Mittwoch, 13. März 2013

Tauen und Frieren

In den letzten Wochen vor meiner Reise nach Polen hatte ich gemerkt, wie die Einsamkeit zu einem kleineren Problem geworden war. Ich hatte mein Leben und meinen Zeitplan auf die Vorteile dieser Unabhängigkeit eingerichtet, die Stunden zum Lesen und Lernen. Gefallen hat mir das trotzdem nicht, da ich sehr den Preis dafür kenne. Erwartungsgemäß musste ich auch erst wieder Kompromissfähigkeit üben, als ich wieder in der Gegenwart meiner zauberhaften, wundervollen, herzensbrechenden Prinzessin von Rostock und jetzt Königin von Warschau Ania wandelte. Aber wie stets in solchen Situation war die bleibende Emotion vor allem Bedauern, nur so wenig Zeit zu haben. Die Woche war zwischen Ania in Warschau und Kasia in Lodz aufgeteilt und egal wem man wieviele Tage gab, es war zu wenig, denn als Standard diente die Zeit, als man noch dauerhaft in der gleichen Stadt lebte. Meiner armen Ania hatte ich nur dieses Wochenende gegeben. Da zeigte mir meine kleine katholische Inquisitorin ihre Studentengemeinde und wir gingen ins klasse gemachte Musical Singing in the Rain. Das waren Höhepunkte, aber nur Zwischenstationen zwischen Gesprächen in diversen Cafés und Kneipen, in die ich sie dank meiner polnischen Übersetzungsgehälter einlud. Auch einige meiner alten Erinnerungsorte zeigte ich ihr, im Zentrum und der Altstadt, und in Praga zeigte sich, dass wir einige sogar gemeinsam hatten.
Viel Bedauern begleitete meine Abreise, auch wenn am anderen Ende niemand geringeres als Kasia wartete. Die war schließlich mein eigentlicher Reisegrund nach über einem Jahr, in dem wir uns nicht gesehen hatten und für uns beide so viel passiert war. Darum ging es vor allem, ob im Kunstmuseum, Kino oder beim Tanzen. Und genau in der Mitte erwischte mich neben dem Wintereinbruch ein schrecklicher Magendarm-Virus, der mich praktisch den Rest der Zeit ans Bett fesselte. Weinen hätte ich können, soviele Sachen ließen sich ausgerechnet jetzt nicht machen, die ich so lange geplant hatte. Kasia ins Restaurant einladen, Tangostunde, ihr in einer leeren Kirche meine Chorstücke vorsingen – denn sie schließlich versteht meine Begeisterung für Gesang und Tanz am besten.
Dafür gelang es mir, ungewöhnlich viele andere Bekannte zu treffen, Paulina (kennen gelernt auch in Rostock), die interessante Ania (ein alte Bekannte aus Magdeburg) und Ola (aus meiner Austauschzeit an der Lodzer Uni). Ania und Kasia, beide musische Germanistinnen, habe ich zum Frauentag mit vielen Rosen ins Theater zum Quartett von Heiner Müller eingeladen.

Obwohl dieser Ausflug im Wartesaal der Nachtaufnahme endete (um Kasia's Nerven und meine Verdauung zu beruhigen) riss mich die Rückreise in ein Land ohne echte Freunde in ein typisches Tief. Die anfangs erwähnte Hornhaut war nur kurz genug aufgerissen worden, um wieder verletzlich zu werden. Dann hatte ich wieder mit den gleichen Gefühlen von Grauheit und Einerlei zu kämpfen, denen ich im Laufe der Zeit gegenüber gefühllos geworden war. Zum Glück kam ich in kein leeres Zimmer, sondern waren Rieke und ihr Kolja noch zwei Nächte da. Auch wenn inzwischen die Schneewolken von Polen hierher gezogen waren, nahm ich sie Dienstag noch auf zu einem kalten Spaziergang auf die Isle of Wight.
Jetzt ist es zwar nett, wieder ein eigenes Zimmer zu haben, aber das komische Gefühl nach ihrer Abfahrt wog definitiv schwerer. Darum habe ich mir gleich Mathieu rübergerufen, um mich einmal ganz allgemein und undifferenziert über alles in England aufzuregen. Am Mittwoch Abend gab es die erste Generalprobe des Chorkonzerts in der Kirche, wo wir auftreten werden. Hier erklärt sich vielleicht einiges. Nur in der Schönheit und Klarheit der Musik, und in der Unmittelbarkeit des Tanzes, spüre ich so etwas wie die Nähe und Wärme, wie ich sie mit den persönlichen Freunden habe, die mir hier fehlen.


Ania in Warschau

Anmut und Zauber persönlich, und nur bei persönlicher Gegenwart zu glauben.

Lodzer Ania, eine der besten Trinkgefährtinnen aller Jahre.

Mit der Lodzer Ania beim Mexikaner.


Und mit Kasia war es immer so toll, dass ich gar kein Foto von der schönsten Polin gemacht habe.



Rieke und ich auf der Isle of Wight.