Montag, 25. Juni 2012

24.06.2012 – Große Freiheit Nr. 1

Wie nun die meisten schon wissen, habe ich meine erste Pause gleich voll genutzt und bin auf die Insel vor der Tür gefahren. Am Vortrag haben wir Wochenendarbeit geleistet und der Sonntag wurde uns wider Erwarten freigegeben. Ich hatte mich etwas erholt und außerdem abends wirklich mein Fahrrad zu Hause vorgefunden. Nach dem vielen Gelaufe konnte ich es kaum erwarten, es endlich einzuweihen. Als ein Plan für den ersten freien Tag hersollte, spürte ich trotz mittelmäßiger Wettervorhersage sofort, dass ich auf die Isle of White will. Ziel war nicht Tourismus, sondern einfach Rad fahren, Bewegung, Wasser, das war mir in der letzten Zeit leichter Einsamkeit und Bürositzens Bedürfnis.
Drum bin ich einer Sonntagsmesse voll kreischender Kinder zum Katamaran gefahren - der Passagierfähre zur Insel. Die Überfahrt dauert knapp 20 Minuten und man wird an der langen Seebrücke des Ortes Ryde an der Nordküste abgesetzt, den man ohne Probleme von Portsmouth aus sehen kann. Gleich fällt mir auf, das der Wald wie an der Ostsee bis ans Ufer wächst. Ein Schwall Salzluft kommt mir entgegen, als ich auf der Brücke über den tangbedeckten Strand fahre. Eine kurze Zeit gehe ich durch den Ort, in dessen aufsteigenden Gassen eindeutig Geld steckt. Eine Art Gehlsdorf mit gut situierten Heimen und Alterssitzen.

Ausfahrt aus dem Hafen von Portsmouth.



Blick von der Landungsbrücke auf Ryde.
Dann begebe ich mich auf den Radweg Richtung Osten. Der stellt sich als waschechte Promenade raus, Grün rechts, Sandstrand links, und jetzt wird es auch sonnig und warm. Ich hatte mir die Jacke eingesteckt für Regen, jetzt bräuchte ich eher Sandalen. Hier fange ich auch an, Euch alle anzurufen, darum komme ich erst zwei Stunden später weiter. Bis dahin ist die Promenade immer schöner geworden und die Sonne immer sonniger und das Wasser immer türkiser und das Meer immer belebter. Frachter liegen auf Reede, Kreuzfahrtschiffe, Fähren, Segler und Yachten ziehen durch die Meerenge Solent zwischen Isle of Wight und Festland, über der keine Wolke mehr steht. Ich bin bis in den nächsten Ort gekommen, Seaview, der seinen Namen zurecht trägt. In der transparenten blauen Gischt ist kein Sand, sondern bizarr ausgewaschene Steinformationen. Die Straßen und Häuser gehen bis ans Wasser heran, in den Gärten wachsen Palmen und Lavendel, und an sich hat der ganze Tag ein unverkennbar mediterranes Gefühl bekommen. An einer der Kneipen genehmige mir das erste Eis in England und gucke Schiffe mit den Füßen auf der Seemauer.

Strandweg.

Portsmouth vom anderen Ufer aus gesehen.


Anfahrt auf Seaview.


Die Promenade in Seaview.







Blick von Seaview auf Portsmouth.
Dann fahre ich ins Landesinnere, denn bisher habe ich mehr telefoniert als wirklich in die Pedale getreten, und die Beine kribbeln vor Unterforderung. Auf Straßen zwischen heranwachsenden Feldern hindurch. Nicht ganz eine mecklenburgische Allee, aber doch mit Baumreihen vor dem Grün auf beiden Seiten. Der Wind weht durch die Ähren, die Sonne scheint, von einer Kurve ab lädt ein Weg ins Feld zum ungeplanten Entdecken auf Landwegen ein. Ein Tor mit Briefkasten vor dem Weg kann nur eins bedeuten, er führt zu einer Farm, ganz klar. Aber ich fahre die Straße weiter, die sich aufwärts schlängelt. An einer Stelle öffnet sich der Blick aufs Meer, auf die Reede, wo sich der Solent zum Atlantik öffnet. An diesem Panorama mache ich an einem Hofcafé halt, esse mehr Eis an den Holztischen auf dem Gras. Neben mir rupft ein Schaf Gras, Schweine grunzen, in der Luft zwitschert es; Blumen, Büsche, Sonnenwärme, Schiffe ziehen am Horizont...eigentlich nur ein Wort: Idylle. Für einen Tag sind alle Zweifel vom Tisch: genau so hatte ich mir das Leben hier im Idealfall vorgestellt. Fehlt nur eins: jemand, der mitkommt.


Blick über ein Feld auf die Bucht von Sanddown ganz am Horizont.






Eispause.






Es ist ein bisschen wie vor langer Zeit auf Hiddensee: alles ist erreichbar, und man kommt immer irgendwie ans Meer. Mein Weg führte mich weiter in den kleinen Ort Brading, wo ich kurz am wild wachsenden Friedhof und der Kirche halte. Dann begann ich einen langen Aufstieg zu einem Hügelfort, das ich schon den ganzen Weg über gesehen hatte. Und wie andere mit Kirchtürmen, so muss ich auf sowas immer rauf. Was ich fand, war endlich der ganz offenen Atlantik, von hoch oben, ein Teil eingefasst in einer Bucht wie auf der Farm, der Horizont verschwimmt im Dunst zwischen Wasser und Himmel. Und ganz still ist es, nur die Wellen hört man, sogar oben auf Hügel. Einige Leute mit Ferngläsern sagen mir, die Queen Mary 2 wird aus Richtung Southampton erwartet, aber zu sehen ist nichts.
Nach einigen Irrungen und Wirrungen durch den Busch an den Klippen geht es auf die Rückfahrt. In einer Biegung sehe ich sie fast verschwinden: die Queen Mary 2 zieht aus dem Solent. Neben ihrem massiven Körper wirken die Frachter klein, und sie ist überraschend schnell. Etwas weiter komme ich zurück an die Strandpromenade, die inzwischen fast so leer ist wie das seit Mittag verebbte Meer, und so jage ich mit Höchstgeschwindigkeit immer der Sonne entgegen, die direkt über dem Pier einen Strahl übers Wasser wirft. An Deck der Katamarans spüre ich den den Wind im Gesicht, das Wogen des Schiffs, keine Wolke verhüllt die Sonne, die die die ganze Meerenge erhellt, von Ufer zu Ufer wie auch die Schiffe dazwischen und ihr Strahl auf den Wassern zeigt direkt auf mich.
Sanddown von der Auffahrt zum Hügelfort gesehen.
Sanddown mit Strand.
Auf dem Hügelfort. Der aufmerksame Leser erkennt die das Schiff aus dem Eintrag von genau einer Woche vorher. Aus Richtung Southampton Richtung Osten.

Eine Bucht bei Ebbe.




Die Queen Mary 2 flieht vor der Ebbe.


Landungsbrüce und Ryde am Abend bei Ebbe.

Blick zurück auf die Promenadenstrecke bei Ebbe.
Abfahrt aus Ryde.


Blick zurück auf Seview.


Der Schwesterkatamaran auf dem Weg zur Insel.
Am nächsten Tag nehme ich nach diesem Test das Fahrrad im Zug mit zur Arbeit und reagiere mich nach Feierabend am ganzen Weg nach Hause ab. Ergebnis: in einer Stunde machbar. Und nachdem ich mit der Hafenfähre übergesetzt bin, fahre ich noch die gesamte Promenade ab, von den Hafenmauern bis zur Seebrücke bei meinem Haus, immer am Wasser entlang. Das nach der Arbeit machen zu können, ist ein echtes Privileg. Fehlt nur jemand, der das mitmacht. Einmal will ich die ganze Isle of Wight an einem Wochenende umfahren. Wer kommt mit?

Dienstag, 19. Juni 2012

16.06.2012

Darauf folgte das erste Wochenende – und Samstag war gleich angefüllt mit noch einer Reihe dringender Termine. Zuerst legte ich ein englisches Konto an. Bei der Gelegenheit meldete ich mich nebenbei in der öffentlichen Bibliothek an. Zweiter Punkt: ein Fahrrad muss her, und diesmal soll es durchaus ein gutes sein, um ab und zu zur Arbeit zu fahren. Dazu lief ich lange Wege und lernte Southsea am Wochenende in Aktion kennen. Das ist ja der bessere Teil von Portsmouth, und hat bei Sonne einen richtig dörflichen Charakter mit vielen kleinen Läden und Cafés vollbesetzt mit Leuten wie aus Kreuzberg. Auf dem Weg zu zwei Fahrradläden kam ich sogar an einem jüdischen Friedhof vorbei. Sobald man aber von den Läden wegkommt, sind andere Straßen ausgestorben wie uckermärkische Dörfer am Sonntag. Nach den Geschäften folgte ich noch einem Tipp meines Vermieter, dass in einem Gemeindezentrum abgegebene Fahrräder repariert und verkauft werden. Das nach langem Laufen gefundene Community Centre hat mich sehr an ein Kulturhaus erinnert. Gerade gab man sich richtig Mühe bei einem Fest für begeisterte Kinder. Daneben werden viele Kurse oder ein Gartenprojekt angeboten, für einen marginalen Mitgliedsbeitrag. Hinter dem Gebäude waren die Radleute, alles Freiwillige, was ich hier immer so mochte. Die hatten für mich auch gleich ein Modell, dass allen meinen Ansprüchen genügte, für einen Bruchteil des Ladenpreises. Zusammen mit der Wohnungsfindung trägt das zu erheblich niedrigen Ausgaben bei, als erwartet. Donnerstag kann ich es abholen.
Ein Aushang machte mich auf ein Kirchenfest die Straße hoch aufmerksam, wo ich bei Tee und Kuchen die Beine ausruhte und vermutlich länger mit dem Priester fachsimpelte, als seinem Smalltalkinteresse lieb gewesen war. Überhaupt war das der erste Tag, wo ich einfach mal lange laufen und so einen Teil der Stadt kennen lernen konnte. Zwischen den ganzen gleichen Häusern ist dabei immer wieder was Schönes, ein Park oder ein Teich vor einem älteren Gebäude, wo etwas für die und von der Gemeinschaft erhalten wird, was man bei der Bedeutung von Privateigentum hier gar nicht denken würde. Gleichzeitig sieht England stellenweise aber auch zusammengeschusterter aus als Polen. Die kleinen Geschäfte mit handgemalten Schildern in konvertierten Wohnungen und Garagen, die Kunst der Selbstanpreisung, die offensichtliche Diskrepanz zwischen Superlativen und der schäbigen Wirklichkeit von Arbeitern und Immigranten ist mir manchmal richtig zuwider. Und überall Flaggen – Queen's Geburtstag, Queen's Thronjubiläum, und Fußball.
Sonntag hatte ich zum ersten Mal Zeit für einen reinen Freizeitspaziergang. Der führte mich bei gutem Wetter an die Wasserpromenade, wo am Sonntag sehr viele Menschen unterwegs waren. Endlich hatte ich Zeit, das Panorama voll zu genießen. Die Isle of White liegt viel näher an der Küste als man denkt, man sieht die Häuser der nächsten Stadt am anderen Ufer. Dazwischen herrscht ein reger Verkehr, drei unterschiedliche Fährlinien pendeln hin und her, darunter Katamaran und ein Luftkissenboote. Dazu kommen aus Southampton richtig große Kreuzfahrtschiffe. Der Strand ist bestenfalls steinig und zum großen Teil von einer Seemauer abgeschirmt, an die bei Flut das Wasser direkt klatscht. Wasser und Strand können bei weitem nicht mit der Ostsee mithalten, viel Tang und alles etwas schmutzig. Dafür die Seeluft, die Sonne, die Schiffe – da bin ich ein gutes Stück mehr in Portsmouth angekommen, auch wenn Southampton soviel toller sein soll. Das alles auch praktisch vor meiner Haustür. Am westlichen Ende der Mauer ist wieder Steinstrand bis zum Horizont und davor eine Seebrücke, wie immer in England vollgepackt mit einem angestaubten Casino. Die Straße hoch wohne schon ich. Mein Viertel ist ja das südlichste in Portsmouth, Southsea. Entsprechend dem Namen ist der Promenade vorgelagert ein breiter Grünstreifen, teilweise mit Palmen, der einen fast französischen Eindruck macht. Genau wie ja das ganze Viertel mit kontinentalem Charme kokettiert.
Der "Spinnaker" Turm im Hafen, gesehen von der Fähre, die zwischen Ost- und Westufer pendelt.
Die Autofähre zur Isle of Wight läuft aus. Von der Hafenfähre gesehen.

Sonntag an der Promenade. 
Die Seebrücke.
Die Seebrücke am Ende meines Spaziergangs. Fünf Minuten nach links wohne ich.
Blick vom Strand zur Isle of Wight.
Blick den Strang entlang nach Osten, mit der Seebrücke im Rücken.
Die Isle of Wight von der Strandpromenade aus gesehen. Was die Betoninseln machen, weiß ich noch nicht.
Sie Strandpromenade mit Seemauer.
Blick von der Strandpromenade zum Hafen mit Spinnaker Turm im Westen.
Die Autofähre läuft zur Isle of Wight. Vom Strand aus gesehen.
Die Passagierfähre aus Le Havre läuft ein.

Die Luftkissenfähre läuft aus dem Hafen zur Isle of White aus, von der der Katamaran gerade zurückkommt.
Luftkissen- und Autofähre vor der Hafeneinfahrt.
Die Autofähre läuft von der Isle of White ein, vor der gerade ein Kreuzfahrtschiff aus Southampton entlangläuft.
Ein Kreuzfahrtschiff vor der Isle of White, vom Strand in Portsmouth aus gesehen.
Das Kreuzfahrtschiff fährt aus Hohe See.
Die Fähre aus Le Havre läuft ein. Abends von der Hafenfähre aus gesehen.
Hinter der Fähre aus Frankreich läuft die Autofähre von der Isle of White ein.
Blick ins Hafeninnere bei Abendlicht. Am Ende der Bucht fahre ich jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit entlang.
Mein schönes neues, preiswertes Fahrrad, traditionell blau und etwas zu klein!