine neue Arbeit in Nottingham und zieht noch vor dem Sommer weg. Er ist mein einziger echter Freund vor Ort und reißt eine ziemliche Lücke. Und Rieke zieht nach Leipzig. Und Friedemann zieht nach München. Alles verändert sich. Wäre ich Single, mich würde der Frühling auch wegtreiben.

Was fürs Herze

Kultur: Da war einmal ein Bauchtanzauftritt Ellies. Der beste, den ich bisher gesehen habe. Der Höhepunkt war aber zwei Wochen darauf Die Zauberflöte in London. Meine Erwartungen waren hoch (ich hatte sie noch nie gesehen und schon lange große Lust darauf) und wurden noch übertroffen. Was für eine Offenbarung: Musiker, die ihre Instrumente beherrschen, Sänger die auch schauspielern können, intelligentes Bühnenbild, durchdachte Inszenierung. Insbesondere die Königing der Nacht hat mich begeistert; traf übermenschliche Noten, interpretierte ihre Rolle ganz ausgefallen als bitter und verwundbar.
Vor der Oper schafften wir es noch zwei Stunden ins Naturhistorische Museum. Eins von denen mit einem Dinosaurier im Foyer. Vielleicht mein ganzes Leben lang war ich nicht mehr so begeistert in einem Museum. Wie einen kleinen Jungen hat es mich interessiert, wie die Erde aufgebaut ist und ausgestorbene Tiere aussahen. Weil uns das alles so gut gefallen hatte, bin ich am Montag darauf in eins der seltenen Kammerkonzerte in Portsmouth gegangen. Und am folgenden Sonntag sind Ellie und ich nochmal nach London gefahren, diesmal in die Tate Gallerie. Andererseits muss ich immer wieder sagen, dass mich London jedes Mal wahnsinnig macht wegen der einfach nicht endenden Menschenmassen. Ellie wird immer spürbar entspannt, weil sie London mit Jugendausflügen aus Kent verbindet. Ich dagegen muss immer erstmal beruhigt werden, wenn wir aus dem vollen Zug in die berstenden Ubahnstationen hinabsteigen.
Ende Februar habe ich dann noch mit Ellie und vielen ihrer Freunde die Rocky Horror Show in Southampton gesehen. Wem es nicht bekannt ist dem ist es schwer zu beschreiben. Ein Musical  über Sex und Aliens aus den 1970ern, inspiriert von Frankenstein und Science Fiction Filmen der 1950er. Vor allem aber ist es ob seiner konsequenten und unbeschämten Abtrusität zu einem Klassiker britischer Kultur geworden. Stichwort Verkleidung. Mehr als nur ein paar Männer alein in Unterhosen. Wenige haben es weniger als dreimal gesehen. Alle kennen die Geschichte und Dialoge bis auf einzelne Sätze. Was beabsichtigt ist, denn Publikumsinteraktion ist fester Bestandteil. De facto ist es also die, mehr oder weniger, erwachsene Version der "Pantos", also des vorweihnachtlichen Kindertheaters. Inzwischen gibt es ganze Skripte, was wann geschrien werden kann. Ellie hatte sich darauf mehrere Tage lang vorbereitet und sah sehr schick aus. Ich kam direkt von der Arbeit und konnte leider kein Kostüm mitbringen. Dafür habe ich Kalina mitgenommen, die wohnt ja vor Ort. Und vor dem Theater hatten wir noch zwei Stunden, zum ersten Mal seit Oktober. Wenn Mathieu weg ist habe ich vielleicht mehr Zeit für sie.


Was für die Seele
Wie mir erst jetzt auffiel haben wir in diesem Frühling nur ein Chorkonzert, am 8. Mai. Daher lese ich in letzter Zeit im Zug wieder Bücher und keine Noten. Zum einen will ich den Geheimen Garten fertig kriegen, ein klassisches Kinderbuch darüber, wie gut Natur für Kinder ist. Ellie hatte einmal angefangen, mir das abends vorzulesen (nachdem ich ihr Momo vorgelesen hatte), es aber (nicht ungewöhnlich) mit der Zeit vergessen. Zum anderen habe ich mir aus der Bibliothek  "Die Elemente" geholt, aus dem britischen Gegenstück der Beck Wissen Reihe. Eigentlich suche ich ein Schulbuch Chemie, aber das ist ein guter Anfang. Wer hätte gedacht, dass Sauerstoff ein Gift ist?

Zu guter Letzt ist Berlin endgültig festgezurrt. Wir kommen am 25. März und fliegen am 29. März wieder zurück. Wohnen werden wir in einem Apartment drei U-Bahn Stationen südlich vom Brandenburger Tor.

Zum Schluss etwas kulturelles Wissen, dass ich letztens für ein Quiz auf der Arbeit zusammengesucht habe, und das größtenteils aus Bemerkungen zwischen Ellie und mir hervorgeht.

  1. Die Waschmaschine ist in England fast immer in der Küche. War mir nie aufgefallen, bis Ellie auf einem Bild von Riekes neuer Wohnung fragte, warum sie da im Bad ist. In Polen ist sie auch im Bad, zu anderen Ländern fehlt mir das Wissen.
  2. Prozentualverteilung Wohnung mieten/kaufen: GB 34/64 Deutschland 55/45. Ostdeutschland 66/34, Westdeutschland 52/48. Quelle: Eurostat. Bezogen auf Haushalte, nicht Personen. Man beachte GB hat die genau entgegensetzte Verteilung Ostdeutschlands. Zwei Prozent in GB entfallen auf andere Formen wie mietfreies Wohnen.
  3. Das englische Wort "gymnasium" heißt Fitnessstudio.
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Ich habe inzwischen einige Kollegen, mit denen ich deutsch spreche. Einem sage ich immer tschüss wenn ich gehe. Letztens habe ich nach ihm aus Versehen auch der nächsten Person tschüss gesagt. Da war ich froh, dass mir sowas noch passiert.

Und ich habe einen neuen Fotoapparat!


Die erste Sonne des Jahres Mitte Februar. Und der ca. tausendste Sturm des Jahres.

Die ersten Krokusse Mitte Februar.

Bei der Rocky Horror Show. Ich kam direkt von der Arbeit und konnte mich dementsprechend nur als Radfahrer verkleiden. Nicht ganz konventionell. Das neben mir ist Ellie. Isse nich schick?