In den letzten Wochen
vor meiner Reise nach Polen hatte ich gemerkt, wie die Einsamkeit zu
einem kleineren Problem geworden war. Ich hatte mein Leben und meinen
Zeitplan auf die Vorteile dieser Unabhängigkeit eingerichtet, die Stunden zum Lesen und Lernen. Gefallen hat mir das
trotzdem nicht, da ich sehr den Preis dafür kenne.
Erwartungsgemäß musste ich auch erst wieder Kompromissfähigkeit
üben, als ich wieder in der Gegenwart meiner zauberhaften, wundervollen, herzensbrechenden
Prinzessin von Rostock und jetzt Königin von Warschau Ania wandelte. Aber wie stets in solchen Situation war die
bleibende Emotion vor allem Bedauern, nur so wenig Zeit zu haben. Die
Woche war zwischen Ania in Warschau und Kasia in Lodz aufgeteilt und
egal wem man wieviele Tage gab, es war zu wenig, denn als Standard
diente die Zeit, als man noch dauerhaft in der gleichen
Stadt lebte. Meiner armen Ania hatte ich nur dieses Wochenende
gegeben. Da zeigte mir meine kleine katholische Inquisitorin ihre
Studentengemeinde und wir gingen ins klasse gemachte Musical Singing
in the Rain. Das waren Höhepunkte, aber nur Zwischenstationen
zwischen Gesprächen in diversen Cafés und Kneipen, in die ich sie
dank meiner polnischen Übersetzungsgehälter einlud. Auch einige
meiner alten Erinnerungsorte zeigte ich ihr, im Zentrum und der
Altstadt, und in Praga zeigte sich, dass wir einige sogar gemeinsam
hatten.
Viel Bedauern
begleitete meine Abreise, auch wenn am anderen Ende niemand
geringeres als Kasia wartete. Die war schließlich mein eigentlicher
Reisegrund nach über einem Jahr, in dem wir uns nicht gesehen hatten
und für uns beide so viel passiert war. Darum ging es vor
allem, ob im Kunstmuseum, Kino oder beim Tanzen. Und genau in der
Mitte erwischte mich neben dem Wintereinbruch ein schrecklicher
Magendarm-Virus, der mich praktisch den Rest der Zeit ans Bett
fesselte. Weinen hätte ich können, soviele Sachen ließen sich
ausgerechnet jetzt nicht machen, die ich so lange geplant hatte.
Kasia ins Restaurant einladen, Tangostunde, ihr in einer leeren
Kirche meine Chorstücke vorsingen – denn sie schließlich versteht
meine Begeisterung für Gesang und Tanz am besten.
Dafür gelang es mir,
ungewöhnlich viele andere Bekannte zu treffen, Paulina (kennen
gelernt auch in Rostock), die interessante Ania (ein alte Bekannte
aus Magdeburg) und Ola (aus meiner Austauschzeit an der Lodzer Uni).
Ania und Kasia, beide musische Germanistinnen, habe ich zum Frauentag
mit vielen Rosen ins Theater zum Quartett von Heiner Müller
eingeladen.
Obwohl dieser Ausflug
im Wartesaal der Nachtaufnahme endete (um Kasia's Nerven und meine
Verdauung zu beruhigen) riss mich die Rückreise in ein Land ohne
echte Freunde in ein typisches Tief. Die anfangs erwähnte Hornhaut
war nur kurz genug aufgerissen worden, um wieder verletzlich zu werden. Dann hatte ich wieder mit den gleichen Gefühlen
von Grauheit und Einerlei zu kämpfen, denen ich im Laufe der
Zeit gegenüber gefühllos geworden war. Zum Glück kam ich in kein
leeres Zimmer, sondern waren Rieke und ihr Kolja noch zwei Nächte
da. Auch wenn inzwischen die Schneewolken von Polen hierher gezogen
waren, nahm ich sie Dienstag noch auf zu einem kalten
Spaziergang auf die Isle of Wight.
Jetzt ist es zwar nett,
wieder ein eigenes Zimmer zu haben, aber das komische Gefühl nach
ihrer Abfahrt wog definitiv schwerer. Darum habe ich mir gleich
Mathieu rübergerufen, um mich einmal ganz allgemein und undifferenziert über alles in England aufzuregen. Am Mittwoch Abend
gab es die erste Generalprobe des Chorkonzerts in der Kirche, wo wir
auftreten werden. Hier erklärt sich vielleicht einiges. Nur in der
Schönheit und Klarheit der Musik, und in der Unmittelbarkeit des
Tanzes, spüre ich so etwas wie die Nähe und Wärme, wie ich sie mit
den persönlichen Freunden habe, die mir hier fehlen.
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