Mittwoch, 14. September 2011

31.08.2011 - C'est fini, fini

Erst im Zug fiel mir auf, dass ich nur einen Tag später als 2005 aus England abfahre. Ein Jahr, das ich mit viel Arbeitsfreude und bescheidenen Reiseplänen begann, lässt sich wie immer mit dem Bedauern zusammen fassen, wieviel Zeit verschwendet worden ist. Wenn auch der August gar keine berichtenswerten Ereignisse mehr gebracht hat, so hat er doch eins bewiesen: mich bringt inzwischen auch die größte Verzweiflung, Panik oder Scham nicht mehr zum Arbeiten. Einen weiteren ganzer Monat zwar früh aufgestanden und zu viel vorm Rechner gesessen, aber doch nichts gemacht außer Zeitung zu lesen. Und wenn es da nichts neues gab, habe ich mir Archivfolgen der Tagesschau aus der Wendezeit angeschaut. Obwohl das alles bereits im Arbeitsplan vorausgesehen war, dauerte alles noch viel länger, sodass von den erhofften zwei Wochen für Korrektur, Nachlesen und den einen Tag nach Edinburgh gar nichts blieb. Nichtmal ein gutes Gewissen, dass dafür wenigstens die Arbeit besonders vielversprechend wäre.

Was ist passiert: mein ägyptischer Freund Achmet hat mir die Haare wieder kurz geschnitten. Der Käufer meines Fahrrads hat sich natürlich nie mehr gemeldet, sodass ich es einem Freund geschenkt habe. Ich habe ein zweites Mal im Münster Kaffee serviert. Ich war mangels Salsa und Fußball ab und zu kurz joggen. Denn auch wenn ich nichts gemacht habe, saß ich täglich zehn Stunden vor dem Computer und brauchte Bewegung. Bei einem Latinofest habe ich auf der Straße getanzt und später mit neuen russischen Freunden drinnen. Denen habe ich auch noch eine Führung durch den Münster gegeben. Sie waren auch einmal bei mir zum Pilzebraten und ich habe mit ihnen einmal Champagner probiert. Der Pflaumenbaum in unserem Garten wurde von mir persönlich komplett abgeerntet und gegessen. Er war so übervoll, dass wir den Maden teilweise nicht mehr zuvor kamen. Das hat zu einem Pflaumenstreuselkuchen geführt. Zwei weitere Versuche lehrten die letzten Lektionen dieses Jahres: Streuselkuchen ist gar nicht so einfach.

Wenigstens einmal noch wollte ich ja noch Edinburgh. In der Fahrkartenschlange wurde mir dann aber bewusst: ich habe mich echt geändert, denn nichtmal jetzt war mir der eine Tag das ganze Geld wert. Stattdessen habe ich trotz Vorsatz in York noch einige kleine Kirchen wegen ihrer Fenster besucht. In die Dreifaltigkeitskirche eines der ehemaligen Klöster bin ich auch einige Male morgen gefahren, wenn ich erstmal keinen Computer brauchte. Dort ist es nämlich wunderbar ruhig, Weihrauch liegt in der Luft, es gibt eine gute Ausstellung, es spielt eine CD mit gregorianischen oder orthodoxen Gesängen, und manchmal wird Orgel geübt.

Am Anfang des Jahres war ich so zufrieden mit mir und der Welt, weil ich einen Plan und ein Ziel hatte und endlich mal nicht alles Stückwerk und Improvisation war. Jetzt wird meine Stimmung wieder geprägt von der Unsicherheit was nun wird, und noch schlimmer, dem Bewusstsein, dass ich daran mal wieder selbst schuld bin.

Donnerstag, 28. Juli 2011

26.07.2011 – Neues aus den Kolonien

Am 12.7. wurde Emily nach gut zwei Wochen endlich vor die Tür befördert, nachdem unsere Vermieter zum Rasenmähen kamen und sie immer noch der zugemüllten Höhle vorfanden, in das sie ihr Zimmer verwandelt hatte. Ja wir sind alle froh, denn sie hat uns zunehmend genervt. Nichts anderes gemacht als Fernsehen zu schauen, definitiv keine ersichtlichen Auszugsvorbereitungen getroffen und nebenbei auch keine Miete bezahlt. Zum Glück hatte ich schon früh die Vermieter informiert, sodass uns niemand Beihilfe vorwerfen kann. Darum ist mir auch nur ihr Überraschung unklar. Im Vergleich zum Miteinander mit Maria und Timm scheint rückblickend jeder einzelne ihrer Vorgänger komisch gewesen zu sein. Jetzt jedenfalls herrscht deutsche Ruhe und Ordnung im Haus. Und am Folgetag haben wir gefeiert, mit zünftigem deutschen Glühwein und gemeinsamem Kochen und danach sogar Abwaschen, komplett mit Abtrocknen und Wegräumen. Deutsche Mitbewohner - was mir da jahrelang entgangen ist!
Ebenfalls als guter Deutscher leere ich meinen Haushalt in Vorbereitung auf den Auszug früh und mit maximaler Effizienz. Wegschmeißen mag ich möglichst gar nichts, darum habe ich letztens haltbare Kochzutaten und Gewürze meinem ehemaligen Chorleiter Graham übergeben. Dabei habe ich gelernt: Amerikanern gibt man im Gegensatz zu Briten die Hand.

Entdeckungen und Experimente
Mit Papas Besuch in der zweiten Julihälfte war das Haus fest in deutscher Hand, meine vorbildlichen Ernährungsgewohnheiten dagegen kapitulierten nach nur kurzer Gegenwehr. Unter anderem hatte ich nach einem weiteren wehmütigen Austausch mit Maria über deutsche Bäckereien spontan und auch erfolgreich meinen ersten eigenen Zupfkuchen gebacken, mit dem ich dann fast komplett allein gelassen wurde. Jetzt muss ich erstmal wieder abnehmen. Dafür haben wir den Großteil der Yorker Restaurants besucht und ich am Meer mein vermutlich letztes Fish & Chips gegessen. Letzteres war auf einem Ausflug in die kleine Hafenstadt Whitby nördlich von York, einem der beliebtesten Ausflugsziele Englands. Der Ort ist neben seiner Wasserlage bekannt als Landungsort von Dracula (auch dort daher das inzwischen allgegenwärtige lokale Spukhaus und Gespensterführungen), Lehrort von Captain Cook und vor allem für die Ruine des Klosters der Hl. Hilda. Letztere ist eine der Größen der englischen Kirche und sowohl mit Yorker wie Newcastler und Durhamer Heiligen der angelsächsischen Periode eng verbunden. Weiterhin sah ich endlich Schloss Howard, worauf ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, und noch einige neue Ecken von Knaresborough. Zu letzterem führte uns ein kurzer Nachmittagsausflug, nachdem wir den ganzen Tag im Regen zu Hause gesessen hatten. Das Wetter war nämlich typisch englischer Sommer und nahm erst ganz zum Ende des Besuchs europäische Züge der Jahreszeit an. Im Garten habe ich übrigens neben Apfel und Birne jetzt auch noch Mirabellen- und Pflaumenbaum entdeckt.

Das Südfenster des Münster, genannt "Rose von Yorkshire". Gestiftet anlässlich des Endes der Rosenkriege, als sich die Häuser Lancaster und York nach Jahrzehnten von Krieg durch eine Heirat verbanden.
Westfenster des Münster, genannt 'Herz von Yorkshire'.

Das Hauptschiff des Münsters.



Abendessen im Garten.

Unser Haus vom Garten aus gesehen.

Hafen von Whitby. Oben rechts zu sehen die Ruine der Abteikirche Whitby.


Ruine der Abteikirche Whitby. Das Gelände selbst ist heute Museum.



Der Campus im Sommer. Das Herrenhaus des Universitätdorfes Heslington birgt nur Funktionsräume. Der Campus selbst ist im Stil der 1960er Jahre.

In diesem College ist mein Institut untergebracht.

Eine Karte des Campus.

Ein Wegweiser auf dem Campus. Soviel zu den Prioritäten in der Bildung hier.

Die in den Ferien menschenleere Bibliothek.

Blick über den Campus vom 3. Stock der Unibibliothek.
Uni für alle
Wie bei Kasias Besuch war ich auch jetzt an der Uni, wenn auch nicht so viel wie geplant. Leicht ist es auch nicht, denn nach der kurzen Verschnaufpause wird die Bibliothek jetzt weiter umgebaut, bevorzugt mit Bohrmaschinen. Kurz vor dem Besuch hatte ich noch einmal einen kurzen Computerlehrgang, wo ich endlich ein bestimmtes Programm zu bedienen lernte, dass einem die Referenzliste in schriftlichen Arbeiten automatisch und in jedwedem lokal erwünschten Format erstellt. Klingt trivial, hat aber seinen Wert für Studenten, vor allem wenn sie in verschiedenen Ländern lernen und schreiben.
Der ferienleere Campus wird desweiteren durch Gäste aufgefüllt. Die Uni vermietet ihre momentan ungenutzten Räumlichkeiten für diverse Konferenzen und Übernachtungen von deren Besucher. Letztens fand die Hauptsynode der anglikanischen Kirche statt und ich habe eine Schulgruppe aus Sizilien getroffen. Apropos Kirche, letzten Sonntag hatte ich meinen Auftritt beim Teeausschank nach der Gottesdienst im Münster. Für den 14. August bin ich nochmal eingeplant. Sonst wird das ja von den Eltern der Chorknaben vorbereitet, aber die sind ja während der Schulferien meist im Urlaub.

Konvergenz und Divergenz
Wer auf einmal auch verreist, und zwar durch ganz England und Europa, sind die Chinesen, was universitätsgeschichtliches meines Wissens ein waschechtes Novum ist. Ich dagegen bin dieses ganze Jahr kaum weggekommen. Aber die haben auch jeden Tag auf ihrem Stuhl gesessen und gelernt, ihre Prüfungen mit Bravour bestanden und die Abschlussarbeit sehr wahrscheinlich fast fertig. Außerdem wollen sie natürlich ihre verbleibende Visazeit nutzen. Geht eben nichts über eine gesunde Mischung aus Selbstdisziplin und Termindruck.
Gleiches lehrte mich auch zum wiederholten und nie nachhaltig gelernten Mal ein kurzzeitiger Verlust unseres Heiminternets aufgrund von Anbieterwechsel. Da bin ich morgens 6.30 Uhr für die Übersetzungsarbeit an die Uni gefahren um deren Verbindung zu nutzen. Der Tag war dann so unvermutet produktiv, dass ich das am Folgetag gleich nochmal gemacht habe. Immer wieder mache ich die Erfahrung, wie schnell man zu Hause versackt. Je schneller man rauskommt, desto besser.
Meine Einschätzung der eigenen Abschlussarbeit ändert sich täglich. Bis Ende Juli gebe ich mir noch zum Sammeln von Daten und Durchführen der statistischen Berechnungen. Dann will ich aufschreiben, was ich habe. Zuletzt habe ich parellel zu den Datensätzen auf nationaler Ebene einen regionalen erstellt und auch einige wichtige methodische Probleme gelöst. Die regionalen Ergebnisse machen jetzt richtig Sinn, die nationalen noch weniger.

Mittwoch, 6. Juli 2011

06.07. – Schöner wohnen, besser lernen

Es sieht so aus als hätte ich Emilie (etwas) Unrecht getan: nachdem ich die letzten Junitage nicht sicher war, ob sie schon weg ist, fand ich am Abend des 29.6. zumindest einen Umschlag mit dem ausstehenden Geld. Ok, nicht allem, aber zumindest hatte sie halbwegs plausible Gründe für den Ausstand.
Schon am Folgetag kamen die neuen Mitbewohner, Timm und Maria aus Bremen und Köln. Timm ist Samstag allerdings schon wieder weggefahren, einen Monat in die USA. Darum haben wir Freitag noch im Garten einen Kennenlernumtrunk gemacht. Beide studieren Theater und Film, zuerst in einer Firma in München angelernt und beenden jetzt Bachelor bzw. Master an jeweils einer der hiesigen Universitäten. Daher leben sie auch schon seit 3 bzw. 4 Jahren hier.
Das war im übrigen der erste gemeinsam mit Mitbewohnern verbrachte Abend hier. Auch sonst verspricht der neue Haushalt viel unkomplizierter zu werden als bisher. Nicht nur, weil sie viel Haushaltsgerät mitbrachten, sondern einfach viel berechenbarer und unkomplizierter scheinen als ihre Vorgänger. So ist das, habe ich beim ersten Mal in England das Leben in der Fremde schätzen gelernt, entdecke ich jetzt die Wertschätzung für Heimat und Landsleute, die ich damals eigentlich erwartet hatte. In der Tat waren unsere ersten Gesprächsthemen auch all die Dinge, die in Deutschland besser sind als hier. Der Kontrast wird von der englischen Emily unterstrichen: die ist nach einer Woche bei der Familie irgendwie wieder eingezogen – zuerst nur, weil irgendwas mit ihrer neuen Wohnung nicht klappt, aber wielange genau, weiß sie auch nicht. Wir werden sie mittelfristig rausekeln.

Der Toskanaeffekt
Während Emilie ging, kommt ab und zu der Sommer, schwuel und schweißtreibend, und geht dann wieder. Am letzten Junisonntag morgens fing er an, plötzlich war er da. Sofort begann jeder über die Hitze zu klagen. Besonders morgens ist es meistens schön. Ich kann die Übersetzungen im Garten machen, dessen Gras wieder hochgewachsen ist. Auch abends kann man im letzten Licht noch etwas lesen, gemeinsam mit den neuen Mitbewohnern. Im Moment bin ich nämlich abends häufiger zu Hause, da mir die Salsaabende ausgehen.
Auf dem Weg zur Uni springe ich bei Sonne wieder ab und zu noch schnell in den erleuchteten Münster oder kann in den früh noch leeren Museumsgärten am Fluss unter den Ruinen der Marienabtei lesen. Besonders Sonntag ist das toll, wenn vor der Messe bereits die nahen Münsterglocken läuten. Ab jetzt werde ich dort wieder regelmäßig sein, denn ab dem 4.7. ist die Uni am Sonntag zu und ich werde wieder in die Stadtbibliothek fahren, die direkt neben dem Museum liegt.

Auf dem kürzlichen Picknick der Lateinamerikanischen Gesellschaft. Kirche und Anger im Hintergrund gehören zu Heslington, dem ganz von der Universität übernommenen Dorf am äußersten Rande Yorks. Ganz in der Nähe war ich während des Sommerkurses einquartiert.



Der Brandenburgeffekt
Freitag, den 1.7. wurden den Studenten scheinbar ihre Jahresendnoten mitgeteilt. Seit dem Folgetag ist der Campus wie ausgestorben, die Geschäfte zu, die Bibliothek ein Himmelreich des Friedens und der Ruhe. Mein Fahrad steht ganz allein am normalerweise zugeparkten Geländer, an Wochenenden habe ich oft einen ganzen der sonst überfüllten Computersäle allein, zwischen den Bücherregalen herrscht Stille und alle Bücher sind immer verfügbar, eine wundervolle Lernathmosphäre. Leider ist die Bibliothek jetzt nur noch von 09.00-18 Uhr auf. Das reicht nichtmal für die Zeit, die ich durchschnittlich vertrödele.
Nachmittags kann man auf einer sonnigen Wiese Pause machen und bei Müdigkeit einen Spaziergang über den warmen Campus machen, der voll Grün und bunten Blumen ist, dann quaken die Enten und Kaninchen am Ufer des Sees, man fühlt sich fast als hätte man einen kleinen Zoo für sich allein. Wenn man dann auch noch motiviert zur Arbeit zurückkehrt, denkt man sich, dass man vielleicht doch noch hierbleiben möchte.
Eine Ausnahme ist der heutige Tag der offenen Tür, zu dem 20.000 Studieninteressierte erwarten werden. In der Tat waren bereits morgens Menschenmengen zu sehen. Das war der Arbeit abträglich und auch gratis Essen oder Geschenke waren praktisch unauffindbar.

Der Rehabilitationseffekt
Leider auch sitze ich gerade jetzt nicht über Büchern sondern zu viel vor dem Computer. Das aber zumindest deshalb, weil ich endlich den interessanten Teil meiner Arbeit begonnen habe. Nach der Literaturübersicht und der Theoriewiderholung habe ich jetzt mit der Statistik begonnen, deren Übung ja die Hauptmotivation der ganzen Thematik ist. Ich hab mir zu Anfang einfach mal einige Daten geschnappt und in unser Statistikprogramm geworfen – und Ergebnisse bekommen! Das macht mir wirklich Spaß, und das ist auch eine sinnvolle Erfahrung. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl etwas wirklich Nützliches zu lernen. Auch erinnert es mich daran, dass mir trotz der erbärmlichen Langsamkeit der Bachelorarbeit schon damals die Statistiken gefallen haben. Die Erfahrungen von damals stellen sich jetzt sogar als nützlich heraus. Was eventuall heißt, dass die ganze Geschichte vielleicht doch nicht vollkommen sinnlos war, auch wenn ich damals ohne jede Vorbildung über Statistik geschrieben habe, sie vermutlich ganz furchtbar vergewaltigt habe und mich dafür zunehmend geschämt hatte.

Freitag, 24. Juni 2011

24.06.2011 - Miserere Nobis

Nach dem letzten absichtlich positiv gehaltenen Wohlfühleintrag trudeln jetzt die ersten Zensuren ein. Die erste Prüfung in Entwicklungökonomie ist zwar im Mittelfeld gelandet, aber weit unter den Hoffnungen – und das war die Prüfung, die zu einfach schien. Ähnliches gilt für den letzten Essay, in Philosophie – Essays sind im allgemeinen einfacher als Klausuren. Was also soll ich von den wirklich wichtigen Prüfungen erwarten? Langsam nervt mich der Eindruck der Zufälligkeit hier; in den Worten einer deutschen Doktorantin „guckt man mal, wo der Pfeil am Ende landet“. Andererseits kann ich jetzt nur hoffen, dass mich die Erwartungen der übrigen Ergebnissen massiv täuschen.

Ich erwähnte, dass sich Klausuren seit den ersten Semester in Magdeburg nicht mehr so schlecht angefühlt haben. Ähnlich ist es mit an manchen Tagen mit der Stimmung: Angst füllt mich im Moment, Angst vor den Ergebnissen, Angst vor der Abschlussarbeit, Angst vor der Arbeitssuche, allgemeine Versagensangst. Das das mal mein Problem an der Uni wird...Angst auch, was mir dieser Abschluss später bringen soll. Dabei ist es ironisch: vor kurzem viel mir ein: ich hatte diese Studien damals doch nicht ganz ziellos gewählt. Wie man jetzt so gerne sagt wollte ich Fähigkeiten erwerben und nicht nur Wissen. Ironischerweise stehe ich jetzt offenbar mit sehr wenig von beidem da.

Qui tollis
Freitag morgen ist die englische Emily ausgezogen. Zwar unter Zurücklassung eines verwüsteten Wohnzimmers und tagelang nicht abgewaschenen Geschirrs (aber praktischerweise auch solchen Dingen wie dem Rührgerät), weil sie trotz einer Woche Vorbereitung am Ende fast ihren Zug verpasst hätte. Aber trotzdem war sie mit Abstand konstruktivste Mitbewohnerin. Immer hilfsbereit und hat ihre Rechnungen sogar im Voraus bezahlt. Ihre französische Namensschwester kann dagegen Ende Juni gern verschwinden, die lässt jetzt durchblicken, dass sie ihre Rechnungen vermutlich nicht bezahlen kann. Das trifft vor allem Ella, die fürs Internet bezahlt. Selber schuld, ohne mich hätte sie das vermutlich niemals verlangt. Das Problem ist, ohne ihr Geld kriege ich vermutlich meins nicht von ihr zurück. Überlebe ich zwar. Aber ich habe bei Wohngemeinschaften immer gesagt man arrangiert sich mit jedem; und auch wenn ich Mitbewohnern immer als Mittel zum Zweck betrachte, habe ich mich nie auf jemandes Auszug gefreut – Emilie hats geschafft. Ist ja nicht so, dass sie es mit übertriebener Freundlichkeit kompensiert hätte.

Götterfunken in excelsis
Der Höhepunkt der letzten Zeit und eine enorme Moralstütze war das Chorkonzert im Münster am 22.6.. Zusammen mit zwei Proben konnten ich insgesamt dreimal im Münster singen. Anders als beim letzten Mal war das Orchester auch von der Uni und wahrscheinlich noch schlechter als wir. Aber wie es im Steppenwolf steht, keine Barbarei kann die Schönheit der Musik zerstören. Egal wie schön es ist Mozarts Messe und Beethovens Neunte zu hören, es selbst in einer Kathedrale mit einem Orchester aufzuführen ist unvergleichlich ergreifender. Beim lateinischen Glaubendsbekenntnis, Melodien der französischen Revolutionsheere dem Nachhal der letzten Zeilen über Brüderlichkeit wird man richtig sentimental.
Leider leider geht damit wie sovieles und soviele auch der Chor in die Ferien. Langsam bleibt mir wenig an Hobbies. Auch der Computerkurs ist bereits wieder vorbei, Freitag reichte ich meine ersten selbstgemachten Internetseiten ein (zu finden auf http://www-users.york.ac.uk/~jh1048/). Letztens habe ich daher an einigen kleinen Experimenten anderer Masterstudenten teilgenommen (die inspiriertere Themen haben als ich), wo ich zweimal Computer spielen durfte. Durch die morgendliche Arbeit bin ich abends oft zu müde um noch tanzen zu gehen, und der Bewegungsmangel macht sich wieder bemerkbar, insbesondere durch allgemeine Mattigkeit und noch erhöhte Faulheit, was dann das Problem nur noch verstärkt. Auch die Bibliothek ist inzwischen zunehmend verlassen und bald auch wieder nur noch zu den verkürzten Ferienzeiten geöffnet. Zeit hier fertig zu werden.

Während der Generalprobe im Münster.

Ich bin in der obersten Reihe bei den ersten Bässen.
Rechts außen mein Freund Richard aus Schwaben, links neben mir der Leiter der Bässe, der extrem begabte Amerikaner Graham.

Die Generalprobe von den Gästeplätzen aus gesehen. Hinter uns die große, bemalte Orgel.


Während des Konzerts. Unten unser beleibter und jähzorniger Dirigent.

  

Richard, Haruka und ich beim Weinausschank nach dem Konzert im Kapitelhaus des Münsters.

Frührentner
Ich kann nicht verleugnen, dass ich mich mental bereits auf die Abreise vorbereite. Welche Rechnungen wann umzumelden sind, wo ich Bücher loswerden kann. Vor Kurzem habe ich einen Käfuer für mein Fahrrad gefunden. Ein Universitätsangestellter, der nächste Woche in Rente geht. Ehrlich gesagt beneide ich ihn.

Benedictus
Am Sonntag dem 18.6. begleitete mich meine japanische Kommilitonin Haruka (vgl. Ausflug nach Durham) in die Messe und danach war ich seit langem mal wieder im Cafe. Eins liegt sehr schön hinter dem Münster, mit Blick in den Garten an der Stadtmauer. Nachdem ich in letzter Zeit der Besäufniskultur hier überdrüssig geworden war, bot ziviliserte Konversation mit einer japanischen Beamtin mit ausgesprochen guten Kenntnissen Deutschlands in ruhigem Ambiente unter expliziter Vermeidung von Uni und Arbeit eine erfrischende Abwechslung. Und was man alles lernt dabei, wusste jemand, dass Japan damals nicht nur deutsche Verwaltung und Bildung übernahm, sondern auch deutsche Kekse? Auch in der Messe hatten wir gewaltig mitgemischt, denn Haruka ist nicht nur eine der wenigen in York verbleibenden Bekannten des Sommerkurses, sondern auch bei den Sopranen und Alts im Chor. Praktischerweise war die Messe unter erstmaliger Leitung des beeindruckenden Erzbischofs war durch die Ordination neuer Priester auch besonders lang und liedreich.

Sanctus Spiritus
Ich habe die Kurzeinführung über Thomas Aquinas beendet und anschließend in Windeseile die zum Römischen Reich gelesen – wenn man mit Geschichte nur Geld verdienen könnte...Jetzt will ich zwei angefangene mathematische Texte beenden und das werden dann vermutlich die letzten Bücher sein, die ich an dieser Uni privat lese. Eins liegt seit letztem September auf dem Schreibtisch, als ich morgens und abends noch den Schwung zum Lesen hatte. Bei einem bin ich mir inzwischen sicher, die schlechten Ergebnisse liegen daran, dass ich faul und leicht abzulenken bin. Die Abschlussarbeit läuft schon wie erwartet, jeden Tag kommt einem irgendwas dazwischen. Und wenn ich ehrlich bin hilft die morgendliche Arbeit nicht dabei an die Uni zu kommen, es verschiebt sich einfach um die zwei Stunden. Nun, zumindest stehe ich um sechs auf.

Gratias Deo
Ich glaube die Backphase ist erstmal vorbei. Letztens habe ich die meisten an Freunde und die kulinarisch Armen in diesem Land verteilt, ich hatte einfach zu viele, und der Figur haben sie auch nicht geholfen. Allerdings hält mich das Wetter weiter in ausgesprochen sentimentaler Weihnachtsstimmung. Wenn Emilie raus ist werden zur Feier die übriggebliebenen Zutaten verbacken.

Mittwoch, 15. Juni 2011

10.06.2011 - Was fürs Herze tun

Fürs Gewissen
Am 8.6. bin ich zu einer Jobbörse an der Uni Leeds gefahren. Bis zuletzt haderte ich, ob es das Geld wert ist, aber am Ende war die Börse doch nicht ganz so sinnlos wie erwartet, vor allem habe ich neben den üblichen Hochglanzbroschüren und Kugelschreibern massiv gratis Schokolade eingesackt. Einige Erkenntnisse über das englische Bildungssystem. Hier geht man nach der Uni nochmal einige Jahre in die Lehre bei der Firma seiner Wahl. Erst da wird man dann richtig für seine Arbeit ausgebildet, Buchhaltung oder Recht, faktisch im Dualen System, egal ob man vorher Geographie oder Philosophie studiert hat. Kein Wunder also, dass den Personalleuten hier die Studienrichtung nicht so wichtig ist. Kostet natürlich gut so eine Ausbildung. Die Bewerbungsfristen erklären auch, warum man auf solchen Messen vor allem Leute sieht, die noch zwei, drei Jahre bis zum Uniabschluss haben, und vielleicht auch, weshalb denen soviel Freizeit gelassen wird. Für mich sind solche Kurse natürlich zu spät, aber ich habe ohnehin nicht vor, jetzt nochmal drei Jahre zu lernen.

Für den Körper
Allgemein hat es mir sehr gut getan, einen Tag unterwegs zu sein, die Beine zu gebrauchen und vor allem mit Leuten zu sprechen. Kaum zu glauben, ich konnte sogar wieder ganze Sätze bilden und nach einiger Zeit Leuten kurz meine Situation schildern und ihnen die Informationen entlocken, die ich wollte. Kann ich auch gut gebrauchen wenn mich meine Arbeit wirklich in die Richtung lenkt, wo ich viel mit Menschen zu tun habe. Es scheint meine Ausbildung ist doch nicht ganz hoffnungslos, zumindest sagen einem das die Personalfuzzies, aber das ist vermutlich ihr Job.
Nach der Messe habe ich noch etwas die Unibibliothek genutzt. Der Campus Leeds ist im übrigen noch miefiger als unsere 60er Jahre Bauten, vermutlich zur gleichen Zeit entstanden. Nachmittags bin ich noch kurz mit einer neuen polnischen Bekannte aus der Nähe von Lodz auf einen Kaffee. Leeds war doch langweiliger als ich es in Erinnerung hatte, das ganze Zentrum besteht praktisch nur aus Einkaufszentren. Aber da Agnieszka sich im Gegensatz zur gewöhnlichen Polonia für mehr als Sonderangebote interessiert, konnte sie mir die lohnenderen Orte zeigen und einiges über die Stadt erzählen. An einigen renovierten Fabriken wie der Kunstgallerie fühlt man sich fast ein wenig an Lodz erinnert.

Für den Geiste
Am 10.6. habe ich in der Nachmittagspause seit langem wieder ein Yorker Museum besucht. Dabei handelte es sich um das im Stadttor Micklegate (wobei „gate“ offenbar vom Altnordischen gata stammt, ein Erbe der hunderjährigen Wikingerherrschaft in York), das letzte vor Ort, was ich wirklich sehen wollte. Eine Etage behandelte die Funktionen und Bewohner des Tors, die zweite die Schlacht bei Towton, die mir selbst kein Begriff war. Dort wurden die 30 Jahre dauernden Rosenkriege entschieden, der erste von zwei waschechten englischen Bürgerkriegen. Es handelt sich dabei also um eine weitere wichtige Schlacht in der unmittelbaren Umgebung von York. Andere sind Stamford Bridge (wo der letzte angelsächsische König die Wikinger schlug, nur um drei Tage später bei Hastings gegen die Normannen zu fallen) und Marston Moor (ein entscheidender Sieg Cromwells im zweiten englischen Bürgerkrieg). Schloss Howard ist bis auf weiteres verschoben; das Wetter wird nicht besser und ich habe in Leeds und dem Museum genug Zeit investiert.

Dienstag, 7. Juni 2011

02.06.2011 - Der letzte Streich

Jetzt sind die Prüfungen vorbei. Zur Makroökonomie am 02.06.2011 ist leider nichts anderes als zu den vorherigen zu sagen und langsam weiß ich auch nicht mehr, was ich überhaupt noch sagen soll. Ob ich zuviel lerne oder zu wenig, mich zu sehr oder zu wenig auf Details konzentriere, mehr in der Bibliothek bin als andere aber die ganze Zeit träume, ob ich die Aufgaben ernster nehmer als erwartet wird, mir Intelligenz fehlt oder Fleiß oder beides oder am Ende nicht doch alles besser ausgeht als es sich anfühlt.
Letztens hatte ich große Freude, mich mit einem chinesischen Elektroniker über ein mathematisches Problem zu unterhalten. Daneben stimmte er zu, dass englische Studenten nicht sehr ernsthaft arbeiten und das Unileben hier allgemein zu sehr auf Spaß fokussiert ist. Aber ich fürchte im Gegensatz zu ihm und den anderen Chinesen, die 90% sämtlicher sinnvollen Kurse ausmachen (mit zunehmender Tendenz auf höheren Niveaus) kann ich es mir fürs erste nicht mehr leisten, diese Meinung zu laut zu vertreten.

Ende ist die allgemeine Stimmung derzeit. Die Vorlesungen sind vorbei, die Prüfungen auch, Freund und Feind verlässt York, mir bleibt eine diffuse Dissertation, Sorge um die Arbeit danach und ein melancholisches Gefühl ähnlich dem am Ende des Sejm Praktikums hier am Ende das Licht auszumachen. Die Gesundheitsökonomen insbesondere gehen auf Praktika, z.T. bis nach Australien. Die schreiben dann erst im September ihre Arbeiten. Noch läuft die Prüfungsphase, aber ich vermute, die Bibliothek wird sehr bald wieder sehr leer sein. Und gerade jetzt kann man endlich wunderbar arbeiten. Der Baulärm ist vorbei, der erste Stock nach der Renovierung wird wieder freigegeben und zum ersten Mal überhaupt sehe ich das Gebäude ohne Gerüste. Nun ja, nach der letzten Klausur wird einem bewusst, dass das Jahr fast vorbei ist, man die Abschlussarbeit ja wohl sehr allein schreiben wird, nirgends mehr regelmäßig erscheinen muss, keine kurzfristigen Aufgaben zu erledigen hat und dann die Studienzeit als solche zum Ende kommt.

Noch aber habe ich die Universitätseinrichtungen zur Verfügung und trotz aller Melancholie und des schlechtes Gewissens wegen der Prüfungen fehlt mir nicht die Spaß, sie jetzt erstmal nur nach meinem eigenen Interesse zu nutzen. So habe ich die Kurzeinführung über Augustinus sowie sofort danach die über das angelsächsische England durchgelesen. Habe mich schon lange für diesen am schwierigsten zu dokumentierenden Abschnitt der englischen Geschichte interessiert. Jetzt lese ich über Thomas von Aquin. Daneben aber bemerke ich eine merkwürdige Hinwendung zur früher verachteten Regionalgeschichte. Mit Interesse lese ich mir im Moment insbesondere die Frühgeschichte speziell kleiner Orte meiner eigenen Umgebung wie der Uckermark, Frankfurt, Rostock und Magdeburg durch.

Aber genau solcher Spaß darf nicht von der Masterarbeit ablenken. Aus der oft erwähnten Angst vor dem Lotterleben, wo ich 12 Stunden in der Bibliothek döse und über den grauen Himmel nachdenke, heraus habe ich eine (sehr) kleine Nebentätigkeit begonnen. Ich übersetze auf einer Internetseite kurze Marktmeldungen für Währungshändler aus dem Englischen ins Deutsche. Die Bezahlung ist marginal, aber ich habe gezielt die Schicht von 6.30-8.00 Uhr genommen, die mich aus dem Bett und danach direkt in die dann öffnende Bibliothek schaffen soll. Außerdem lerne ich so Fachvokabular.

Die Tage vor der Prüfung sowie unten erwähnte Ärgernisse haben in den letzten Tagen auch zu einem guten Jojoeffekt mit Schokolade, Keksen und Fastfood geführt. Am Freitag besuchte ich eine erste, sinnfreie, der sommerlichen Arbeitsmarkt-Infobörsen an der Uni. Samstag war ein ebenfalls enttäuschendes Fussballturnier, wo ich lediglich einen Sonnenbrand gewann weil ich einmal kurze Sachen trug, und das obwohl die Morgensonne sehr bald wieder Grau und Wind wich. Durch diese Aktionen ist Schloss Howard jedenfalls erstmal aufgeschoben, wird aber nachgeholt sobald das Wetter die leichtesten Anzeichen von Sonne zeigt. Dann baue ich das auch zu einer Radtour aus, 56km entlang der A64. Auf dem Hinweg liegt auch die Ruine der Augustinerabtei Kirkham und zurück fahre ich vielleicht mit dem Zug aus dem nahen Marktflecken Malton, laut Karte attraktiv den Fluss Derwent entlang.

Nachdem ich das bereits mit seinen Studenten gemacht habe, will ich zum Schluss auch mal ordentlich über mein Gastland herziehen. Letztens war ich kurz mit Freunden im Zentrum etwas trinken. Da ich sowas lange nicht mehr gemacht hatte, hat mich eine Erkenntnis wieder getroffen: in diesem Land kann man Samstag abend einfach nicht ausgehen. Diese Menge betrunkener, dicker, stilloser Menschen treibt mich wirklich jenseits der Gelassenheit; in jeder Bar muss man sich durch diese Masse zur Theke schlagen und quetschen, und eine Lautstärke herrscht, dass man sich nicht unterhalten kann und dann auch gar nicht erst ausgehen braucht. Gut, wenn man nicht reden kann, kann man wenigstens tanzen, aber das macht hier keiner bevor er nicht so widerlich betrunken ist, dass er auf allen Vieren durch den Mageninhalt anderer vor ihm durch die Straße in ein Taxi kriecht. Das ist ja bekanntermaßen das allgemeine Ziel hier, darum auch der Ansturm auf die Kneipen selbst wenn man nichts machen kann außer sich gegenseitig zu drängeln.
Die Männer sind allermeistens ist lautstarken Trupps unterwegs, sie fangen damit an wenn sie 14 sind und am Verhalten ändert sich danach nichts mehr. Auch die Frauen übrigens immer in Schlägertruppstärke, mindestens genauso laut, und sie zeigen viel mehr Haut als man wirklich sehen will. Ich frage mich immer, wie sich dieses Volk fortpflanzt...Ach, englische Frauen, ewiges Gesprächsthema unter Ausländern. Das geht ja schon zu Hause los: wenn man morgens ins Wohnzimmer kommt und da liegt schon wieder eine formlose Masse auf dem Sofa, grundsätzlich durch den Mund atmend, irgendein Gast der englischen Mitbewohner, verdreht so wie sie nachts betrunken dort hingefallen ist. Emilies Gäste sind immer hübsch. (Am hübschesten sind natürlich meine.) Dann die Küche wieder voll mit ungewaschenem Geschirr, was auch am Abend nicht verschwunden ist.
Tagsüber finde ich könnte ich noch ein paar Jahre in England bleiben, weil man nirgends so eine internationale Athmosphäre hat. Und nachts beobachte ich bei mir eine regelrechte Romantisierung meiner anderen Wohnorte, vergesse ganz kulant die unschöneren Aspekte Polens und sogar Magdeburgs – besser langweilige Menschen als sowas. Und in Magdeburg gibt es Bäckereien. Und trinken können sie hier auch nicht. Immer irgendwelchen höllischen bunten Mischungen, kein Wunder dass alle dreimal die Woche Filmriss haben. Und dazu nächtliche Käsepommes vom Imbisswagen in der Stadt, und zu Hause wird nochmal eine Pizza in die Mikrowelle geschmissen. Dann fällt man bewusstlos um, und bis sie abends wieder rauskommen liegen die Überreste in der Küche. Es ist ironisch, sechs Jahre habe ich gewartet, wieder nach England zu kommen, und an den Nächten des Wochenendes verstehe ich mehrjährig hier lebenden Bekannte, die möglichst schnell weg wollen.

Meine Mitbewohner tun wie immer auch nicht viel für die lokale Bindung. Am letzten Maitag ist plötzlich Ella ausgezogen, die letzte der ursprünglichen Bewohner. Da sie das ohne Ankündigung und Abschied gemacht machte, vermutete ich erst stark, dass ich soeben um die ausstehenden Rechnungensrückzahlungen geprellt wurde. Nun, abends habe ich sie doch kontaktieren können und scheinbar hat sie ihren Mietvertrag anders als der Vermieter interpretiert und ist daher schon raus.
Die Rechnungen sind ein typisches Beispiel für die Probleme in unserem Haus. Ich bin ja kaum zu Hause und niemand sieht die anderen sehr häufig. Genau darum lebe ich ja auch dort: da ich zu Hause eh nicht arbeite bin ich lieber so viel wie möglich an der Uni, und daher passt mir auch eine geringe Grundmiete, da ich persönlich separat kaum Strom, Gas oder Wasser verbrauche. Leider kann man das von den anderen nicht unbedingt sagen und diese Rechnungen werden ja geteilt – aber da sage ich in WGs muss man Kompromisse machen, irgendwie arrangiert man sich. Aber hier klappt das einfach nicht. Der grundsätzliche Pferdefuß ist die Kommunikation, gut zu sehen im Fall dieser Rechnungen. Das ist von Ella sehr ungeschickt gemacht worden. Ich bezahle jeweils Gas und Wasser und hole mir dann das Geld zurück. Sie macht dasselbe fürs Internet, nur hat sie scheinbar nie Geld von den anderen eingesammelt. Jetzt muss wieder ich das klären, die Rechnungen in ihrem Namen einsammeln und mit ihren Schulden bei mir verrechnen. Sie ist nämlich bis August zu Hause im Süden. Mann mann mann, als wenn außer mir noch nie jemand in einer WG gewohnt hat. Oder allein bis drei zählen kann. Und ich dachte ich wäre nicht sehr praktisch veranlagt. Ok wir sehen uns kaum, aber warum bin ich der einzige, der andere z.B. über Rechnungen informiert, per Handy, Aushang oder abends einfach mal klopft. Oder sich überhaupt erstmal um die Rechnungen kümmert...
So kriege ich also (nun, vielleicht) die Rechnungen zurück, aber bis das alles organisiert ist wird es dauern. Bisher wollte ich nicht den Chef spielen, aber nach dieser unangenehmen Überraschung hänge ich jetzt die Wand mit Mitteilungen voll: es muss Ordnung in dieses Haus. Man mag mir vielleicht Dummheit vorwerfen, die Organisation zu übernehmen und beim Geld einsammeln bisher relativ kulant gewesen zu sein. Aber wenn ich bedenke, was die Alternative gewesen wäre muss ich sagen – sonst hat das keiner auf die Reihe bekommen, irgendwer musste das Heft in die Hand nehmen. Ich habe das gemacht, weil das bisher in jeder WG geklappt hat. Ich habe immer gesagt, egal wie fremd man sich ist, wir sind alles halbwegs erwachsene Menschen und findet einen Weg, die Wohnung zu organisieren. Schließlich geht es nur ums Mitdenken; man braucht keinen Putzplan wenn einfach jeder Müll einsammelt den er sieht. Das liegt auch weder an kulturellen oder Altersunderschieden. Die Ukrainer haber ihre Rechnungen immer pünktlich bezahlt und sogar im geteilten Lodzer Wohnheimszimmer hat es gereicht, den Mund aufzumachen und man hat sich irgendwie geeinigt, wann das Licht ausgemacht wird. Aber hier klappt das ohne feste Regeln scheinbar einfach nicht. Niemand sagt was und dann wundert man sich, wenn jeder gegen jeden Vorwürfe hat. So einen simplen Mangel an Willen, Iniative und gesundem Menschenverstand habe ich noch nicht erlebt. Ehrlich, wer zieht aus, ohne vorher seine Rechnungen eingesammelt zu haben?

In organisatorischer Hinsicht helfen evtl. die neuen Mitbewohner Timm und Maria aus Bremen und Köln, die uns am 1.6. vorgestellt wurden. Sie kommen Anfang Juli, wenn sowohl Emilie als auch die zweite Engländerin auszieht. Nette Leute, beenden hier auch ihren Master in Theater und Film. Soweit ist es gekommen, dass ich deutsche Mitbewohner mit Erleichterung erwarte. Ihnen habe ich auch einige Plätzchen zum Probieren gegeben. Meine Dosen und Schachteln sind gefüllt mit Nussmakronen, Mandelkeksen, Vanille- und Zimtkipferln und sogar Bratäpfeln: Weihnachten kann kommen.

Donnerstag, 26. Mai 2011

26.05.2011 - Neues vom Mittelmaß

Die vorletzte Prüfung
Ich verstehe das echt nicht mehr. Heute morgen, 26.5. habe ich die vorletzte Pruefung geschrieben. Wir hatten die Klausuren der letzten Jahre zur Vorbereitung, die Fragen waren genau die gleichen, ich hab die Aufgaben bis zur Gehtnichtmehr geübt– und dann doch wieder alles durcheinander gebracht. Früher ist mir sowas nicht passiert, früher musste ich aber auch nicht mal lernen, schon gar nicht auswendig. Da war ich auch nie nervös, weil ich wusste, dass ich das kann. Heute muss ich lernen und üben, und habe die Disziplin zu letzterem auch endlich wenn auch leidlich gelernt – und trotzdem kriege ich keine überzeugende Leistung hin. Nicht, dass ich unbedingt durchfalle, aber nichtmal in den einfachsten Umständen komme ich aus der Prüfung und bin zufrieden. Ich sage ich werde alt.
Aber: die Vorbereitung hat mich durch ganz viel Rechnen und Ableitungen getrieben, da heb ich wirklich was gelernt und ich muss einfach sagen es macht mir immer noch richtigen Spaß.
Englische Prüfungen sind im übrigen wirklich anders als deutsche (oder polnische). Man wählt sich ca. ein Drittel aus 4-8 angebotenen Fragen, die jeweils verschiedene Themen und Vorlesungen im Detail abdecken. Dadurch lernt man nie das ganze Fach, sondern spielt eine kleine Lotterie, konzentriert sich auf einige Themen, hofft, dass sie dran kommen, und ignoriert den Rest. Auch gibt es immer eine Mischung aus präzisen, mathematischen Aufgaben, in denen man meist Formeln ableiten muss, und kurzen Essays. Ich konzentriere mich auf erstere, weil man da genau weiß, wo Anfang und Ende der Fragestellung ist.
Die Abschlussarbeit
In einer Woche ist die letzte Prüfung, daher aus gegebenem Anlass diesmal allgemeine Informationen zu meiner anschließenden Abschlussarbeit. Der Titel ist, ob sich Mittelosteuropa in die Peripherie der EU entwickelt. Technisch gesprochen werde ich statistisch untersuchen, ob sich das pro Kopf Bruttosozialprodukt der der ehemaligen Ostblockländer dem der EU Kernländer annähert. Dazu würde ich vermutlich Polen mit Deutschland vergleichen, mit der Ukraine als nicht so stark integrierte Kontrollgruppe. Theoretisch prüfe ich somit die Konvergenzthese der Handelstheorie (die wie auch Statistik schon Grundlage meiner Bachelorarbeit war, wofür ich mich heute fast schäme, da ich sehe, dass ich von beiden keine Ahnung hatte), dass Wirtschaften mit geringerem pro Kopf Kapital schneller wachsen. Ist zwar völlig sinnfrei, weil jeder weiß, dass das nicht funktioniert, und ein Blick auf die Straßen der Länder genügt um zu sehen, dass irgendwelche Konvergenz unter den besten Bedingungen mindestens 50 Jahre dauern wird. Das sagen auch die zahllosen Untersuchungen, die das Thema schon abgegrast haben. Die Hauptmotivation, dass nochmal zu machen ist der technische Teil, denn ich will sehr statistische Methoden üben, insbesondere den Umgang mit den entsprechenden Computerprogrammen – vermutlich eine der wenigen Fähigkeiten, die man später nochmal brauchen wird. Leider fällt mir kein anderes Thema ein, wofür ich sowohl Interesse als auch Kompetenz hätte. Ein interessanterer und auch lebens- sowie arbeitsnäherer Alternativgedanke war, wie sich Wissen und Technologie in weniger entwickelten Ländern verbreiten. Da gibt es einige interessante Gedanken, aber ich wüsste nicht, wie ich das glaubhaft empirisch untersuchen könnte. Naja, andererseits scheint bereits nach den ersten Nachforschungen durch, dass dazu auch schon alles gesagt worden ist. Ich sag ja immer, wie kann man von Studenten erwarten, etwas wirklich neues beizusteuern. Also Konvergenztheorie. Zum Glück wird aber wie erwähnt keine echte Originalität erwartet.
Formale Aspekte: max. 13.000 Worte, Abgabe bis 19.9. Beginn nach der letzten Prüfung am 2.6. Auf dem kuchenreichen Institutstreffen wurde uns geraten, technische Fragen wie Häufigkeit von Treffen mit unserem Betreuer möglichst bald zu besprechen. Das habe ich getan und dabei erfahren, dass er als Politikwissenschaftler offiziell nur bis zum Ende des Semesters Ende Juni beraten darf. In seiner Fakultät schreiben die Studenten nämlich keine Prüfungen und fangen dementsprechend früher mit den Arbeiten an. Ich dagegen als Pseudewirtschaftler beginne erst, wenn sie praktisch fertig sind. Aber ich hab mich ohnehin nie groß auf Betreuer verlassen, und in der Wirtschaftsfakultät Kontakte mit anderen Dozenten geknüpft, die für Fragen zur Verfügung stehen.
Singen, Lesen, Essen
Auch in bereits einem Monat, am 22.6., ist der nächste Chorauftritt. Ich bin wieder gespannt, wie wir das hinkriegen, wo die nächste Probe auch noch wegen Feiertag ausfällt. Bisher sind wir in Mozarts Messe bis zum Credo gekommen; mir gefällt das lateinische Glaubensbekenntnis sehr.
Für die Lektüre zwischendurch habe ich eine sehr praktische Bücherreihe unter dem Titel „Sehr kurze Einführungen“ gefunden, deren Ausgaben diverse Themen umreißen und ohne Probleme in zwei Tagen zu schaffen sind. Nach dem Neoliberalismus lese ich jetzt über Augustinus' Philosophie. Im Moment ist auch wirklich Lesezeit, weil es draußen stürmt, regnet und auf jeden Fall sehr kühl ist.
Letzten Sonntag haben die Araber gegrillt, diesen Samstag kochen und feiern die Südamerikaner, ich ernähre mich fast ausschließlich von gratis Obst und heute habe ich dazu noch zwei selbstgemachte Schokomuffins bekommen.

Freitag, 20. Mai 2011

21.05.2011 - Prüfungen

21.05.2011 - Prüfungen

Seitdem der Besuch weg ist und ich mich allein dem Lernen widme(n sollte) verliert mein Tagebuch in Text und Bild an Spektakularität. Das einzige Thema sind natürlich die Prüfungen, wovon ich die Hälfte jetzt hinter mir habe. Am Donnerstag nach der Abreise der Mädchen habe ich die erste geschrieben, Entwicklungsökonomie. Keine Mathematik, nur Gerede. Hat mich sehr an die Klausuren am Gymnasium erinnert. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, es wirkte irgendwie zu einfach. Nach der letzten Klausur am 2.6. plane ich in Kasias Spuren zu folgen und mich mit einem Ausflug nach Schloss Howard zu belohnen. Abhängig davon, ob ich eine Belohnung verdient habe.


Danach habe ich mich auf Statistik vorbereitet. Nach dem ersten produktiven Tag entwickelt sich das Lernpensum aber eher wie damals meine Bachelorarbeit, ich investiere viel Zeit, aber wenn ich dann in der Bibliothek sitze bringt mich kaum etwas dazu, sie auch zu nutzen. Dabei ist das immer noch eine ausgesprochen enspannte Prüfungsphase. Ich habe im Durchschnitt mindestens eine ganze Woche zur Vorbereitung für jeder Klausur, vergleiche das mal mit der Situation in Magdeburg. Ich schlage auch drei Kreuze im Vergleich mit Kommilitonen. Und trotzdem schaffe ich all die Sachen nicht, die ich hätte machen sollen, insbesondere die Vorbereitung der Abschlussarbeit, das Üben mit den Statistikprogrammen, Russisch sowieso nicht. Ehrlich gesagt sollte ich Englisch üben: da man in der Bibliothek viel liest aber kaum spricht, sind die zwei Wochen Polnisch Intensivkurs immer sehr präsent.
Lesefreude

Im Moment leide ich auch unter völligem Kreislaufstillstand sobald ich den Lesesaal erreiche. Vermutlich ein neuer Bibliothekskoller aufgrund mangelnder Bewegung (da zur Zeit sowohl Fußball als auch Salsa oft ausfällt), nur dass ich im Gegensatz zum Januar weder viel Arbeit noch Erfolg dafür vorweisen kann. Ich bin allerdings erstaunlich wach und durchhaltefähig bei anderer Lektüre, die ich zufällig in der Regalen finde. Zum Beispiel das Kommunistische Manifest oder zu meiner Schande wieder rausgeholt die Einführung in die Kulturstudien, das meistgehasste Buch des ersten Semesters in Magdeburg. Das ist zwar weiterhin eine schändliche Pseudowissenschaft (dazu muss gesagt sein, dass Cultural Studies ein sehr irreführender Begriff ist und kaum etwas mit der Diskussion verschiedener Kulturen zu tun hat), aber auch eine großartige Quelle für jemanden, der seine Hausarbeiten immer mit der Erkenntnis abschließt, dass man die Frage nicht wirklich beantworten kann und ohnehin alles relativ ist.

Lernfreude

Das das bei Statistik nicht genauso funktioniert, ist um so ärgerlicher, da es mein Lieblingsfach war, wo ich dachte besonders viel gemacht zu haben. Jetzt lese ich das Lehrbuch zum vermutlich vierten Mal, aber alles, was ich lerne ist, wieviel ich übersehen habe, oder nie wirklich verstanden, und wieviel Zeit ich noch bräuchte um dahin zu kommen, wo ich hin will, nicht nur was das allgemeine Verständnis des Stoffs angeht, sondern auch die Übung und Sicherheit. Vergleicht das mal mit Geschichte, oder generell allen nicht prüfungsrelevanten Informationen. Wie soll das erst mit der Abschlussarbeit werden, die mich nichtmal sonderlich interessiert? Eine Arbeit nebenbei wäre wirklich nützlich...fürs erste habe ich mich wieder für einen kleinen Kurs zum Programmieren von Internetseiten angemeldet, ähnlich dem über Datenbanken im Herbst.

Weihnachtsfreude

Drei Wochen nach Ostern sind auch die letzten Reste Eurer Päckchen verschwunden. Letztens musste sogar das Nutellaglas innerhalb von drei Tagen dran glauben, nachdem ich entdeckt hatte, dass Plätzchen immer noch besser mit Schokolade schmecken. Aber: inzwischen kann ich mir das leisten. Letztens höre ich schon Beschwerden, dass ich zu dünn geworden wäre. Das ist zwar nicht wahr, aber ich backe fleißig weiter, zuletzt mit Vanille und Mandeln. Eine Rolle mag dabei spielen, dass ich letztens im Internet die komplette Aufnahme der Eterna-Schallplatte 'Bald nun ist Weihnachtszeit' gefunden habe – ja die mit den DDR Kinderchören. Seit ich für Zosias Deutschunterricht alte Lieder und Fernsehprogramme rausgesucht habe, bin ich selbst von veritabler Nostalgie gefangen.

Essfreude

Abgesehen von Plätzchen gestaltet sich meine Ernährung besser als je. Im Obstladen nahe des Campus kaufe ich täglich kiloweise Dinge, die ich mir sonst nie leiste, Kiwis, Weintrauben und Paprika, aber vor allem Birnen und Äpfel, und praktisch geschenkt, bevor sie weggeworfen werden. Außerdem operiert seit kurzem eine Kooperative von umwelt- und friedensbewegten Studenten, also eine Gruppe, die Produkte aus der Region ordert und zum Selbstkostenpreis auf Vertrauensbasis verkauft. Zimt und Mandeln halb so teuer wie bei Aldi. Wenn Mareen das wüsste. Ganz abgesehen davon konnte ich letztens die Reste eines informellen Empfang unseres Instituts plündern; Kuchen und Sandwiches mit Dingen, die ich meinem Körper seit Weihnachten nur auf gesponsorten Abendessen zuführen konnte.

Prüfungsfreude

Die Statistikklausur am 16.5. war dann vermutlich die schlechteste seit der allerersten Wirtschaftsprüfung. Durchaus möglich, dass ich nichtmal bestanden habe Und das war mein starkes Fach.

Trotzdem bin ich ich nach der unmittelbaren Folgezeit wieder guter Dinge, oder besser pendele zwischen Depression, wenn ich wieder zehn Stunden für ein Kapitel brauche und es trotzdem nicht verstehe, und akademischer Begeisterung, wenn ich neun Uhr morgens eine Formel verstehe (insbesondere in den beiden echten Wirtschaftsfächern, deren Prüfungen mir jetzt noch verbleiben), und noch den ganzen Tag habe um weiterzulesen. Insbesondere seit uns auf einem Beratungstreffen kürzlich gesagt wurde, dass die Abschlussarbeit „nicht originell“ sein muss, ich also keinen wirklich neuen Beitrag zur Wissenschaft leisten muss, bin ich bezüglich der nächsten Monate massiv beruhigt. Sorgen macht mir nur die Faulheitsfalle in der Dimension wie während der Bachelorarbeit.

Ende Juni kommen neue Mitbewohner, dem Vernehmen nach ein deutsches Paar.

Mittwoch, 4. Mai 2011

04.05.2011 - Abschied

Am Montag waren die Mädchen dann noch auf Schloss Howard nördlich von York. Dienstag dagegen war Packtag, inklusive einem Packen Kekse und Rezepten für deutsche Kekse. Ich nahm mir ein Buch aus der Bibliothek und blieb bei ihnen zu Hause, denn langsam wurde doch allen etwas traurig. Am letzten Abend, Dienstag, luden mich die Mädchen zum Kalmarenessen in einem italienischen Restaurant in einem ehemaligen Bankettsaal ein. Das kann man ja machen, seit ich mich auf dem Abschlussausflug vom Sejm aus im letzten Juli an Fisch und Meeresfrüchte gewöhnt hatte. Sowohl das Personal, bei dem sie bestellt hatten, als auch die Kellnerin an unserem Tisch stellten sich als Polen heraus.
Offizielles Foto von Schloss Howard

Offizielles Foto von Schloss Howard
Die Kellnerin aus Masuren macht uns ein Abschiedsfoto im italienischen Restaurant.

Das Essen war lecker, aber die Tunke lag uns allen schwer im Magen. Noch schwerer aber der Abschied, und dabei half weder Wein in einer Kneipe bei dienstäglichem Münsterglockenläuten noch zu Hause. Wir sind um vier aufgestanden und kurz nach Sonnenaufgang durch den kalten Morgen zum Bahnhof gelaufen, wo die Mädchen um sechs Richtung Liverpool fuhren. Dort verbringen sie noch eine Nacht und fliegen dann Donnerstag morgen nach Hause. Der Abschied war traurig, und zum Glück hielt der Bus nicht lange genug für lange Szenen (im Übrigen fragten uns zwei Bahnhofsangestellte, welchen Bus wir suchen und riefen dann einem Kollegen eine Frage quer durch die Vorhalle zu, alles auf Polnisch). Ich schaute dann noch einmal auf die in der Morgensonne wartenden Züge in die Städtchen der Region und dachte, wie sich die Dinge doch geändert haben, dass ich andere hierher bringe und selbst nicht einstiege. Dann lief ich nach Hause, am gerade geöffneten und leeren Museumspark sowie unter dem Münster entlang. Denn bei allem Abschied: praca czeka, die Arbeit wartet. Oder besser sie wartet nicht: morgen ist die erste Prüfung und ich wünschte ich könnte von optimistischen Erwartungen berichten.
Schlafarrangement in meinem Zimmer
Abends zu Hause: Kasia gefällt nicht, dass mir ihre neue Sonnenbrille besser steht.
Zurück in den Alltag
Jedenfalls bleibt nicht viel Zeit für Sentimentalitäten, und wahrscheinlich ist das besser so. Ab jetzt wird zur Öffnungszeit in die Bibliothek gegangen und bis abends dort geblieben, neue Kekse gebacken aber weniger gegessen weil weniger zu Hause geblieben. Denn ich habe bewiesen, dass die neue Disziplin auch nur außer Haus funktioniert; nach zwei Wochen mit Besuch bin ich überfressen wie eh und je. Die geborgte Matratze muss zurückbalanciert werden, Donnerstag abend ist Hausputz vereinbart, denn die Küche sieht skandalös aus. Rechnungen kommen bestimmt auch wieder, aber zumindest habe ich fast alle Schulden von meinen Mitbewohnern eingetrieben. Dann wollen Geburtstage bedacht werden, genau wie natürlich vor allem die Prüfungen als auch Abschlussarbeiten und, am schlimmsten, eine Arbeit für danach.

Montag war die erste Chorprobe. Erstmal gab es dabei Aussprachunterricht für alle: „österreichisches Latein“ für Mozart („Küriä, nicht Curry“) und Um- sowie Zwielautdeutsch für Beethoven. Insbesondere letzteres war dabei alle Vorfreude auf Seiten von mir und meines Freunds Richards wert – laut, stark, einfach (wenn auch nicht so einfach gedacht). Die c-moll Messe dagegen ist ein fieser Brocken mit Tempo- und Tonhöhenfallen von Anfang bis Ende.

Noten für Mozart und Beethoven


Die zwei Wochen haben mir auf jeden Fall gut getan. Ob es an der langen Aufgabenliste, dem extrafrühen Aufstehen oder dem immer belebenden Sozialleben abseits eines Computerbildschirms waren, jedenfalls habe ich mich trotz des Abschieds mit Konzentration und ohne Gebäckvisionen der Arbeit widmen können. Vielleicht lag es auch an den ausnahmsweise positiven Nachrichten von der Uni. Nachmittags hatte ich das reguläre Betreuertreffen am Semesteranfang, wo ich erfuhr, dass einige Arbeiten zumindest akzetabel benotet wurden. Meiner Meinung nach waren das reine Märchen, mit der heißen Nadel geschrieben, voll offensichtlicher Wissenslücken, mit praktisch erfundenen Fakten oder hanebüchenen Interpretationen gefüllt. Aber ich will nicht leugnen, dass es ein großer Moralschub war, auch wenn hier vermutlich jeder sowas bekommt.