Dienstag, 11. Dezember 2012

09.12.2012 - Oxford

Wie ungeduldig habe ich das Ende der Woche erwartet, und am Freitag machte ich endlich früher Schluss und fuhr nach Oxford, wo meine wunderbare kleine Kalina wartete. Seit langem hatte ich nach einem Ort in der Mitte zwischen Birmingham und Portsmouth gesucht, um sich zu treffen und gemeinsam etwas neues zu sehen. Ich hatte uns eine Übernachtung bei einem glückliche Hippiepärchen mit glücklichen Kindern und Katzen organisiert. Die Meerschweinchen durfte ich auch füttern und dann haben wir uns über Lebensmittelkooperativen und Brotbacken unterhalten. Abends saßen wir am Kamin und hörten zu, als der tanzfreudigen Tochter aus dem Buch Willy Wonka und die Schokoladenfabrik vorgelesen wurde. Ich war in der Woche leider etwas krank geworden und froh, dass Kalina auch müde war. Zehn volle Stunden Schlaf wirkten ein echtes Wunder, und zeigten auch, was mein wirkliches hier Problem ist – die Erkältung war für den Rest des Wochenendes praktisch weg.
Morgens liefen wir bei Sonnenschein über bereifte Wiesen und Brücken ins Zentrum, was ziemlich klein ist und nicht so lückenlos historisch wie gedacht. Der Eindruck ändert sich, wenn man die verschiedenen erkennt, die die Hauptsehenswürdigkeiten sind, und wie sie die Struktur der Altstadt bestimmen. Die meisten waren zu, aber ins größte haben wir es geschafft, das Christ Church College, der Welt und allen Touristen bekannt aus den Harry Potter Filmen, für die es die Große Halle stellte. Und wir hatten unerhörtes Glück; gerade als wir durch das Treppenhaus liefen, wurde die Halle geöffnet und wir waren die ersten im Saal, hatten ihn sogar einige Minuten für uns, bevor die Massen nachdrängten und es mehr ein Geschiebe durch die Tischreihen wurde. Sehr schön sind auch die Wildparks des Kollegiums, besonders wenn der Morgendunst darüber liegt. Die hatten womöglich schon Lewis Carrol zu Alice im Wunderland inspiriert. Wir besuchten auch die Markthallen im Stadtkern, wo zu Weihnachten ganzes Wild von den Haken hängt, und auch die Buchhandlung mit dem größten Verkaufsraum der Welt. Unseren Lieblingsort fanden wir auf der vorletzten Station, dem Garten des kleineren Exeter-Kollegiums, wo unsere Gastgeber uns einen Punkt auf der Mauer empfohlen hatten, von dem man einen schönen, versteckten Blick über den Platz mit der Unikirche, der berühmten Radcliff Bibliothek und der noch berühmteren Bodlian Bibliothek hat. Letztere war der Abschluss unseres Besuchs. Wir machten eine Führung durch den mittelalterlichen Prüfungsraum und die Bibliothek, die es als solche ebenfalls in die Harry Potter Filme geschafft hat. Dazu mussten alle Schauspieler und Filmemacher den mittelalterlichen Eid schwören, kein Buch zu stehlen oder zu beschädigen.

Morgens auf dem Weg in die Stadt.

Ein bisschen Farbe in den Winter!


Kalina im Buchladen.


Akademische Werte in jedem Detail (Tor zu einem Kollegiumshof).

Zugang zum großen Speisesaal des Christ Church College.

Allein im großen Saal.


Kalina vor der Rotunde der Radcliffe Bibliothek und der Unikirche.

Mit Gesellschaft und einem Keks in der Hand geht es mir richtig gut.
Vor der Bodlian Bibliothek.

Wir wären gerne auf die längere Tour gegangen, weil uns die Bibliothek sehr gefallen hat, aber wir hatten einen Bus nach Birmingham. Und das war auch gut, da wir dort so noch über den bersten vollen Weihnachtsmarkt laufen konnten, der direkt aus Frankfurt importiert war. Unserer in Portsmouth war im Vergleich eine echte Ausnahme in Großbritannien, da er ein echt britisches Motiv hatte und kein reiner Import war.
Abends bin ich mit allen drei Schwestern auf eine bulgarische Party gegangen. Das hatte ich praktisch seit 2008 in Magdeburg nicht mehr gemacht, wo sie jedes Quartal statt fanden. Was haben wir getanzt zu den Balkanrhythmen dieser alten Zeiten! Sonntag hatten Kalina und ich den botanischen Garten auf dem Programm, was ich in jeder Stadt gerne mache. Umso mehr, da der positive Effekt zweier aktiver, uneinsamer Tage zu wirken begann, und ich Kalina im mediterranen Haus meinen neuen Tangostolz zeigte. Wir sprachen auch lange über meinen derzeitigen Zustand und ich bin mit der Vorstellung nach Hause gefahren, wie sehr mit nicht nur Bekannte fehlen, sondern richtige Freunde, und wie viel wunderbares wir zusammen unternehmen könnten, wenn wir im selben Ort wohnen würden. Zurück war die Einstellung aus Zeiten in York und Rostock, dass ich lieber etwas mit Freunden vor Ort machen würde, als alleine etwas Großes woanders. Allein der Fakt, das das verschüttet worden war zeigt, wie allein ich hier bin.

  

Advent in Birmingham.

Kalinas Weihnachtsgeschenk hatte ich im Theater gefunden und es passt perfekt zu ihrem Schal!

Lebensfreude allenthalben.

Kalina vor dem Bonsaigarten.

Montag abend hat der Unichor seinen letzten Auftritt in diesem Jahr gegeben, mit Weihnachtsliedern in der Kathedrale zum Unigottesdienst. Der Pathos hat Spaß gemacht, aber wir hatten auch zu wenig Vorbereitung gehabt und überhaupt denke ich, dass ich mich nach langem Suchen und Probieren in zu vielen Sachen engagiere und weder für Tango, Singen oder Arbeit genug Zeit zum Üben habe. Letzteres war in den letzten Tagen zum Glück immer ruhiger, da unser Teil am Kommentar zum ersten Teil der großen zweiten Phase der Volkszählungsergebnisse geschrieben war und an höherer Stelle geschliffen wurde. Am Dienstag war dann große Veröffentlichung. Ich war allerdings auf einer kleinen Fortbildung und schaute später unserem Kundendienst über die Schulter, was uns einen Eindruck von den Menschen geben sollte, für die wir schreibene. Allgemein ein Festtag für die Boulevardpresse und das Ende des Abendlandes, denn es gibt weniger weiße Briten und weniger Christen. Ein Lette im Chor erzählte mir eine Witz aus Litauen, das im Land überhaupt keine Emigration gibt, sondern Evakuierung.

Samstag, 1. Dezember 2012

Zeitloses

Nach Friedemanns Besuch begann eine Zeit anstrengender Arbeit, denn nach Monaten kleinerer Aufgaben steht wieder eine große Veröffentlichung wie im Juli an und wir schreiben so viel statistischen Kommentar wie wir können. Da ich mich gleichzeitig meine Tendenz zum Musischen weiter verstärke, ist mein Traum im Moment nicht mehr Beschäftigung, sondern Schlaf und ein Tag ohne Pläne, um einfach mal nur zu lesen. Die Zeit der Ausflüge ist vorbei, mein Leben hat sich fest auf Portsmouth fixiert und da ich mit der Erholung nicht hinterherkomme fahre ich auch mehr Auto und weniger Rad. Nicht zuletzt bin ich dadurch auch wieder dahin gekommen, dass ich in der wenigen unverplanten Zeit Aufgabenlisten abarbeiten muss und nicht mehr in die Bibliothek komme.
Am ersten Wochenende nach dem Besuch war das noch anders. Nach der zweiten Tangostunde Freitagabend, die bis um elf geht, brauchte ich das Wochenende wirklich und verbrachte soviel Zeit in der Bibliothek, wie neben meinen ersten Brotbackübungen blieb.
Den darauffolgenden Samstag war ich arbeiten und am Sonntag auf der Chorgeneralprobe. Da sangen wir zum ersten Mal zusammen mit der Uniorchester. Ich bezweifle inzwischen nicht mehr, dass ich hier eine ganze Menge lernen kann; man mag über die Uni denken was man will, aber der Chorleiter ist große Klasse. Am gleichen Tag bemerkte ich eine kleine Schwellung im Hals, was oft ein erstes Zeichen einer Erkältung ist. Auch darum ließ ich in der Folgewoche das Fahrrad stehen um nichts zu riskieren. Eine Woche später, am 25. November, war Auftritt, in einem klassischen Theater im Opernhausstil mit geschwungenen Rängen und Logen. Mit 650 Leuten war es voller als gedacht und das Konzert das erfolgreichste der kurzen Unigeschichte. Ich half morgens beim Aufbau, und nach der dreistündigen letzten Probe waren auch alle anderen so müde, dass es zu offen gesprochenen bösen Worten zwischen der Sängern mit etwas mehr Ego kam – eine absolute Ausnahme in diesem konfliktscheuen Land. Das Konzert hat mir wieder ungeheuren Spaß gemacht, auch wenn ich mir meiner gesanglichen Grenzen in den letzten Wochen dort bewusst geworden bin. Vor uns traten auch die Bigband und die filmorientierte „Windband“ der Uni auf. Beide ein Beweis, dass die Uni Portsmouth nicht zur Elite gehört, aber lokal doch genug Talent und Engagement vorhanden ist. Jetzt proben wir die kitschigen englischen Weihnachtslieder für einen Unigottesdienst am 10. Dezember und dann beginnen wir Poulencs Gloria. Das ist zwar eine Messe in Latein, scheint mir aber bisher trotzdem modernes Teufelswerk.
Bühnenaufbau im Theater.

Der erste echte Auftritt sein Juni 2011 in York.

Bühne und Logen des Kings Theater aus dem 19. Jahrhundert.
 Weiterhin bin ich dem Ruf eines lokalen Theaters nach Freiwilligen gefolgt und habe eine weitere Woche später am ersten Adventswochenende auf dem Viktorianischem Weihnachtsfest in den historischen Docks gespielt. Bisher schienen mir Weihnachtsmärkte ein relativ junger Import aus Deutschland zu sein. Wie im übrigen fast alle wichtigen Weihnachtstraditionen. Das hiesige aber, das sich selbst als größtes in Südwestengland beschreibt und in der Tat selbstbewusst teuer ist, bezieht sich auf die Zeit des Empires – die hiesige Version der guten alten Zeit wie bei uns das Mittelalter. Dementsprechend ist das sonst Museen und Marine vorbehaltene Dockgelände von mehr Soldaten, Dickenschen Dieben und Prostituierten sowie der Königin selbst bevölkert als von Weihnachtsmännern und Spilwut. Darum wurde ich auch eine Abteilung Stahlarbeiter zugeteilt. Die sollten ursprünglich eine von der Olympia-Eröffnung abgeguckte Choreographie machen, dafür blieb aber keine Zeit. Darum standen wir um einige nachgebildete Stahlträger und improvisierten mit Metallstangen industrielle Rhythmen. Das machte ein paar Stunden Spaß und dann kroch die Kälte auch durch lange Unterhosen. Nach einem ganzen Tag an der mehr als frischen Luft kam ich dann auch nach Hause wie ein echter Eisenschmieder.  Uns fehlte der Mumm, unsere Rolle unter dem Volk richtig auszuleben und uns so warm zu halten. Andere gehen da richtig auf, und eine der besten war eine Bekannte aus dem historischen Dorf mit der ich auf dem Tudorfest in Southampton war – sie spielte eine halbverrückte Alkoholikerin. Die leichten Mädchen mochten ihre Rollen auch durchweg und waren gerne an unserer Arbeitsbühne gesehen.

Stahlarbeiter-Kostüm. Das Schwert habe ich mir nur so genommen.


So sind die Wochenenden ausgeplant und bieten wenig Erholung. Unter der Woche passiert auch sehr viel. Abgesehen von Chor und Salsa verschiebe ich Zeit von Salsa zu Tango. Ich habe echtes Glück gehabt: eine Frau vom Freitagskurs ist auch Anfängerin und will intensiver üben. Wir treffen uns ab und zu und proben, und wenn etwas nicht klappt, teilen wir uns eine Privatstunde. Dadurch habe ich wirklich das Gefühl, dass ich Fortschritte mache wie am Anfang in Salsa.
An einem anderen Abend sah ich, völlig durch Zufall vom Fahrad auf der Heimfahrt, etwas sehr Ermutigendes. Auf der Hauptstraße ist ein Comicladen, und darunter wurde eine neue Malereiausstellung eingeweiht. Mit Wein und vielen Menschen, vielleicht ein Zugang zur lokalen Kunstszene soweit es sie gibt. Und offenbar wechseln die Ausstellungen dort häufig. Es gibt Hoffnung!

Am ersten und letzten Dezemberwochenende fahre ich dann doch noch einem weg. Ich besuche Oxford, wo ich Kalina treffe und von dort mit ihr nach Birmingham fahre.