Sonntag, 26. September 2010

26.09.2010 - Soli Educatio Gloria

Geschichte
Sonntag wurde der Museumstag nachgeholt. Morgens wollte ich zur orthodoxen Unigemeinde, die aber nicht auffindbar war. Dann ging es ins renovierte Yorkshire Museum, Abteilung Stadtgeschichte. Ganz vergessen: Museen und Galerien sind hier ja gratis für britische Bürger und Studenten. Das Museum hat vier Zweigstellen, die Hauptfiliale ist teilweise in den Überbleibseln des ehemals größten Klosters St. Marien (aus welchem die Mönche auswanderten, die Fountains Abbey gründeten), wie soviele in Yorkshire durch Heinrichs VIII Kirchenspaltung ruiniert (also wie Fountains Abbey). Darum präsentieren sie die Geschichte auch von römische Periode bis Reformation, wovon mich erstere am meisten interessiert. Alles danach ist im Burgmuseum. Das ist aber für einen anderen Tag geplant.

Archäologie
Zeitlich kohärent ging es anschließend nämlich endlich in die für mich ja ebenfalls kostenlose Ausgrabungen unter dem Münster. Geschichtliche Details wären in York viel zu umfangreich und werden daher ausgelassen. Der Eintrag des ersten Besuches 2004 ist meines Wissens sehr umfangreich gewesen. Erstaunlich wieder der Wiedererkennungsgrad. Ich bin auch keiner allzu großen Nostalgie anheim gefallen, sondern war aufgrund inzwischen vermehrter Erfahrung vielleicht noch stärkter beeindruckt als damals. Die römischen Kanäle führen noch Wasser, ein halbes Büro mit Mosaiken hat man ausgegraben, die Mauern des normannischen Vormünsters sind klar zu erkennen, mit dem Brunnen davor wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Religion
Bald wurde klar, dass ich nichtmal die halben Ausgrabungen erledigen können und den Rest später nachholen müsste. Wobei ich gleich bei der Ankunft beschlossen habe, ob der schieren Masse an Geschichte gar nicht erst versuchen werde, einen umfassenden Eindruck zu bekommen. Sechszehn Uhr stellte ich mich daher oberirdisch in die Abendmesse für wunderschöne Chorklänge und einmal durfte ich sogar selbst singen. Manche Rituale der Anglikanischen Kirche wirken mittelalterlicher als die heutige katholische, z.B. dass fast nur der Klerus singt und spricht. Und das Glaubensbekenntnis spricht man tatsächlich an die heilige katholische Kirche.

Zu Hause kam viel Gemüse in den Topf; der Schnupfen wird schnell zum Husten und ist wohl in den letzten Zügen. Beim Kochen erfuhr ich: mein italienischer Mitbewohner studiert nicht nur in Cambridge, nein, genau gesagt macht er dort seinen Doktor.

25.09.2010 – Seeluft macht die Nase frei

Einige Stunden nach dem Wohnungsglück spürte ich deutlich, dass ich krank werde. Internationaler Bakterienaustausch im Kurs hat mich hat mich it einer aggressiven Erkältung getroffen. Ich trete im Moment sehr kurz um das schnell hinter mich bringen. Für diesen Samstag war daher statt dem eigentlich angekündigten Besuch auf Schloss Howard endlich der ohnehin lang geplante museale Großangriff auf die Geschichte von York selbst anberaumt. Am Freitag hatte ich dann eine desaströsen Statistikklausur und wohl zum Seelenstreicheln schloss ich mich einer Gruppe anderer Studenten an, die ans Meer wollten. Denn Meer ist immer gut, und merke, hier fuhr ich zum ersten Mal seit fünf Jahren an das Meer, auf dessen Klippen ich ein Jahr gewohnt hatte.

Eigentlich wollen alle in den populären Hafen Whitby nordwestlich von York. Aber aus verkehrstechnischen Gründen ging es nach Scarborough. Das ist eins der Seebäder, deren beste Zeiten um 1900 waren. Seitdem Briten ihren Urlauber lieber in warmen Ländern verbringen, künden die Grand Hotels zwar noch von der großen Zeit, an der Promenade jedoch reihen sich die inzwischen ebenso berühmten Casinos, Fastfoodläden und Pubs für die Spaßtouristen. Erste übrigens sind mir noch gut aus den Wochen in Brighton bekannt. Gute zehn Jahre ist das jetzt her.

Mit dabei Maisam aus Jordanien und Harika aus Japan, die schon in Durham dabei gewesen waren. Dazu Frida aus Tansania. Harika und ich eher am Schloss auf der vorragenden Klippe über Scarborough interessiert und die anderen an Einkaufsmöglichkeiten. Jeder bekam was er wollte. Ich einen Spaziergang am Sandstrand, wo mir der Anblick der hohen grauen Wellen gut tat. Zur Burg hinauf, wo uns der Wind fast von der Mauer fegte und man ein tolles Panorama auf Stadt und die von weit draußen hereinrollenden Wellen hatte.

Ich hatte Regenjacke, Extrapullover, Regenschirm, Proviant und die richtige Erwartung an englisches Küstenwetter. Die anderen waren aufgrund ihrer Heimatländer mental wie kleidungstechnisch mehr auf sonnenwarme Strände eingestellt. So ging es anschließend schnell zu einem warmen Mittag in den Pub und dann, endlich, in die Läden, Wintersachen kaufen.

Da ich wegen Krankheit auch als einziger in den Vortagen geschlafen hatte, ging es schon nachmittags zurück. In York nahm ich mir die Extrazeit um kurz in den Münster zu schauen und auf dem Weg die tschechische Praktikantin in der Touristeninformation kennen zu lernen.

Die Seeluft hat meiner triefenden Nase gut getan. Dafür huste ich jetzt.

Mittwoch, 22. September 2010

21.09.2010 - Hausrad

Da ich im Wohnheim nur für die Zeit des Intensivkurses eingebucht bin, also bis zum 1. Oktober, gehörte die Wohnungssuche zu meinen Prioritäten sobald ich einen Fuß auf dem Boden hatte. Da ich Wohnungssuche aber hasse, habe ich nach einer Pseudoanstrengung alle gerade sein lassen und mich auf ein sehr günstiges Angebot verlassen, dass ich aber erst zwei Wochen später sehen konnte. Natürlich hat sich dass am Montag in Wohlgefallen ausgelöst und ich musste mich der unangenehmen Pflicht stellen wieder zu suchen, diesmal mit der Frist bis nächsten Freitag und Horden inzwischen angereister Studenten als Konkurrenz. Einmal mehr ging ich abendlich mit Wohnungsbauchschmerzen ins Bett. Nicht, dass mich sowas noch zu größeren Anstrengungen motiverte.

Und wieder zeigt sich, Faulheit wird belohnt. Heute nämlich habe ich quasi nebenbei, als spontan anberaumte Anschlussbesichtigung neben einer anderen Wohnung, die perfekte Bleibe für pflegeleichte Studenten gefunden, und so meinen ruhigen Schlaf.

Haus
Typisch englisches Haus in ruhigem Viertel, gepflegte Vorgärten, vereinzelt mit Rosen, dazu Blick auf den Münster und es schien gerade die Sonne. Familien mit Kindern, eine Schule, um die Ecke ein teuer aussehendes Altenheim. Etwa 20 min zu Fuß zur Uni, 8 zum besten Supermarkt; Post, Friseur und verschiedenste Kleingeschäfte um die Ecke. Das Haus innen neu gemacht und sauber, makellos sogar, mit allen Annehmlichkeiten. Auch wir haben einen Garten, mit Apfel- und Pflaumenbaum.

Mitbewohner
Fast zu schön um wahr zu sein, und da stimmen drei Mitbewohner unisono mit ein. Eine Psychologiestudentin aus...Sunderland, hat Freundin in Easington, Autobesitzerin, nimmt mich gerne mit Richtung Newcastle, dank Soldatenpapa fünfeinhalb Jahre bei Paderborn gelebt. Der zweite kommt aus Lincoln, also wo Pauls Eltern wohnen. Will von Management zu Literatur wechseln und lernt privat Polnisch. Dritte ist schon Literaturstudentin. Alle an der zweiten Uni von York, St. John's. Immer gut, Leute zu Haus zu haben, die nicht das gleiche am gleichen Ort machen wie man selbst. Ich hätte nie gedacht, dass sie Erstsemester sind, vielleicht weil alle drei sympathischerweise arbeiten.

Ein wahrgewordener Traum, insbesondere verglichen mit der vorher besuchten möligen Bude ungepflegter Studenten und Bierdosen. Und das allerbeste: den ganzen Jackpot gibt es ausgesprochen günstig. Das wohl dank der philantropen Vermieter, eines netten Rentnerpaares, die das Haus als Einkommen neben der Rente gekauft haben und scheinbar nicht mehr verlangen als zur Aufbesserung nötig ist. Ha, ich bezahle keiner Agentur 300 Pfund nur damit sie mich an wen vermitteln!

Tea Party
Außerdem sind alles Engländer und so kriege ich zum billigen Preis auch noch gratis endlich die Sprachübung die ich suche. Ha, ihr hättet hören sollen, wie fließend es schon jetzt plötzlich sprudelte, nur weil Selbstwert und Sicherheitsgefühl in die Höhe schossen. Und echte Engländer sind sie: drei Wochen habe ich auf die doch als so allgegenwärtige Frage gekannte warten müssen, ob ich eine Tasse Tee will.

Zuviel des Guten
Anschließend nutze ich den Supermarkt auf dem Weg. Dabei fand ich ein Regal mit polnischen Produkten. Die Familia Waffeln, Bigos, Kohlrouladen wie im Biedronka um die Ecke. Und das kombiniert mit dem verlässlichen Lächeln im englischen Alltag, dass jedes Anrempeln sofort entschärft und jeden Gesprächsauftakt vereinfacht. Heute fiel mir ein, wie mir das nach dem Freiwilligendienst gefehlt hat. So verwirrt war ich wohl von den glücklichen Informationen des Tages, dass ich der Kassierin auf Polnisch antworten und anschließend beim Busfahrer eine Karte nach Easington kaufen wollte. Der guten Nachrichten nicht genug heute: auch ist abschließend festzustellen, dass sich englische Mädchen im Durchschnitt definitiv verbessert haben.

Fahrrad
Und einen Tag später habe ich mich endlich dazu entschlossen eins der zu Hauf verfügbaren 26er Räder zu kaufen. Wird mir wohl den Rücken kapuut machen. Aber wichtiger, es ist billig.

Englische Kirche
Zum Schluss: Sonntag war ich nach der Erfahrung in der Kathedrale von Ripon zum Erntedankgottesdienst in der lokalen Dorfkirche von Heslington, immer eine gute Art Leute kennen zu lernen. Die ist eine Gemeinschaftsgemeinde von Anglikanern und Methodisten und ein fröhliche Ökumene, wo auch die Pfarrer frei sagen, dass die Unterschiede sowieso nur prozedural sind. Und ich sage: Laien-Einbeziehung, Pfarrer im Pullover und Headset sowie lärmende Kinderecke schön und gut – aber das kommt nie und nimmer gegen den autoritären Bombast und rigorose Entindividualisierung einer guten katholischen Messe an.

Sonntag, 19. September 2010

18.09.2010 - Offene Rechnungen in Fountains Abbey

Warum in die Ferne schweifen
Bei der kleinen Stadt Ripon, westlich von York, liegt der Königliche Park Studley sowie die Ruine eines Zisterzienserklosters. Letzteres war zuerst da, ab 1134, gegründet von 13 Benediktinern, denen die Klöster in York zu sündig geworden waren. So wurde ihnen ein wildes Tal gegeben, zu sehen ob sie da überleben. Sie rodeten das Tal, bauten sie einen riesen Komplex und wurden Zisterzienser ob der strengeren Regeln. Mit der Zeit wurden sie trotz alledem reich, eröffneten Tochterklöster in ganz England, Frankreich und Norwegen. Und dann kam Heinrich VIII, machte alle Klöster zu, raubte sie aus und sorgte dafür, dass sie ordentlich verfielen. Das Gelände der Fountains Abtei mit den zunehmend bröckelnden Ruinen verkaufte er an einen Finanzmakler, der sie höchstens als Steinbruch nutzte.
Viel später kaufte sich ein königlicher Finanzminister das andere Ende des Tals. Nach einem Skandal igelte er sich vor der Welt auf seinem Besitz ein und steckte die Energie seines restlichen Lebens in seinen Garten und einen Palast der niemals entstand. Seine Nachfahren kauften dann die angrenzenden Mauern der Fountains Abtei als ultimatives Ruinenpanorama für den Park. Irgendwann im 19. Jh. wurden die ersten wohlhabenden Touristen auf den Wert des Geländes aufmerksam, aber niemand hatte das Geld für Instandhaltung. 1983 kaufte dann der Trust das gesamte Geländer von Ruine und Park, ließ letzten als seltenes erhaltenes Originalüberbleibsel georgianischer Wassergärten auf die UNESCO Liste setzen und entwickelte es zu einem der berühmtesten seiner Besitzungen. Mir wurde in meiner Zeit viel von Fountains Abbey erzählt, aber es war zu weit um hinzufahren. Jetzt nutzte ich die nähere Wohnlage.

Auf dem Weg
Früh morgens ging es raus, hinter mir stieg die Sonne gerade über das Wohnheim und vor mir stand ein Regenbogen. Über Harrogate ging es nach Ripon, eine wunderschöne Überlandfahrt durch die von Hecken getrennten grünen Felder Englands, mit weißen Schafen unter hohen Eichen, Fasanen im Kohl und steingrauen Dörfern in der leicht hügeligen Landschaft Yorkshires. Schon auf der Anfahrt sah man weithin eine Kirche deren eckige Flachtürme sehr wie ein kleiner Yorker Münster aussahen. Wirklich war das der Münster (heute Kathedrale) von Ripon, für dessen unerwartete Pracht ich gar keine Zeit eingeplant hatte.

Am Ziel
Endlich am Besucherzentrum von Fountains Abbey abgesetzt ging ich mit alten Leuten in teurer Allwetterkleidung (lies: National Trust Mitglieder) über Felder mit Hasen, begrenzt von Trockensteinmauern auf denen Fasane hocken und den akurat geschnittenen Hecken des Trusts.
Durch einige Bäume den Abhang in die Talmulde hinunter trat ich und gerade als die Sonne durch die als grau und dauerhaft vorhergesagten Wolken brach stand ich vor dem Kloster. Grandios. Wie Chorin, nur viel größer. Und auf freier Wiese; grünem englischen Rasen. Von ihm ragt dunkel der große Turm in den Himmel, leer und von Raben besetzt.

Der Garten: Studley Royal
In der alten Torwache ist die geschichtliche Ausstellung, und dann schloss ich mich der Führung des Gartenteils am anderen Ende des lang gestreckten Tals an. Bei bestem Sonnenschein liefen wir nur zur viert das Tal des Flüsschens Skell entlang. Auf beiden Seiten stehen über dem Taleinschnitt Bäume aus denen es zwitschert und gurrt. Wenn mir in Warschau Natur gefehlt hat bin ich in der Region hier genau richtig. Mit Regenjacke und Rucksack, darin nur Essen, Bücher und Fahrpläne. Während des Weges geht das Gelände des Klosters aus dem 12. Jh. langsam über in einen Landschaftspark aus dem 18. Jh. Der Fluss wird kanalisiert, unterirdisch geleitet, oberirdisch in künstliche Teiche verteilt, mit gestochenen Ufern und gepflegtem Rasen, importiertem Gehölz und Finessen wie Grotten, mythologischen Statuen, illusionistischen Elementen und „Überraschungspanoramen“. Die Anhöhen links und rechts des Tals hoch und runter gingen wir an Teehäuschen und Tempelchen vorbei und wieder zurück zur Klosterruine.

Das Kloster: Abtei Fountains
Dort ging es nahtlos weiter mit einer zweiten Führung, diesmal zur Ruine selbst und danach bin ich noch ein wenig allein durch die riesigen Hallen der Kirche und die Wirtschaftsgebäude gestolpert. Nach zwei Jahren Polen konnte ich auf dem Hauptaltar stehend quasi die katholischen Chöre hören, die im Hauptschiff gesungen worden sind. Und dahinter die Kapelle der neun Altäre, später kopiert und bis heute in aktivem Zustand zu besichtigen in Durham.

Die Zeit flog davon, noch ging ich in die Klostermühle, die eine Ausstellung des Mönchslebens birgt, und zu Fountains Hall, dem Herrenhaus des ersten Käufers des aufgelösten Kloster, dessen Steine zum Bau geplündert wurden. Auch das heute Teil des Geländes und von außen sehr englisch, innen aber nur ein Raum zu besichtigen.

Die Kathedrale in Ripon
Zurück in Ripon nahm ich mir noch eine Stunde bis zum letzten Bus zurück nach York um doch noch in die Kathedrale zu gehen. Die war gegründet vom Hl. Wilfried, eines noch sächsischen Heiligen, also wirklich alt. Von ihm bleibt nur eine Krypta. Das Kloster, was irgendwann mal angeschlossen gewesen sein muss (der Besucherführer in Fountains Abtei erwähnte das Yorkshire voll ist mir Klöstern), ist allerdings weg. Dafür viel farbiges Glas, fröhlich sprang mein Herze. Am Ende geriet ich noch in den Gottesdienst und sage: katholisch schlägt anglikanisch. Chor sehr gut, aber warum darf ich nicht selber singen?

Ein Licht am Abend
Für den Bus stahl ich mich etwas früher aus dem Chor und stand wieder im inzwischen von Touristen geleerten und abgedunkelten Hauptschiff. Dazu muss man wissen, dass englische Kirchen meist einen Schirm zwischen Chor und Schiff haben, mit nur einem mittigen Durchgang, ähnlich wie orthodoxe. Und als ich durch diese Tür das Licht des von den Kerzen beleuchteten Altars sah und den Chor hörte wurde mir klar: bald ist wieder Weihnachten!

Freitag, 17. September 2010

17.09.2010 - Notizen

Samstag fahre ich nach Fountain's Abbey, darum vor diesem größeren Eintrag kurze Meldungen von mir.

Studium
Der Kurs wird härter. Wir haben Mathe abgeschlossen, was ich mehr oder weniger alles schon kannte und nur nochmal von null wieder lernen musste. Dafür jetzt Statistik, und da habe ich keine Vorkenntnisse. Mir macht es nichtsdestotrotz wirklich Spaß wieder mit Zahlen rumspielen zu können. Es ist nicht mehr wie früher wo man durch die Formeln steigen und verstehen konnte. Aber die Klarheit macht mir Freude. Wirtschaft ist das gleiche wie im ersten Studienjahr. Nur sobald man an eine praktische Aufgabe muss, stehe ich da und sehe, dass ich keine Ahnung habe, was das in der Praxis heißt.

Am Anfang habe ich noch täglich mehrere Lektionen durchlesen und so vorarbeiten können. Inzwischen schaffe ich nur noch eine Lektion pro Statistik und Wirtschaft pro Tag. Aber zumindest arbeite ich in den letzten Tagen ganz gut. Nach der Vorlesunggehe ich in die Bibliothek bis 18 Uhr und dann nach Hause. So sehe ich zwar kaum die Sonne, aber in der Bibliothek arbeite ich wenigstens.

Arbeit ist nötig, denn der alte Rhythmus ist zurück: man hat nicht die Zeit seine Aufgaben ordentlich zu erledigen und weiß nicht, warum man sie dann überhaupt machen soll. Aber ohne wahnwitzigen Aufgabendruck macht man andererseits überhaupt nichts. Die anderen Studenten stellen sich dabei übrigens zur Hälfte nach und nach als Cambridge- oder London-Abkömmlinge raus. Kein Wunder, dass ich den Eindruck habe, ich bin der einzige, der nicht durchblickt. Und am Montag ist Wirtschaftsklausur.

Freizeit
Außerhalb der Uni suche ich weiterhin Wohnung und Fahrrad. Letzteres ist schwieriger als gedacht, weil alle zu klein sind. Und ca. einmal die Woche fahre ich weg. Von York sehe ich allerdings recht wenig. Und dabei habe ich solche Lust die römischen Ausgrabungen unter dem Münster wiederzusehen.
Donnerstag abend war ich wieder mit Rana Salsa tanzen, diesmal sind auch vier Leute vom Kurs mitgekommen. Das hat sich so überragend entwickelt, dass ich erst um drei zurück war.

Wetter
Nachdem die ersten zwei Wochen ziemlich nett und sonnig waren, wird es jetzt empfindlich kalt. Dabei hatten wir noch einige Tage richtig schönen Herbst. Und gleich hinter dem Wohnheim gehen die sanft geschwungenen Hügel bis zum Horizont los. Als Freiwilliger wäre ich schon längst über die Straße querfeldein in die Richtung marschiert, vermutlich ohne Karte und Jacke. Aber heutzutage ist jeder teure Tag hier degradiert zum Pendeln zwischen Wohnung, Vorlesung, Bibliothek und Haus. Sprachübung gleich null.

Zwei Kuriosi zum Schluss: Paul ist vor drei Tagen nach Bielefeld gezogen. Und die Wirtschaftsschule Warschau hat mich endgültig angenommen, und zwar für meinen Erstwunsch, Wirtschaft & Recht.

Samstag, 11. September 2010

11.09.2010 – Durham

Durham liegt ja nur 40 Minuten von York und war darum erstes Ziel bei der unvermeidlichen Wiederentdeckung meiner alten Orte. Samstag kurz nach elf kam ich mit der Neuseeländerin Kim aus dem Intensivkurs auf dem inzwischen völlig verglasten Bahnhof auf dem Eisenbahnviadukt an. Aus dem Zug schon war die riesige Kathedrale zu sehen. Den Berg hinunter und über den Fluss, stets überragt von der Kirche, ging es zum Marktplatz und kurz in die Markthalle. In der Touristeninformation erfuhren wir außerdem, dass gerade Tag des Kulturerbes und ohne Eintritt war. Vom Markt weiter hoch auf den Kathedralenplatz – in solchen Momenten glaube ich immer noch nicht, dass ich wirklich wieder hier bin. Wir machten erst die Führung in der Burg gegenüber, also wo heute das Uniwohnheim ist. Erst da fiel mir wieder ein, dass ich das schonmal gemacht hatte. Aber überhaupt kamen an jeder Ecke wieder Erinnerungen hoch. Am komischsten: Läden, Restaurants, Markt, alles noch genau wo ich es gelassen hatte.

Nach dem Mittagessen ging es zum Höhepunkt, natürlich der Kathedrale. Zugegeben, etwas kleiner als in der Erinnerung. Aber innen wurde mir nach einer Weile doch komisch zumute. Vor allem, weil ich so vieles überraschend unverändert fand und längst vergessene Details sofort wieder erkannte. Die bemalten Orgelpfeifen, die große östliche Fensterrose, die freakigen Bilder am Grab des Hl. Cuthbert, seine Darstellungen mit dem Kopf des Hl. Oswald. Und dann vor dem Chor fiel mir ein, wie ich am letzten Tag hier abends ganz allein und verwirrt auf genau der gleichen Bank gesessen hatte.

Jedoch habe ich in den letzten doch viel dazu gelernt, zum einen Sentimentales zu bekämpfen, zum zweiten hatte ich trotz der vielen Besuche damals erst jetzt richtiges Infomaterial dabei. Bei dessen Studium stießen wir auf einmal auf noch zwei Mädchen aus unserem Kurs, eine Japanerin und eine Jordanierin, die morgens spontan auch nach Durham gefahren waren. Zu viert ging es nach in den Kreuzgang des Klosters nebenan. Dann übernahm ich die Führung und wir gingen runter zum Fluss, am Ufer gegenüber der Kathedrale zurück zum Zentrum, dort, wo man von unten auf die sonnenbeschienenen Türme der Kathedrale über den Bäumen am Steilufer blickt, und wohin junge Freiwillige in ihren letzten Tagen gingen. Vor allem fühlte ich bei allem, dass ich so ein Drama wie Ende 2005 nicht mehr erleben werde.

Zuletzt tranken wir alle noch einen Kaffee am anderen Flussufer. Dann ging es zum Bahnhof, vorbei an den ersten in die Stadt strömenden Kreaturen der englischen Samstagnacht, und mit einem letzten sentimentalen Blick auf die Kathedrale und die sonnigen Täler um die bewaldeten Hügel von Durham herum. Auf der Rückfahrt, durch die ebenso sonnigen englischen Felder voller Schafe, vergaßen wir die Jordanierin in Durham, aber unter meiner bescheidenen Führung stiegen wir an der nächsten Station aus und in ihren nachfolgenden Zug wieder ein.

Freitag, 10. September 2010

10.09.2010 – Mitteilungen von der faulen Haut

Uni
Neueste Notizen vom täglichem Rumgerenne auf dem Campus: der Unisee, der den westlichen Campus teilt, mit Schwärmen exotischer Kreischvögel. Wo der 1960er Campus in das historische Dorf Heslington übergeht sind Unieinrichtungen in wunderschönen alten Gebäuden mit echt englischen Gärten untergebracht. In fast jedem Gebäude ist heutzutage ein Café, sogar die Briten haben also inzwischen dahin gefunden, auch wenn es für unsere Verhältnisse eher Imbisscharakter hat. Und die Uni ist besser ausgeschildet als die durchschnittliche Kleinstadt, und im übrigen besser als York selbst wie ich letztens immer wieder feststellen muss.

Intensivkurs
Akademisch bin ich nach dem gutem Start zurück zur alten Zeitverschwendung, kann mich ganz schlecht auf die Vorlesungen konzentrieren und finde mich trotz viel Zeit jeden Abend unter einem Berg unerledigter Aufgaben wieder. Das schlimmste, die Leute, die zum ersten Mal im Land sind und im Gegensatz zu mir den Stoff noch nie hatten scheinen weitaus besser klarzukommen als ich. Ich weiß schon jetzt diesmal wird die Zeit nicht reichen mein Englisch wieder zu erlangen. Im Gegensatz zu damals komme ich nämlich viel zu wenig unter Leute. Nichts schlimmeres als sich in einer Sprache quälen zu müssen die im Kopf mal Erststatus hatte. Bei Gelegenheit plappere ich noch eher auf Polnisch los.

Wohnungssuche
Unter den erwähnten Aufgaben ist die Wohnungssuche, die mir letztens einen sinnlosen zweieinhalb Stunden Spaziergang eingebracht hat. Ich habe ein interessantes Angebot, kann es aber wohl erst in einer Woche ansehen, und wenn das dann nicht klappt stehe ich in Konkurrenz mit anderen zum Semesterbeginn eintreffenden Studenten.

Salsa
Donnerstag abend bin ich zum ersten Mal ausgegangen. Mit Rana, der libanesischen Doktorantin, die ich im Zug Nach York getroffen hatte, und Freunden ging es zum Salsa im Stadtzentrum. Zum ersten Mal wieder im oberen Stock eines Busses, zum ersten Mal wieder die Athmosphäre englischen Nachtlebens, die klassische Samstagabend Dance-Musik aus jedem zweiten historischen Haus, und schon am Donnerstag massiv Leute unterwegs, Frauen in gnadenlosen Minis, da kamen richtig Erinnerungen hoch. Salsa war mittelmäßig, gute Stimmung aber wenig Platz. Nachtbusse sind außerhalb des Semesters hier übrigens nicht zu haben, aber wie ich erfuhr kann man locker ins Zentrum und zurück laufen. Und apropos Erinngerungen, auf dem Rückweg sah man Hasen und Fasane auf den Straßen.

Daheim
Zu Hause wohne ich weiter mit in der Wohnung mit einem Italiener und einem Österreicher. Dazu stieß letztens ein Thailänder hinzu, von dem man nie wieder was gesehen hat, nur der Gestank der von ihm gleich am nächsten Morgen abgefackelten Mikrowelle hängt noch Tage danach in der Luft.

Durham
Heute, Freitag, haben wir den Matheteil des Kurses abgeschlossen. Über das Wochenende lösen wir dazu einen simplen Test. Da ich in Wirtschaft noch etwas Vorsprung habe und wir den neuen Stoff (Statistik) erst Montag kriegen, ist dieses Wochenende wohl die beste Gelegenheit einen Tag frei zu nehmen. Daher fahre ich Samstag zur ersten Nostalgiereise nach Durham. Nach Kursende Anfang September geht es zu Joanna nach Manchester und danach wohl nach Newcastle, wo ich mit meinem alten Mentor in Kontakt stehe. Zu dem Zweck habe ich mir eine Bahncard geholt.

Samstag, 4. September 2010

05.09.2010 – Ein Tag Tourist

Das Wetter ist sonnig, so bin ich Samstag nachmittag wie angekündigt endlich einmal als Tourist ins Zentrum Yorks gefahren. Hauptziel war der schon seinerzeit geschilderte Münster. Der ist dank meiner Studentenkarte sogar gratis. Und er hat nichts von seinem Eindruck verloren. Gerade singt auch der Chor. Die Hälfte der Kirche scheint aus Glasfenstern zu bestehen, in der Tat wohl die meisten in ganz Europa. An denen restaurieren sie auch fünf Jahre später immer noch rum. Einfach grandios. Und alle noch original und heil. Zusammen mit den ganzen kleinen schiefen mittelalterlichen Häusern überall in der Stadt, und in der Tat im Land, aus Holz und Lehm...im Rest Europas ist das alles verbrannt.
Bei Hunger ging ich das erste ordentliche und lang erwartete Fish&Chips essen. Danach war der Münster schon zu, wie im übrigen fast alles hier ab 17 Uhr. Dafür war Abendmesse und da die meisten Besucher schon weg waren konnte man den Chor besonders gut hören.

Alternativ wollte ich auf die Stadtmauer, auf der Suche nach den grauen Eichhörnchen die ich dort damals gesehe hatte. Die springen aber schon durch einen Park, wo Leute abends auf dem makellosen englischen Rasen zwischen den Ruinen alter Kirchen und der Stadtmauer liegen. Alle paar Meter erkenne ich etwas wieder, springen plötzlich Erinnerungen hoch. Das letzte Mal war ich wohl noch mit Hanni hier. Außerdem fällt mir wieder ins Auge, wie integriert hier wirklich alle Ethien wirken.

Eine weitere Erkenntnis der letzten Tage: wie grottenschlecht mein Englisch geworden ist.

Der Fluss nebenan sieht aus wie in Amsterdam mit kleinen Barkassen und Hausbooten. Endlich finde ich die Stadtmauer und gehe einmal um die ganze Stadt. Die Stelle mit den Eichhörnchen, ich finde sie nicht mehr. Dafür geht auf dem Parkplatz vor dem Burgmuseum eine Entenfamilie selbstbewusst spazieren. Und am Himmel hängen seit meiner Ankunft Heißluftballons.

Donnerstag, 2. September 2010

30.08.2010 – Zurück in England

So bin ich also unabsichtlich am 30.8. nach England zurück gefahren, genau fünf Jahre nachdem ich ausgereist war. Danke für die Ermutigung und die Zeit, in der ich mich um nichts kümmern musste und mir Essen wünschen konnte, in Lodz, Magdeburg, Rostock, Lübeck, Templin und Frankfurt. Danke deshalb, weil ich zum ersten Mal nicht voller Selbstbewusstsein im Bus auf die Abfahrt wartete. Denn diesmal bin ich nicht völlig überzeugt, das Richtige zu machen. Zum ersten Mail war ich bis zum Schluss geistig nicht schon am Ziel, noch im Bus als schon alles Englsich sprach, schien es nicht als wenn ich nächsten Morgen dort sein würde. Vielleicht war es so lange her?

Ankunft
Kurz vor 12 tauchten dann die Hügel von England vor der Ausfahrt des Kanaltunnels auf. Und immer noch kroch das Vertraute nur langsam in mir hoch. Das Umsteigen in London war so stressig, die Zugfahrkarte so teuer und ich so erschöpft, dass ich nur wieder weg wollte, nach Lodz, nach Warschau, nach Rostock, irgendwohin wo ich nicht über Unsummen entscheiden muss, man für mich kocht und wir abens Romme spielen.

Jedoch fand ich eine Sache wieder, die ich schon fast vergessen hatte: die allgegenwärtige Zuvorkommenheit in England. Zwar war ich verwirrt und genervt, doch jedesmal wenn ich nicht weiter wusste, war jemand zur Stelle, der mir half. Im Zug dann traf ich Rana, libanesische Doktorantin in York, die alle Zweifel an der Lehrqualität zerstäubte.

Der Intensivkurs
Seit Mittwoch bin ich im Intensivkurs, mit ca 40 Leuten aus allen Ländern. Technisch gesehen alles ganz einfach, umso mehr schmerzt es wie kläglich ich vor Aufgaben versage, die ich in der Schule beim Pausenbrot gemacht habe. Mir dann an der Uni wieder mühsam angelernt habe. Und jetzt wieder nicht kann.
Und das kontrastiert umso mehr vor den britischen Studenten. Das sind diese Cambridgetypen, jovial, kompetent, wortgewandt, interessiert, sympathisch. Die so nebenbei Summen ausgeben, wo mir der Atem stockt. Die wissen, dass sie sich ihr Selbstbewusstsein leisten können, denen der Hemdkragen unter dem Pullover vorlukt und die Probleme so locker nebenbei lösen, mit dem Gestus quasi wie beim Tennismatch im Club.

Er dauert bis 1.10., dann habe ich frei bis Semesterbeginn am 11.10. Wenn ich den Kurs bestehe, wurde mir bereits bestätigt, dass ich in meine Wunschstudienrichtung versetzt werde. Für die Zeit des Kurses wohne ich im College, zum eigentlichen Semester muss ich mir eine eigene Unterkunft besorgen.

Nur Zeit habe ich keine, denn wie bei jeder Neuankunft ist soviel zu organisieren, Wohnung und Versicherung, und wenn man daneben noch studiert, so einfach die ersten Lektionen auch sein mögen...

Das Wohnheim
Seit meiner Ankunft bin ich konstant am staunen ob der Modernität hier. Bei dem was hier als Bus um die Ecke biegt fragt man sich, ob das überhaupt noch die Erde berührt. Man muss es leider sagen, Polen wird das in 50 Jahren nicht aufholen. Auch das Wohnheim ist ein Traum. Ein ganzer zweiter Campus wird hier am Ortsrand neu gebaut. Die Zimmer sind in Wohnungen gruppiert, zwei Bäder, brandneue Küche mit Einrichtung, und der Portier ist so freundlich das lässt sich gar nicht in Worte fassen. Insbesondere werden hier sämtliche Türen mit Chipkarten geöffnet, und ich sehe es schon kommen wie ich einmal nach der Dusche nur mit einem Handtuch und ohne Karte vor meiner Tür stehe.

Die Umgebung
Hinter uns beginnen die Felder und neben uns ist das frisch eingemeindete Dorf Heslington. Auf dem Weg zur Uni liegt die Dorfkirche, eine Ode an das heile britische Landleben. Hier ist seit 500 Jahren eben nichts mehr kaputt gegangen! Heslington ist inzwischen quasi Unidorf, vier Banken, Pubs, reihenweise englische Cottages mit gepflegten Gärten, die sauberen Straßen emittieren ein Selbstbewusstsein, dass man versteht warum sich diese Leute von keinem großen Europaprojekt beeindrucken lassen wo bei ihnen ohnehin alles so schön funktioniert.

Freizeit
Tourismus ist erst für Samstag vorgesehen. Dann muss ich auch mal richtig einkaufen. Die Supermärkte sind nämlich alle weit (ach, in Polen gibt es an jeder Ecke einen Laden...) da muss man sich richtig Zeit nehmen. Auf dem Campus ist einer, aber bei dessen Angebot und Preisen verweigere ich den Konsum. So hoffe ich, dass mein Körper mir die Weißbrot- und Nudelmonotonie bis Samstag abnimmt und nicht so abklappt wie am Anfang auf der Farm, als ich für ausgewogene Ernährung noch zu geizig war.