Hatte
ich jemals gedacht, der Sommer würde ohne Chor und
Kaltwasserexperiment gemächlicher, so beweist mir auch der Juli das
Gegenteil. Ein typisches Sommerwochenende: Cristina hat mich zu einem
Treffen von Hobbykayakfahrern am Strand der Insel Hayling (wo ich im
letzten September fast von der Flut überrascht worden war) mit Grill
eingeladen. Das war ein Dutzend Leute und einige Boote an einem
perfekten Sommertag am Strand. Ich bin zum ersten Mal seit 2006 Kayak
gefahren und auch prompt gekentert, aber das Wasser war an diesem
sonnigen Tag ohnehin der angenehmste Ort. Später bin ich nochmal mit
kurzer Hose in die Brandung gesprungen, trocknet alles von selbst.
Am
gleichen Tag fand ich noch einen tollen Platz in Portsmouth, eine
ehemalige Kirche, die in 32 Einzelateliers für lokale Künstler
umgewandelt worden ist. Die hatten gerade offenes Wochenende und ich
hatte einfach nicht genug Zeit für so ein großes Projekt
mitgebracht. Abends gab es bei Mathieu noch mehr Grillen mit seinen
Nachbarn unter einer Linde.
Sonntag
morgen habe ich meine neuen bulgarischen Mitbewohner kennen gelernt,
ein Mädchen und zwei Jungs aus Sofia und Umgebung. Machen hier
Praktika über den Sommer. Sie sind zwar erst 19, aber alle nett und
zuverlässiger als meine übliche Truppe.
Dann
mit Mathieu schwimmen. Dann zum Tag des offenen Schiffs im
Marinehafen. Dann Mittag im französischen Restaurant. Dann schnell
weiter zum Kunstprojekt, alles von gestern nachholen. Ein Künstler
verteilt gratis Bilder, ich kriege eine beängstigende rotschwarze
Figur. Wir picken eine weitere Sommerbewohnerin der Stadt auf, die im
Weingarten mal schnell ihre Wasserfarben aus der Handtasche holt und
uns was malt. Abends zu dritt Grillen am Meer.
Alles
also wie ich es mir im Idealfall vorgestellt habe, damals in Rostock,
von einem Leben am Meer. Und was fühle ich am Ende am meisten?
Frust. Dass wir das Konzert am Meer nicht geschafft haben. Das wir
nicht zum Poesieabend in diese Kneipe gekommen sind, in der soviel
Musik stattfinden soll. Dass ich wieder nichts für geschafft habe
für Gesang, Walzer, Tango, Literatur, Statistik, Russisch.
Überangebot, kulturell und sozial, war selten mein Problem. Ich bin
daran gewöhnt, alles unterbringen zu müssen. Und die Unmöglichkeit,
hier alles zu machen, macht mich wahnsinnig. Durchreisende kann ich
schon lange nicht mehr aufnehmen, und habe jetzt auch offiziell das
Angebot zurückgezogen. Im Sommer in Portsmouth werde ich vermutlich
lernen, Prioritäten zu setzen.
Eine
Woche später kehrten Cristina und ich an die gleiche Stelle auf der
Insel Hayling zurück, um dort den ersten richtigen Strandtag in
diesem Sommer zu verbringen. Es gab sogar richtigen Sand, Kinder
tobten, ich habe ordentlich Sonnenbrand gekriegt. Am Tag darauf kam
mich Kalina in einem bezaubernden Sommerkleid zu meinem Geburtstag
besuchen. Bei drückender Hitze spazierten wir das Meer hinab bis zum
Sonntagskonzert, bei dem ich zum ersten Mal tanzte. Inzwischen sind
alle Geburtstagspakete und - briefe angekommen und mit Dank bedacht
worden.
Eine weiter Woche darauf bin ich auf eine Bauchtanzschau gegangen. Die war von einer meiner Tanzlehrerinnen organisiert worden, die hauptsächlich in dieser Richtung aktiv ist. Am Sonntag darauf gab es den lang erwarteten Höhepunkt der sommerlichen Konzertreihe am Meer, das lateinamerikanische Programm. Dazu traf sich die gesamte Salsagemeinde der Stadt und tanzte sich in der sengenden Sonne die Absätze von den Schuhen. Ich konnte nur die ersten zwei Stunden mitschwitzen, denn danach war Tangostunde. Dort üben wir jetzt alle paar Sonntage für einen Auftritt irgendwann. Für den Gesangsunterricht übe ich jetzt aus dem Buch 28 Italienische Lieder und Arien des 17. und 18. Jahrhunderts. Lesen tue ich das kurzweilige Comicbuch Persepolis.
Auf
der Arbeit verlässt meine direkte Vorgesetzte leider das Team. Das
wird allgemein bedauert, weil unser Gruppenleiter allgemein als
inkompetent angesehen wird und sie de facto für Führung gesorgt
hatte. Ersatz wird gerade erst geplant, wir haben ohnehin zu wenig
Leute, und keiner in meinem Projekt hat große Lust, direkt dem
Leiter zuzuarbeiten. Offenbar wurden umfangreiche Absprachen
getroffen, um uns von anderen Gruppen indirekt zu steuern. Im Moment
kann ich mich selbst genug orientieren, da ich mit der Zeit ein
bestimmtes Projekt übernommen habe, das ich jetzt recht gut kenne
und mit einer Kollegin selbstständig beackere. Ich persönlich
bedauere den Weggang, weil mir meine Chefin gerade am Anfang massiv
durch Schwierigkeiten geholfen hat.