Gesundheit
Anfang Mai bekam ich die Ergebnisse meiner 2. Blutprobe zurück. Die Werte sind praktisch identisch mit der ersten, weshalb die Ärztin mit mir sprechen wollte. Das hat mir entsprechend Angst gemacht. Beim Termin wurde mir dann aber nur gesagt, dass die Werte "so niedrig" nun auch wieder nicht seien und ich mein normales Leben wieder anfangen soll. Das wiederum beruhigte mich. Aus Deutschland aber bestätigte man meine Denkrichtung, dass nach über einem Monat Erholung zwischen den Proben zumindest eine kleine Verbesserung zu sehen sein sollte. Also werde ich mir jetzt eine 3. Probe machen lassen, bevor Papa herkommt.
Trotzdem habe ich wieder angefangen, wie früher zu tanzen und die normale Strecke zur Arbeit zu fahren. Nach einer Woche halte ich mich gut, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil Ellie und ich uns auf bessere Schlafenszeiten geeinigt haben. Die Züge sind gerade furchtbar überfordert mit der immer weiter steigenden Zahl von Fahrrädern. Einmal musste ich wegen Überfüllung sogar aussteigen, woraufhin ich endlich eine Beschwerde schrieb. Schließlich kommen Züge in anderen Ländern ja auch mit Rädern klar.
Kalina
Mathieu ist eine Woche nach dem Wochenende in Exmoor übrigens mit seiner Freundin eine Woche nach Lodz geflogen. Ich erhielt dafür Besuch von Kalina, die Ellie und ich eingeladen hatten, weil sie so nette Gesellschaft ist. Eigentlich wollte ich eine Austauschstunde Bauchtanz gegen Indischen Tanz organisieren, aber wir bekamen kein Tanzstudio. Stattdessen haben wir Samstag abend Pizza gemacht und sind Sonntag Golf spielen gegangen. Im Anschluss konnten wir uns das erste Mal dieses Jahr ohne Jacke an den Strand legen. Die Sonne gab dem Wasser bereits das ganz bestimmte Sommerblau, das in mir den Badeinstinkt auslöst. Ich wäre bei weitem nicht der erste. Und der Rosengarten beginnt zu blühen.
Arbeit
Neuigkeiten kommen natürlich von meiner Arbeit, wo ich Anfang Mai in einer neuen Arbeitsgruppe angefangen habe. Ich bin weiterhin in der Abteilung für Bevölkerungsschätzungen, aber nach dem Emigrationsprojekt in einer Gruppe, die sich um Geburten, Sterblichkeit und andere klassische Demographie kümmert. Ganz genau gesagt schätze ich jetzt die älteste Bevölkerung, die über 89 Jahren. Im Gegensatz zum letzten Projekt arbeite ich nicht nur an der Methodik, sondern produziere die Schätzungen einmal pro Jahr selbst zur Veröffentlichung. Das findet jedes Jahr von Juli bis September statt. Die restliche Zeit verbringe ich wohl mit der Analyse dieser Zahlen und anderen Projekten. Unter anderem wird wohl auch wieder geprüft, ob die Methodik verbessert werden kann. Dazu vergleichen wir sie mit den Zahlen anderer Länder, u.a. von Deutschland, die ein Bevölkerungsregister haben und daher, theoretisch, nicht schätzen müssen. Die Kommunikation mit anderen Ländern kommt mir hoffentlich entgegen, aber wirklich aufregend ist, dass wir mit dem Max Planck Institut für Demographie in Rostock zusammenarbeiten. Die arbeiten auch an Sterblichkeit und nutzen die gleiche Methodik wie wir. Eine Mitarbeiterin hat sie wohl schonmal besucht, auf einem Tisch liegt eine Broschüre über Rostock und natürlich träume ich so ein bisschen, dass sie eines Tages mich schicken. Aber vorerst muss ich mich in mein eigenes Themenfeld einarbeiten.
Mordsspaß
Dann hat die neue Abteilungsleiterin eine Art Klassenfahrt für alle organisiert, mit verschiedenem Spaß und Spielchen, darunter mein erstes "Murder Mystery". Dieser traditionelle britische Zeitvertreib ist ein Kriminalrätsel, in dem man in einer Gruppe anhand von Beweisstücken und Zeugen einen Mord aufklären muss. Ich hatte das noch nie gemacht und viel Spaß, und auch wenn meine Gruppe angeblich die einzige war, die falsch lag, weiß ich, dass wir in Wirklichkeit als einzige den Mörder gefunden hatten, man aber die anderen nicht demotivieren wollte.
Mehr Geld
Denn die Gewerkschaft erhielt letztens schon genug Zulauf - u.a. auch mich, auch wenn das mehr wegen des Gruppensogs geschah und ich noch nicht genau weiß, was es mir bringt. Ich habe sogar gerade eine kleine Gehaltserhöhung bekommen - ein Jahr, nachdem sie mir zugestanden hätte. Ich kriege aber eine Nachzahlung - was passt, denn ich sehe einige Ausgaben auf mich zukommen, vielleicht ein Klappfahrrad, sollten die Züge wirklich ernst machen mit der offiziellen Obergrenze von 2 Rädern.
Nichsoschlimm
Nächste Tradition: VE Day. Also Kriegsende am 8. Mai. VE=Victory in Europe= Sieg in Europa; VJ im August ist Sieg über Japan, aber viel weniger wichtig. Aufgrund des runden Jubiläums war es besonders prächtig, aber mir stößt es weiter auf, mit welcher Nostalgie die Zeit in meinen Augen verklärt wird zu einer Mischung aus bisschen weniger Essen, Gemeinschaftsgefühl, Kostümen und Swingmusik. Bei Parties wird da z.B. weiterhin gern Luftangriff gespielt, dann rennen alle in den "Bunker" Raum und singen The blue Cliffs of Dover.
Wahlen
Nächste Tradition: Wahlen, darum gings ja schließlich auch am VE Day. Ich habe meine Pflicht getan, wenn auch nur für den Stadtrat, aber vielleicht ist das britische Wahlsystem von Interesse. Denn wie man vielleicht gehört hat, waren die 2 großen Parteien prozentual nicht weit auseinander, die Zahl der Sitze aber schon. Hier gibt es nämlich kein Verhältniswahlrecht, sondern nur Direktmandate. Jeder Wahlkreis entsendet einen Vertreter, es gibt keine Listen (soweit ich es verstehe). Hat Partei A 4 Stimmen, B 3, C 2 und D 1, gewinnt A den gesamten Kreis und das Abgeordnetenmandat, auch wenn die Mehrheit für andere Parteien gestimmt hat. Hat also jemand in einem Wahlkreis die Mehrheit, und sei es mit einer Stimme, sind die Stimmen der anderen Kandidaten egal - gehen also nicht in die Gesamtunterstützung einer Partei im ganzen Land ein. Das kann eine gute Lokalbindung der Abgeordneten bedingen - aber oft stellen die Parteien auch ortsfremde für einen Wahlkreis auf. Das System führt aber zu klaren Mehrheiten im Parlament, darum war die Koalition der letzten Legislaturperiode (in meiner Yorker Zeit entstanden) die erste der britischen Nachkriegsgeschichte. Außerdem unterstützt das System so die großen Parteien, denn kleine Parteien bekommen selten die Mehrheit in einem Wahlkreis und alle anderen Stimmen werden ignoriert. Dementsprechend wird jedes Mal der Bankrott des Systems proklamiert und die kleinen Parteien jammern - andererseits schützt es uns vor UKIP, obwohl sie 12,5 Prozent bekommen haben. Nicht zuletzt ist es ein Anreiz, Wahlkampf lokal zu konzentrieren. Man kann überall Zweiter werden und gar nicht im Parlament sein, oder nur in wenigen Bezirken überhaupt antreten, da aber gewinnen und über das ganze Land mitbestimmen. Das erklärt den Erfolg der Schottischen Nationalpartei, die nur in Schottland wirbt, dort aber 52 von 53 Sitzen bekommen hat. Auf einmal schreckt man daher auf, das Schotten über Gesetze abstimmen, die nur England betreffen. Denn England ist ironischerweise das einzige Land im Vereinigten Königreich ohne eigenes Regionalparlament. Also ein weiterer Angriffspunkt für Nationalisten allerorten, denen die Insel schon jetzt zu klein zum Teilen ist.
Einer der großen Vorteile meiner Arbeit ist, wie gesagt, dass man viele klare Zahlen über das Land bekommt, oft in Seminaren von Kollegen. Eins davon beschäftigte sich mit der Auswirkung einer Reform des Wahlrechts. Seit kurzem muss man sich individuell zur Wahl anmelden, früher warf die Wahlkommission Zettel in den Briefkasten, auf denen man sich registrieren konnte. Das führte natürlich zu vierlelei Spekulation, dass die Zahl der Wahlberechtigten fallen würde - auch ich dachte das. In der Tat fiel die Zahl und die Journalisten schrieben sofort ihr Meinung dazu. Unsere Zahlen zeigen aber etwas weniger spektakuläre Gründe, was in den Medien nicht ankam.
Weitere Ausgaben sind Reisen. Ende des Monats eine Nacht auf der Isle of Wight mit dem Chor, Anfang August begleite ich Ellie auf eine Hochzeit von Freunden in Shakespeares Geburtsort Stratford. Und für das lange, vorletzte Maiwochenende haben wir uns spontan dazu entschlossen, ein Nacht in einer Jurte in einem Naturschutzprojekt zwischen Portsmouth und Petersfield zu verbringen. Das hatte ich schon lange im Auge, nicht nur um einmal in die Natur zu kommen, sondern auch der morgendlichen Aussicht ins weite Land hinein wegen.
Bücher: Ich habe noch kein neues Buch angefangen, habe aber das Kapitel über Mechanik in der Kleinen Physik abgeschlossen. In der Tat habe ich viel gelernt, nicht zuletzt die Dreiecksgleichungen wiederholt.
Schließlich ist mir aufgefallen, dass es viel besser wäre, statt im August/September schon im Mai/Juni nach Deutschland zu kommen.
Dann muss ich mich korrigieren - die blauen Blumen in England sind nicht Kuhschellen, sondern die weitaus gewöhnlicheren Atlantischen Hasenglöckchen (Hyacinthoides non-scripta)
Ganz zuletzt: es gibt ein kurzes Werbevideo der Uni mit Fokus auf den Chor. Ich bin kurz zu sehen (0:44).
https://www.youtube.com/watch?v=go4tJCqV87I&feature=youtu.be&app=desktop
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Plakat für das letzte Konzert des akademischen Jahres, auf der Isle of Wight. |
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Kuhschellen im historischen Dorf. |
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Der Töpfer füttert "Weide", eine der inzwischen zwei anwohnenden Füschsinnen. Der Töpfer stellt auch Tassen her. |