Montag, 25. Mai 2015

Jute Jurte

Vor etwa einem Jahr habe ich über Mathieu vom "Zentrum für Nachhaltigkeit" erfahren. Das ist ein Umweltprojekt im weiteren Sinn, dem eine Stück grünes Land nordöstlich von Portsmouth, bei Petersfield, gehört. Ganz in der Nähe sind auch vergangene Besuchsziele, wie der Steinzeithof in Butser und der Elisabeth Landschaftspark. Das Zentrum bietet neben Lehrgängen zu verschiedensten alternativen Themen und Baumethoden auch diverse Unterbringung. Seit ich ein Panoramabild in einer Broschüre gesehen hatte, wollte ich dort einmal übernachten und früh morgens den weiten Blick vom Hügel hinunter sehen. Ellie fand dann heraus, dass man auch ohne Zelt kommen und dafür in einer Jurte übernachten kann, war davon als Hippiefamilienkind sofort begeistert, während auch mir der Vorteil von weniger Gepäck gefiel, sodass wir diese Option spontan buchten, nachdem ein Gespräch mit Kalina während ihres Besuchs uns wieder daran erinnert hatte.
Zeit dafür hatten wir am Pfingstwochenende, was für mich gleich 4 Tage lang war, da wir im öffentlichen Dienst noch den Geburtstag der Königin feiern. Am Samstag ging es noch nicht los, denn da hatte Ellie abends endlich mal wieder einen Bauchtanzauftritt, den ich ganz toll fand. Und während sie nachmittags auf Probe war, ging ich im schrecklich kalten Meer anbaden. Vor einem Jahr war zu diesem Zeitpunkt bereits alles viel wärmer. Aber der Rosengarten beginnt zu blühen, in all seiner Schönheit, und der Sommer ist für mich nun endlich da, denn bei 20 Grad schwitze zumindest ich in allem, was dicker ist als ein Tshirt. Die Jacke bleibt endlich zu Hause.
Sonntag fuhren wir dann hin und waren sofort bei der Ankunft begeistert. Endlich einmal ein wirklich großes Gelände, mit wirklichem Wald und wirklich viel Platz, endlich einmal kein Autolärm, nicht einmal entfernter. Der Zeltplatz lag auf einer Lichtung im Wald, die einmal ein Kalksteinbruch gewesen sein mag. Im Hauptbereich tummelten sich Familien, deren Kinder den besten Tag des Jahren haben mussten. Unsere kleine Jurte war durch Büsche davon abgegrenz am Rand. Nebenan stehen die großen Wohnjurten des Personals - eine Mitarbeiterin kenne ich ein wenig vom Salsa und weiß, dass sie dort wirklich ganzjährig wohnen. Kinder- und Hundelärm drangen auch zu uns, aber uns störte das nicht, allein schon durch den Umstand, dass es erkennbar von Bäumen zurückschallte. Und dazu wortwörtlich pausenloses Vogelzwitschern. Ich war restlos begeistert und etwas wehmütig, warum ich so einen Ort nicht häufiger habe.
Ellie war vor allem wegen der Jurte da, mir ging es auch darum den Wald zu nutzen. So sind wir mehrmals den erstbesten Weg hineingelaufen, was ein Vergnügen war. Man kommt auch an Feldern vorbei, einer Naturkläranlage, diversen Hinterlassenschaften von Lehrgängen für Kinder und nicht zuletzt einem Friedhof, genauer gesagt einer Waldbegräbnisstätte, in der sich auch mein Vermieter bereits eine Parzelle gekauft hat.
Abends haben wir vor unserer Jurte gegrillt und später las mir Ellie aus Burnetts Buch "Der Geheime Garten" vor. Vor kurzem haben wir nämlich "Momo" beendet, was ich ihr seit Jahresbeginn vorgelesen hatte. Als es dann zu dunkel zum Lesen war, bin ich noch einmal vor die Tür getreten um die Sterne zu betrachten. Eine Familie hatte sogar ein Teleskop dabei, aber trotz klaren Himmels sah man nicht soviel, wie 2012 auf der Isle of Wight (auf die wir übrigens nächstes Wochenende fahren).
Vermutlich ziemlich früh morgens wurden wir neben Vogelzwitschern tatsächlich vom Hahnenruf geweckt. Die Tage bewölken sich momentan meist, aber in der Morgensonne leuchteten die verschiedenen Baumwipfel über dem Lager, grün, gelb und vor allem rot. Vor und nach dem Frühstück sind wir noch durch den Wald gelaufen. Länger konnten wir nicht bleiben, da zu Hause eine Katze wartete. Aber wir waren restlos begeistert, nicht zuletzt noch einmal, als die meisten anderen Camper weg waren und wir den Zeltplatz für uns und in Ruhe hatten. Ich werde vorschlagen, das nächste Treffen mit Mathieu und Freunden dort in der großen Jurte zu verbringen.

Vermischtes
Weiter unten findet Ihr ein Bild von einem Ratespielabend, in der Tradition des britischen Pub-Quiz, für Unimitarbeiter, zu dem ich auch eingeladen war. Thema war "Klassenarbeit", dementsprechend hat Ellie uns in Schuluniformen eingekleidet.
Im Anschluss einige Nachträge aus Exmoor.

Unsere Jurte. Im Hintergrund die roten Baumwipfel, die am nächsten Morgen so leuchten sollten.

In der Jurte nach der Ankunft. Das Sofa wurde nachts zum Bett.

In Ellie kam, wie immer, das Kind raus.

Als der Fuchs die Gans gestohlen hatte und sie vor seiner Jurte grillte.


Abends stellten wir Kerzen in der Jurte auf. Die hellste war Muttis Weihnachtskerze. Zum Lesen reichte es trotzdem nicht. Aber von Euren Geschenken kommt nie etwas weg.

Morgens im Cafe. Tee muss dann doch sein. Ein Rotkehlchen schloss später mit Ellie Freundschaft.



Beim Uni-Quiz. Schuluniformen nach Idee von Ellie. Ihre ältere Kollegin spielt Klassenlehrerin.


Unser Haus in Exmoor mit Terasse und gutem Blick auf den Fels, auf dem es steht.
Ein Panoramabild vor unserem Haus, mit Lynton, Meer, Klippen und Terasse.

Ziemlich korrekte Darstellung der Wanderungen in Exmoor. Grau, windig, steil.

Mathieu und Carla am Küstenpfad. Der Felsen im Hintergrund ist der Wilde Jack, im vorigen Artikel gezeigt.


Die Hohe Heide des eigentlichen Nationalparks Exmoor.



Mittwoch, 6. Mai 2015

04. Mai - Exmoor

Wohin
Das erste Mai Wochenende war ein langes und seit geraumer Zeit für einen Ausflug mit Mathieu und Freunden reserviert gewesen. Ellie kam nicht mit, für sie wären soviele Südeuropäer auch zuviel des Guten gewesen. Als Ziel war der Nationalpark Exmoor ausgewählt worden, an der englischen Küste direkt unterhalb von Wales. Er liegt nicht weit nördlich von Dartmoor, wo ich mit Papa und Ellie zu Ostern 2014 gewesen war. Auch seine Attraktionen sind ähnlich, viel grün und Ruhe, aber dazu Meer und (recht niedrige) Berge.

Mit wem
Insgesamt waren wir 6 Leute, Mathieu und ich, Carla, Elisabeth und ihr Freund Adrian (in deren Wohnung in Bristol Ellie und ich über Ostern waren) und der Spanier Jaime. Wir kamen Freitag aus 3 Richtungen, Mathieu und ich waren als erste da, nach einer langen Fahrt, bei Dunkelheit durch enge Landstraßen im Nationalpark selbst, mit hohen Steigungen, war ich heilfroh, als wir halb zehn abends endlich da waren. Dann habe ich für alle nach und nach ankommenden Freunde Ellies Superchilirezept gekocht, was alle sattkriegt und mir noch die nächsten drei Tage als Proviant diente. Dann ging ich direkt ins Bett, denn ich bin weder jung noch mediterran.

Lynton
Unser Haus war, wie ich erst bei Tageslicht ganz sah, ziemlich groß, mit einer weiten Terasse und bot aufgrund der Lage einen sehr weiten Blick direkt aufs Meer. Wenn nicht gerade Dunst war, konnte man am anderen Ende der Meerenge Wales sehen. Denn der Ort Lynton zieht sich einen steilen Felsen eine Bucht hinunter, in den die Häuser gefügt sind. Diesen Einschnitt in den Fels gibt es auch nur, weil unterhalb der Fluss Lyn mündet. Daher liegt unten am Wasser auch der Zwillingsort Lynmouth ("Lynmünde"). Beide waren in dieser Region traditionell voneinander und auch vom Rest der Welt abgeschnitten und arm, bis die Romantiker und die Kontinentalsperre ihn zum Ausflugsort machten. Seit 1890 verbindet die Orte auch eine Felsbahn, sonst wäre der Fußweg eine Strapaze. Unser Haus war 1929 von einem britischen Soldaten gebaut worden.

Samstag
Zwar waren wohl auch die anderen bald schlafen gegange, doch kamen wir Samstag erst gegen Mittag los. Als erstes fuhren wir nach Westen, ins nahe, selbsterklärende Felsental. Wie auf dem Foto zu sehen war das Wetter diesig und sehr windig. Zuerst sind wir den Wilden Jack hoch, wo einen der Wind fast die Klippen runterweht. Dann den ersten Küstenpfad entlang. Etwas weiter westlich sind wir auf einer zweiten Wanderung einem Fluss durch sein tiefes Tal bis zum Meer gefolgt.
Persönlich wäre ich früher los und mehr durch die Natur gelaufen (das gilt für das ganze Wochenende), darum bin ich vor dem Abendessen noch einmal allein losgezogen, um Lynton zu erkunden. Auf dem Kirchhof kam plötzlich eine orange Katze, scheinbar allein, um abends mit mir auf das graue weite Meer zu schauen. Am Horizont lag ein undeutlicher Streifen Wales, aber wenn man nicht zu genau hinsah, war das Meer ohne Grenze und unten vom Strand und aus der ganzen Bucht klang ohne Pause die Brandung. Wie auf der Farm. Wie schon früher angemerkt ist das ein anderer Eindruck als in Portsmouth, wo der Blick immer an der Isle of Wight endet. Erst hier habe ich echte Ruhe gefunden. Und allein hat sich mein alter Instinkt wieder gemeldet, um die nächste Ecke zu gucken und noch um die nächste. So habe ich die Felsenbahn entdeckt und die Geschichte eines großen Hauses auf dem höchsten Hügel über dem Meer, was 1914 abgebrannt war und dessen Überreste und Tennisplatz noch zu sehen seien. Zurück zu Hause blieben wir im Gegensatz zum ersten Abend bis zwei morgens wach, haben gekocht, gespielt und einen verstörenden spanischen Film gesehen.

Sonntag
Dementsprechend sind wir Sonntag noch später los, erst nach Mittag. Diesmal fuhren wir nach Süden, in die Hohe Heide des eigentlichen Nationalparks und unternahmen mehrere Versuche, gute Spazierwege zu finden. Von Exford aus liefen wir blindlings über die öffentlichen Wege. Am Ende führte ich die Gruppe nach Instinkt einen Bach entlang, der dann doch kein Rundweg war und uns später keine Wahl ließ, als die ultimative britische Sünde zu begehen und über Privatland zu laufen. Denn da regnete es bereits und ich wollte nicht den ganzen Weg zurücklaufen. Der entsprechende Bauer wäre nicht glücklich gewesen, wie uns die Kühe in der Hoffnung auf Futter folgte, und die Pferde aus Angst davon stoben. Aber durch den Regen war niemand da, als wir quer über den Hof marschierten. Auf dem letzten Spaziergang des Tages entlang eines anderen Flusses ist mir dann mein Regenschirm kaputt gegangen und dann habe ich mein Fernglas verloren und dann auf der Suche im tiefen Gras meinen Fotoapparat. Am Ende habe ich aber beide wiedergefunden. An diesem letzten Abend aßen wir außer Haus und blieben dann wieder zu lange auf (was ich noch eine Woche später spüre).

Montag
Nichtsdestotrotz wachten Mathieu und ich Montag am frühen Morgen auf und sahen endlich richtige Sonne über dem Meer. Darum haben wir unsere müden Knochen gleich morgens auf die Bank vor dem Haus geschleppt und in der Sonne gesessen, bevor die anderen aufstanden. Diesmal konnten wir auf der Terasse frühstücken. Nach dem Packen gingen wir auf eine letzte Tour zu sagenumwobenen langen, breiten Sandstränden im Westen bei Barnstaple gemacht. Als man da die Küstenstraße hinunterkam, sah man tatsächlich, wie kilometerlange Wellen auf das Ufer zuliefen. Und in der Brandung sah man dutzende kleine dunkle Punkte; das waren die Köpfe von Windsurfern, die dort bei Wetter und eben Wind in großer Zahl auf Brettern mit und ohne Zugdrachen ebenjene Wellen ausnutzen. Auf dem Weg zum Strand durchläuft man hohe Dünen, wie es sie eben nur an Sandstränden und darum nicht bei uns gibt. Und die Klippen zeigen aktive Erosion, umso erstaunlicher, dass einige Häuser darauf renoviert werden.



Mathieu trinkt Morgenkaffee vor unserem Ferienhaus in Lynton in Devon.

Blick in die Bucht. Am Horizont sieht man Wales - bei gutem Wetter.

Der andere Teil der Terasse. Hier haben wir am letzten, sonnigen Morgen Frühstück gegessen.

Unser Ferienhaus am Felsen.

Das Felsental. Links der Wilde Jack. Da drauf war es so windig, dass ich ich nicht ganz an die Klippen gewagt habe.


Diesen Bach sind wir zum Meer gefolgt.






Die Bucht von Lynton und Lynmouth.

Diese Katze schaute mit mir aufs Meer und ließ sich im Gegensatz zu Buddha auch von Schnürsenkeln nicht ablenken.


Die Steilbahn bringt seit 1890 Besucher von Lynmouth in höher gelegene Lynton.

Auf dem Weg zum Landfriedensbruch.



Abends zu Hause.


Einer von mehreren endlosen Sandstränden, bevölkert von Windsurfern.


Nebenbei

Gesundheit
Anfang Mai bekam ich die Ergebnisse meiner 2. Blutprobe zurück. Die Werte sind praktisch identisch mit der ersten, weshalb die Ärztin mit mir sprechen wollte. Das hat mir entsprechend Angst gemacht. Beim Termin wurde mir dann aber nur gesagt, dass die Werte "so niedrig" nun auch wieder nicht seien und ich mein normales Leben wieder anfangen soll. Das wiederum beruhigte mich. Aus Deutschland aber bestätigte man meine Denkrichtung, dass nach über einem Monat Erholung zwischen den Proben zumindest eine kleine Verbesserung zu sehen sein sollte. Also werde ich mir jetzt eine 3. Probe machen lassen, bevor Papa herkommt.
Trotzdem habe ich wieder angefangen, wie früher zu tanzen und die normale Strecke zur Arbeit zu fahren. Nach einer Woche halte ich mich gut, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil Ellie und ich uns auf bessere Schlafenszeiten geeinigt haben. Die Züge sind gerade furchtbar überfordert mit der immer weiter steigenden Zahl von Fahrrädern. Einmal musste ich wegen Überfüllung sogar aussteigen, woraufhin ich endlich eine Beschwerde schrieb. Schließlich kommen Züge in anderen Ländern ja auch mit Rädern klar.


Kalina
Mathieu ist eine Woche nach dem Wochenende in Exmoor übrigens mit seiner Freundin eine Woche nach Lodz geflogen. Ich erhielt dafür Besuch von Kalina, die Ellie und ich eingeladen hatten, weil sie so nette Gesellschaft ist. Eigentlich wollte ich eine Austauschstunde Bauchtanz gegen Indischen Tanz organisieren, aber wir bekamen kein Tanzstudio. Stattdessen haben wir Samstag abend Pizza gemacht und sind Sonntag Golf spielen gegangen. Im Anschluss konnten wir uns das erste Mal dieses Jahr ohne Jacke an den Strand legen. Die Sonne gab dem Wasser bereits das ganz bestimmte Sommerblau, das in mir den Badeinstinkt auslöst. Ich wäre bei weitem nicht der erste. Und der Rosengarten beginnt zu blühen.

Arbeit
Neuigkeiten kommen natürlich von meiner Arbeit, wo ich Anfang Mai in einer neuen Arbeitsgruppe angefangen habe. Ich bin weiterhin in der Abteilung für Bevölkerungsschätzungen, aber nach dem Emigrationsprojekt in einer Gruppe, die sich um Geburten, Sterblichkeit und andere klassische Demographie kümmert. Ganz genau gesagt schätze ich jetzt die älteste Bevölkerung, die über 89 Jahren. Im Gegensatz zum letzten Projekt arbeite ich nicht nur an der Methodik, sondern produziere die Schätzungen einmal pro Jahr selbst zur Veröffentlichung. Das findet jedes Jahr von Juli bis September statt. Die restliche Zeit verbringe ich wohl mit der Analyse dieser Zahlen und anderen Projekten. Unter anderem wird wohl auch wieder geprüft, ob die Methodik verbessert werden kann. Dazu vergleichen wir sie mit den Zahlen anderer Länder, u.a. von Deutschland, die ein Bevölkerungsregister haben und daher, theoretisch, nicht schätzen müssen. Die Kommunikation mit anderen Ländern kommt mir hoffentlich entgegen, aber wirklich aufregend ist, dass wir mit dem Max Planck Institut für Demographie in Rostock zusammenarbeiten. Die arbeiten auch an Sterblichkeit und nutzen die gleiche Methodik wie wir. Eine Mitarbeiterin hat sie wohl schonmal besucht, auf einem Tisch liegt eine Broschüre über Rostock und natürlich träume ich so ein bisschen, dass sie eines Tages mich schicken. Aber vorerst muss ich mich in mein eigenes Themenfeld einarbeiten.

Mordsspaß
Dann hat die neue Abteilungsleiterin eine Art Klassenfahrt für alle organisiert, mit verschiedenem Spaß und Spielchen, darunter mein erstes "Murder Mystery". Dieser traditionelle britische Zeitvertreib ist ein Kriminalrätsel, in dem man in einer Gruppe anhand von Beweisstücken und Zeugen einen Mord aufklären muss. Ich hatte das noch nie gemacht und viel Spaß, und auch wenn meine Gruppe angeblich die einzige war, die falsch lag, weiß ich, dass wir in Wirklichkeit als einzige den Mörder gefunden hatten, man aber die anderen nicht demotivieren wollte.

Mehr Geld
Denn die Gewerkschaft erhielt letztens schon genug Zulauf - u.a. auch mich, auch wenn das mehr wegen des Gruppensogs geschah und ich noch nicht genau weiß, was es mir bringt. Ich habe sogar gerade eine kleine Gehaltserhöhung bekommen - ein Jahr, nachdem sie mir zugestanden hätte. Ich kriege aber eine Nachzahlung - was passt, denn ich sehe einige Ausgaben auf mich zukommen, vielleicht ein Klappfahrrad, sollten die Züge wirklich ernst machen mit der offiziellen Obergrenze von 2 Rädern.

Nichsoschlimm
Nächste Tradition: VE Day. Also Kriegsende am 8. Mai. VE=Victory in Europe= Sieg in Europa; VJ im August ist Sieg über Japan, aber viel weniger wichtig. Aufgrund des runden Jubiläums war es besonders prächtig, aber mir stößt es weiter auf, mit welcher Nostalgie die Zeit in meinen Augen verklärt wird zu einer Mischung aus bisschen weniger Essen, Gemeinschaftsgefühl, Kostümen und Swingmusik. Bei Parties wird da z.B. weiterhin gern Luftangriff gespielt, dann rennen alle in den "Bunker" Raum und singen The blue Cliffs of Dover.

Wahlen
Nächste Tradition: Wahlen, darum gings ja schließlich auch am VE Day. Ich habe meine Pflicht getan, wenn auch nur für den Stadtrat, aber vielleicht ist das britische Wahlsystem von Interesse. Denn wie man vielleicht gehört hat, waren die 2 großen Parteien prozentual nicht weit auseinander, die Zahl der Sitze aber schon. Hier gibt es nämlich kein Verhältniswahlrecht, sondern nur Direktmandate. Jeder Wahlkreis entsendet einen Vertreter, es gibt keine Listen (soweit ich es verstehe). Hat Partei A 4 Stimmen, B 3, C 2 und D 1, gewinnt A den gesamten Kreis und das Abgeordnetenmandat, auch wenn die Mehrheit für andere Parteien gestimmt hat. Hat also jemand in einem Wahlkreis die Mehrheit, und sei es mit einer Stimme, sind die Stimmen der anderen Kandidaten egal - gehen also nicht in die Gesamtunterstützung einer Partei im ganzen Land ein. Das kann eine gute Lokalbindung der Abgeordneten bedingen - aber oft stellen die Parteien auch ortsfremde für einen Wahlkreis auf. Das System führt aber zu klaren Mehrheiten im Parlament, darum war die Koalition der letzten Legislaturperiode (in meiner Yorker Zeit entstanden) die erste der britischen Nachkriegsgeschichte. Außerdem unterstützt das System so die großen Parteien, denn kleine Parteien bekommen selten die Mehrheit in einem Wahlkreis und alle anderen Stimmen werden ignoriert. Dementsprechend wird jedes Mal der Bankrott des Systems proklamiert und die kleinen Parteien jammern - andererseits schützt es uns vor UKIP, obwohl sie 12,5 Prozent bekommen haben. Nicht zuletzt ist es ein Anreiz, Wahlkampf lokal zu konzentrieren. Man kann überall Zweiter werden und gar nicht im Parlament sein, oder nur in wenigen Bezirken überhaupt antreten, da aber gewinnen und über das ganze Land mitbestimmen. Das erklärt den Erfolg der Schottischen Nationalpartei, die nur in Schottland wirbt, dort aber 52 von 53 Sitzen bekommen hat. Auf einmal schreckt man daher auf, das Schotten über Gesetze abstimmen, die nur England betreffen. Denn England ist ironischerweise das einzige Land im Vereinigten Königreich ohne eigenes Regionalparlament. Also ein weiterer Angriffspunkt für Nationalisten allerorten, denen die Insel schon jetzt zu klein zum Teilen ist.

Einer der großen Vorteile meiner Arbeit ist, wie gesagt, dass man viele klare Zahlen über das Land bekommt, oft in Seminaren von Kollegen. Eins davon beschäftigte sich mit der Auswirkung einer Reform des Wahlrechts. Seit kurzem muss man sich individuell zur Wahl anmelden, früher warf die Wahlkommission Zettel in den Briefkasten, auf denen man sich registrieren konnte. Das führte natürlich zu vierlelei Spekulation, dass die Zahl der Wahlberechtigten fallen würde - auch ich dachte das. In der Tat fiel die Zahl und die Journalisten schrieben sofort ihr Meinung dazu. Unsere Zahlen zeigen aber etwas weniger spektakuläre Gründe, was in den Medien nicht ankam.

Weitere Ausgaben sind Reisen. Ende des Monats eine Nacht auf der Isle of Wight mit dem Chor, Anfang August begleite ich Ellie auf eine Hochzeit von Freunden in Shakespeares Geburtsort Stratford. Und für das lange, vorletzte Maiwochenende haben wir uns spontan dazu entschlossen, ein Nacht in einer Jurte in einem Naturschutzprojekt zwischen Portsmouth und Petersfield zu verbringen. Das hatte ich schon lange im Auge, nicht nur um einmal in die Natur zu kommen, sondern auch der morgendlichen Aussicht ins weite Land hinein wegen.

Bücher: Ich habe noch kein neues Buch angefangen, habe aber das Kapitel über Mechanik in der Kleinen Physik abgeschlossen. In der Tat habe ich viel gelernt, nicht zuletzt die Dreiecksgleichungen wiederholt.
Schließlich ist mir aufgefallen, dass es viel besser wäre, statt im August/September schon im Mai/Juni nach Deutschland zu kommen.

Dann muss ich mich korrigieren - die blauen Blumen in England sind nicht Kuhschellen, sondern die weitaus gewöhnlicheren Atlantischen Hasenglöckchen (Hyacinthoides non-scripta)

Ganz zuletzt: es gibt ein kurzes Werbevideo der Uni mit Fokus auf den Chor. Ich bin kurz zu sehen (0:44).
https://www.youtube.com/watch?v=go4tJCqV87I&feature=youtu.be&app=desktop
Plakat für das letzte Konzert des akademischen Jahres, auf der Isle of Wight.

Kuhschellen im historischen Dorf.

Der Töpfer füttert "Weide", eine der inzwischen zwei anwohnenden Füschsinnen. Der Töpfer stellt auch Tassen her.