Direkt nach dem vorletzten Eintrag über Ottos besseren Schlafrhythmus hat er ihn sofort wieder geändert. Diese Nacht wurde die bis dahin Schlimmste seit der Geburt, wo ich von 19 Uhr bis Mitternacht mit ihm auf den Beinen war, weil er nicht schlafen wollte. Und zwei Tage darauf kam die nächste Schlimmste Nacht, nach der gefürchteten dritten Impfung mit der Meningitis, und die Nacht einfach mal überhaupt nicht schlief. Zum tausendsten Mal haben wir "Schlafrückfall" und "Zähne" gedacht - inzwischen weiß ich gar nicht mehr, woran ich das noch erkennen sollte. Seitdem wird es langsam wieder besser, aber diese letzte Woche spüre ich, dass auch meine nervlichen Reserven nach vier Monaten langsam alle sind. Das heißt nicht unbedingt, dass ich ständig schlecht drauf bin. Aber wenn mal etwas schief geht, insbesondere nachts, flippe ich viel schneller aus, weil einfach keine Kraft mehr da ist, es aufzufangen. Und es ist auch nicht unbedingt wegen Ottos Verhalten so, sondern, weil ich seit Monaten kaum Zeit für mich selbst habe, um mal abzuschalten und wieder aufzuladen. Unsere derzeitige Tagesroutine:
- 7 Uhr aufstehen und ich bespaße Otto
- 8.45 Uhr übernimmt Ellie für den Rest des Tages während ich arbeite - die erste dreiviertel Stunde geht aber meist für dringendes im Haushalt drauf
- Mittags habe ich seit kurzem eine Stunde extra frei von meinem Arbeitgeber, wo ich Ellie eine Pause nehmen lasse und sie meistens für uns kocht
- 17.30 Uhr mache ich Feierabend und übernehme Otto, dann baden wir ihn und ich bringe ihn ins Bett. Zwischen 19 und 20 Uhr komme ich dann wieder ins Wohnzimmer - an guten Abenden ist dann etwas Zeit für uns, aber vor allem werden dann die nötigsten Haushaltsarbeiten erledigt. Und meist wacht Otto nochmal auf und ich muss wieder mehr oder weniger lange hoch.
Das heißt, ich habe immer "Dienst" auf die eine oder andere Weise und ich komme unter der Woche auch nicht aus dem Haus. Und mir war es immer so wichtig, raus zu kommen um meinen Kopf freizukriegen. Am Wochenende ist es nur bedingt anders. Otto kann etwa zwei Stunden wach sein, dann nimmt ihn Ellie wieder zu einem Nickerchen. Das dauert dann etwa eine Stunde, manchmal bis zu drei, und er schläft etwa dreimal pro Tag. Das heißt, ich habe drei Gelegenheiten, Dinge zu erledigen, und rausgehen kommt da häufig nicht unter.
Manchmal kriegt man einfach nur die Krise wieso das Kind einfach nicht schlafen will egal wie vedammt müde und fertig es ist.
Manchmal scheint die Nacht ein tiefer, schwarzer Tunnel weil man sich problemlos vorstellen kann, dass er niemals schlafen wird und wir auch nicht. Ellies Hände sind immer noch kaputt sodass nur ich ihn nacht halten kann wenn er wieder in den Schlaf gewiegt werden muss. Aber ich habe angefangen dabei im Stehen einzuschlafen und das ist nicht mehr sicher. Manchmal bin ich zu Arbeitsbeginn schon länger wach gewesen als ich überhaupt geschlafen hatte. Und wenn man dann eine ganze Woche nicht aus dem Haus gekommen ist, scheint das Leben allgemein ein großes Hamsterrad zu sein.
Ohne Zweifel deswegen merke ich auch, dass mein Tagebuch wieder die Funktion einnahm, die es ursprünglich auf der Farm hatte: um mal mit jemandem zu "reden", wenn man nie wen sieht. Denn irgendwo muss man seinen Stress ablassen, aber Ellie hat das nicht verdient, die hat selbst zu tun.
Jetzt, nach vier Monaten, kommen auch nach und nach all die Lügen heraus, die Ellie haben so verzweifeln lassen. Es dringt immer mehr durch, dass der Großteil der anderen Eltern aus unserem Kurs dieselben Problem haben. Angstzustände und Pillen. Und jeder scheint gedacht zu haben, nur sie seien betroffen. Jede Mutter muss sich monatelang fertiggemacht haben. Sich entweder an sinnlose Regeln gehalten haben oder es geheim gehalten, wenn sie es nicht taten. Völlig unnötiges Elend.
Otto dagegen geht es vermutlich wunderbar. Ein echter Wonneproppen. Meist sehr fröhlich, lacht viel, mag Menschen. Erkennt zumehmend Dinge und man sieht, wie sein Geist das erstmal verarbeitet. Alles wandert derzeit in seinen Mund. Vor kurzem hat er plötzlich verstanden, dass meine Brille nicht zu mir gehört, seitdem muss ich sie beschützen. Am meisten beschäftigen ihn Blätter an den Bäumen und wie das Licht da durchspielt. Er hat jetzt aber auch mehr Schiss vor den Katzen, weil er vermutlich versteht, dass die nicht einfach passive Objekte sind. Während er anfangs Linkshänder zu sein schien benutzt er inzwischen beide Arme. Wir haben begonnen, Gutenacht-Geschichten und Lieder in seine Abendroutine einzubauen, vermutlich mehr für uns als für ihn. Sein Schlaf hat sich die letzten Tage verbessert. Ich kann ihn wieder direkt in seinem Bettchen zum Schlafen bringen, d.h. ich muss ihn nicht mehr soviel tragen. Nachts wacht er häufiger auf, aber auch da schläft er schneller wieder ein.