Montag, 28. Oktober 2013

Rennen durch den Herbst

Die gesamte Zeit seit meiner Rückkehr aus Deutschland stand im Zeichen eines endlosen Rennens, alle Freunde regelmäßig zu sehen oder zumindest zu hören. Zunehmend zog das auch mein Schlafkonto in Mitleidenschaft, sodass ich zuletzt rigoros auf meinen Zustand achten musste. Irgendwo kürzer treten fällt mir weiter zu schwer. Und dann war der Herbst schon fast wieder vorbei und Weihnachten fast vor der Tür.

Kulturell war die Zeit produktiv. Ich habe Das Erbe Roms zum zweiten Mal ausgelesen und könnte es gleich nochmal anfangen. Aber erstmal war etwas Prosa dran: Ellie hat mir wieder ein Buch von Margarete Atwood in die Hand gedrückt, Oryx und Crake. Im englischsprachigen Raum ist sie scheinbar allgemein bekannt, und mich hat das Buch genauso mitgerissen wie Der Report der Magd - ich konnte es kaum weglegen. Zu glaubwürdig auch in seiner Athmosphäre, es hat mir zeitweise richtige Depressionen beschert.
Daneben kamen Max und Moritz und einige weitere Details zu Wilhelm Busch sowie der Struwwelpeter auf den Teller. Deutsche Kindergeschichten bieten verlässlichen Gesprächsstoff, wie auch Raumpatrioulle - neben ihr habe ich Unsere Mütter, unsere Väter und etwas Weissensee gesehen. Gelesen habe ich auf Kasias Anstoß auch zum Massaker vom Celle.

Mit Theresa, einer deutschen Austauschstudentin aus dem Chor, habe ich endlich jemanden gefunden, mit der ich einige langgehegte Pläne umsetzen kann. Wir treffen uns einmal die Woche und üben die jeweils aktuell gelernten Tanzschritte - Walzer für mich, Rumba und Cha Cha für sie. Im Tango bereiten wir uns auf einen Auftritt im nächsten Frühjahr vor. Das bringt eine zeitliche Extrabelastung mit, denn neben den normalen Lektionen Freitag Abend habe ich Mittwoch Abend zwei Stunden Probe - zusammen mit Arbeit und Chor ist das mit Abstand der anstrengendste Tag.
Auch einen anderen Punkt auf der List habe ich noch geschafft und ein lokales Restaurant ausprobiert. Das Ergebnis war mittelmäßig, aber das wichtigste war, dass wir zu viert waren, mit einer bauchtanzenden, chorsingenden Freundin, Mathieu und einer weiteren Bekannten von ihm. Zwar war keiner begeistert, aber gelacht haben wir genug.
Natürlich geht der Chor weiter und auch voran, ich finde wie immer zu wenig Zeit zum Üben, aber die immer mehr zusammenpassende Musik kitzelt auch wie üblich mehr und mehr diese überschwengliche Begeisterung fürs Singen in mir wach. Mi der Zeit konnte mich unser Dirigent auch wieder von seiner Meinung überzeugen, Salieris Messe ist langfristig schöner als Mozarts. Auch für den Weihnachtsmarkt habe mich wieder angemeldet, am 1. Dezember, dem Tag nach dem Konzert. Diesmal wurde mir die Rolle eines halbseidenen Straßenapothekers gegeben.

Der auch in deutschen Nachrichten genannte Sturm war größtenteils nachts und der Morgen schön und sonnig. Manchmal kann ich nach der Arbeit aber noch etwas am Wasser liegen, mit warmer Kleidung ist das noch möglich, und den Schiffen zusehen, wie sie aus dem Dunst auftauchen und langsam vor den Linien der Isle of Wight vorbeiziehen oder weiter draußen auf Reede liegen. Zum Schiwmmen ist es endgültig zu kalt, aber so eine halbe Stunde hat immer noch einen guten Effekt. Trotzdem fehlt mir Sport und kann manchmal schlecht einschlafen. Zum Teil bin ich sogar bereit, zu joggen. Durch das Wetter komme ich auch mehr in die Bibliothek, auch wenn die Nutzung des Winters als Zeit für Lesen und Papierarbeit nicht wirklich intensiv klappt.

Auf der Arbeit werde ich mehr zwischen Aufgaben verteilt als ich mag. Ich hatte viel mit Fortbildungen zu tun, dann Prüfung von Variablenableitung, und jetzt komme ich zurück in mein Lieblingsgebiet, den Mikrodaten.

Zum Ende des Oktobers habe ich im Rahmen des Kontaktrennens Kalina für eine Nacht besucht - dass ich sie trotz der Nähe nicht häufiger sehe, tut mir wirklich leid. Wir waren natürlich tanzen und am Folgetag habe ich sie mitgenommen, ein neues Stück von Southampton zu sehen.


Ein Stück alltagskulturelle Trivia: England wird beherrscht vom Staubsauger Henry, einer runden Minitonne mit Gesicht. In unserem Haus, in Läden, auf der Arbeit - eine Kollegin hat sogar eine Miniausführung auf dem Schreibtisch. Mehr noch, Henry hat eine weibliche Kollegin, Hetty. Passt zum Land.
Quelle: http://www.kitchengadgets.org.uk/?attachment_id=201


Quelle: http://www.bluechipcleaners.co.uk/henrietta-hetty-hoover-het-200a






Ein Schnappschuss aus meinem Zimmer: so sieht es aus, wenn ich mal zu Hause arbeite. Zu niedriger Stuhl, das Fenster in den Hof offen. Die Blumen waren für Daria und Marta.

Kostümauswahl für den Weihnachtsmarkt am 1. Dezember. Ich spiele einen windigen Straßenapotheker.

16. Oktober - Darias Besuch

Den Hoehepunkt des Oktobers bildete der Besuch Darias und ihrer Freundin Marta aus Breslau. Daria hatte ich seit 2010 nicht mehr gesehen. Damit wir dann auch etwas Zeit hatten, habe ich mir Montag und Dienstag freigenommen, so hatten wir insgesamt vier Tage. Bis auf den Sonntag wurden wir dabei auch vom besten Wetter in diesem Herbst unterstuetzt.
Daria war zum ersten Mal in England, Marta ist beruflich häufig aber stets nur kurz in London. Ich wusste nicht ganz, was sie interessiert, habe aber ein lockeres Programm 'Portsmouth und typisches England' entworfen. Am ersten Tag sind wir die Seepromenade bis zum Hafen entlang gelaufen, mit Rosengarten, Seebruecke, Burg plus Geschichtseinfuehrung, Tee in der Altstadt und englischem Fruehstueck im Hafen, dann Meerschweinchen im Park und Klamottenlaeden, die hatten schon Kasia und Madzia 2011 in York begeistert. Abends hat mich Mathieu selbstlos dabei unterstuetzt, den Maedchen auch den klassischen Pub zu zeigen, sowohl Upper als auch Working Class - wir konnten uns dabei auf vorherige Forschungsarbeit stuetzen.
Sonntag mussten sich meine Gaeste an mein eigenes Programm anschliessen, denn ich hatte schon lange den letzten offenen Tag des Geschichtsdorf im Kalender. Leider goss es aus Kübeln; zum Glueck hatte sich am Vortag Mathieu mit seinem Auto mit angemeldet. Ausserdem nahmen wir Theresa mit, eine deutsche Austauschstudentin, die ich aus dem Chor kenne. Ich wusste nicht, wie sehr Daria und Marta sich bei Regen fuer Leute in Kostuemen interessieren, zumal die getreu ihrer Rolle von Polen noch nie was gehoert hatten. Gluecklicherweise hatten alle Spass, insbesondere auch Theresa und Mathieu fragten die Leute nach allen Details der Stoffproduktion und Armamputation. Urspruenglich hatten wir noch einige Stellen in der Region westlich bis Southampton geplant, dass aber aufgrund des Wetters verworfen. Theresa rettete meinen Tagesplan und lud uns alle zu sich ein, wo ein Freund aus Zypern kochte und wir uns alle unverhofft noch einmal in einer Athmosphaere wie in unseren eigenen Studentenkuechen fanden. Ich gab spaeter noch ein Einfuehrung Salsa, dann gingen wir abends alle zur richtigen Tanzstunde.
Montag fuhren wir nach Winchester als Beispiel einer englischen mittelalterlichen Stadt. Neben Rundem Artustisch (entgegen meinen bisherigen Vorstellungen ein Original eines englischen Königs aus dem 12. Jh.), Kathedrale, Bischofsburg und Fluss waren die Maedchen am meisten von einem klassischen Pub mit Kaminfeuer bezaubert, den mir Mathieu auf unserem letzten Besuch dort gezeigt hatte. Abends fuhr Marta weiter zu einer anderen Freundin. Daria und ich luden unsere Gastgeber vom Vortag ein, diesmal bei uns zu essen. Wir waren zwar beide am anderen Ende der 20er Jahre als sie, aber ganz ehrlich wurden wir richtig sentimental, zu Hause noch einmal  um einen zu kleinen Tisch mit billigem Wein zu draengen und Macarena zu tanzen. Soviel Leben hatte ich nicht mehr in meinem Haus, seit ich keine Uebernachtungen mehr anbiete.
Dienstag schliesslich nahm ich Daria mit auf die Isle of Wight. Keine Wolke hielt die Sonne auf, ich merkte, dass ich selbst in diesem Jahr noch nicht wirklich mit Zeit auf der Insel gewesen war, und mit Daria hatte ich ein Landkind, dass meine Sehnsucht nach Ruhe und Weite verstehen konnte. Wir liefen viel weiter als geplant, zum Vogelreservat, nach Seaview, die Huegel hinauf, um auch den Blick von oben aufs Meer zu zeigen. Dann bogen wir von der Strasse auf die Felder ab, kamen an einen noch vollen Brombeerbusch vorbei, machten in der windstillen Senke ein spontanes Picknick in der Sonne, als waere noch August. Ich muss wieder mehr auf die Insel.

Die Mädchen am Strand. Bis in den September war ich hier noch schwimmen.

Wer bei mir gewesen ist, weiß, dass an der Karte immer der Geschichtsunterricht stattfindet.


Im Hafencafe schafften es die Mädchen durch fast das halbe englische Frühstück. Die Würstchen wurden abgelehnt.


Englische Pubs fanden Zuspruch, englisches Bier nicht.

In der Schmiede von 1642 glüht das Feuer und ein polnisches Lächeln.

Rechts Theresa aus Siegen.

Der Wirtshausbesitzer.

 






Vor der Kathedrale in Winchester.

 

Der schönste Pub in Winchester.




Daria an der Promenade der Isle of Wight.

Im Juli 2012 habe ich ein Foto an gleicher Stelle gemacht.



Picknick unter Brombeeren.