Das
lange Wochenende hat mal offen gelegt, wie flach unter der Oberfläche
meine Nerven liegen. Ursprünglich auserkoren, nochmal richtig was
mit Monika zu unternehmen und zu zeigen, das ich was mit Leuten
unternehmen kann, wurde es zu einer unerwartet deutlichen Erinnerung,
warum ich vor Jahren am liebsten alleine Sachen unternommen habe. Das
ging schon damit los, dass die letzte Arbeitswoche zum ersten Mal
wirklich an meinen Nerven gezehrt hat. Es gibt viel zu tun und noch
mehr Überstunden, sodass ich regelmäßig erst nach 21 Uhr nach
Hause gekommen bin. Dadurch war nicht viel mit mehr Zeit mit Monika.
Einzig ein Abendessen bei Adriana (italienische Kollegin) war drin,
zu dem typischerweise niemand der sonst eingeladenen Zeit hatte. Und
Adriana ist auch ein wenig einsam, was dann den Fokus auf das Problem
eher verstärkt als lindert. Und müde war ich von der Arbeit, was
den Nerven auch nicht gerade gut tat. Trotzdem hatte ich Vodka
gekauft, denn ich hatte Monika gesagt, ich will einmal zusammen
kochen und trinken. Und dann trinkt sie nicht, und essen will sie
auch nicht.
Samstag
allein
Dann
hurra war Samstag, der erste Tag des langen Wochenendes. Eigentlich
hatte ich Monika nach London begleiten wollen, wo sie sich Wohnungen
angucken wolle. Aber Samstag war wie immer vor Mittag nichts von
Monika zu sehen und dann hatte sie natürlich auch nichts gebacken
bekommen, und das musste sie heute unbedingt machen, damit sie morgen
fahren könnte. Für mich war wenigstens endlich mal Zeit, viel
Organisitorisches nachzuholen. So habe ich mein erstes Fahrrad
reparieren lassen und dann mein drittes Klimt-Poster abgeholt: ab
jetzt lächelt jeden Morgen die goldene Judith I mit dem Haupt
Holofernes' in der Hand zweideutig auf mich im Bett herab. Danach
habe ich es gerade noch zur Schließzeit zum eigentlichen Tagesziel
geschafft, dem historischen Dorf in Gosport. Gosport ist das Viertel
am Westufer des Hafens, durch das ich jeden Morgen fahre, wobei ich
stets die Schilder zum Dorf sehe. Das ist ein wundervoller Flecken
Erde, der Nachbau eines Dorfes aus dem Jahr 1642, dem Anfangsjahr des
englischen Bürgerkriegs zwischen König und Parlament (Portsmouth
und Region waren stark parlamentarisch). Das Dorf entstand aus dem
Nachlass einer Schlachtennachgestaltung und wird seit 30 Jahren von
Freiwilligen betrieben, komplett in Kostüm und Sprache der Zeit.
Wundervoll ist es nicht nur wegen der hohen Qualität der Gebäude
und des Detailwissens der Bewohner, die alle eine Rolle spielen und
sich sehr gut in ihrem jeweils dargestellten Beruf auskennen. Vor
allem ist die ganze Anlage in einem richtigen kleinen Waldstück
gelegen, von denen es hier drüben bekanntermaßen nicht mehr viele
gibt. Und so spaziert man unter richtigen Eichen, in richtiggehenden
Hohlwegen, und umwucherte Tümpel an den Seiten geben einen richtigen
Eindruck, wie begrenzt die geistige Welt eines Dorfbewohners im 17.
Jahrhundert wirklich war. Leider öffnen sie nur einige Tage im Monat
und dieses Jahr gar nicht mehr, außer zwei Tagen im Oktober. Ich
durfte noch schnell gratis rein, weil in einer halben Stunde
zugemacht wurde.
Anschließend
brachte ich an diesem schauerreichen Tag vor einem Platzregen in
verlassenen Gewächshäusern nebenan in Sicherheit, eine sehr
gemütliche Angelegenheit, die unbedingt geteilt werden sollte. Dabei
habe ich hinterlassene Blumen für Monika gepflückt und mir
ausgedacht, dass man in der Tat mit Bekannten zurückkommen sollte,
solange das Dorf noch offen ist, also bis zum Montag des langen
Wochenendes. Also z.B. Montag mit Monika und Adriana, da wir dann ja
sowieso Abendessen kochen wollten, und mit Monikas Auto auch gleich
ein paar der schwereren Topfpflanzen einsacken könnten.
Richtige Eichen! |
Ein vorindustrieller Webstuhl. Lodz wurde auf der mechanisierten Version gebaut. |
Mittagspause im Wirtshaus. |
Topfgucker. |
Der Töpfer. |
Richtiger Wald! |
Schöner Wohnen für Monikas Zimmertür |
Sonntag
allein
Sonntag
hatte Monika wieder nichts organisiert, was mich inzwischen nicht
mehr überraschte, aber trotzdem nervte, da ich mich schon auf einen
gemeinsamen Ausflug gefreut hatte. Und Kalina hätte auch keine Zeit
gehabt, sollte ich in London sein. Das hatte ich zwar auch gewusst,
war aber ebenfalls trotzdem nicht erfreut. Dann meinte ich noch,
Monika, kann ich Dich vielleicht in das französische Restaurant
einladen, was ich letztens entdeckt habe, und höre nur nein keine
Lust, ich fühl mich schlecht, alles ist doof. Adriana war bereits in Brighton und der Plan mit dem historischen Dorf bereits gestorben. Ich also mehr gebacken
und geschwommen, bei morgens noch richtig sonnigem Wetter und
auf einem Stück Sandstrand. Dann traf ich Monika, um mit ihr auf zum
Drachenfest auf der Wiese an der Strandpromenade zu gehen. Dachte ich
mir, sie schätzt bestimmt, das sie jemand zu was mitnimmt, aber
stattdessen war es ein Gequengel mir ist kalt ich mag keine Menschen
ich will zurück in mein dunkles Zimmer. Ich bin abends lieber
nochmal schwimmen gegangen und dann auf ein gratis Konzert, das
letzte und größte der regelmäßigen Sommerkonzerte an der
Promenade, diesmal mit Feuerwerk. Monika konnte nichtmal das aus dem
Haus locken, aber ich wollte dafür die lokalen Couchsurfer treffen
(Couchsurfing: Leute in diesem Online-Netzwerk, die Übernachtungen
für Rucksackreisende anbieten). Das ist eine offene und interessante
Gruppe, mit der ich schon früher auf Konzerten gewesen war. Ich habe
niemanden auf dem Konzert gesehen und stattdessen nur einige
besonders unschönen Szenen der allgemeinen Trunkenheit hier erlebt.
Abgesehen vom allgemein durch die Luft fliegenden Bier war da eine
größere Familie, deren eines männliche Mitglied das Gleichgewicht
verlor und über ein kleines Mädchen rollte. Die Mutter sagte zwar
irgendwas unfreundliches, aber als das Mädchen lag auf dem Boden und
weinte, reagierte niemand aus der Familie, weil alle zu besoffen
waren und stumpf in Richtung Lautsprecher starrten. Mit den
Couchsurfern wollte ich mich wenigstens nach dem Konzert in einem Pub
treffen, und ich hatte auch mal richtig Lust, was zu trinken, wo das
mit Monika schon nie klappt. Aber erstmal muss man die Leute ewig
nerven, damit man den Pub erfährt, und dann wartet man und keiner
kommt, und das das Telefon nimmt man überhaupt nicht mehr ab. Also
wieder enttäuscht nach Hause.
Das Drachenfest auf der Southsea Gemeindewiese am Meer. |
Das letzte Sommerkonzert. |
Montag
allein
Dann
war schon Montag, der letzte Tag des letzten Wochenendes mit
Mitbewohnerin, und Adriana informiert über ein gratis
Reaggea-Festival in Brighton. Monika dazu: kein Geld, und auch wenn
ich den Sprit zahlen würde, keine Lust. Da hatte ich schon genug,
ständig Leuten etwas anzubieten und nie jemanden mit dabei zu haben.
Also bin ich wieder los, um das historische Dorf mal richtig zu
sehen, und schickte eine Nachricht zu Adriana, dass ich später
alleine komme. Im Dorf sprach ich lang und detailliert mit jedem
Darsteller, bekam eine richtige Einweisung in Forstwerkzeug, erst
recht nach der knappen Absage, dass man in Brighton "beschäftigt"
sei und auch diese Option ausfällt. Am Ende habe ich geholfen, das
Dorf aufzuräumen und abzuschließen und ausweichend auf eine
Einaldung reagiert, doch gleich dem Verein beizutreten. Und zum
Abschluss dieses tollen Wochenendes fuhr ich mit meinem Rad die Wege
eines Naturlehrpfads durch Felder und entlang von Teichen und
ärgterte mich, dass man entweder zu Hause hockt, oder allein ist.
Ich bin zunehmend enttäuscht von Monika, die anfangs soviele
Ambitionen angemeldet hatte, und kaum auf Einladungen reagiert, nicht
zum Tanzen, nicht zum Schwimmen, auf die wenigsten Ausflüge. Ich
habe mir das Wochenende hier extra zurueck gesetzt und dann schliesst
sie sich wieder in ihr Zimmer ein. Das gleiche mit Adriana, das
gleiche mit den lokalen Leuten. Ich dachte, ich hätte längst viel
über die Vorzüge gemeinsamer Aktivitäten gelernt. Aber in letzter
Zeit fühle ich mich an Zeiten erinnert, in denen noch die Devise
galt, willst Du etwas erleben, machs allein.
Pläne
habe ich genug: von der Arbeit zur Abtei Netley auf dem Weg nach
Southampton. Von zu Hause nach Osten auf die nächste Halbinsel zu
angeblichen Sandstränden. Das Wochenende auf der Isle of Wight. Ein
alter Pilgerpfad von Winchester nach Southampton. Sämtliche
Radstrecken in Büronähe mit Adriana. Der Neue Wald hinter
Southampton. Die gesamten Marinemuseen in Portsmouth für den Winter.
Der Unichor beginnt am 19. September und dann sollte auch langsam die
katholische Studentengruppe zurück kommen, und auch die
Unisportgruppen.
Und
sonst: zu Hause wird endlich gebacken, da ich endlich den Ofen
enträtselt habe, nachdem ein erster Backversuch mit dem Feuerlöscher
beendet werden musste. Außerdem hat ein Brillenglas einen Sprung; es
muss am Strand unglücklich mit einem Stein zusammengestoßen sein.
Und ich habe keine Ahnung, wann ich Zeit für den Optiker haben soll.
Zum Glück merkt man es bei Sehen nicht, aber es sieht vermutlich
nicht sehr professionell aus. Zum Schluss waren wir beruhigt, als
eine Postkarte von unserem Vermieter eintraf, nachdem wir uns schon
Sorgen gemacht hatten, wo er geblieben war.