Wie
nun die meisten schon wissen, habe ich meine erste Pause gleich voll
genutzt und bin auf die Insel vor der Tür gefahren. Am Vortrag haben
wir Wochenendarbeit geleistet und der Sonntag wurde uns wider
Erwarten freigegeben. Ich hatte mich etwas erholt und außerdem
abends wirklich mein Fahrrad zu Hause vorgefunden. Nach dem vielen
Gelaufe konnte ich es kaum erwarten, es endlich einzuweihen. Als ein
Plan für den ersten freien Tag hersollte, spürte ich trotz
mittelmäßiger Wettervorhersage sofort, dass ich auf die Isle of
White will. Ziel war nicht Tourismus, sondern einfach Rad fahren,
Bewegung, Wasser, das war mir in der letzten Zeit leichter Einsamkeit
und Bürositzens Bedürfnis.
Drum
bin ich einer Sonntagsmesse voll kreischender Kinder zum Katamaran
gefahren - der Passagierfähre zur Insel. Die Überfahrt dauert knapp
20 Minuten und man wird an der langen Seebrücke des Ortes Ryde an
der Nordküste abgesetzt, den man ohne Probleme von Portsmouth aus
sehen kann. Gleich fällt mir auf, das der Wald wie an der Ostsee bis
ans Ufer wächst. Ein Schwall Salzluft kommt mir entgegen, als ich
auf der Brücke über den tangbedeckten Strand fahre. Eine kurze Zeit
gehe ich durch den Ort, in dessen aufsteigenden Gassen eindeutig Geld
steckt. Eine Art Gehlsdorf mit gut situierten Heimen und
Alterssitzen.
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Ausfahrt aus dem Hafen von Portsmouth. |
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Blick von der Landungsbrücke auf Ryde. |
Dann
begebe ich mich auf den Radweg Richtung Osten. Der stellt sich als
waschechte Promenade raus, Grün rechts, Sandstrand links, und jetzt
wird es auch sonnig und warm. Ich hatte mir die Jacke eingesteckt für
Regen, jetzt bräuchte ich eher Sandalen. Hier fange ich auch an,
Euch alle anzurufen, darum komme ich erst zwei Stunden später
weiter. Bis dahin ist die Promenade immer schöner geworden und die
Sonne immer sonniger und das Wasser immer türkiser und das Meer
immer belebter. Frachter liegen auf Reede, Kreuzfahrtschiffe, Fähren,
Segler und Yachten ziehen durch die Meerenge Solent zwischen Isle of
Wight und Festland, über der keine Wolke mehr steht. Ich bin bis in
den nächsten Ort gekommen, Seaview, der seinen Namen zurecht trägt.
In der transparenten blauen Gischt ist kein Sand, sondern bizarr
ausgewaschene Steinformationen. Die Straßen und Häuser gehen bis
ans Wasser heran, in den Gärten wachsen Palmen und Lavendel, und an
sich hat der ganze Tag ein unverkennbar mediterranes Gefühl
bekommen. An einer der Kneipen genehmige mir das erste Eis in England
und gucke Schiffe mit den Füßen auf der Seemauer.
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Strandweg. |
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Portsmouth vom anderen Ufer aus gesehen. |
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Anfahrt auf Seaview. |
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Die Promenade in Seaview. |
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Blick von Seaview auf Portsmouth. |
Dann
fahre ich ins Landesinnere, denn bisher habe ich mehr telefoniert als
wirklich in die Pedale getreten, und die Beine kribbeln vor
Unterforderung. Auf Straßen zwischen heranwachsenden Feldern
hindurch. Nicht ganz eine mecklenburgische Allee, aber doch mit
Baumreihen vor dem Grün auf beiden Seiten. Der Wind weht durch die
Ähren, die Sonne scheint, von einer Kurve ab lädt ein Weg ins Feld
zum ungeplanten Entdecken auf Landwegen ein. Ein Tor mit Briefkasten
vor dem Weg kann nur eins bedeuten, er führt zu einer Farm, ganz
klar. Aber ich fahre die Straße weiter, die sich aufwärts
schlängelt. An einer Stelle öffnet sich der Blick aufs Meer, auf
die Reede, wo sich der Solent zum Atlantik öffnet. An diesem
Panorama mache ich an einem Hofcafé halt, esse mehr Eis an den
Holztischen auf dem Gras. Neben mir rupft ein Schaf Gras, Schweine
grunzen, in der Luft zwitschert es; Blumen, Büsche, Sonnenwärme,
Schiffe ziehen am Horizont...eigentlich nur ein Wort: Idylle. Für
einen Tag sind alle Zweifel vom Tisch: genau so hatte ich mir das
Leben hier im Idealfall vorgestellt. Fehlt nur eins: jemand, der
mitkommt.
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Blick über ein Feld auf die Bucht von Sanddown ganz am Horizont. |
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Eispause. |
Es
ist ein bisschen wie vor langer Zeit auf Hiddensee: alles ist
erreichbar, und man kommt immer irgendwie ans Meer. Mein Weg führte
mich weiter in den kleinen Ort Brading, wo ich kurz am wild
wachsenden Friedhof und der Kirche halte. Dann begann ich einen
langen Aufstieg zu einem Hügelfort, das ich schon den ganzen Weg
über gesehen hatte. Und wie andere mit Kirchtürmen, so muss ich auf
sowas immer rauf. Was ich fand, war endlich der ganz offenen
Atlantik, von hoch oben, ein Teil eingefasst in einer Bucht wie auf
der Farm, der Horizont verschwimmt im Dunst zwischen Wasser und
Himmel. Und ganz still ist es, nur die Wellen hört man, sogar oben
auf Hügel. Einige Leute mit Ferngläsern sagen mir, die Queen Mary 2
wird aus Richtung Southampton erwartet, aber zu sehen ist nichts.
Nach
einigen Irrungen und Wirrungen durch den Busch an den Klippen geht es
auf die Rückfahrt. In einer Biegung sehe ich sie fast verschwinden:
die Queen Mary 2 zieht aus dem Solent. Neben ihrem massiven Körper
wirken die Frachter klein, und sie ist überraschend schnell. Etwas
weiter komme ich zurück an die Strandpromenade, die inzwischen fast
so leer ist wie das seit Mittag verebbte Meer, und so jage ich mit
Höchstgeschwindigkeit immer der Sonne entgegen, die direkt über dem
Pier einen Strahl übers Wasser wirft. An Deck der Katamarans spüre
ich den den Wind im Gesicht, das Wogen des Schiffs, keine Wolke
verhüllt die Sonne, die die die ganze Meerenge erhellt, von Ufer zu
Ufer wie auch die Schiffe dazwischen und ihr Strahl auf den Wassern
zeigt direkt auf mich.
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Sanddown von der Auffahrt zum Hügelfort gesehen. |
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Sanddown mit Strand.
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Auf dem Hügelfort. Der aufmerksame Leser erkennt die das Schiff aus dem Eintrag von genau einer Woche vorher. Aus Richtung Southampton Richtung Osten. |
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Eine Bucht bei Ebbe. |
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Die Queen Mary 2 flieht vor der Ebbe. |
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Landungsbrüce und Ryde am Abend bei Ebbe.
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Blick zurück auf die Promenadenstrecke bei Ebbe. |
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Abfahrt aus Ryde. |
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Blick zurück auf Seview. |
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Der Schwesterkatamaran auf dem Weg zur Insel. |
Am
nächsten Tag nehme ich nach diesem Test das Fahrrad im Zug mit zur
Arbeit und reagiere mich nach Feierabend am ganzen Weg nach Hause ab.
Ergebnis: in einer Stunde machbar. Und nachdem ich mit der Hafenfähre
übergesetzt bin, fahre ich noch die gesamte Promenade ab, von den
Hafenmauern bis zur Seebrücke bei meinem Haus, immer am Wasser
entlang. Das nach der Arbeit machen zu können, ist ein echtes
Privileg. Fehlt nur jemand, der das mitmacht. Einmal will ich die
ganze Isle of Wight an einem Wochenende umfahren. Wer kommt mit?